2.Korinther 1, 3-7 | Laetare | Pfr. Dr. Martens

Warum kommen Menschen hier in unsere Gemeinde? In einem Entscheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge in Eisenhüttenstadt, den ich vor einigen Tagen gelesen habe, habe ich nun endlich die Antwort gefunden: Sie kommen hierher, um sich während der Bibelstunden darüber auszutauschen, mit was für Tricks sie am besten einen gesicherten Aufenthaltsstatus hier in Deutschland erhalten können – und dabei wird ihnen ein ganz besonderer Geheimtipp während der Bibelstunden gegeben: Sie müssten am besten zum christlichen Glauben konvertieren. Was für eine unfassliche Verdrehung, ja Verleumdung dessen, was in Wirklichkeit hier in unserer Gemeinde geschieht!

Wer so etwas behauptet, hat nicht nur keinerlei Ahnung von dem, was wir in unserer Gemeinde machen – er hat offenbar auch keine Ahnung von den Menschen, die hierher zu uns kommen. Das sind keine Menschen, die sich hier im deutschen Sozialsystem einfach bequem einrichten wollen und jetzt nur nach einem guten Vorwand suchen, um hierbleiben zu können. Sondern diese Menschen, die zu uns kommen, suchen oftmals zunächst und vor allem dies eine: Trost, Trost und noch einmal Trost. Sie suchen Trost, weil sie gerade nicht quietschvergnügt in ihren Heimen herumsitzen, sondern weil sie unter der Last dessen, was auf ihrer Seele liegt, fast zusammenbrechen, weil sie so viel Leid in ihrem Leben erfahren haben und immer noch erfahren, dass sie es kaum tragen können. Ja, sie kommen hierher, weil sie merken, dass sie hier etwas bekommen, was sie sonst nirgendwo bekommen könnten: Wirklichen Trost, der sie hält und trägt, ihnen eine Zukunftsperspektive schenkt, die sie von sich aus überhaupt nicht mehr haben. Ja, mit tiefem menschlichem Leid werden wir hier in unserer Arbeit Tag für Tag konfrontiert – und dieses Leid beschränkt sich natürlich auch nicht nur auf Asylbewerber, dieses Leid erfahren natürlich auch andere Menschen, die hier in unsere Gemeinde kommen: Leid in all seinen Schattierungen – Traumatisierungen durch Erlebnisse in der Vergangenheit, Trauer und Sorge um geliebte Menschen, körperliche Krankheiten, Schuld und Versagen, Arbeitslosigkeit, Einsamkeit, Depression, Zukunftsängste. Ja, in all dem brauchen Menschen in ihrem Leid immer wieder eins: Trost!

Wie finden Menschen hier in unserer Gemeinde diesen Trost? Genau darum geht es dem Apostel Paulus in der Epistel des heutigen Freudensonntags Laetare. Gleich zehnmal spricht er hier in diesem kurzen Abschnitt vom Trost, spricht davon, wie wir in unserer Gemeinde Trost erfahren können.

Zunächst einmal macht Paulus hier deutlich: Trost ist nicht eine Psychotechnik, die wir Menschen erlernen und anwenden können. Wenn Menschen hier in unserer Gemeinde Trost erfahren, dann kommt dieser Trost nicht von uns, auch nicht vom Pastor, sondern er kommt ganz und gar von Gott. Ganz wunderbar spricht Paulus hier über Gott. Er macht zunächst einmal deutlich, wer Gott ist: Er ist der Vater unseres Herrn Jesus Christus. Er, der tröstende Gott, lässt sich daran erkennen, dass er einen Sohn hat, den er zu uns geschickt hat. Und dieser Gott ist der Vater der Barmherzigkeit und Gott allen Trostes. Wie viel Trost steckt schon allein in diesen Worten: Gott – der Gott allen Trostes! Ja, das ist ein Markenzeichen des Gottes, der im Unterschied zu Allah einen Sohn hat, einen Sohn, der Mensch geworden ist, der ganz einer von uns geworden ist, der unser menschliches Leid selber erfahren und durchlitten hat bis in die letzte Konsequenz. Ja, der kann trösten aus Erfahrung, der ist nicht weit weg von unserer Not und von unserem Leid, der braucht nichts schönzureden und billig zu vertrösten.

Was für eine Entdeckung ist das für so viele unserer neuen Gemeindeglieder und Taufbewerber: Sie lernen hier in unserer Mitte einen Gott kennen, der nicht darauf aus ist, Menschen zu bestrafen und in die Hölle zu schicken, sondern der uns tröstet mit seiner Nähe, mit seiner Gegenwart, der uns tröstet, wie einen seine Mutter tröstet, wie es unsere Jahreslosung so wunderbar formuliert. Gott tröstet, indem er unser Leid nicht herunterspielt, sondern sich unsere Klagen und unsere Traurigkeit anhört und es ernst nimmt, wenn wir ihm unser Herz ausschütten. Gott tröstet, indem er in seinem Wort zu uns spricht. Gott tröstet, indem er uns die Nähe seines Sohnes Jesus Christus leibhaftig erfahren lässt im Heiligen Mahl. Gott tröstet, indem er uns in der Beichte in unserem Leben immer wieder neu von vorne anfangen lässt, Gott tröstet, indem er uns in der Taufe erlaubt, ihn „Vater“ nennen zu dürfen und uns den ungehinderten Zugang zu sich verspricht. Gott tröstet uns, indem er uns in den heiligen Sakramenten eine neue Lebensperspektive schenkt, die bis in die Ewigkeit reicht. Wer solchen Trost nicht selber erfahren hat, der kann natürlich überhaupt nicht verstehen, warum Menschen hierher in unsere Gemeinde kommen, warum sie ihr letztes Geld ausgeben, das sie haben, nur um hier mit dabei zu sein, wenn der Gott allen Trostes uns tröstet!

Gott tröstet – so steht es zunächst einmal ganz deutlich am Anfang unserer Predigtlesung. Aber dann ist gleich darauf eben doch auch davon die Rede, dass auch wir trösten können. Wie können wir trösten, wie können wir ganz konkret hier in unserer christlichen Gemeinde trösten? Es geht nur so, dass wir selber zunächst einmal Trost erfahren haben von Gott. Das ist eine Erfahrung, die sicher viele von uns schon im Leben gemacht haben: Wenn wir etwas ganz Schweres erfahren haben, wenn wir ganz unten waren, dann konnten uns die am besten helfen, von denen wir wussten: Sie haben das auch schon mal durchgemacht und erfahren; die wissen, wie es uns jetzt geht. Ja, so ganz nebenbei gibt der Apostel Paulus dem Leid, das wir in unserem Leben erfahren, noch einmal eine ganz wichtige neue Bedeutung: Die Erfahrung von Leid, die wir machen, die wird uns helfen, um anderen Menschen besser beistehen zu können in ihrem Leid. Was wir erfahren, ist nicht sinnlos, sondern kann uns für das Leid und die Not anderer Menschen öffnen, kann uns zum Trost befähigen. Aber wirklich befähigt werden wir zum Trösten nicht allein durch die Erfahrung von Leid, sondern eben auch dadurch, dass wir in diesem Leid erfahren haben, wie Gott uns getröstet hat, wie er uns mitten in dem Leid seine Gegenwart, seine Zuwendung hat erfahren lassen, wie er uns in dem Leid nicht hat versinken lassen. Ja, auch davon können wir dann mit anderen sprechen, die solches Leid hier und jetzt erfahren.

Ein wunderbares Bild zeichnet der Apostel Paulus damit von der christlichen Gemeinde, ja auch von unserer Gemeinde: Wir sind kein geistlicher Selbstbedienungsladen, sondern wir sind eine Trostgemeinschaft – eine Gemeinschaft von Menschen, die selber Leid erfahren und zugleich in ihrem Leid von anderen Menschen gehalten und getröstet werden. Wir sind eine Gemeinschaft von Menschen, die vor dem Leid anderer nicht ihre Augen verschließen, die es nicht schnell wegzureden versuchen, sondern die dieses Leid bewusst aushalten und so dazu in der Lage sind, dann auch den anderen zu trösten. Ach, dass wir alle miteinander den Mut dazu haben, uns mit unserem Leid gegenüber anderen in der Gemeinde zu öffnen! Ach, dass wir dann auch den Mut haben, anderen von den Trosterfahrungen zu erzählen, die wir in unserem Leben gemacht haben, von den Erfahrungen, die der Gott allen Trostes uns geschenkt hat!

Ja, trösten können wir einander, weil wir alle miteinander Glieder an dem einen Leib Jesu Christi sind, weil wir alle miteinander mit Christus so eng verbunden sind, dass wir dann auch immer wieder an seinem Lebensgeschick teilhaben. Was wir an Schwerem in unserem Leben erfahren, ist nicht nur unsere Privatsache: Wenn ein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit, schreibt der Apostel ebenfalls an die Christen in Korinth. Und wenn ich leide, dann erfahre ich gerade darin in besonderer Weise die Gemeinschaft und Nähe zu meinem Herrn Jesus Christus.

In diesen Tagen und Wochen denken wir hier in unserer Gemeinde natürlich besonders an die Leiden unserer Schwestern und Brüder in den Asylbewerberheimen unserer Stadt und unseres Landes. Ja, was unsere Geschwister dort erfahren, ist wirkliches Leiden um Jesu Christi willen, Leiden, in dem sie teilhaben an den Leiden Christi selber, der gelitten hat bis zum Tod. Und sie sollen hier in der Gemeinde erfahren: Wir sind nicht allein: Da sind Schwestern und Brüder, die dasselbe erfahren wie ich gerade auch. Da sind Schwestern und Brüder, die mich in meiner Angst und Verzweiflung verstehen können, die mir Mut machen, trotzdem bei Christus zu bleiben. Da sind Schwestern und Brüder, die trösten können, vielleicht gar nicht immer mit vielen Worten, aber mit Zeichen, die deutlich machen, dass sie an eurem Leiden Anteil nehmen. Und da ist er vor allem selber in unserer Mitte: Christus, unser Herr, der euch immer wieder neu Kraft und Geduld schenken will, wo ihr selber längst an die Grenze eurer eigenen Kräfte gekommen seid. Ja, wie gut, dass ihr hierhergekommen seid – natürlich nicht, weil ihr hier Tipps für euren Aufenthalt haben wollt, sondern weil ihr hier Trost erfahrt, der wirklich trägt und hält: Trost von dem Trostspezialisten schlechthin: Von ihm, eurem Herrn und Gott, dem Gott allen Trostes! Amen.

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