Apostelgeschichte 6,8-15; 7,55-60 | Tag des Erzmärtyrers St. Stephanus | Pfr. Dr. Martens

Vor wenigen Tagen, gerade noch rechtzeitig vor dem Heiligen Abend, hat der Sultan von Brunei die Feier des Weihnachtsfestes in seinem Sultanat offiziell verboten. Wer es wagen sollte, eine Weihnachtsgrußkarte zu verschicken, wird mit Gefängnis bis zu fünf Jahren bestraft. Die Begründung ist einleuchtend: Die Feier des Weihnachtsfestes könnte den Glauben von Muslimen schwächen und durcheinanderbringen. Der Sultan von Brunei steht mit dieser Ankündigung nicht allein. Auch in Somalia wurde die Feier von Weihnachten in diesem Jahr verboten, weil sie unislamisch ist – was ja in der Tat auch sehr richtig ist. Und in vielen anderen Ländern dieser Erde würden Christen auch gar nicht auf die Idee kommen, öffentlich Weihnachten zu feiern, weil sie wüssten, dass die öffentliche Bekundung des christlichen Glaubens für sie den Tod bedeuten könnte.

Weihnachten kann eine lebensgefährliche Angelegenheit sein – das erfahren Christen auch in diesem Jahr wieder in so vielen islamischen Ländern überall auf der Welt. Und das weiß die Kirche schon seit vielen Jahrhunderten, feiert darum den Tag des Erzmärtyrers St. Stephanus gleich am Tag nach dem Christfest, erinnert damit daran, dass Weihnachten niemals eine harmlose Angelegenheit ist, kein Fest, dessen Gelingen nicht zuletzt von bestimmten meteorologischen Gegebenheiten abhängt. In der Epistel des heutigen Tages rieselt nicht leise der Schnee, sondern es fließt Blut; ja, genauer möchten wir uns die abschließende Szene der Steinigung des Stephanus lieber gar nicht ausmalen.

Weihnachten kann eine lebensgefährliche Angelegenheit sein – das ist eine zutiefst verstörende Nachricht für die meisten Menschen hier in Deutschland, die sich überhaupt nicht vorstellen können, was jemand gegen ein Fest des Friedens und der Familie und der Geschenke haben könnte. Nun gut, diese Geschichte mit der Geburt eines Babys in einem Stall von Bethlehem – die kann man gerne über Bord werfen, die ist für Weihnachten ja nicht so wichtig. Ob man die Feier nun Weihnachtsfest oder Winterfest oder auch Jahresabschlussfest nennt, wie es die Stasi vor einigen Jahrzehnten in der DDR als neuen Sprachgebrauch einzuführen versuchte, das ist egal. Der Sultan von Brunei würde hier in Deutschland mit seinen Anweisungen wohl auf zunehmend geringer werdenden Widerstand stoßen.

Über eine solche Preisgabe des christlichen Inhalts des Weihnachtsfestes können so viele, die heute hier zum Gottesdienst gekommen sind, sicher nur den Kopf schütteln. Sie haben es am eigenen Leibe erfahren, wie gefährlich es ist, sich dazu zu bekennen, dass Gott Mensch geworden ist, dass Jesus nicht bloß ein Prophet ist, sondern Mensch gewordene Gott, der sich um unsertwillen in einen Futtertrog hat legen lassen. Ja, was wir heute am Tag des Erzmärtyrers St. Stephanus miteinander bedenken, ist nicht ein exotischer oder auch nur bedauerlicher Einzelfall, sondern Normalität in einer Welt, die von Christus nichts wissen will und sehr schnell aggressiv reagiert, wenn er zu klar und eindeutig verkündigt wird. Was uns St. Lukas hier schildert, kennen so viele Menschen auch bei uns aus eigener Erfahrung, können sich sehr direkt wiederfinden in dem, was hier beschrieben wird. Ja, immer wieder erleben sie es auch hier, auch und gerade in den Asylbewerberheimen, wie Menschen auf die Christusbotschaft reagieren:

  • Sie ertragen es nicht, wenn jemand aus ihrer Gruppe aussteigt
  • Sie ertragen es nicht, wenn jemand ihre Gesetze nicht einhält
  • Sie sind taub und blind für das, was Christus, unser Herr, tut

 

I.

Mit einigen schwierigen Wörtern beginnt unsere heutige Epistel. Da ist von den Libertinern und Kyrenäern und Alexandrinern die Rede. Was ist damit gemeint? In Jerusalem gab es damals zwei Arten von Synagogen: Die einen waren hebräischsprachig; in sie gingen diejenigen, die in Israel selber geboren und aufgewachsen waren. Und dann gab es daneben griechischsprachige Synagogen für diejenigen Juden, die aus dem ganzen Mittelmeerraum nach Jerusalem eingewandert waren, aber eben nur griechisch und nicht hebräisch sprachen. In der ersten christlichen Gemeinde gab es offenkundig Juden aus beiden Lagern, und das führte schon bald zu Spannungen in der Gemeinde, weil sich die Griechischsprachigen zurückgesetzt sahen gegenüber den Hebräischsprachigen. Und so werden der Stephanus und sechs andere Mitarbeiter eingesetzt, damit die sich um ihre eigenen griechischsprachigen Leute kümmerten.

Der Stephanus stammte also aus den griechischsprachigen Synagogen – und genau die Leute sind es dann auch, die sich besonders über Stephanus aufregen, es einfach nicht akzeptieren können, dass er nun etwas ganz anderes glaubt und verkündigt, als sie es gewohnt waren. Mit guten Argumenten lässt sich da nichts ausrichten: Die Gruppe toleriert es einfach nicht, wenn einer der ihren aus ihr aussteigt.

Ach, wie aktuell ist das, was St. Lukas hier schildert, auch für so viele unserer Taufbewerber und Gemeindeglieder. „Warte nur, bis nachher das Licht ausgeht, dann wirst du schon sehen, was wir mit dir machen!“ – So musste es sich gerade vor ein paar Tagen einer unserer Taufbewerber hier in der Turnhalle in der Lessingstraße, zwei Minuten von uns zu Fuß entfernt, anhören. Muslime hatten mitbekommen, dass er sich taufen lassen will, und das können sie nicht ertragen, können es nicht tolerieren. Ja, diskutiert haben sie auch darüber, warum er Christ werden will – aber letztlich waren sie gar nicht dazu bereit, auch nur hinzuhören. Aus unserer Gruppe wird nicht ausgestiegen – und damit basta!

Ja, genau so beginnt sie immer wieder, die Verfolgung von Christen, dass es Menschen einfach nicht ertragen können, dass jemand ihre Religion, ihren Glauben verlässt, dass er damit, ob sie es wahrhaben wollen oder nicht, ihren Glauben in Frage stellt. Wie viele Geschichten zu diesem Thema könnten unsere Schwestern und Brüder nun an dieser Stelle beisteuern. Aber eine Warnung soll dies zugleich auch für uns selber sein, dass wir ja nicht dasselbe tun, worunter Christen anderswo so zu leiden haben, dass wir niemals versuchen, mit Druck und Zwang Menschen beim christlichen Glauben festzuhalten. Dass wir aufeinander achthaben, einander ermutigen, ja auch miteinander diskutieren – das ist alles gut und richtig. Aber niemals darf die Kirche zu einem Gefängnis werden, auch wenn das, was sie verkündigt, die Wahrheit ist. Denn die Wahrheit Christi ist eine Wahrheit, die frei macht.

 

II.

Und damit sind wir beim Zweiten: Die Gegner des Stephanus ertragen es nicht, dass jemand ihre Gesetze nicht einhält und in Frage stellt. Genau das sind die Anklagepunkte, die damals gegen Stephanus erhoben wurden, und genau das sind die Reibungspunkte auch heute in den Asylbewerberheimen unseres Landes ebenso wie in der Heimat so vieler Flüchtlinge: Damals waren es die Ordnungen, die Mose uns gegeben hat, wie es hier heißt. Heute ist es die Scharia, die nicht in Frage gestellt werden darf, die praktiziert werden muss – und wenn dagegen jemand verstößt, dann muss das geahndet werden – wenn es sein muss, auch mit Gewalt. Ja, die Botschaft von Christus als dem Ende des Gesetzes eckt an, ist unerträglich für alle Formen von Religion, in denen es darum geht, dass Menschen durch die Einhaltung von Gesetzesvorschriften ihr Verhältnis zu Gott bestimmen. Wenn so das ganze Zusammenleben in der Gemeinschaft durch solche Gesetze bestimmt ist, dann ist es für viele unerträglich, wenn jemand nicht mitmacht, wenn jemand im Asylbewerberheim den Ramadan nicht hält, wenn jemand am Arbeitsplatz als einziger nicht beim rituellen Gebet mitmacht. Ja, Christen fallen auf, wenn sie die Freiheit eines Christenmenschen praktizieren – und das kann gefährlich sein, ja, lebensgefährlich.


III.

Für Stephanus hat das Bekenntnis zu Jesus Christus als dem Ende des Gesetzes sehr direkte Konsequenzen, tödliche Konsequenzen. Die, die diese Botschaft nicht ertragen können, bringen ihn zum Verstummen, indem sie ihn steinigen. Eigentlich war der Vollzug der Todesstrafe ja ohne Zustimmung des Statthalters des römischen Kaisers nicht erlaubt; aber wenn es bei der Lösung religiöser Konflikte zu spontanen tödlichen Abrechnungen kam, blickte der dann doch eher weg. Der scheinbare Gotteslästerer wird getötet – alles angeblich zur höheren Ehre Gottes. Bezeichnend ist es, dass sich die Leute vor der Steinigung noch die Ohren zuhalten. Nichts wollen sie hören von der Botschaft von Jesus Christus, der für uns bei seinem Vater einsteht. Und scheinbar erreichen sie sehr schnell ihr Ziel: Nach der Steinigung brauchten sie nun nicht mehr ihre Ohren zuzuhalten. Da gab es niemanden mehr, der sie und ihren Glauben in Frage stellte. Scheinbar haben sie gewonnen – und die junge christliche Gemeinde hat einen ihrer fähigsten Prediger verloren.

Doch die, die Stephanus verfolgen und töten, sind in Wirklichkeit blind für das, was gerade da geschieht, als sie ihr Urteil an Stephanus vollstrecken: Da steht er, der auferstandene Christus, tritt für den ein, der sich zu ihm bekennt, öffnet ihm die Türen zum Himmel. Wer den christlichen Glauben nur als eine nette religiöse Verzierung seines Lebens für besondere Festtage begreift, wird nicht verstehen können, warum sich der Stephanus in diese Gefahr begeben hat, warum sich Christen überall auf der Welt in die Gefahr begeben, um ihres Glaubens willen verhaftet und getötet zu werden. Warum begibt man sich den wegen solch eines Hobbys in solch eine Gefahr? Doch wer wie Stephanus den Durchblick hat, der weiß, was es bedeutet, dass Christus als Verteidiger für einen aufsteht und eintritt, wenn man sich zu ihm bekennt, wenn man dafür auch seine Gesundheit, sein Leben riskiert. „Wer mich bekennt vor den Menschen, den will ich auch bekennen vor meinem himmlischen Vater“, so hat es Christus seinen Jüngern, so hat er es auch uns zugesagt. Und der, der für uns vor seinem himmlischen Vater eintritt, der sorgt eben auch dafür, dass die Kirche dort, wo sie verfolgt wird, nicht schwächer, sondern immer stärker wird, dass das Blut der Märtyrer zum Samen der Kirche wird. Eben so schildert es schon St. Lukas in der Apostelgeschichte – und eben so erlebt es die christliche Kirche bis heute immer wieder.

Lassen wir uns darum nicht irritieren, wenn wir als Christen in dieser Welt bedroht und angefeindet werden. Lassen wir uns nicht dadurch irritieren, dass die Zahl der verfolgten Christen in dieser Welt immer weiter wächst! Christus ist schon aufgestanden, um denen Recht zu schaffen, die um ihres Glaubens willen zu leiden hatten. Er ist schon aufgestanden, um sie in seiner Herrlichkeit zu empfangen – die Christen, die in diesem Jahr enthauptet, gekreuzigt und erhängt wurden, die Christen, die in Gefängnissen und Arbeitslagern elend zu Tode geschunden worden sind. Und er lässt auch euch, liebe Schwestern und Brüder, in euren Asylbewerberheimen nicht allein, auch wenn die, die euch eigentlich schützen müssten, lieber wegschauen und von eurer Bedrängnis nichts wissen wollen. Jesus, das Kind in der Krippe, ist nicht bloß eine Figur aus der Vergangenheit. Er lebt und will, dass auch wir leben – in alle Ewigkeit. Amen.

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