2.Korinther 9, 6-15 | Erntedankfest | Pfr. Dr. Martens

Wenn man sich im Internet, etwa auf Facebook, in bestimmten Kreisen etwas intensiver umschaut, dann kommt man schnell zu dem Ergebnis, dass der Untergang Deutschlands in nächster Zukunft unausweichlich bevorsteht. Der Grund hierfür sind natürlich die Flüchtlinge. Sie werden angeblich in unserem Lande nach Strich und Faden verwöhnt, bekommen alle möglichen Privilegien, die einem einheimischen Deutschen nicht zustehen und werden so mit Geld überschüttet, dass sie kaum wissen, wohin damit. Dafür darbt der durchschnittliche Deutsche und sieht seiner völligen Verarmung, ja dem Staatsbankrott Deutschlands schon jetzt völlig machtlos entgegen. Diejenigen, die das angebliche Luxusleben von Flüchtlingen in Deutschland beschreiben, haben aller Wahrscheinlichkeit nach niemals einen Asylbewerber persönlich kennengelernt oder ihn an seinem Bett in seiner Turnhalle besucht. Es ist trotzdem zu befürchten, dass sie tatsächlich glauben und ernst nehmen, was sie da in ihren Einträgen im Internet schreiben. Ja, es ist zu befürchten, dass andere sich von diesen Klagen, ja von dieser Hetze anstecken lassen, dass mehr und mehr sogar Politiker sich von solchen Stammtischsprüchen beeindrucken und in ihrem Reden und Handeln beeinflussen lassen.

Nun kann man und sollte man auch solchen dümmlichen Sprüchen über das Luxusleben von Asylbewerbern natürlich einfach sachliche Fakten entgegensetzen. Doch wahrnehmen sollte man zugleich ein Phänomen, das hinter diesem Gerede steckt und das mittlerweile längst nicht nur braun angehauchte Zeitgenossen betrifft: Offenkundig ist die Vorstellung, dass wir das, was wir haben, mit anderen Menschen teilen, für viele Menschen in unserem Land ein ziemlich exotischer Gedanke. „Das, was ich habe, gehört doch nur mir und keinem anderen!“ Dieses Denken prägt das Reden und Handeln vieler Menschen in der gegenwärtigen Diskussion in unserem Land.

Auf diesem Hintergrund bekommen die Worte der Epistel des heutigen Erntedankfestes noch einmal eine ganz besondere Aktualität. Da geht es nämlich auch um das Thema des Teilens mit Bedürftigen. Ja, dem Apostel Paulus ist dieses Thema so wichtig, dass er ihm gleich zwei ganze Kapitel in seinem zweiten Brief an die Korinther widmet. Seine Ausführungen hier haben einen ganz konkreten Anlass:

Da hatten die Glieder der ersten christlichen Gemeinde in Jerusalem ihr Hab und Gut weitgehend zusammengelegt und so etwas wie einen frühchristlichen Urkommunismus praktiziert: Allen gehörte alles. Das klingt wunderbar fromm und war es sicher auch. Es hatte allerdings einen gewaltigen Nachteil: Der Kommunismus ist zwar ein schöner Gedanke; aber er funktioniert nicht, ist bald schon auf Unterstützung von außen angewiesen, weil er sonst eher früher als später kollabiert. Wir kennen das aus den Erfahrungen des 20. Jahrhunderts; doch hatten die ersten Christen damals diese Erfahrung auch gemacht: Sie waren pleite und wussten nun nicht mehr, wie sie an Geld kommen sollten. Doch der Apostel Paulus sagt nun nicht: Da seid ihr selbst schuld! Hättet ihr vorher mal euer Hirn eingeschaltet, wäre euch das nicht passiert. Sagt er nicht. Sondern er weiß um die Not der Christen in Jerusalem, weiß auch um die besondere Bedeutung dieser Gemeinde. Und so betätigt er sich auf seiner Missionsreise durch Griechenland nebenbei auch noch als Fundraiser, sammelt überall in den Gemeinden eine Sonderkollekte ein, die er dann am Ende nach Jerusalem bringen und der dortigen Gemeinde übergeben wollte. Erstaunliche Fähigkeiten legt der Apostel dabei an den Tag: In den Versen vor unserer Predigtlesung appelliert an den Sportsgeist der Korinther: Ich habe oben in Mazedonien schon eine ganz schöne Kollekte eingesammelt. Aber ihr seid doch eine viel größere und viel reichere Gemeinde. Wollt ihr allen Ernstes als Geizhälse dastehen und das Kollektenergebnis von Mazedonien unterbieten?

Doch dann wird der Apostel hier in unserer Predigtlesung sehr grundsätzlich – und was er hier zu sagen hat, das ist, wie gesagt, auch für uns heute hochaktuell. Zwei wichtige Hinweise zum Thema „Teilen“ gibt er uns hier:

  • Ihr teilt, weil ihr selber beschenkt seid.
  • Ihr teilt, weil Säen Frucht bringt.

 

I.

Schauen wir erst einmal darauf, was Paulus hier nicht macht: Er macht hier keinen moralischen Druck, stellt kein religiöses Gesetz auf, wie es etwa der Islam mit dem Zakat macht, der vorgeschriebenen Almosensteuer. Er versucht nicht, den Korinthern ein schlechtes Gewissen zu machen, und droht ihnen erst recht nicht mit der Hölle, wenn sie ihre Kohle nicht für seine Kollekte herausrücken.

Stattdessen weist er die Korinther einfach darauf hin, wie reich beschenkt sie doch sind, in was für einem Überfluss sie doch leben. Und dieser Überfluss bezieht sich natürlich zuerst und vor allem auf all die geistlichen Gaben, mit denen Gott sie so reichlich beschenkt hat. Aber er bezieht sich dann durchaus auch auf die materielle Situation der Korinther: Sie sind von Gott beschenkt, haben genug zum Leben, haben in nicht wenigen Fällen sogar noch mehr, sodass sie davon auch abgeben können.

Ganz entscheidend wichtig ist das auch für uns, dass wir diese Lebens- und Glaubenseinstellung haben: Wir sind reich, wir sind reich beschenkt von Gott. Wir leben als Christen nicht aus dem Mangel und verwalten ihn. Sondern wir sind reich beschenkte Leute, ausgestattet mit einem Überfluss, über den wir immer wieder nur staunen können. Wir dürfen hier in dieser Gemeinde Gottes Wort in unserer Muttersprache hören. Wir dürfen mehrfach in der Woche hier an diesem Altar den Leib und das Blut des Herrn empfangen. Wir haben Menschen mit so vielen geistlichen Gaben hier in unserer Mitte, Menschen, die ihren Glauben mit solch einer tiefen Überzeugung leben, dass sie damit auch für andere eine Glaubensstärkung sind. Ja, wir dürfen unseren christlichen Glauben hier in Freiheit leben. Wir sind richtig reich. Und genug zu essen und zu trinken haben wir dazu auch noch, und in einigen Fällen sogar noch etwas mehr.

Wenn wir also über das Thema „Teilen und Abgeben“ sprechen und nachdenken, dann ist es ganz wichtig, dass wir nicht ausgehen von der Angst, etwas zu verlieren, sondern von der Freude darüber, so reich beschenkt zu sein. Und beschenkt zu sein heißt eben auch: Wir haben es nicht verdient. Keiner von uns hat es verdient, dass Christus auch ihn mit seiner Botschaft erreicht hat, keiner von uns hat es verdient, dass er noch so gesund ist, dass er heute hierher zur Kirche kommen kann, keiner von uns hat es verdient, dass er mehr hat, als er zum Überleben nötig hat. Wir leben ganz aus Gottes Fülle, aus seinen Geschenken. Und dann können wir eben nicht mehr darüber jammern und klagen, dass wir von dem, was wir haben, abgeben sollen. Dann öffnet diese Freude darüber, reich beschenkt zu sein, Herzen und Hände ganz von selbst, ganz ohne Zwang. Ja, es ist gut und wichtig, dass wir dies als Christen anderen Menschen in unserer Gesellschaft vorleben, dass es selbstverständlich ist, dass wir als reich beschenkte Menschen abgeben, dass wir nicht alles für uns behalten. Mögen wir gerade auch in dieser Beziehung immer wieder Salz der Erde sein!


II.

Und dann öffnet uns der Apostel Paulus hier die Augen noch für eine andere Realität: Er sagt: Mit dem Teilen ist das wie mit dem Säen und Ernten.

Wir feiern heute das Erntedankfest. Auch wenn wir es hier in der Großstadt nicht mehr direkt mitbekommen, so wissen wir es doch immer noch ganz gut: Wir haben allen Grund dankbar zu sein, dass Gott auch in diesem Jahr alles hat wachsen lassen, was wir zum Leben brauchten, dass Gott uns auch in diesem Jahr wieder wunderbar versorgt hat.

Vor der Ernte kommt die Aussaat. Wenn ein Bauer Anfang des Jahres sagen würde: Ich bin doch nicht blöd, mein schönes Saatgut einfach wegzuwerfen, es einfach in irgendeinem Acker zu versenken; ich behalte es lieber bei mir im Keller – ja, wenn ein Bauer so blöd wäre, so zu denken und zu handeln, dann würde er einige Monate später ohne jede Ernte dastehen.

Und nun sagt der Apostel: Teilen bedeutet Säen. Wenn ich von dem, was ich habe, nicht abgebe, dann werde ich dadurch nicht reicher, sondern ärmer, dann verliere ich viel mehr, als ich scheinbar dadurch gewinne, dass ich mich an das klammere, was ich habe.

Teilen bedeutet Säen – das setzt natürlich voraus, dass wir an Gott als denjenigen glauben, der der Aussaat die Ernte folgen lässt, der seinen Segen auf die Aussaat legt – auf dem Acker genauso wie an der Kollektendose oder beim Ausfüllen des Dauerauftrags. „Der liebe Gott lässt sich nichts schenken“ – mit diesen Worten ermutigte der alte Superintendent Eckart  Rothfuchs uns junge Vikare damals in der Ausbildung, auch als Pastoren kräftig von dem abzugeben, was wir haben und bekommen, eben weil auf allem Abgeben Gottes Segen ruht, wenn es im Vertrauen auf Gottes Fürsorge geschieht. Wie gut, dass wir in unserer Gemeinde, dass wir auch über die Grenzen unserer Gemeinde hinaus so viele Säeleute haben, die zur Aussaat auch auf dem Acker unserer Gemeinde bereit sind, Säeleute, die gar nicht darauf aus sind, nun selber das ausgesäte Geld wiederzubekommen, sondern die sich mit uns daran freuen, was auf diesem Acker hier in Steglitz bei uns so alles wächst, was für ein Erntedankfest der besonderen Art wir hier Sonntag für Sonntag in unserer Kirche feiern dürfen!

Nein, keiner von euch muss irgendetwas abgeben von dem, was er hat und besitzt. Aber wer dem Herrn der Ernte traut, der wird als fröhlicher Geber das Teilen in seinem Leben einüben und merken, was für ein Segen auf solchem Teilen liegt. Gott geb’s, dass wir das miteinander in unserer Gemeinde erfahren – ja, Gott geb’s, dass wir diesen Segen des Teilens immer mehr auch gemeinsam in unserem Land erfahren! Ja, Gott geb’s, dass wir uns nicht zum beständigen Jammern und Klagen verleiten lassen, sondern Tag für Tag mit dem Apostel bekennen: „Gott sei Dank für seine unaussprechliche Gabe!“ Amen.

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