1. Petrus 2, 21b-25 | Misericordias Domini | Pfr. Dr. Martens

In dieser vergangenen Woche hatten wir wieder einmal das ZDF bei uns zu Gast. In einem Interview ging es dabei natürlich auch wieder um das Thema der Erfahrungen von christlichen Flüchtlingen in den Asylbewerberheimen unseres Landes. Dabei fragte mich die Journalistin: Was können die betroffenen Flüchtlinge eigentlich tun, wenn sie in den Heimen schikaniert, gemobbt und bedroht werden? Und ich musste ihr antworten: Sie können letztlich fast gar nichts tun, sind dem, was sie dort erleben, mehr oder weniger hilflos ausgeliefert, weil es kaum jemanden gibt, der ihre Leiden ernst nimmt, geschweige denn, der dazu bereit wäre, sich für ihren Schutz einzusetzen. Ich erlebe dies ja jede Woche oft sogar mehrmals in meinen Sprechstunden, wie Flüchtlinge aus unserer Gemeinde mich anflehen, sie dort aus ihrem Heim herauszuholen, und ich ihnen antworten muss: Wir sind machtlos, können nichts machen gegen irrsinnige Gesetze, die Flüchtlinge dazu zwingen, sechs Monate lang solches Mobbing in Erstaufnahmeeinrichtungen durchhalten zu müssen, können nichts machen dagegen, dass Flüchtlinge nur von dem Regen in die Traufe kommen, wenn sie von einem Heim in ein anderes verlegt werden, wo sie als kleine Minderheit wieder genauso schikaniert und bedroht werden wie in dem Heim zuvor. Wir sind machtlos, wenn diejenigen, die die Möglichkeit hätten, die Stimme für die bedrängten Christen zu erheben, schweigen oder ihre Not schön reden, weil ihnen nicht passt, was diese bedrängten Christen zu berichten haben. Ja, wir sind machtlos, wenn man den Übergriffen eben auch mit Anzeigen und Polizeieinsätzen letztlich nicht beizukommen vermag, weil sich stets genügend vermeintliche Zeugen finden, die das Gegenteil von dem behaupten, was die bedrängten Christen zu berichten wissen.

Schwestern und Brüder: Auf diesem Hintergrund fangen die Worte der Epistel des heutigen Hirtensonntags Misericordias Domini noch einmal ganz neu an zu leuchten. Der Zusammenhang, in dem sie im 1. Petrusbrief stehen, ist für uns beim ersten Zuhören gar nicht gleich zu erkennen: Es sind Worte, die an christliche Sklaven geschrieben sind, an Christen, die ebenfalls keine Möglichkeit hatten, an ihrer Lage irgendetwas zu ändern, und die nun dazu ermutigt werden, in der Situation, in der sie sich befanden, ihren christlichen Glauben zu leben. Wie leitet Petrus die christlichen Sklaven, wie leitet er damit zugleich auch unsere Schwestern und Brüder in den Asylbewerberheimen, ja, wie leitet er uns alle miteinander dazu an, unseren christlichen Glauben zu praktizieren? Er gibt uns keine allgemeinen moralischen Anweisungen, sondern er setzt unser Leben in Bezug zu Jesus Christus, und zwar gleich in doppelter Weise:

Als Christ zu leben, bedeutet:

  • hinter Christus herzugehen
  • unter seinem Kreuz zu stehen

I.

Ich lade euch dazu ein, in dieser Predigt einfach mal mitzukommen in ein Asylbewerberheim irgendwo hier in Berlin oder Brandenburg, mitzuerleben, was dort geschieht. Gewiss, als Außenstehende werdet ihr davon erst mal nicht viel mitbekommen; aber wenn ihr euch ein wenig versteckt, dann werdet ihr es bald selber hören und sehen: Wie eure Glaubensgeschwister dort als Ungläubige und Glaubensverräter beschimpft werden, wie ihnen Schläge und Gewalt, ja der Tod angedroht werden, wie sie beleidigt werden, wie ihnen alles mögliche Böse unterstellt wird. Ja, wie würdet ihr darauf reagieren, wenn ihr betroffen wärt?

 

Der Apostel Petrus stellte den christlichen Sklaven, die damals von ihren Herren ebenfalls bedroht, beschimpft, beleidigt, geschlagen wurden, Christus vor Augen, bezeichnet ihn als Vorbild, dessen Fußstapfen wir nachfolgen sollen. Das klingt beim ersten Hinhören erst einmal wie eine ganz gewaltige Überforderung: Wie sollen wir denn auch nur ansatzweise in die Fußstapfen treten können, die Christus uns hinterlassen hat? Die sind doch viel zu groß für uns! Wie sollen wir denn nur ansatzweise nachahmen können, was er, Christus, zuvor für uns getan hat? Doch wenn wir uns genauer anschauen, was Petrus hier schreibt, bekommen diese Verse einen ganz anderen, viel tröstlicheren Klang: Sie besagen nämlich zunächst einmal: Christus hat all das selber auch erfahren, was ihr in den Asylbewerberheimen erfahrt, was bedrängte Christen in so vielen Ländern dieser Erde ebenfalls erfahren. Christus weiß, was es heißt, geschmäht zu werden, bedroht zu werden, ja leiden zu müssen. Ihm ist das nicht fremd. Ihm dürfen wir uns darum getrost anvertrauen.

Dieser Christus rennt uns darum auch nicht davon, zwingt uns nicht dazu, mit hängender Zunge von Fußstapfen zu Fußstapfen hinter ihm herzuspringen und zu hetzen. Der 1. Petrusbrief ist gerichtet an neu getaufte Christen, an Menschen, die gerade erfahren hatten, mit Christus durch die Taufe verbunden zu werden, mit ihm eins zu werden. Darum kann der 1. Petrusbrief hier von Christus als dem Vorbild reden, weil er um die Gemeinschaft weiß, in der wir mit Jesus Christus, unserem Herrn, verbunden sind. Und in dieser Gemeinschaft mit Christus wird uns dann sogar möglich, was eigentlich doch unmöglich erscheint: Dass unser Verhalten selbst in solch schwierigen Situationen wie etwa einem Asylbewerberheim tatsächlich von Christus, von seinem Verhalten, von seinem Wesen geprägt wird.

In den Medien wird, wenn überhaupt, immer wieder von angeblichen „Konflikten“ in den Heimen zwischen verschiedenen Asylbewerbern berichtet, so, als ob sich da nun zwei mehr oder weniger gewaltbereite Gruppen gegenüberstehen und sich gegenseitig die Köpfe einschlagen. Ja, solche Situationen gibt es natürlich auch. Aber es ist schon bezeichnend, dass es eben keine Berichte darüber gibt, dass Christen in den Heimen muslimische Mitbewohner bedroht, verprügelt, gemobbt hätten. Christen vergelten in der Tat nicht Gleiches mit Gleichem, tragen nicht „Konflikte“ aus, sondern leiden in der Nachfolge ihres Herrn, schmähen nicht wider, wenn sie geschmäht werden, drohen nicht zurück, wenn sie bedroht werden. Immer wieder höre ich das in Berichten aus den Heimen: Wir können doch nicht zurückschlagen – wir sind doch Christen! Ja, wie gut, wie bewegend, wenn sich das Leben in der Nachfolge Jesu dann auch in der Praxis so auswirkt und bewährt, wenn Christen erfahren: Wir sind nicht einfach nur auf uns selber gestellt, sondern haben eine Orientierung für unser Leben, die uns hilft, gerade auch in schwierigen Situationen, in die wir gestellt werden.

II.

Doch wenn wir Christus nur als Vorbild hätten, dann wäre dies natürlich viel zu wenig, dann müssten wir uns letztlich doch selber retten und erlösen, würden wir damit zugleich den Kern dessen aufgeben, worum es im christlichen Glauben eigentlich geht.

Ja, wir sind dazu aufgerufen, in den Fußstapfen unseres Herrn zu bleiben. Aber dann kommt eben doch der Punkt, an dem wir in diesen Fußstapfen stehenbleiben müssen und dürfen: Dann nämlich, wenn Christus sich auf den Weg macht, unsere Sünde ans Kreuz zu schleppen und dort für uns zu tragen. Das müssen wir ihm nicht nachtun, ja das brauchen wir ihm auch nicht nachzumachen. Hier ist Christus nicht mehr bloß unser Vorbild, sondern zunächst und vor allem unser Retter, unser Erlöser.

Ja, das Kreuz macht den Unterschied, das Kreuz, an dem Christus nicht bloß als unser Vorbild stirbt, sondern als Opfer für unsere Sünde und Schuld. Das Kreuz macht den Unterschied – das erahnen auch die muslimischen Heimbewohner in den Asylunterkünften sehr deutlich, die den Christen die Kreuze vom Halse reißen, Zettel mit durchgestrichenen Kreuzen an die Zimmertür christlicher Flüchtlinge hängen oder Kreuzeszeichnungen in den Zimmern von Christen beschmieren und unkenntlich machen. Das Kreuz macht den Unterschied: Nicht wir müssen unsere Sünden durch unsere guten Werke ausgleichen, nicht wir müssen versuchen, uns mit unseren frommen Betätigungen vor den Strafen der Hölle zu retten. Sondern Christus hat dies alles schon längst getan, als er die Strafe der Hölle für uns erlitten hat, als er das eine gute Werk getan hat, das ausreicht zu unserem Heil in aller Ewigkeit, als er, Christus, uns mit der Hingabe seines Lebens eine neue Lebensperspektive eröffnet hat, uns ermöglicht hat, aus seiner Vergebung zu leben.

Ohne das Kreuz Christi wird der christliche Glaube, wird auch das Leiden unserer Geschwister in den Heimen völlig sinnlos, wird aus dem christlichen Glauben eine höchstens leicht veränderte Variante einer allgemeinen menschlichen Religiosität. Doch durch sein Leiden und Sterben am Kreuz ist Christus eben mehr als nur Lehrer und Prophet, ist er in der Tat unser Retter, ja, so formuliert es St. Petrus hier, ist er der Hirte und Bischof unserer Seelen.

Wir feiern heute ja den Hirtensonntag. Und es sollte sich ja allmählich herumgesprochen haben, dass Hirte zu sein kein netter romantischer Schönwetterjob ist, sondern die Bereitschaft zum Einsatz des eigenen Lebens beinhaltet. „Der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe“, so haben wir es eben im Heiligen Evangelium gehört. Im Internet sehe ich auf Facebook immer wieder schöne Bilder von Jesus Christus als dem guten Hirten, die unsere Gemeindeglieder und Taufbewerber dort gepostet haben. Ja, dass sie um ihren guten Hirten wissen, der für sie sorgt, der sie so sehr liebt, dass er für sie gestorben ist, das ist der entscheidende Trost, die entscheidende Stütze für all diejenigen, die dort im Heim von so vielen Seiten angefeindet werden. Ja, sie wissen, wie sehr auch sie die Vergebung brauchen – und sind so froh darüber, in Christus tatsächlich die Gewissheit der Vergebung der Sünden haben zu dürfen. Und sie wissen, wie gut es ist, in den Armen dieses guten Hirten geborgen zu sein, die am Kreuz auch für sie ausgestreckt gehangen haben.

„Ihr wart wie die irrenden Schafe; aber ihr seid nun bekehrt zu dem Hirten und Bischof eurer Seelen.“ Nicht wir haben den Weg zu Jesus Christus gefunden, nicht wir haben uns zu ihm bekehrt. Sondern Christus selber hat uns gefunden, eingesammelt, in seine Gemeinschaft geholt. Nein, wir sind als Christen niemals allein – auch und gerade nicht, wo wir angefeindet und bedrängt werden, wo wir scheinbar völlig hilflos auf uns selbst gestellt zu sein scheinen. Wir gehören immer zur Herde unseres Herrn Jesus Christus, dürfen dies immer wieder neu erfahren hier am Altar, wenn Christus uns hier den Tisch bereitet im Angesicht all unserer Feinde. Da stärkt er uns, da schenkt er uns die Kraft, auch weiter auf dem Weg in seiner Nachfolge zu bleiben. Da beschenkt er uns mit seiner Vergebung. So lässt es sich als Christ leben – hinter Christus her und unter seinem Kreuz. So lässt es sich als Christ leben, auch und gerade im Leiden: eben in der Gemeinschaft mit Christus. Denn durch seine Wunden sind wir geheilt. Amen.

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