1. Mose (Genesis) 11,1-9 | Pfingstmontag | Pfr. Dr. Martens

Auch in diesem Jahr haben viele Berliner das Pfingstfest wieder in einer ganz besonderen Weise gefeiert – mit dem Karneval der Kulturen. Viele Hunderttausende haben die Vielfalt der Kulturen in unserer Stadt gefeiert, haben zum Ausdruck gebracht, wie schön es für sie ist, dass es in dieser Stadt eben nicht nur eine Kultur, nicht nur eine Sprache, sondern viele Sprachen und Kulturen gibt, an denen man sich erfreuen kann.

In der alttestamentlichen Lesung des heutigen Pfingstmontags wird geschildert, wie es mit dem Karneval der Kulturen einmal ganz am Anfang losgegangen ist. Der Karneval der Kulturen hat seinen Ursprung nämlich nicht in Berlin, sondern in Babel, so macht es uns die Heilige Schrift sehr eindrücklich deutlich. Von einer Zeit berichtet uns die Bibel hier, in der es noch keine Möglichkeit gab, einen Karneval der Kulturen zu feiern, weil alle Welt noch einerlei Zunge und Sprache hatte. Doch sie schildert uns zugleich auch, dass die Menschen damals auch schon ganz ähnlich waren wie heute: Sie fangen an, eine Stadt zu bauen, ja, sie konzentrieren sich erst einmal darauf, bestimmte Techniken zu entwickeln, ohne sich eigentlich darüber klar zu sein, wofür man diese Technik denn am Ende verwenden soll. Doch ein Ziel ist für sie klar: Sie wollen groß sein, Großes bewirken, wollen letztlich Gott überflüssig machen, weil sie selber schaffen, was man sonst nur Gott zugebilligt hätte. Einen weithin sichtbaren Ausdruck ihrer Entschlossenheit zur Einheit, ja zur Einheitlichkeit wollen sie errichten, wollen sich damit selber unsterblich machen.

Doch was aus menschlicher Sicht so beeindruckend erscheint, ist in den Augen Gottes letztlich nur lächerlich: Während die Menschen glauben, sie könnten mit dem, was sie tun, an den Schöpfer heranreichen, muss der erst mal herniederfahren, damit er überhaupt sehen kann, was die Menschen da tun. Ach, natürlich braucht Gott keine Brille, keine Lupe. Die Heilige Schrift will uns hier einfach nur zum Lachen bringen, wenn wir Menschen uns allzu großartig vorkommen, wenn wir gar meinen, wir seien so klug und so groß, dass wir letztlich schon an die Stelle Gottes getreten seien. Wie wenig Ahnung haben wir von Gott, dem Schöpfer, wenn wir so denken, wenn wir uns so verhalten!

Doch Gott fährt nicht hernieder, um die Menschen zu bestrafen oder sie gar zu vernichten. Er greift nur rechtzeitig ein, bevor sie noch mehr Unfug machen, bevor sie sich noch mehr an ihrer eigenen Größe und scheinbaren Einheit berauschen, bevor sie sich mit der Überschreitung der Grenzen, die ihnen gesetzt sind, selber noch mehr Schaden zufügen. Und so wählt Gott hier ein sehr einfaches Mittel: Er verwirrt die Einheitssprache der Menschen, sodass sie einander nicht mehr verstehen können und damit ihr großes Einheitsprojekt nicht länger verwirklichen können. An die Stelle der einen großen Stadt, der einen Kultur tritt eine Vielfalt von Ländern, Sprachen und Kulturen.

Wie gesagt: Gott straft hier die Menschen nicht durch sein Eingreifen. Aber es wäre eben auch falsch, wenn wir das, was Gott hier mit den Menschen macht, einfach nur als schön und beglückend beschreiben würden. Hier in unserer Gemeinde können wir eine Menge von Geschichten davon erzählen, wie mühselig es sein kann, wenn Menschen einander nicht verstehen, weil sie nicht dieselbe Sprache sprechen, wie mühselig es sein kann, eine fremde Sprache lernen zu müssen. Und so lese ich auf Facebook immer wieder einmal das schöne Posting: „Life is too short to learn German“, „Das Leben ist zu kurz, um Deutsch zu lernen“. Ja, das haben uns die Turmbauer aus dem heutigen Irak eben auch eingebrockt.

Doch wir würden diese Geschichte eben völlig missverstehen, wenn wir sie nur als eine Geschichte aus der Vergangenheit betrachten würden. O nein, hochaktuell ist das, was hier beschrieben wird.

Menschen entwickeln immer neue Techniken – so ist es schon von Anfang an gewesen, so macht es hier die Heilige Schrift deutlich. Aber immer wieder stehen Menschen in der Gefahr, etwas zu entwickeln, ohne sich eigentlich darüber klar zu werden, wofür man das, was man da entwickelt hat, eigentlich verwenden will und kann. Wir kennen dieses Dilemma etwa aus der Atomphysik; wir kennen es heute aber auch gerade aus dem Bereich der weltweiten Informationstechnologie. Es ist unfasslich, was für Formen der weltweiten Kommunikation heute möglich sind, Formen, von denen ich selber als Kind noch nicht einmal geträumt hätte. Doch wir beginnen gerade erst zu ahnen, wofür diese Formen der weltweiten Kommunikation eben auch eingesetzt werden können, wie Menschen damit manipuliert und beherrscht werden können, wie die Einheit, die auf diese Weise geschaffen wird, sehr schnell auch totalitäre Züge annehmen kann.

Ja, gefährlich wird es, wenn Menschen ihren Wert, ihre Zukunftsperspektive daran festmachen, dass sie sich als Teil eines großen Ganzen ansehen, als Teil einer großen Gruppe, eines großen Projekts. Es ist interessant, dass hier in unserer Predigtlesung zum ersten Mal in der Heiligen Schrift das Wort „Volk“ vorkommt. Gott sieht die Parole von dem „einen Volk“ mit großer Sorge. Er will es verhindern, dass die Menschen von dem einen Volk und dem einen Reich träumen, bei dem dann der eine Führer nicht mehr fern ist. Und Gott erkennt auch deutlich, wie gefährlich das Projekt der einen Sprache werden kann, wie schnell auch dies totalitäre Züge annehmen kann, wie schnell der Mensch mit dieser einen Sprache dann auch sich selber zum Schöpfer macht und überhöht.

Da erklärte unlängst auf dem Evangelischen Kirchentag hier in Berlin die evangelische Bischöfin Petra Bosse-Huber: „Es braucht noch viel theologische Arbeit, um die Bilder auszurotten, dass nach der Bibel Mann und Frau füreinander geschaffen wurden.“ Ja, das hat sie ernsthaft so gesagt. Und damit reiht sie sich ein in die Schar derer, die uns mehr und mehr vorschreiben wollen, was für Worte wir in unserer Sprache eigentlich noch gebrauchen dürfen und welche Worte eben, mit der Bischöfin zu sprechen, „ausgerottet“ werden müssen. Da soll dann nicht mehr von Vater und Mutter die Rede sein, sondern von Elter I und Elter II; da soll man dann nicht mehr „Lobet den Herren“ singen, sondern „Lobet die Ewge“; da hat man in einem Berliner Bezirk nun schon beschlossen, Anträge an die Bezirksverwaltung nicht mehr anzunehmen, wenn sie nicht gendergerecht formuliert sind. Ja, wer weiß, wie lange wir auch hier in unserem Land noch ungestraft davon reden können, dass Gott den Menschen als Mann und Frau geschaffen hat, wie lange es noch dauert, bis auch solche Aussagen „ausgerottet“ werden sollen, weil sie nicht mehr mit der herrschenden Einheitsideologie kompatibel sind. Merkwürdigerweise können gerade Ideologien, die scheinbar für Vielfalt und Toleranz eintreten, sehr intolerant werden, wenn sie sich selber einmal kritisiert und in Frage gestellt sehen.

Doch wo wir meinen, Gottes Schöpfungsordnung in Frage stellen oder gar verbessern zu können, handeln wir nicht anders als die Turmbauer von Babel damals, kommen uns so groß und modern vor – und machen uns in den Augen Gottes am Ende doch nur lächerlich.

Wie gesagt: Was uns hier in unserer alttestamentlichen Lesung beschrieben wird, ist nicht Strafe Gottes – aber es ist auch nicht unser Heil, nicht Sinn und Ziel unseres Lebens. Ja, wir dürfen uns an der Vielfalt von Sprachen und Kulturen erfreuen, ganz zweifelsohne. Und ebenso ist es gut und legitim, wenn wir versuchen, über Sprach- und Kulturgrenzen hinaus Gemeinschaft und Kommunikation zu stiften. Als ich vor einigen Wochen im Europäischen Parlament in Straßburg war, war es für mich schon sehr beeindruckend zu erleben, wie im Saal der Pressekonferenzen hinter den Glasscheiben Dolmetscher aus so vielen verschiedenen Ländern saßen und damit ermöglichten, dass Menschen mit vielen verschiedenen Sprachen doch ein und derselben Diskussion unmittelbar folgen konnten. Doch nicht nur die Architektur des Europäischen Parlaments in Straßburg, die an den Turm von Babel erinnert, sondern auch die Erfahrungen der Gegenwart erinnern uns daran, dass technische Kommunikation allein noch keine Gemeinschaft ermöglicht, ja dass in einer von Menschen geschaffenen Einheit eben noch nicht das Heil der Menschheit liegt.

Und das gilt eben auch für den Karneval der Kulturen. Er ist sicher schön und nett. Aber als Ersatz für Pfingsten taugt er ganz gewiss nicht. Wir erreichen die Bestimmung unseres Lebens nicht dadurch, dass wir uns an anderen und fremden Kulturen erfreuen und uns zum Klang fremder Rhythmen zum Tanzen bewegen lassen. Wenn wir schon innerhalb ein und derselben Kultur oft so große Schwierigkeiten haben, einander zu verstehen, ja, im Frieden miteinander zu leben, wie sollten wir da meinen, dass sich solche Schwierigkeiten und Konflikte zwischen Menschen verschiedener Sprachen und Kulturen einfach wegfeiern ließen?

Nein, unsere Hoffnung, unsere Zukunftsperspektive liegt nicht darin, dass wir Menschen es schaffen, paradiesische Zustände hier auf Erden zu verwirklichen, die große Einheit der Menschheit zu schaffen. All dies ist letztlich doch nur wieder der Turmbau zu Babel in anderer Form. Unsere Hoffnung liegt nicht in den Fähigkeiten, die wir Menschen haben und entfalten. Unsere Hoffnung besteht einzig und allein darin, dass Gott nicht einfach zuschaut bei dem, was wir tun, dass er sich einmischt in diese Welt, in unser Leben, dass er nicht darauf wartet, bis wir uns auf ihn zu bewegen, sondern dass er selber schon längst zu uns herniedergefahren ist, dass er selber Mensch geworden ist, um uns Menschen aus unserem Kreisen um uns selbst, aus unserer Sehnsucht, selber groß sein zu wollen, aus unserer Sünde und Schuld zu retten. Das Kreuz Jesu Christi, das heute für so viele zu einem unerträglichen Anstoß geworden ist, ist das Ziel, auf das schon damals Gottes Eingreifen in Babel ausgerichtet war. Christus allein schafft die Einheit, die wir Menschen nicht schaffen könnten, indem er unterschiedslos für alle Menschen am Kreuz stirbt. Christus allein schafft die Einheit, die wir Menschen nicht schaffen könnten, indem er seinen Heiligen Geist zu uns sendet, der dafür sorgt, dass Menschen aus ganz verschiedener Ländern und Kulturen, Menschen mit ganz verschiedenen Sprachen einander eben doch verstehen, als Geschwister zusammenleben, einander helfen auf dem Weg zu dem Paradies, das nicht wir Menschen schaffen, sondern das Gott für uns schon geschaffen und bereitet hat. Ja, hier in unserer Gemeinde wird noch mehr geboten als beim Karneval der Kulturen. Hier finden wir nicht einfach nur verschiedene Kulturen chic, sondern wir erleben, wie Gottes Geist so unterschiedliche Menschen zu einer Einheit zusammenschließt, die gerade keine totalitären Züge hat, weil sich hier nicht der Mensch groß macht, sondern Christus allein der Herr über alle ist – er, der nicht gekommen ist, um sich dienen zu lassen sondern zu dienen und sein Leben als Lösegeld für viele zu geben.

Ja, wie gut, dass ihr nicht nur Karneval feiert, sondern hier zusammengekommen seid, um die Einheit zu feiern, die Christus euch schenkt, um euch hier am Altar zusammenschließen zu lassen zu einer Einheit, die viel tiefer reicht als alle menschlichen Verbrüderungen bei einem Straßenfest. Ja, hier am Altar erfährst du es heute wieder neu, wie Gott selber herniederfährt, um dich und die anderen, die mit dir den Leib und das Blut des Herrn empfangen, hochzuheben – viel höher, als je ein Mensch reichen könnte, hoch bis in den Himmel! Amen. 

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