Hesekiel/Ezechiel 3,17-19 | Mittwoch nach dem 9. Sonntag nach Trinitatis | Pfr. Dr. Martens

Seit dem Jahr 2000 vergibt der Verlag für die Deutsche Wirtschaft den ökumenischen Predigtpreis. Dieser Preis wird verliehen für deutschsprachige Predigten, die einen hervorragenden Beitrag zur Redekultur in Kirchen und kirchlichen Institutionen leisten. Sie sollen zur ethischen Orientierung und spirituellen Praxis beitragen und dem Dialog zwischen Kirche, Gesellschaft und Wirtschaft dienen.

Es ist schon bezeichnend, wenn ein „Verlag für die Deutsche Wirtschaft“ einen solchen Predigtpreis vergibt. In der Wirtschaft geht es um Angebot und Nachfrage, geht es darum, dass dem Kunden möglichst passgenau serviert wird, was er sich wünscht. Ein Predigtpreis für die passgenaue Erfüllung der Erwartungen der gottesdienstlichen Kundschaft? Ist es das, was man von einer Predigt erwarten darf – ja, ist es das, was auch ihr von einer Predigt erwartet? Was wünscht ihr euch von einer Predigt? Soll sie möglichst kurz sein, unterhaltsam, flott, anregend, ermutigend? Ja, könnte es sein, dass sich unsere Erwartungen gar nicht so sehr von denen der Jury des ökumenischen Predigtpreises unterscheiden?

Der Prophet Hesekiel hätte wohl damals nicht die geringsten Chancen gehabt, für einen ökumenischen Predigtpreis auch nur nominiert zu werden, geschweige denn, ihn zu erhalten. Was er verkündigte, entsprach so gar nicht dem, was seine Zuhörer gerne hören wollten. Im Gegenteil: Es widersprach den Erwartungen der Zuhörer so sehr, dass Gott dem Propheten Hesekiel hier in unserer Predigtlesung noch einmal sehr eindrücklich deutlich machen muss, was seine Aufgabe als Prophet denn nun ist: nicht Predigtpreise einzuheimsen, nicht den Applaus der Zuhörer hervorzurufen, sondern auszurichten, was ihm aufgetragen worden ist.

Gewiss, Pastoren sind keine alttestamentlichen Propheten. Sie haben nicht den Auftrag, das weiterzusagen, was Gott ihnen unmittelbar gesagt und eingegeben hat. Ihr Auftrag besteht vielmehr darin, das Wort Gottes weiterzusagen, das uns allen bereits in schriftlicher Form vorliegt. Aber das, was Gott dem Propheten Hesekiel damals einschärfte, gilt doch auch für Prediger des Wortes Gottes heute in gleicher Weise, und so tun wir als Zuhörer und als Pastoren gleichermaßen gut daran, aufmerksam wahrzunehmen, was Gott dem Hesekiel hier sagt:

Zunächst einmal benennt Gott hier ganz klar, wer denn nun der Auftraggeber des Propheten ist, wer auch der Auftraggeber eines Pastors, eines Predigers in der Kirche, ist: Es sind nicht die Zuhörer, es sind nicht irgendwelche Meinungsforschungsinstitute. Es ist einzig und allein Gott der Herr selber: Du wirst aus meinem Munde das Wort hören und sollst sie in meinem Namen warnen. Gott spricht – und der Prediger hat das, was er gehört hat, weiterzusagen, ob es ihm passt oder nicht, ob es den Zuhörern passt oder nicht. Das ist also das Allererste und Wichtigste: Dass der Prediger nicht die Erwartungen seiner Zuhörer erfüllt, sondern die Erwartungen, die sein Auftraggeber, Gott der Herr, an ihn richtet. Wächter soll Hesekiel sein. Das Wort ist missverständlich. Es bedeutet nicht „Aufpasser“, wie man zunächst meinen mag. Propheten und Pastoren sind keine geistlichen Blockwarte, die hinter den Gemeindegliedern herschnüffeln, um herauszubekommen, ob sie irgendetwas Sündhaftes tun. Sondern ein Wächter ist einer, der auf einem Wachtturm steht und darum schon eher Dinge kommen sieht als diejenigen, die diesen Ausblick nicht haben. Und natürlich ist es dann die Aufgabe des Wächters, alle unverzüglich zu warnen, wenn er von weitem eine Gefahr kommen sieht. Es wäre sträflich, wenn er sagen würde: Ach, ich möchte den Leuten in der Stadt nicht die gute Stimmung verderben, ich möchte sie nicht stören, ich möchte mich mit meinen Worten nicht unbeliebt machen. Ich sage ihnen lieber, dass alles in Ordnung ist und sie sich wohlfühlen sollen. Nein, der Wächter muss rufen, laut rufen, sobald er eine Gefahr kommen sieht.

Hesekiel hatte damals den Auftrag, Menschen, die sich von Gott und seinem Wort abgewandt hatten, klar und eindeutig zu verkündigen: „Du musst des Todes sterben!“ Nein, das bedeutete gerade nicht, dass er diese Menschen moralisch verurteilte oder dass er sie fertigmachen wollte. Im Gegenteil: Diese klare Ankündigung diente doch, so macht Gott im Weiteren deutlich, nur einem Ziel: Dass die Angeredeten aufwachen, umkehren und Gottes Gericht entgehen. Aber aufwachen und umkehren können sie eben nur, wenn sie solch eine klare Ansage hören, wenn ihnen Gottes Gericht klar angekündigt und vor Augen gestellt wird.

Schwestern und Brüder: Der Auftrag eines Predigers in der christlichen Kirche hat sich gegenüber dem Auftrag des Hesekiel nicht verändert. Jesus Christus ist nicht in diese Welt gekommen, um zu verkündigen, dass Gott sein Letztes Gericht abgeblasen hat, dass er ab jetzt nur noch will, dass die Menschen nett zueinander sind. Nein, Jesus Christus ist in diese Welt gekommen, um Menschen aus Gottes letztem Gericht zu retten. Doch die Grundbotschaft bleibt bestehen: Demjenigen, der sich von Gott abgewandt hat, demjenigen, der nicht auf Gottes Wort hört, dem gilt die Botschaft: Du musst des Todes sterben, nein, nicht bloß des zeitlichen Todes sterben, sondern des ewigen Todes sterben. Ja, das habe ich euch auch zu verkündigen, ob ihr es hören wollt oder nicht: Wer sich von Gott und seinem Wort abwendet, der geht verloren, ganz gleich, ob er sich in seinem Leben wohlfühlt oder nicht. Es geht nicht darum, dass hier im Gottesdienst bei euch ein paar religiöse Gefühle hervorgekitzelt werden. Es geht einzig und allein darum, dass euch immer wieder klar wird, dass ihr alle miteinander von euch aus keine Chance habt, gerettet zu werden, das ewige Leben zu bekommen. Ja, das habe ich euch auszurichten, ja, mehr noch: Dafür habe ich mit meinem eigenen Leben einzustehen. Sehr ernst ist es, was Gott dem Hesekiel hier sagt – aber nichts anderes gilt denen, die heute Gottes Wort zu verkündigen haben, auch: Wenn der, der Gottes Wort verkündigen soll, diejenigen nicht warnt, die er warnen soll, dann wird er selber vor Gott für dieses Versäumnis einzustehen haben. „Sein Blut will ich von deiner Hand fordern“, so formuliert es Gott hier in seiner Anrede an Hesekiel. Nicht umsonst werden Pastoren bei ihrer Ordination wiederholt daran erinnert, dass sie sich mit ihrem Dienst am Ende vor Gottes Gericht zu verantworten haben. Ja, weh mir, wenn ich es versäumt haben sollte, euch die ganze Botschaft von Gottes Gericht und Gottes Gnade zu verkündigen, wenn ich bei euch den Eindruck erweckt haben sollte, als sei es doch gleichsam logisch und selbstverständlich, dass wir doch alle in den Himmel kommen! Weh mir, wenn ich Sünde nicht Sünde genannt habe, wenn ich beschönigt habe, statt zu warnen, wenn es mir dann doch wichtiger war, dass ich bei euch gut ankomme, statt euch klar zu sagen, was Gottes Wille ist!  Mirum, si sacerdos salvetur. Ein Wunder ist es, wenn ein Priester selig wird: Ja, das Wort des heiligen Chrysostomos wird auf dem Hintergrund unserer heutigen Predigtlesung besonders anschaulich.

Dabei habe ich es doch noch viel besser als der Hesekiel damals. Der hatte damals zunächst von Gott tatsächlich nur den Auftrag, den Israeliten das Gericht Gottes anzukündigen, und konnte nur darauf hoffen, dass die Angesprochenen sich durch diese Gerichtspredigt aufrütteln ließen. Ich muss mich nicht mit der Ankündigung von Gottes Gericht begnügen. Ich darf euch dann auch von dem erzählen, der für euch am Kreuz gestorben ist, um euch aus Gottes Gericht zu retten, von ihm, Jesus Christus, eurem Herrn und Heiland. Zur Umkehr zu ihm soll und darf ich euch rufen, zur Umkehr in seine ausgebreiteten Arme. Doch klar bleibt auch: Er, Jesus Christus, ist tatsächlich euer einziger Retter, eure einzige Hoffnung, in Gottes Gericht bestehen zu können. Ihr schafft es nicht mit einem anständigen Leben, ihr schafft es nicht mit einer gehörigen Portion Religiosität oder Spiritualität. Retten tut euch nur einer: Jesus Christus, der euch einlädt, seine Vergebung, seinen Leib und sein Blut zu empfangen. Wer mit Christus verbunden ist, der wird gerettet werden. Das sage nicht ich euch, das sagt euch Gott selber in seinem Wort. Hört, was er euch sagt! Es geht um euer Leben! Amen.

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