1.Korinther 4, 1-5 | Dritter Sonntag im Advent | Pfr. Dr. Martens

Was erwartet ihr eigentlich von eurem Pastor?

Erwartet ihr von ihm, dass er euch dabei hilft, hier in Deutschland als Asylberechtigte anerkannt zu werden? Erwartet ihr von ihm, dass er euch endlich die langerbetene Bescheinigung für das Bundesamt schreibt? Erwartet ihr von ihm, dass er euch den schmerzlich vermissten Vater im Iran oder in Afghanistan ersetzt? Erwartet ihr von ihm mehr oder weniger intensive menschliche Nähe? Erwartet ihr von ihm gute, anspruchsvolle, unterhaltsame Predigten? Erwartet ihr von ihm, dass er jeden von euch mit seinen Problemen genau kennt und ernst nimmt? Erwartet ihr von ihm, dass er die Gemeinde im Griff hat und in Schwung hält? Erwartet ihr von ihm regelmäßige Besuche? Erwartet ihr von ihm eine gute Kinder- und Jugendarbeit in der Gemeinde? Erwartet ihr von ihm, dass er es schafft, den großen Zustrom von neuen Menschen in der Gemeinde so zu bewältigen, dass alles in der Gemeinde so bleiben kann, wie es einmal war?

Und was ist, wenn er es nicht schafft, all diese Erwartungen zu erfüllen? Was ist, wenn er nicht so viel zu arbeiten vermag, wie ihr dies gerne hättet? Was ist, wenn er sich nicht so intensiv persönlich um euch kümmert, wie ihr euch dies wünschen würdet? Was ist, wenn seine Predigten doch nicht so interessant, sondern eher langweilig sind? Was ist es, wenn in der Gemeinde die Dinge nicht so laufen, wie ihr euch dies erwartet und wünscht?

Genau mit diesen Fragen hatte sich auch damals schon der Apostel Paulus zu befassen. Der war damals in der Gemeinde in Korinth richtig in die Schusslinie der Kritik geraten, weil er den Ansprüchen und Erwartungen eben nicht gerecht wurde, die so manche Gemeindeglieder an ihn gerichtet hatten. Ein Strahlemann, ein glänzender, mitreißender Prediger sollte er sein, einer, bei dem der Heilige Geist aus jedem Knopfloch hervorblitzt. Doch stattdessen war der Apostel Paulus auch nach eigener Einschätzung ein ziemlich grottenschlechter Prediger, kein Strahlemann, sondern ein kranker Mensch, den seine Erkrankungen immer wieder in seinem Dienst einschränkten, einer, an dem sich die Gemeinden, die er gegründet hatte, immer wieder auch ganz kräftig rieben. Was kann, was soll also eine christliche Gemeinde von ihrem Pastor erwarten? Zweierlei nennt der Apostel hier:

  • Treue
  • Ausrichtung auf den kommenden Herrn

 

I.

Der Apostel Paulus wusste damals genau um die vielen Erwartungen, die an ihn gerichtet wurden. Doch er versucht erst gar nicht, all diesen Erwartungen nun auch gerecht zu werden; stattdessen sagt er hier ganz deutlich, was denn nun die Menschen, was denn nun die christliche Gemeinde in der Tat von ihm und von allen anderen, die im apostolischen Amt der Kirche stehen, erwarten dürfen: Diener Christi sind sie und Haushalter über Gottes Geheimnisse. Was für treffende Beschreibungen des Dienstes eines Pastors: Er ist nicht der Chef der Gemeinde, nicht der große Showmaster, nicht die einzige Hoffnung aller Gemeindeglieder. Sondern er ist zunächst und vor allem Diener Christi – Christus ganz zugeordnet und Christus ganz untergeordnet. Er hat nicht zu tun, was er will, sondern was Christus will, soll Christus ganz groß werden lassen und nicht sich selbst. Und er ist Haushalter über Gottes Geheimnisse, sagt der Apostel zum anderen. Das heißt: Ihm ist etwas ganz Großes anvertraut – die Geheimnisse Gottes, auf lateinisch: Die sacramenta Gottes, seine großen Gnadengaben, das Evangelium, die Taufe, die Sündenvergebung, das Sakrament des Leibes und Blutes des Herrn. Ein Haushalter muss gegenüber dem, der ihm die Gaben anvertraut hat, Rechenschaft ablegen. Der ihn mit seinen Gaben betraut hat, erwartet von ihm, dass er sie so weiterreicht, wie sie ihm anvertraut wurden, dass er daran nicht herumbastelt, sie nicht verändert, nicht seine persönlichen Vorlieben an die Stelle des Willens seines Herrn setzt. Das ist die Erwartung von Christus an seine Haushalter, und das ist die Erwartung, die auch ihr an die Pastoren als Haushalter über Gottes Geheimnisse haben dürft: Dass euch nichts anderes ausgeteilt wird als das, was Christus gewollt und gesagt hat, dass ihr nicht befürchten müsst, ein anderes Evangelium zu hören als das apostolische Evangelium von Christus, dass ihr nicht befürchten müsst, eine veränderte Taufe, ein selbstgebasteltes Heiliges Mahl zu empfangen, dass ihr nicht befürchten müsst, dass euch der Pastor die Gnadengabe der Heiligen Absolution vorenthält. Treu soll ein Haushalter sein – so fasst es der Apostel hier zusammen.

Treue – die könnt und sollt ihr also in der Tat von mir erwarten, Treue zu Christus und seinem Wort, Treue im Dienst, dass ihr aus meinem Mund und aus meiner Hand empfangt, was Christus mir anvertraut hat. Das klingt so selbstverständlich und ist zugleich doch so viel, was ihr da von mir erwarten könnt, ja erwarten sollt. Ja, wenn ich diesem Auftrag Christi untreu werden sollte, dann ist es geradezu eure Pflicht, euch zu beschweren, zu protestieren, euch damit nicht abzufinden.

 

II.

Doch nun sind es eben in aller Regel noch ganz andere Erwartungen, die an die Pastoren in den Gemeinden herangetragen werden, so erfuhr es damals schon der Apostel Paulus. Menschen saßen über ihn und seine Gemeindearbeit zu Gericht, beurteilten, ob er seine Arbeit gut oder schlecht erledigt hatte. Wie sollte er damit umgehen? Geradezu provozierend stellt er hier fest: Wie ihr mich beurteilt, wie ihr über mich zu Gericht sitzt, ist mir einigermaßen egal; das berührt mich gar nicht.

Alle Achtung, lieber Paulus. So weit bin ich nicht. Mich bewegt das eben doch immer wieder, was Menschen von mir erwarten, und ich merke, wie ich dann immer wieder versuche, diesen Erwartungshaltungen auch gerecht zu werden, Menschen nicht zu enttäuschen, das zu tun, was sie von mir erwarten. Und ich merke dann zugleich auch, wie schnell ich mit meinen Bemühungen dann an Grenzen stoße.

Ja, der Apostel kann hier sogar noch mehr von sich sagen: „Ich richte mich selbst nicht – und im Übrigen bin ich mir auch gar nichts bewusst, was gegen mich und meinen Dienst sprechen könnte.“ Das kann ich dem Apostel auch wieder so einfach nicht nachsprechen. Ich merke bei mir, wie ich natürlich anfange, mich selber und meinen Dienst immer wieder zu beurteilen, selber Urteile über meine Arbeit zu fällen. Und da kann ich eben nicht wie der Apostel behaupten: Ich bin mir nichts bewusst. O doch, ich bin mir einer ganzen Menge bewusst, was ich eigentlich auch noch tun müsste, was meine Aufgabe wäre – als Pastor, als Christ, als Mensch – und was ich doch nicht getan habe oder wenn ich es getan habe, nicht so getan habe, wie ich es hätte tun sollen. Ich weiß es – und ihr wisst es auch.

Aber dann fügt der Apostel Paulus hier einen sehr tröstlichen Satz an, tröstlich für Pastoren in ihrem Dienst, tröstlich aber auch für einen jeden von euch: Ob ich vor Gott richtig dastehe, hängt nicht von meiner Selbstbeurteilung ab und auch nicht davon, was andere über mich denken. Wie wichtig ist es, dass wir uns das immer wieder vor Augen halten: Der einzige, der ein Recht dazu hat, über mich und mein Leben ein wirklich begründetes Urteil zu fällen, ist der wiederkommende Christus – und keiner sonst. Ich selber mag mich und meinen Dienst völlig falsch beurteilen und einschätzen; ihr mögt mich und meinen Dienst völlig falsch beurteilen und einschätzen – und ein jeder von euch mag auch sich selber völlig falsch beurteilen und einschätzen. Das ist alles gar nicht entscheidend wichtig. Wichtig ist einzig und allein, wie Christus uns beurteilt, wie wir in seinen Augen dastehen.

Auf ihn, den wiederkommenden Christus, richtet der Apostel Paulus also unseren Blick – und genau das ist es, was ihr auch von mir als eurem Pastor erwarten könnt: Dass ich euch immer wieder auf ihn, den kommenden Christus hinweise, vor dem wir uns alle mit unserem Leben zu verantworten haben. Wenn wir ihn, den kommenden Herrn, vor Augen haben, wenn wir wissen, dass sein Urteil allein zählt, dann wird uns das helfen, uns über manches in unserem Leben, über manches auch hier in unserer Gemeinde gar nicht mehr so sehr aufzuregen. Wenn wir ihn, den kommenden Herrn, vor Augen haben, dann wird uns das davor bewahren, Urteile über andere Menschen zu fällen, die sich doch Christus allein vorbehalten hat. Richtet nicht vor der Zeit – richtet nicht über die Menschen, die gerade neu in unsere Gemeinde kommen, dass ihr schon vorher wisst, dass so viele Menschen es doch gar nicht ernst mit ihrem Glauben, mit ihrer Hinwendung zu Christus meinen können, dass sie doch nur zu ihrem eigenen Vorteil hier in die Gemeinde kommen. Richtet nicht vor der Zeit über den Pastor, was er alles hätte tun sollen und nicht getan hat. Und richtet nicht vor der Zeit über euch selbst: Christus wird einmal bis in die tiefsten Winkel eures Herzens leuchten und euch in sein Licht stellen. Da werdet ihr, dann werden wir dann einmal ganz überrascht sein darüber, wer wir denn wirklich gewesen sind, was uns denn wirklich angetrieben hat in unserem Leben.

Ja, tröstlich ist der Ausblick auf den kommenden Herrn, tröstlich ist die Erwartung seines Kommens. Denn auch wenn wir in seinem letzten Gericht sicher so manche Überraschung erleben werden – eines steht jetzt schon ganz fest: Was Christus einmal am Ende über uns sagen wird. Er wird nicht sagen: Ihr wart so gut und anständig, ihr wart so fromme Christen, ihr habt so viel geleistet. Sondern er wird sagen: Ich bin auch für dich gestorben, habe auch deine Sünden am Kreuz an deiner Statt getragen. Ja, er wird genau die Worte sagen, die du jeden Sonntag schon hier und jetzt am Altar vernehmen darfst: „Dir sind deine Sünden vergeben.“ Was für ein tröstlicher Ausblick! Ja, wie gelassen kann und darf uns diese Aussicht machen, kann uns tatsächlich davor bewahren, an anderen das Jüngste Gericht schon hier und jetzt vollziehen zu wollen! Halte dich darum an Christus allein, halte dich an seine Geheimnisse, die dir hier und jetzt ausgeteilt werden, gerade auch an das große Geheimnis der Vergebung der Sünden! Dass dir die hier immer wieder zugesprochen wird, das kannst du in der Tat mit Fug und Recht erwarten von deinem Pastor! Amen

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