1.Timotheus 2, 1-6a | Rogate | Pfr. Dr. Martens

Zu den Fragen, die ich regelmäßig bei meinen Prüfungen der Taufbewerber stelle, gehört immer wieder auch diese: „Was ist das Besondere des christlichen Betens im Unterschied zum islamischen Gebet?“ Und da erzählen mir die Taufbewerber dann meistens erst einmal etwas von der Freiheit, die sie im christlichen Glauben erfahren, dass sie nicht zu einer ganz bestimmten Zeit fünfmal am Tag in einer Sprache, die sie selber nicht verstehen, bestimmte Gebetsformeln nachsprechen müssen, sondern ihre Gebete nun von Herzen sprechen können. Und das ist ja in der Tat auch richtig. Doch in der Epistel des heutigen Sonntags „Rogate“ werden wir noch einige Schritte tiefer geführt, bekommen wir noch mehr Antworten auf diese Frage, was denn das Besondere an unserem christlichen Beten ist, ja, warum wir es als Christen so gut haben, dass wir beten dürfen:

Da spricht der Apostel Paulus hier zunächst einmal von dem einen Mittler zwischen Gott und den Menschen, von dem einen Mittler, durch den wir unsere Gebete an Gott den Vater richten. Ja, uns ist diese Formel am Ende der Gebete so vertraut: „durch Jesus Christus, unseren Herrn“. Doch machen wir uns eigentlich immer ganz klar, wie gut wir es als Christen haben, dass wir diese Worte sprechen dürfen, ja, mehr noch: dass in diesen Worten beschlossen ist, was für einen Zugang wir zu Gott dem Vater haben?

Es gibt einen Mittler zwischen Gott und den Menschen, sagt Paulus. In unserem Taufunterricht gebrauche ich immer wieder das Bild der Brücke: Wir Menschen können die tiefe Kluft zwischen Gott und uns nicht überbrücken, wir können nicht zu Gott kommen, ja, wir könnten noch nicht einmal unsere Gebete so an Gott richten, dass wir irgendeine Gewissheit hätten, dass sie bei Gott auch tatsächlich ankommen, von ihm gehört werden. Doch Gott selber hat diesen tiefen Graben überbrückt, indem er seinen Sohn zu uns gesandt hat, indem sein Sohn, der selber wahrhaftiger Gott ist, zugleich nun auch wahrhaftiger Mensch geworden ist. Wie eine Brücke zwei Enden hat und nur so verbinden kann, was sonst getrennt wäre, so kann Christus nur dadurch Gott und uns Menschen miteinander verbinden, indem er selber wirklich und wahrhaftig Gott und zugleich auch wirklich und wahrhaftig Mensch ist. Und so haben wir durch ihn die Verbindung zu Gott, dem Vater, dürfen wir gewiss sein, dass unsere Gebete tatsächlich bei Gott ankommen, gehört und erhört werden.

Ja, das ist etwas, was unsere Schwestern und Brüder, die früher dem Islam zugehörten, besonders zu schätzen wissen. Solch eine Gewissheit der Erhörung ihrer Gebete hatten sie früher nie. Allah blieb für sie immer sehr groß, aber eben auch sehr fern. Da gab es keine Verbindung, keine Vermittlung; was einem blieb, war nur die Unterwerfung unter diesen großen Gott, die Hoffnung, dass er vielleicht doch hören möge, was da ganz von unten zu ihm dringt. Aber ob er wirklich hört – wer weiß? Wir wissen es, wir haben ihn, den einen Mittler zwischen Gott und den Menschen, der nicht allein Mensch geworden ist, sondern der sein Leben für alle Menschen in den Tod gegeben hat, um wegzunehmen, was uns Menschen von Gott trennen könnte, was die Kommunikation zwischen Gott und uns behindern oder zerstören könnte. Sprechen wir es darum immer wieder ganz fröhlich und ganz bewusst: „durch Jesus Christus, unseren Herrn!“  Das ist keine Formel, es ist ein Privileg, das wir in Anspruch nehmen dürfen, es ist der direkte Draht zum Herzen Gottes, den wir damit in Anspruch nehmen. Und zugleich wird darin allerdings auch deutlich, warum es uns als Christen unmöglich ist, gemeinsame Gebete mit Muslimen zu sprechen: Wir können als Christen nicht anders beten denn „durch Jesus Christus, unseren Herrn“. Das ist nichts, was wir einfach mal weglassen können, bei dem wir so tun können, als ob es für uns auch möglich wäre, mal an Jesus Christus vorbei mit Gott zu sprechen. Ein gemeinsames Gebet mit Muslimen ist eine Verleugnung des einen Mittlers Jesus Christus, der es doch selber so deutlich gesagt hat: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich.“

Einen zweiten deutlichen Unterschied zwischen christlichem und islamischem Gebet benennt der Apostel Paulus hier in unserer Epistel: Als Christen richten wir unsere Gebete an den Gott, der will, dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit kommen. Gott will, dass alle Menschen gerettet werden, dass alle Menschen in den Himmel kommen. Im Koran heißt es dagegen, dass Allah erst einmal alle Menschen in die Hölle schickt und einige Gerechte von dort dann wieder herausholt. Es ist das genaue Gegenteil dessen, was uns Paulus hier so deutlich vor Augen stellt. Ist dir das eigentlich immer so klar, wie gut du es hast, dass du zu einem Gott beten darfst, bei dem du gewiss sein darfst: der liebt dich, der will mit dir gemeinsam für immer, in alle Ewigkeit leben und mit dir feiern? Ist dir das klar, wie gut du es hast, dass du dich vor dem Gott nicht zu fürchten brauchst, zu dem du betest? Genau das steckt ja auch in der Anrede drin, die du in deinen Gebeten zu Gott immer wieder gebrauchen sollst und darfst: Du darfst ihn immer wieder „Vater“ nennen, darfst zu ihm reden wie die lieben Kinder zu ihrem lieben Vater, wie Martin Luther es so schön im Kleinen Katechismus formuliert hat.

Gott will, dass alle Menschen gerettet werden – Ja, diese Zusage darf auch und gerade dein Gebet für deine Eltern, für deine Familie bestimmen, wenn die keine Christen sind. Das ist ja etwas, was so vielen von euch, die ihr Jesus Christus kennengelernt habt, die ihr Christen geworden seid, so sehr auf der Seele liegt: Was ist mit meinen Eltern, was ist mit meiner Familie? Nein, der Islam führt nicht in den Himmel, das ist klar. Er verweist die Menschen nicht auf den Retter Jesus Christus, sondern auf ihre eigenen guten Werke, weist sie damit auf einen Irrweg. Aber, so betont es St. Paulus hier: Christus hat sein Leben für alle Menschen zur Erlösung gegeben, jawohl, für alle, auch für alle Muslime, auch für Herrn Khamenei, auch für die Taliban, auch für Herrn Erdogan, ja, wirklich für alle Menschen – und damit auch für deine Eltern, für deine Familie. Und wenn du das heilige Vaterunser betest, wenn du sprichst: Dein Wille geschehe, dann darfst du an dieser Stelle innehalten und das noch einmal ausführen: Vater, ich weiß doch, was dein Wille ist: Du willst, dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit kommen. Lass deinen Willen auch an meinen Eltern, an meiner Familie geschehen! Ja, Gott will, dass alle Menschen gerettet werden – aber Paulus sagt eben auch, wie diese Rettung geschieht: eben so, dass Menschen zur Erkenntnis der Wahrheit kommen, zur Erkenntnis dessen, der die Wahrheit in Person ist und der für alle Menschen am Kreuz gestorben ist. An ihm führt kein Weg vorbei – kein Gebet und kein Weg in den Himmel.

Und auf diesem Hintergrund sollen wir nun als Christen in der Tat für alle Menschen beten, betont der Apostel. Wir sollen nicht bloß für unsere eigene Familie beten, nicht nur für unsere eigenen Freunde, auch nicht bloß für die, die uns politisch und menschlich nahestehen. Wir sollen tatsächlich auch und gerade für die Regierenden beten, so ermahnt uns der Apostel. Das war damals für die Christen nicht einfach, für die Regierenden zu beten. Die römischen Kaiser waren damals alles andere als moralische Vorbilder, geschweige denn, dass sie irgendein näheres Verhältnis zu Demokratie und Rechtsstaat gehabt hätten. Und für ihre Untergebenen galt das genauso. Wer für die Regierenden betete, der betete für die, die die Christen schikanierten, ihnen mit Gefängnis drohten, ja, sie auch umbringen ließen. Doch Paulus bleibt dabei: Für alle Menschen sollen wir beten, und eben darum auch für die Regierenden. Er mutet es uns zu, für die Regierenden in unserer Stadt und in unserem Land zu beten, auch wenn wir uns über ihre Politik mitunter gewaltig ärgern mögen. Ja, er mutet es auch den iranischen Christen zu, auch für Herrn Khamenei, für Herrn Rouhani und für den ganzen Wächterrat zu beten. Nein, indem wir für sie beten, erklären wir nicht, dass das, was sie machen, richtig ist. Wir beten für sie, gerade weil wir wissen, dass sie so vieles machen, was nicht richtig ist. Wir beten für sie, weil sie es ganz besonders nötig haben. Ja, wir beten für sie, weil wir als Christen doch dies eine von den Regierenden ganz besonders erwarten: Dass sie es uns ermöglichen, unseren christlichen Glauben in Ruhe und Frieden praktizieren zu können. Und so beten wir für die Verantwortlichen auch hier in Deutschland, die untätig zuschauen, wie den Christen in den Asylbewerberheimen oft genug genau dies verwehrt wird, worauf schon damals die Gebete der Christen zielen sollten: dass sie in Ruhe und Frieden ihren Glauben leben können. Ja, wir beten für die Verantwortlichen in der Politik und in der Verwaltung, dass Gott ihnen die Augen öffnen und ihnen die Kraft zur Umkehr schenken möge.

Und wenn wir für alle Menschen beten, dann beten wir selbstverständlich auch für alle Muslime. Nein, wir bekämpfen als Christen die Muslime nicht. Sie sind nicht unsere Feinde. Sondern sie sind Menschen, denen in besonderer Weise unsere Fürbitte gilt. Und wer für einen Menschen betet, wird diesem Menschen anschließend nicht mehr mit Hass begegnen können, wird ihn nicht absichtlich verletzen wollen, wird ihm vielmehr Liebe entgegenbringen. Fürbitte für Muslime – das ist unser Weg, den wir als Christen gehen, zwischen naiver Verharmlosung des Islam einerseits und Feindseligkeit gegenüber muslimischen Menschen andererseits. Wenn dich also das nächste Mal die große Wut über einen politischen Dummschwätzer im Fernsehen überkommt – dann bete für ihn. Wenn du das nächste Mal erlebst, wie Menschen im Namen ihrer Religion zum Hass aufrufen – dann bete für sie. Es gibt keine Menschen, die wir aus unserem Gebet ausklammern sollten und dürfen.

Ja, Paulus geht sogar noch einen Schritt weiter: Er erwartet von uns allen Ernstes Danksagung für alle Menschen. Er erwartet von uns Christen, dass wir Gott für alle Flüchtlinge danken. Er erwartet von uns Christen, dass wir Gott für unsere Regierung danken. Er erwartet von uns Christen, dass wir Gott auch für die Menschen danken, die uns das Leben schwer machen. Ja, Paulus weiß: Das ist gut und heilsam für uns selber, wenn wir solches Danken einüben, auch und gerade, wenn uns das erst mal völlig gegen den Strich geht. Doch wir werden die Welt mit anderen Augen sehen, wenn wir ernst nehmen, was Paulus hier schreibt.

Man hat die Verse unserer heutigen Epistel die „Einsetzungsworte des Allgemeinen Kirchengebets“ genannt. In der Tat: Wenn wir uns nach den Abkündigungen länger Zeit nehmen für die Fürbitte für so viele Menschen, die diese Gebete besonders brauchen, dann tun wir das, weil uns Gottes Wort dazu ausdrücklich auffordert. Da beten wir natürlich für die Kirche und die, die in ihr arbeiten. Wir beten aber eben auch für alle Regierenden, für alle guten Ordnungen Gottes in dieser Welt – und wir beten für die, die unsere Fürbitte darum besonders nötig haben, weil sie in besonderer Not sind. Nein, wir schaffen es gar nicht, für alle Menschen zu beten, das ist klar. Aber zu schnell sollten wir mit diesen Fürbitten auch wieder nicht aufhören. Und weil wir möchten, dass die Fürbitten immer wieder auch neu und konkret vorgebracht werden, wollen wir ab heute beim Allgemeinen Kirchengebet einige der Fürbitten auch auf Farsi vortragen lassen. Ja, Gott hört und versteht doch in der Tat alle Sprachen, er, der will, dass alle Menschen gerettet werden – durch Jesus Christus, unseren Herrn. Amen.  

Zurück