1.Korinther 12, 4-11 | Pfingstmontag | Pfr. Dr. Martens

Am vergangenen Donnerstag war ich zum ersten Mal in meinem Leben im Berliner Abgeordnetenhaus in der Niederkirchnerstraße. Die Landesarbeitsgemeinschaft Bündnisgrüner Christinnen und Christen hatte mich eingeladen, um sich über das Thema der Übergriffe gegen christliche Flüchtlinge in den Asylbewerberheimen informieren zu lassen. Am Ende dieses sehr erfreulichen Abends nahm ich mir unten im Foyer noch einen Flyer über das Berliner Parlament mit, in dem uns Bürgern noch einmal erklärt wird, wie die Demokratie im Lande Berlin funktioniert. Darin las ich: „Das Berliner Wahlrecht kennt eigentlich keine Spitzenkandidaten, doch traditionell präsentieren die Parteien eine Bewerberin oder einen Bewerber für das höchste Regierungsamt. Dieser Trend entspricht der zunehmenden Personalisierung von Wahlkämpfen: ‚Die Person ist die Botschaft.‘“

Diesen Trend gibt es nicht nur in der Politik; diesen Trend kann man auch bis in die Kirchen hinein beobachten: „Ich gehe zu Pastor Martens in die Kirche.“ Vielleicht habt ihr solche oder ähnliche Sätze auch schon gehört. Die Kirche ist die Kirche von Pastor Martens; er baut die Kirche – und andere kommen als seine Anhänger zu ihm, um ihn zu hören und sich von ihm helfen zu lassen.

Ja, der Trend zur zunehmenden Personalisierung ist unverkennbar – doch biblisch ist er keineswegs. In der Epistel des heutigen Festtags wird uns ein völlig anderes Bild von Kirche vor Augen gestellt – ein Bild, in dem nicht alle Glieder einer Gemeinde auf ein besonderes Glied in der Mitte oder gar über ihnen ausgerichtet sind, sondern in dem alle, die zur Gemeinde gehören, in gleicher Weise in einen Organismus eingebunden sind, der seine Kraft nicht vom Pastor, sondern vom Heiligen Geist selber empfängt. Und dieses Bild wollen wir uns nun noch einmal genauer anschauen:

Das erste, was wir hier in der Epistel klar erkennen können, ist dies: Die Kirche ist kein Verein. Sie bildet sich nicht dadurch, dass religiös Gleichgesinnte sich treffen und dasselbe geistliche Hobby pflegen. Die Kirche ist auch kein Fanclub, der sich um einen Pastor oder einen geistlichen Führer schart. Und die Kirche ist auch kein Partyangebot, das in Konkurrenz zu anderen Partyangeboten steht und zeigen muss, dass es besser und attraktiver ist als diese anderen Angebote. Sondern die Kirche ist das Wirkungsfeld des dreieinigen Gottes, so betont es der Apostel Paulus hier, sie wird gegründet, gebaut und erhalten einzig und allein durch Gottes Wirken, durch Gottes Kraft, durch Gottes Gegenwart.

Die Kirche ist nicht unsere Unternehmung, sie ist Gottes Unternehmung. Das ist etwas, was wir uns gar nicht oft genug einprägen können. Wie leicht stehen wir immer wieder in der Gefahr, auf unsere eigenen Möglichkeiten zu schauen, wenn wir über die Zukunft der Kirche nachdenken. Und dann kommen wir entweder dahin, dass wir allen Ernstes glauben, wir hätten die Zukunft der Kirche in der Hand, könnten selber bestimmen, wo es lang geht, oder wir kommen dahin, dass wir verzagen und kleinmütig werden, weil wir feststellen, wie begrenzt unsere eigenen Kräfte und Möglichkeiten doch sind.

Die Kirche ist nicht unsere Unternehmung – wir haben es in diesem vergangenen Jahr seit unserer Selbstständigwerdung immer wieder geradezu handgreiflich erfahren, wie der dreieinige Gott unsere Gemeinde führt und leitet, wie der Heilige Geist im Leben von Menschen und im Leben unserer Gemeinde insgesamt am Werke ist. Immer wieder hat er uns überrascht, hat uns vor immer neue Herausforderungen gestellt und uns immer wieder gerade da weitergeholfen, wo wir mit unseren Möglichkeiten und Kräften an unsere Grenzen stießen. Mögen wir das niemals vergessen, wenn wir ganz konkret auch über die Zukunft unserer Gemeinde nachdenken!

Ein Zweites stellt der Apostel Paulus hier dem Trend zur Personalisierung entgegen: Er betont ausdrücklich: In einem jeden offenbart sich der Geist. Jawohl, in einem jeden Gemeindeglied. Es ist nicht so, dass es in einer Gemeinde einige geistbegabte Gemeindeglieder oder auch Amtsträger gibt, denen der geistlose Rest der Gemeinde zuhört und sich unterordnet.

Sondern jedes getaufte Gemeindeglied ist Träger und Werkzeug des Geistes Gottes, so stellt Paulus hier fest. Nein, das heißt gerade nicht, dass alle in der Gemeinde dieselben Gaben und Aufgaben haben – ganz im Gegenteil: Genau darin erweist sich der Heilige Geist am Werk, dass er Menschen mit ganz unterschiedlichen Gaben ausstattet, sie gerade nicht uniformiert, sondern je mit ihren ganz besonderen Gaben in der Gemeinde zum Einsatz bringt.

Schwestern und Brüder: Es müssen auch nicht unbedingt in jeder Gemeinde und zu allen Zeiten stets dieselben Gaben sein. Die Gaben, die der Apostel Paulus hier in seinem Brief an die Christen in Korinth nennt, müssen nicht dieselben Gaben sein, die der Heilige Geist den Gliedern anderer christlicher Gemeinden damals zur selben Zeit gegeben hat – und es müssen erst recht nicht dieselben Gaben sein, mit denen der Heilige Geist heute Menschen und Gemeinden beschenkt.

Da spricht der Apostel Paulus zum Beispiel von der „Zungenrede“, also von einem ekstatischen Reden und Beten in unverständlichen Sprachen zur Ehre Gottes. Dieses Phänomen gab es in Korinth; doch Paulus selber hält davon nicht sehr viel, betont auch ausdrücklich, dass solches Zungenreden niemals zur Grundausstattung eines normalen Christen gerechnet werden kann. Ja, es mag solches ekstatische Reden damals in Korinth gegeben haben; Paulus selber musste damals schon ordnend eingreifen und den Korinthern deutlich machen, dass das ekstatische Reden allein noch gar kein Beleg dafür ist, dass jemand den Heiligen Geist empfangen hat. Dass der Heilige Geist wirklich in der Gemeinde am Werk ist, wird erst da klar und eindeutig erkennbar, wo Menschen ebenso klar und eindeutig bekennen: „Ich glaube an Jesus Christus, Gottes eingeborenen Sohn, unseren Herrn.“  Denn niemand kann Jesus den Herrn nennen außer durch den Heiligen Geist, betont der Apostel.

Ja, diese eine entscheidende Gabe des Heiligen Geistes haben wir alle empfangen, die wir Christen sind und uns zu Jesus Christus bekennen: Die Gabe des Glaubens an ihn, Christus, unseren Herrn. Sie ist die einzig wesentliche, einzig entscheidende Gabe des Geistes überhaupt. Wenn der Apostel Paulus hier in unserer Epistel nun noch einmal den Glauben als eine besondere Gabe aufführt, die nicht jedem gegeben ist, meint er damit noch einmal etwas anderes: Ja, es gibt Menschen, denen in besonderer Weise ein fester, unerschütterlicher Glaube geschenkt ist, es gibt Menschen, deren Glaube in besonderer Weise auch andere Menschen zu ermutigen vermag. Nein, das sind keine besseren Christen, die bekommen dadurch erst recht keinen besseren Platz im Himmel. Aber wir dürfen uns darüber freuen, wenn wir solche Menschen auch in unserer Gemeinde entdecken, Menschen, die auch uns mit unserem ganz normalen, angefochtenen Glauben Mut machen, bei Christus zu bleiben, seinen Versprechen zu vertrauen. Wir dürfen uns freuen über Menschen, die dazu in der Lage sind, von der Heiligen Schrift her Menschen anzusprechen, zu ermahnen, zu trösten – oft genug sicher viel besser, als je ein Pastor dies könnte. Wir dürfen uns freuen über Menschen, die den geistlichen Durchblick haben, die auch mich warnen und aufmerksam machen, wenn Menschen sich hier in der Gemeinde melden, die ein doppeltes Spiel zu treiben versuchen. Ach, wie gut, dass ich solche aufmerksamen Mitdenker und Mitarbeiter habe, Menschen, die ein geistliches Gespür für rechte und falsche Lehre haben! Ich denke an die Menschen in unserer Gemeinde, die mir als Dolmetscher dienen und gerade mit diesem Dienst so vielen Menschen helfen, einen Zugang zum Glauben an Jesus Christus zu finden. Ich denke an Menschen, die vielleicht gar nicht gut reden können, aber mit ihrer schlichten, glaubwürdigen Art, den christlichen Glauben zu praktizieren, anderen Menschen zum Glauben an Jesus Christus helfen. Und ich denke vor allem daran, was der Apostel Paulus am Ende dieses 12. Kapitels über die geistlichen Gaben in der Gemeinde schreibt: Die höchste von ihnen ist nicht das Zungenreden, ist nicht der publikumswirksame Auftritt, sondern die höchste Gabe des heiligen Geistes ist die Liebe, die nicht auf den eigenen Vorteil bedacht ist, nicht darauf, von anderen bewundert zu werden, sondern die sich den anderen hingibt, ohne davon für sich selber etwas zu erwarten.

„In einem jeden offenbart sich der Geist“, sagt der Apostel Paulus. Denke nicht, Gott habe dich oder jemand anders in der Gemeinde bei der Austeilung der Gaben des Heiligen Geistes übergangen! Gott hat auch dir Gaben gegeben, die du einsetzen kannst und sollst. Gott macht dir deutlich, dass er auch dich in der Gemeinde braucht, dass er auch dir Gaben anvertraut hat, die du nicht verstecken, sondern einsetzen sollst. Denke darüber nach, welche Gaben es bei dir sein könnten – und schau dir vor allem auf diesem Hintergrund noch mal diese Gemeinde an, zu der du gehörst. Dann wirst du sie noch einmal mit anderen Augen ansehen: nicht bloß als Gruppe von mehr oder weniger sympathischen Leuten, sondern als Versammlung von Menschen, die mit Gaben des Heiligen Geistes ausgestattet sind, zum Nutzen aller!

Und damit sind wir schon bei dem dritten ganz Entscheidenden, was uns St. Paulus hier vor Augen stellt: Was Gott auch für Gaben in der Gemeinde austeilen mag – sie dienen immer und stets dem Nutzen aller. Gott gibt uns nicht den Heiligen Geist, dass wir einfach für uns persönlich bestimmte religiöse Erfahrungen machen, dass wir uns vielleicht gar mit diesen Erfahrungen auch noch vor dem Rest der Gemeinde produzieren. Sondern wahrhaft geistliche Gaben sind immer zum Nutzen aller bestimmt.

„In einem jeden offenbart sich der Geist zum Nutzen aller“ – das heißt von daher auf Deutsch übersetzt: Gott braucht dich mit deinen Gaben in seiner Gemeinde. Du bist nicht überflüssig, du bist nicht der Blinddarm des Leibes Christi. Wenn du in der Gemeinde mit dabei bist, dann nützt das tatsächlich allen; wenn du der Gemeinde fern bleibst, schadest du entsprechend auch allen. Solange du nur fragst: Was bringt mir der Gottesdienst, habe ich davon einen Vorteil, habe ich davon ein gutes Gefühl?  - So lange hast du noch überhaupt nichts von der Kirche und vom Wirken des Heiligen Geistes verstanden. Nein, du wirst gebraucht in der Gemeinde, mit deinen ganz besonderen Gaben. Und denke umgekehrt doch ja nicht, du seiest die Summe aller Gaben des Heiligen Geistes, du bräuchtest nicht die Brüder und Schwestern, die dich im Glauben stärken, die dir weiterhelfen auf deinem Weg als Christ! Einen Christen, der seinen Glauben nur für sich ganz persönlich zu Hause lebt, obwohl er doch eine Gemeinde hat, zu der er gehört, kann sich der Apostel Paulus jedenfalls nicht vorstellen.

Komme darum immer wieder neu hierher in das Kraftfeld des Heiligen Geistes, das deinen Blick gerade weglenkt von Personen hin auf Jesus Christus, deinen Herrn. Komme immer wieder neu in das Kraftfeld des Heiligen Geistes hier in der Gemeinde, in dem du und andere mit Gaben des Heiligen Geistes ausgestattet und gestärkt werden. Ja, komme immer wieder hierher, wo Gott der Heilige Geist durch den Dienst so vieler anderer Menschen deinen Glauben stärken will und dich selber gebrauchen will, um anderen zu nutzen! Ja, komme immer wieder hierher, gerade weil es hier in der Kirche nicht um den Pastor geht, sondern um Christus, um deine Rettung! Möge Gott der Heilige Geist uns allen miteinander immer wieder diese klare Einsicht schenken! Amen.

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