Apostelgeschichte 14,8-18 | Mittwoch nach nach 12. Sonntag nach Trinitatis | Pfr. Dr. Martens

Am vergangenen Sonntag gab es im TAGESSPIEGEL einen sehr ausführlichen Bericht über unsere Arbeit mit Konvertiten aus dem Iran und Afghanistan. Er war insgesamt sehr positiv und wohlwollend; aber an einer Stelle war die Darstellung dann doch etwas verzerrt, als die Journalistin mich mit den Worten zitierte: „Unser Glaube ist der Sieg“ und dabei den Eindruck erweckte, als ob wir hier in der Gemeinde einer Form von Triumphalismus huldigen würden. Leider erwähnte sie nicht, dass es sich einfach um ein Zitat aus der Predigtlesung des Sonntags Jubilate aus dem 1. Johannesbrief handelte und ich dieses Wort der Bibel in einem völlig anderen Zusammenhang entfaltet habe, als mir dies von der Journalistin unterstellt wird. Ja, wir haben in der Tat allen Grund, über das zu staunen, was hier in unserer Gemeinde geschieht. Aber dass wir nun die ganze Zeit nur in Triumphgeschrei ausbrechen, kann man nun wahrlich nicht behaupten. Da reichen dann schon wieder einige mehr als seltsame Bescheide des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, um uns sehr schnell wieder auf den Erdboden zurückzubefördern.

Auch in der Apostelgeschichte beschreibt der heilige Lukas die Ausbreitung des Evangeliums nicht einfach bloß als eine einzige Erfolgsgeschichte, als einen ungehinderten Triumphzug. Sondern er beschreibt auch ganz nüchtern Pleiten, Probleme und Niederlagen, die die Apostel in ihrem Wirken zu erleiden hatten. Und damit sind sie eben ganz dicht auch an unseren Erfahrungen dran. Ja, genau darum geht es auch in der Predigtlesung dieses heutigen Abends.

Da befinden sich Paulus und Barnabas auf ihrer Missionsreise durch den Süden der heutigen Türkei. Sie kommen in eine Kleinstadt namens Lystra. Etwas schneller als geplant waren sie nach Lystra gekommen, denn in der Stadt Ikonion, in der sie zuvor gewesen waren, wollten die Leute sie nach der Verkündigung des Evangeliums steinigen, und sie konnten dieser Steinigung nur im letzten Augenblick entkommen. Triumphzüge sehen anders aus. Und so beginnen Paulus und Barnabas also nun in Lystra, das Evangelium zu verkündigen. Ja, das ist wichtig, dass Paulus und Barnabas erst einmal von Christus predigen und danach dann auch die Heilung des gelähmten Mannes vollziehen, von der hier in unserer Predigtlesung die Rede ist. Paulus benutzt nicht Heilungswunder, um damit Massen anzulocken und zu Jesus zu führen, wie dies so manche Fernsehprediger heute zu tun pflegen. Nein, er beginnt mit der Christuspredigt – und dann wendet er sich diesem gelähmten Menschen zu, nimmt bei ihm den Glauben wahr, der bei ihm durch die Christuspredigt gewirkt worden war. Und daraufhin vollzieht Paulus in der Tat eine Heilung an ihm – nicht mir irgendwelchem Zirkus, sondern einzig und allein durch das Wort, das nicht sein Wort ist, sondern das Wort Christi selber, dessen Bote und Bevollmächtigter er, Paulus, ist.

Christus erweist sich im Wort seines Boten als mächtig; er wirkt, was Paulus selber als Mensch nie hätte bewirken können: Der gelähmte Mensch, der in seinem Leben noch nie hatte laufen können, springt auf und geht umher.

Doch dann beginnen die Dinge sehr schnell aus dem Ruder zu laufen: Die Zuhörer erklären sich das, was sie da nun gerade miterlebt haben, nicht von der Predigt des Evangeliums her, das sie gerade zuvor gehört hatten, sondern ordnen dieses Wunder in ihre eigene religiöse Vorstellungswelt ein: „Die Götter sind den Menschen gleich geworden und zu uns herabgekommen.“ Und da sie das in ihrer Muttersprache Lykaonisch und nicht auf Griechisch rufen, bekommen Paulus und Barnabas das erst einmal auch gar nicht mit, dass die Dinge da in Lystra völlig schief zu laufen beginnen: die Leute halten Barnabas für Zeus, den obersten griechischen Gott, und Paulus für den Götterboten Hermes, weil der so viel redete. Erst als Paulus und Barnabas mitbekommen, dass die Priester des Zeustempels Stiere und Kränze vor das Stadttor bringen lassen, um Barnabas und ihm Opfer darzubringen, wird ihnen klar, was da gerade passiert.

Und nun ist bezeichnend, wie Paulus und Barnabas reagieren. Sie lassen sich nicht bejubeln und feiern – Hauptsache, sie können beeindruckende Teilnehmerzahlen von diesem Gottesdienst vermelden. Sie fühlen sich auch nicht gebauchpinselt. Sie sagen auch nicht: Hauptsache, die Leute haben irgendwelche schönen religiösen Gefühle; auf die feinen Unterschiede kommt es am Ende doch nicht so an. Sondern sie fahren sofort das volle Alarm-Programm: Sie zerreißen ihre Kleider, springen halbnackt vor dem Volk herum, um deutlich zu machen, dass sie ganz sicher keine Götter sind, und schreien dazu auch noch laut. Nein, sie geben nicht einfach irgendwelche unartikulierten Urschreie von sich, sondern Paulus nutzt die eigentlich nicht so erfreuliche Gelegenheit, um nun noch schnell eine Predigt zu halten, die speziell für Leute gedacht ist, die nicht wie jüdische Zuhörer schon eine Ahnung von dem einen Schöpfergott hatten, sondern die erst einmal von ihren heidnischen religiösen Vorstellungen zur Anerkennung des lebendigen Gottes als des Schöpfers allen Lebens geführt werden mussten. Ja, Paulus geht davon aus, dass eigentlich schon die Erfahrungen der Natur deutlich genug darauf hindeuten, dass es sowohl Quatsch ist, die Existenz Gottes zu leugnen, als auch den einen wahren Gott durch einen ganzen Trupp von Göttern zu ersetzen, die dort oben auf dem Olymp letztlich nichts Besseres zu tun haben, als sich gegenseitig zu ärgern.

Doch der Erfolg der Predigt des Paulus ist nur sehr begrenzt: Er schafft es zwar so gerade, die Leute davon abzuhalten, ihm und Barnabas Opfer darzubringen. Richtig überzeugt hat er sie jedoch nicht. Und wie wenig er mit seiner Predigt tatsächlich die Herzen der Zuhörer erreicht hat, bekommt er gleich darauf zu spüren, als die Leute aus Ikonion nach Lystra herüberkommen und dieselben Leute, die Barnabas und Paulus gerade noch als Götter verehrt hatten, dazu veranlassen, Paulus zu steinigen. Da braucht der Paulus dann schon selber ein Wunder, um diese Attacke zu überleben.

Von einem Missionseinsatz, der menschlich gesprochen in einer ziemlichen Pleite endet, berichtet uns St. Lukas also hier – und beschreibt zwei Gefahren, die auch wir in unserer Missionsarbeit hier in Steglitz nur allzu gut kennen:

Da ist zum einen die Gefahr, dass die Hörer die Verkündiger des Evangeliums nicht mehr als Boten wahrnehmen, sondern beginnen, ihren Glauben an sie zu hängen und auf sie zu richten. Ja, das ist natürlich menschlich so verständlich, dass man seinen Glauben mit denen in Verbindung bringt, die einem auf dem Weg zu diesem Glauben geholfen haben, mit denen, die eben so viel sichtbarer sind als der Jesus Christus, den sie verkündigen. Ja, menschlich verständlich ist es – und doch zugleich so gefährlich, wenn Christus selber hinter denen verschwindet, die ihn allein doch zu bezeugen haben, wenn Menschen ihre Hoffnung nicht mehr allein auf Christus, sondern auf die Fähigkeiten von Menschen setzen, ganz gleich wie ausgeprägt diese Fähigkeiten auch sein mögen.

Umgekehrt sind diese Erwartungshaltungen aber eben auch eine Herausforderung für die, auf die diese Haltungen gerichtet sind. Wie sollen sie darauf reagieren? Ach, wie groß ist die Versuchung, sich an persönlicher Beliebtheit, am Jubel über die eigene Person zu erfreuen, sie vielleicht gar noch als Erfolg des eigenen Wirkens anzusehen! Und wie groß ist erst recht die Versuchung, solche Erwartungshaltungen gleichsam als Kollateralschäden der Verkündigung abzutun, nichts dagegen zu unternehmen in der Hoffnung, dass ja immer noch genügend Richtiges bei den Leuten hängen bleiben möge!

Doch da, wo nicht mehr Christus allein im Zentrum steht, wo auf Menschen Hoffnungen gerichtet werden, die allein Christus zustehen, da kann und darf dies nicht einfach hingenommen werden. Man muss es nicht unbedingt wie Paulus und Barnabas machen, muss sich nicht unbedingt die Kleidung vom Leib reißen und vor der versammelten Menge herumspringen wie die beiden Apostel damals. Ich weiß nicht, ob das heutzutage sehr überzeugend wirken würde, wenn ich mich so verhalten würde. Aber ich hoffe, dass es mir auf meine Weise gelingt, jegliche Ansätze von falschen Hoffnungen, die auf mich und meine Person gerichtet sind, abzuwehren und immer wieder den Blick auf Gott zu lenken – auf ihn, den Schöpfer, der seinen Sohn Jesus Christus zu unserer Rettung gesandt hat. Nicht der Pastor macht eben einen Menschen selig, sondern Jesus Christus allein.

Und da ist dann noch die andere Gefahr, dass Menschen das, was sie in der Verkündigung und in der Kirche erfahren, in ihren eigenen religiösen Erfahrungshorizont einbauen und von daher völlig verdrehen. Genau das ist die Herausforderung, vor der wir in unseren Unterrichten, ja in unserer ganzen Arbeit hier in der Gemeinde immer wieder stehen: Das Evangelium von Jesus Christus ist eben nicht bloß eine freundlichere Variante des Islam, bei der man morgens nicht so früh zum Gebet aufstehen muss; es ist in der Tat etwas völlig anderes. Es ist keine Religion, in der wir durch das Einhalten von Vorschriften uns den Weg in den Himmel bahnen können. Immer und immer wieder versuche ich, dies den Taufbewerbern und auch den Getauften klarzumachen. Und doch höre ich dann immer wieder die Fragen, welche Reinheitsvorschriften denn nun bei uns Christen gelten, welche Gesetze wir denn nun einzuhalten haben. Ja, manchmal ist es auch etwas mühsam, dies immer und immer wieder zu erklären, deutlich zu machen, dass es am Ende in Gottes Gericht wirklich allein um Christus geht und nicht um unser Tun. Und doch: Was für eine Freude ist es immer wieder, wahrzunehmen, wie Menschen, die aus dem Islam stammen, von dieser Entdeckung geradezu überwältigt werden, was es heißt, Christ sein zu dürfen, und wie sie dies auch anderen nahezubringen versuchen! Ja, es ist schon eine ganz große Freude, immer wieder diese Kraft des Evangeliums hier in unserer Gemeindearbeit erleben zu dürfen. Und doch: Dass wir es nie vergessen: Es sind keine Siege, die wir erringen. Christus allein ist der Sieger, der stärker ist als alle Mächte, die Menschen binden und von ihm fernzuhalten versuchen. Hören wir darum nicht auf, auf ihn allein zu verweisen in allem, was wir tun – auch da, wo es ganz praktisch darum geht, Menschen in Not zu helfen. Denn retten kann nur Christus allein. Amen.

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