Dritte Fastenpredigt über Personen aus der Passionsgeschichte: Jesus Barrabas | Mittwoch nach Laetare | Pfr. Dr. Martens

Vor einigen Jahren erregte ein archäologischer Fund in Israel großes Aufsehen. Da hatte man ein Ossuarium gefunden, einen Knochenbehälter, in dem die Knochen von Verstorbenen nach ihrer Verwesung im Grab aufbewahrt wurden. Und auf diesem Ossuarium konnte man die Inschrift lesen: Jakobus, Sohn des Josef, Bruder des Jesus. Die Aufregung war groß: Hatte man da etwa die sterblichen Überreste des Bruders von Jesus Christus gefunden?

Doch die Aufregung legte sich dann auch schnell wieder. Denn die Namen Jakobus, Josef und Jesus waren damals in Israel etwa so verbreitet wie die Namen Ali, Reza oder Mohammad in unserer Gemeinde. Sie waren so verbreitet, dass es wahrscheinlich jede Menge solcher Ossuarien gegeben hat, auf denen diese drei Namen geschrieben waren. Ja, Jesus war damals ein sehr verbreiteter Name; in ihm brachten so viele Menschen ihre Hoffnung auf einen kommenden Retter zum Ausdruck – nicht viel anders als übrigens heutzutage in dem so häufig anzutreffenden Namensbestandteil „nejad“ in so vielen persischen Namen.

In dem Abschnitt aus der Passionsgeschichte unseres Herrn aus dem Matthäusevangelium, den wir eben gehört haben, begegnen wir auch gleich zweimal einem Jesus – einem sehr bekannten und einem weithin unbekannten. Von dem weithin unbekannten Jesus wissen wir, dass er den Namen Barabbas trug. Wir wissen zudem, dass er offenbar im Gefängnis saß, weil er sich eines schweren Verbrechens schuldig gemacht hatte, vermutlich eines Mordes im Widerstand gegen die römischen Besatzer. Und nun wird dieser unbekannte Jesus mit einem Mal auf die Bühne der Weltöffentlichkeit geholt durch den römischen Statthalter Pilatus. Er braucht einen Gegenkandidaten für Jesus von Nazareth, damit das Volk eine echte Wahl hat, was für einen Gefangenen Pilatus anlässlich des Passafestes freilassen sollte. Vermutlich wollte Pilatus damit einen Weg finden, um die Freilassung des Jesus von Nazareth erreichen zu können. Doch sein Plan geht schief: Statt des friedlichen Jesus von Nazareth fordert das Volk die Freilassung des Verbrechers. Und so kommt am Ende der Mörder frei – und der Unschuldige wird zum Tode verurteilt.

Doch es ist mehr als eine elende Justizposse, die hier von St. Matthäus geschildert wird. Die Geschichte, die uns hier erzählt wird, ist auch heute noch hoch aktuell: Da schildert St. Matthäus, wie die Volksmenge da vor dem Palast des Pilatus steht. Sie hat die Wahl zwischen zwei so unterschiedlichen Menschen: zwischen dem einen, der die Hoffnung auf Rettung mit Gewalt erfüllen wollte, und einem, der gerade zuvor seinen Jüngern befohlen hatte, ihn nicht mit dem Schwert zu verteidigen, denn wer das Schwert nimmt, wird durch das Schwert umkommen. So klar scheint die Entscheidung. Doch wenn Menschen aufgefordert werden zu wählen, dann kommt dabei oftmals wenig Gutes heraus; da jubelt man so oft den scheinbar Starken zu, denen, die glauben und versprechen, die Probleme dieser Welt mit einfachen Mitteln lösen zu können, notfalls eben auch mit Gewalt. Und die leise Stimme dessen, der uns Menschen einen ganz anderen Weg zeigt, wird dabei oft so wenig gehört und wahrgenommen. Jesus von Nazareth, der Friedenskönig, oder der starke Mohammad, der Kriege führte, um seinen Machtanspruch durchzusetzen – wenn man in den Unterkünften für Asylbewerber in unserer Stadt die Abstimmung durchführen würde, so wäre die Antwort klar: Jesus von Nazareth hätte keine Chance. Aber er hat eben auch so wenig Chancen, von denen gehört zu werden, die sich selber vielleicht sogar noch als Verteidiger des christlichen Abendlandes aufspielen. Jesus von Nazareth ist kein Umfragekönig, und wenn wir uns an dem orientieren, was die Mehrheit für richtig hält, dann könnten wir auch unsere Kirche schnell zumachen. Er, Jesus von Nazareth, weiß es genau, dass er durch Wahlen und Meinungsumfragen nicht sein Reich zu bauen vermag.

Jesu Weg ist ein ganz anderer. Es ist ein Weg, den Gott der Vater geplant hat, ein Weg, in dem Gott auch noch die Ablehnung von Menschen gebrauchen kann, um sein Heil für alle Menschen zu wirken. Menschen wählen den Falschen, fordern die Freilassung des Verbrechers und die Tötung des Unschuldigen. Doch auch diese fürchterliche Fehlentscheidung der Menschen hat ihren Platz in Gottes Plan, wird von ihm gebraucht, um auch dich und mich zu retten. Ja, um dich geht es in dieser Geschichte. Jesus Barabbas – das bist du selber. Ja, ich weiß, du hast nicht unbedingt schon einen Menschen getötet, hast nichts getan, weswegen die deutsche Gerichtsbarkeit dich ins Gefängnis stecken könnte. Doch das Todesurteil Gottes hast du dir nichtsdestoweniger schon längst eingehandelt, weil du seinen Geboten in deinem Leben so wenig gerecht geworden bist, weil du immer wieder schon am ersten aller Gebote immer wieder neu gescheitert bist. Keine Chance hattest und hast du, von dir aus der Vollstreckung dieses Urteils zu entkommen.

Doch nun passiert das Unfassliche: Mit einem Mal wirst du Jesus von Nazareth gegenübergestellt. Du, der Schuldige – und er, der Unschuldige. Wer verurteilt werden muss, ist klar. Doch dann passiert das Wunder: Jesus von Nazareth wird verurteilt – und du bist frei. So wenig, wie es damals wahrscheinlich Jesus Barabbas fassen konnte, von Pilatus freigelassen zu werden, so sehr sollst und darfst du darüber staunen, dass auch du ein freier Mensch bist – weil Jesus an deiner Statt in den Tod geht. Was für ein Wechsel, den der Liederdichter Johann Heermann so wunderbar beschrieben hat: „Der Fromme stirbt, der recht und richtig wandelt, der Böse lebt, der wider Gott misshandelt; der Mensch verwirkt den Tod und ist entgangen, Gott wird gefangen!“

Ja, du bist Jesus Barabbas – ein Mensch, der um des anderen Jesus willen die Freiheit erhalten hat, ein Mensch, dem in Wirklichkeit noch viel mehr geschenkt wurde als ein paar Jahre Lebenszeit in Freiheit. Jesus lässt sich verurteilen, damit du für immer, in alle Ewigkeit mit ihm leben darfst. Ja, Barabbas bist du – noch in einem ganz anderen Sinne. Bar-abbas: Der Name heißt wörtlich übersetzt: Sohn des Vaters. Ja, ein Bar-abbas bist du geworden in deiner Taufe, ein Kind deines Vaters im Himmel. Gott nimmt dich zu seinem Kind an, nicht weil du es dir verdient hättest, sondern weil Jesus auch dein Todesurteil auf sich genommen und damit für dich aufgehoben hat.

Lass dich darum von nichts und niemand, nicht von der Meinung der Mehrheit, nicht von dem Druck, den andere auf dich ausüben mögen, davon abhalten, dich zu dem einen Jesus zu bekennen, der dich wirklich retten kann, zu dem einen Jesus, der sich um deinetwillen hat verurteilen lassen, damit dein Leben nicht im Dunkel des Todes endet. Ja, danke ihm, deinem Jesus, immer neu dafür, dass er an deiner Statt in den Tod gegangen ist, damit du frei bist, damit du leben kannst. Ja, er hat es für dich getan, für dich, Barabbas! Amen.

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