Jakobus 5, 7-8 | Zweiter Sonntag im Advent | Pfr. Dr. Martens

Könnt ihr euch das vorstellen, was das heißt, sich am frühen Morgen bei strömendem Regen beim LaGeSo anzustellen und zu warten, zu warten und zu warten? Könnt ihr euch das vorstellen, was das heißt, am Ende des Tages schließlich wieder weggeschickt zu werden und auf den nächsten Tag vertröstet zu werden? Könnt ihr euch das vorstellen, was das heißt, so etwas nicht nur ein, zwei Tage, sondern Wochen, ja mehr als einen Monat durchzumachen? Ja, es gibt eine ganze Reihe unter uns, die solche und ähnliche Erfahrungen in der letzten Zeit gemacht haben. Warten, warten, warten – regelmäßig ganze Tage zu verplempern, indem man in irgendeiner Schlange steht und nur darauf hoffen kann, wenigstens irgendwann gegen Abend noch dranzukommen: Das ist für so viele unserer Gemeindeglieder Alltag. Geduld müssen sie dabei lernen, müssen lernen, sich in das Unvermeidliche zu fügen. „Sabr kon!“ – „Warte, habe Geduld!“ – das gehörte auch mit zu den ersten Worten, die ich auf Farsi gelernt habe. Und so oft muss ich hier in unserer Gemeinde eben auch zu Menschen dieses „Sabr kon“ sagen, wenn da 50 Leute vor meiner Sprechzimmertür stehen und alle als erste mit mir sprechen wollen. Ja, das mit der Geduld ist gar nicht so einfach.

Und wir reden hier ja nicht bloß über ein paar Stunden oder Tage. Wie viele gibt es unter uns, die nun schon seit Jahren darauf warten, endlich ihre Erstanhörung zu haben, endlich nach Jahren danach gefragt zu werden, warum sie eigentlich hier in Deutschland sind! Ja, wie schwer ist es da, Geduld zu bewahren, wenn der Ehepartner, das Kind sich immer noch in der Heimat befindet, wenn man ohne einen positiven Abschluss des Asylverfahrens nur so schwer aus dem Heim in eine Mietwohnung ziehen kann! Kein Wunder, dass es da mancher nicht mehr aushält und anfängt, durchzudrehen oder in Depressionen zu versinken!

Den Empfängern des Jakobusbriefes ging es damals nicht viel anders: Tagtäglich erfuhren sie, was es heißt, auf der Seite der Armen und Entrechteten zu stehen, keine Chance zu haben gegen die Macht derer, die das Geld und den Einfluss auf ihrer Seite hatten. Da möchte man dann tatsächlich am liebsten zuschlagen, versuchen, mit Gewalt die Dinge zu ändern und zurechtzurücken.

Und darauf antwortet nun St. Jakobus hier in unserer Epistel. Was er hier schreibt, mag beim ersten Hinhören zunächst enttäuschend und ernüchternd klingen: „Seid geduldig!“ – So schreibt er hier gleich zweimal. Will er also auch einfach nur die bestehenden Verhältnisse stabilisieren und die, die unter ihnen zu leiden haben, vertrösten?

Es lohnt sich, schon etwas genauer hinzuschauen: St. Jakobus spricht gerade nicht davon, dass alles so bleibt oder bleiben soll, wie es jetzt im Augenblick ist. Im Gegenteil: Er weitet den Blick all derer, die kaum noch Geduld aufzubringen vermögen angesichts dessen, was sie tagtäglich erleben. Ja, wir warten, so sagt es St. Jakobus. Aber wir warten in unserem Leben eben nicht bloß auf irgendwelche Papiere, warten nicht bloß auf unsere Anerkennung als Flüchtlinge, warten nicht bloß darauf, dass Probleme verschwinden und es uns besser geht. Sondern wir warten auf nicht weniger als auf das Kommen des Herrn, auf den Tag der Wiederkunft Jesu Christi. Wir warten darauf, dass Christus selber mit seinem Kommen eine neue Welt schaffen wird, in der wir einmal endgültig zu Hause sein werden, in der es keine bloßen Duldungen mehr geben wird, keine Abschiebungen, kein sinnloses Herumhängen, keine Angst um geliebte Menschen, keine Bedrohungen um des Glaubens willen. Ja, wir warten auf den Tag, an dem einmal für uns selber und für alle sichtbar und erkennbar sein wird, welchen Sinn auch all die schweren Erfahrungen, die wir in unserem Leben gemacht haben, eigentlich hatten, wie auch all die schweren Wege, die wir gehen mussten, schließlich doch Wege waren hin zu diesem großen, wunderbaren Ziel.

Seid geduldig – wenn man sich diese Aufforderung im griechischen Urtext anschaut, dann wird deutlich, dass dies keine Aufforderung ist, einfach apathisch herumzuhängen, bis der Herr Christus diesem Herumhängen irgendwann mal ein Ende bereitet. Sondern in diesem Wort steckt gleich Mehreres drin: Das Wort ist zunächst einmal eine Erinnerung an die Geduld, die Gott mit uns hat. Das Wort, das hier für „Geduld“ gebraucht wird, wird an anderer Stelle in der Bibel gebraucht, um zu begründen, warum Gott mit dem Anbruch seines letzten Tages noch wartet, warum er sein Gericht noch nicht vollzieht: Er will Menschen noch die Möglichkeit geben, zu ihm umzukehren, zu Jesus Christus zu finden. Ja, denke daran, wenn du wieder einmal irgendwo warten musst, wenn deine Geduld irgendwo wieder einmal arg strapaziert wird: Gott hat auch auf dich noch gewartet, hat nicht kurzen Prozess gemacht, hat dir die Möglichkeit gegeben, zu ihm zu finden, getauft zu werden, in seiner Gemeinschaft zu leben. Ja, wie gut, dass Gott diese Geduld mit dir gehabt hat, dass er dir diese Zeit überhaupt noch schenkt! Und genau das kann und darf dann auch unsere Einstellung im Leben bestimmen und prägen: Ich lebe allein aus Gottes Geduld – und der schenkt mir ein Ziel, das mein ganzes Leben noch einmal in einem anderen Licht erscheinen lässt. Ich habe ein Ziel, auf das ich mich freuen darf, eines, das am Ende nicht ausfällt, abgeblasen oder verschoben wird. Und das schenkt mir, so kann man das griechische Wort für „geduldig sein“ hier auch übersetzen, einen langen Atem, lässt mich gerade nicht resignieren und herumhängen, sondern lässt mich tun, was hier und jetzt richtig und nötig ist, eben weil ich weiß, dass das Ziel und Gelingen meines Lebens nicht an mir hängt.

Seid geduldig bis zum Kommen des Herrn – das kann also durchaus heißen: Setzt euch leidenschaftlich ein für die, denen hier und jetzt Unrecht widerfährt, findet euch nicht ab mit diesem Unrecht! Und wisst doch zugleich: Ihr werdet nicht die neue Welt schaffen, in der es endgültig kein Unrecht mehr geben wird. Wartet leidenschaftlich auf diese neue Welt, lasst von dieser Hoffnung euer Leben, euer Reden und Handeln bestimmen! Und gebt eben wegen dieser Hoffnung auch nicht auf! Ein Bauer weiß auch, dass er das Wachstum des Samens, den er ausgesät hat, nicht mit noch so viel Leidenschaft beschleunigen kann, dass es Zeit braucht, bis herangewachsen ist, was er erhofft hat.

Denke an den Bauern, der auf seine Ernte wartet, wenn du wieder einmal irgendwo herumstehst, wenn du wieder einmal auf den Kalender schaust und feststellst, dass wieder ein Monat vergangen ist, ohne dass das Bundesamt sich bei dir gemeldet hat. Denke an den Bauern, der auf seine Ernte wartet! Auch diese scheinbar sinnlose Zeit ist Gottes Zeit, in der Gott in deinem Leben etwas wachsen und reifen lässt, ist eine Zeit, in der Gott dich vorbereitet für die Begegnung mit deinem Herrn Jesus Christus!

Seid geduldig – so ruft es uns St. Jakobus hier zu. Aber er ruft uns noch etwas zu: Stärkt eure Herzen!  Nein, das soll nicht jeder für sich machen. Die Kirche ist kein geistliches Fitnessstudio, in dem jeder für sich mit unterschiedlichem Erfolg versucht, seine eigene Stärke zu verbessern. Sondern wir dürfen und sollen uns gegenseitig unsere Herzen stärken, wenn wir wieder einmal an die Grenzen unserer Geduld geraten. Wie gut, wenn wir dann Schwestern und Brüder haben, die unseren Blick wieder auf das Ziel unseres Lebens richten! Wie gut, wenn wir Brüder und Schwestern haben, die uns auch vorleben, was es heißt, aus dem Glauben an das Kommen Christi Geduld zu schöpfen! Und wie gut, dass er, Christus, der kommende Herr, das Entscheidende zu dieser Stärkung der Herzen beiträgt: Der wahre Leib und das wahre Blut unseres Herrn Jesus Christus stärken und erhalten euch im wahren Glauben zum ewigen Leben – so werdet ihr es auch gleich wieder hören. Ja, das lässt uns durchhalten, das schenkt uns Geduld, dass der kommende Herr schon hier und jetzt immer wieder zu uns kommt, uns unendlich mehr schenkt als all das, worauf wir ansonsten tagtäglich warten mögen. Ja, das Kommen des Herrn ist ganz nahe; nur wenige Minuten trennen uns jetzt noch davon. Und du darfst und wirst ihm heute begegnen, auch wenn du hier am Altar vielleicht auch ein wenig warten musst. Ja, das Warten lohnt sich. Dein Herr kommt zu dir – heute, und dann auch einmal für alle sichtbar. Er enttäuscht dich nicht, schickt dich nicht weg. Mit dieser Gewissheit lässt es sich gut leben – auch in der Warteschlange. Amen.

 

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