Jesaja 30,8-17 | Altjahrsabend | Pfr. Dr. Martens

Da wurde ich in der vergangenen Woche in einem Artikel in der Tageszeitung „Die WELT“ zu einem „bekennenden Facebook-Fan“ erklärt. Nun ja, meine Bekenntnisbindung ist und bleibt eigentlich eine andere. Aber es ist schon richtig, dass ich in diesem Jahr 2016 so viel auf Facebook gepostet habe wie noch nie. Anlässe hierzu gab es genug: Da waren all die vielen Übergriffe und Todesdrohungen gegen unsere Gemeindeglieder und Taufbewerber in den Asylbewerberunterkünften, über die ich berichtet habe, weil kaum ein anderer darüber berichten wollte. Und da sind nun seit einigen Monaten die Anhörungen und Entscheidungen gegen unsere Gemeindeglieder und Taufbewerber in ihren Asylverfahren, in denen so viel himmelschreiendes Unrecht zu erkennen ist, dass ich auch da nicht ruhig bleiben kann und will, einfach aufschreiben und dokumentieren will, was da los ist, wenn es denn sonst keiner tut.

„Warum machen Sie das alles eigentlich?“, wurde ich neulich auf Facebook gefragt. „Warum schreiben Sie das alles auf, wenn Sie auch keine Lösung haben, was man gegen dieses Unrecht wirksam unternehmen kann?“ Die Frage klingt berechtigt. Ich habe zwischendurch einmal an die Zentrale Erfassungsstelle in Salzgitter gedacht, in der zu Zeiten der DDR Berichte über das dortige Unrechtssystem gesammelt wurden – in der Hoffnung, dass irgendwann den Opfern doch noch Recht geschieht. Aber vielleicht ist eine solche Hoffnung in Bezug auf das Unrecht, was jetzt in diesem Land geschieht, doch zu hoch gegriffen. Vielleicht mache ich ja auch einfach nichts anderes als der Jesaja, der sich hier in der alttestamentlichen Lesung des heutigen Abends zu Wort meldet.

Lange genug hatte er sein Volk gewarnt. Da hatten die Assyrer das Nordreich Israel bereits erobert und auch das Südreich Juda schon in Abhängigkeit zu sich gebracht. Doch nun keimte bei den Bewohnern des Südreichs Hoffnung auf: Man konnte doch eine Koalition mit dem ägyptischen Pharao eingehen und sich dadurch von der Unterdrückung durch die Assyrer befreien! Doch Jesaja warnt vor diesem Trugschluss: Wenn ihr eure Hoffnung auf solch eine Militärkoalition setzt, werdet ihr bitter enttäuscht werden! Setzt eure Hoffnung auf Gott allein – der wird euch helfen und nicht solch ein militärisches Abenteuer! Doch Jesaja stieß mit seiner Verkündigung auf taube Ohren – und so entschließt er sich nunmehr, das, was er dem Volk verkündigt hat, aufzuschreiben, damit spätere Generationen erkennen konnten, dass das Volk gewarnt worden war, ja damit sie erkennen konnten, dass die Abwendung von Gott am Ende für das Volk nur in einer Katastrophe enden konnte.

Nein, ich bin kein Prophet, kein neuer Jesaja. Aber was der Prophet Jesaja damals seinem Volk verkündigte, erweist sich doch auch heute als hochaktuell.

Mit starken Koalitionen haben auch wir es in diesem Jahr zu tun gehabt – mit Koalitionen von politischen Parteien und Großkirchen, die sich immer wieder verschlossen haben, wenn wir von Vorkommnissen berichtet haben, die so gar nicht in ihr Denken und Weltbild, erst recht nicht in ihre wirtschaftlichen Interessen hineinpasste: „Was wahr ist, sollt ihr uns nicht schauen! Redet zu uns, was angenehm ist; schaut, was das Herz begehrt!“ Und ebenso haben wir jetzt in den letzten Monaten erlebt, wie in unserem Lande allmählich die Stimmung gekippt ist und sich nun wieder gegen genau dieselben wendet, auf deren Bedrohung wir zuvor immer wieder vergeblich hingewiesen hatten. Da wird aus taktischen Erwägungen nicht mehr so genau darauf geachtet, was eigentlich recht ist. Hauptsache, es gelingt einem, wieder die Lufthoheit über den Stammtischen zu gewinnen. Und wenn die christlichen Flüchtlinge dabei die Opfer sind, dann haben sie eben Pech gehabt!

Ja, was wir in den vergangenen Monaten erlebt haben, lässt sich schon ziemlich genau mit dem Zitat zusammenfassen, das der Prophet Jesaja hier bringt: „Lasst uns doch in Ruhe mit dem Heiligen Israels!“ Menschen, die von dem Wirken des lebendigen Gottes gerade unter den Menschen aus dem Iran und Afghanistan nichts wissen wollen und dafür oftmals nur Spott und Verachtung übrig haben, maßen sich an, Urteile über ihren persönlichen Glauben, über ihr Christsein fällen zu können. Ja, da wird in den vielen Entscheidungen des Bundesamtes, mit denen wir zur Zeit konfrontiert werden, etwas sichtbar von dem kaum wahrnehmbaren Riss in unserer Gesellschaft, der doch so leicht den gesamten gesellschaftlichen Zusammenhalt bedrohen und zum Einsturz bringen kann: Wo Menschen Gottes Wort verachten und es mit Füßen treten, wo Menschen meinen, ganz ohne Gott auskommen zu können, da setzt sich am Ende der Mensch selber absolut, da entartet auch eine Gesellschaft schnell in eine Diktatur, in der am Ende auch eine kleine Gruppe entscheidet, was Wahrheit ist und was nicht, was noch gesagt werden darf oder was nicht. Die Erfahrung, dass auch meine Facebook-Seite in diesem Jahr gesperrt wurde, nachdem ich von Übergriffen auf christliche Asylbewerber durch radikale muslimische Flüchtlinge berichtet hatte, hat mich doch sehr nachdenklich gemacht. „Was wahr ist, sollt ihr uns nicht schauen!“ – Ach, wie aktuell ist doch das, was Jesaja hier schreibt, auch noch mehr als 2700 Jahre später!

Jesaja warnte damals die Israeliten davor, ihr Vertrauen auf Militärbündnisse, auf Koalitionen mit den Starken zu setzen, warnte vor Euphorie über die vermeintliche eigene Stärke. Ach, von dieser Euphorie ist bei uns nicht unbedingt etwas zu spüren. Wir haben keinen starken Bündnispartner, an den wir uns anlehnen könnten. Wir haben in diesem Jahr immer wieder erfahren, wie allein wir oft genug dastehen. Und auch jetzt, wenn es um das Unrecht geht, das unseren christlichen Konvertiten vom deutschen Staat zugefügt wird, bleibt uns nichts anderes als das bloße Wort, haben wir keine Ahnung, wie wir gegen das politische Interessengeflecht, das hinter den Abschiebeandrohungen gegen christliche Flüchtlinge steht, auch nur irgendwie ankommen könnten.

Doch die Antwort, die Jesaja damals dem Volk Israel gegeben und gleich auch aufgeschrieben hat, ist doch dieselbe Antwort, die er auch uns gibt: Wenn ihr euch auf euch selber, auf eure eigene Stärke, auf eure eigenen Möglichkeiten verlasst, seid ihr verloren. Macht stattdessen etwas ganz anderes, etwas, was so widersinnig, so schwach erscheint und doch in Wirklichkeit die einzig realistische Option ist: Verlasst euch ganz auf Gott, auf sein Handeln, auf sein Eintreten für die Unterdrückten! Haltet einfach still und lasst Gott machen, was ihr ohnehin nicht könnt!

Die Kirche ist doch nicht euer Projekt, das ihr am Laufen halten oder gar retten müsstet! Die Zukunft der Kirche, auch die Zukunft dieser Gemeinde hängt doch nicht davon ab, dass ihr euch bis an die Grenzen eurer Kräfte und Möglichkeiten in ihr engagiert. Im Gegenteil: Gott wird euch immer wieder gerade darum an eure Grenzen führen, damit ihr erkennt, dass ihr es nicht könnt, dass ihr es nicht seid, die die Kirche bauen und erhalten.

Stille sein, hoffen, warten – Ja, Schwestern und Brüder, es ist wichtig, dass wir uns dies am Ende eines Jahres in unserer Gemeinde sagen lassen, in dem so viel in unserer Gemeinde geschehen ist, in dem wir so viel gemacht haben, in dem unsere Gemeinde zahlenmäßig so sehr gewachsen ist und wir nun mit unserer Arbeit in das Licht der Öffentlichkeit geraten sind, wie wir uns das vor einem Jahr noch gar nicht hätten vorstellen können. Die Gefahr ist doch so groß, dass wir meinen, wir könnten von diesem Jahr nun gleichsam ins nächste „hochrechnen“, uns schon vorstellen, wie sich hier in unserer Gemeinde alles weiterentwickelt. Nein, nichts wissen wir am Ende dieses Jahres. Wir können nicht wissen, wie viele derer, die sich in diesem Jahr treu zum Gottesdienst, zum Heiligen Abendmahl gehalten haben, auch im nächsten Jahr noch mit dabei bleiben werden. Wir können nicht wissen, wie viele Menschen uns Christus hier noch neu in unsere Gemeinde schickt. Es liegt nicht an uns – und es mag sehr wohl sein, dass Christus uns in diesem kommenden Jahr gerade auch das Stillehalten einüben lässt, uns auf verschiedene Weise, vielleicht auch schmerzlich, erfahren lassen wird, dass wir unsere Hoffnung niemals auf Menschen und auf ihre Möglichkeiten setzen sollen.

Ja, zur Umkehr ruft uns Christus an diesem Abend, zur Umkehr von dem Wahn, selber die Macher sein zu können, zur Umkehr vom Vertrauen auf Menschen, auf das, was sie können und versprechen.

Ja, solches Stillehalten kann wehtun, so haben wir es in den vergangenen Wochen und Monaten immer wieder erfahren müssen, wenn wir in den Bescheiden des Bundesamtes lesen mussten, wie unsere Gemeinde verleumdet wurde, wie Lügen über die verbreitet wurden, die hier bei uns so aktiv sind. Doch vertrauen wir darauf: Christus sieht schon die Wege, die uns noch völlig verschlossen zu sein scheinen; er will uns gerade da beistehen und uns führen, wo die Not am allergrößten zu sein scheint.

Wir gehen nun in das Jahr 2017, in dem wir die 500. Wiederkehr der Reformation Martin Luthers begehen. Auch da wird nun so viel Trubel veranstaltet; auch da wird so vieles als angebliches Erbe der Reformation ausgegeben, was in Wirklichkeit mit dem Evangelium, das Martin Luther wieder neu entdeckt hat, nichts zu tun hat. Dabei geht es in der Reformation doch letztlich nur um dies eine: Dass wir immer wieder neu lernen und einüben, dass unser Heil, unsere Rettung nicht an uns hängt, nicht an unseren guten Werken, nicht an unseren Aktivitäten, nicht an unserer Entscheidung. Darum geht es, dass wir immer wieder neu lernen und einüben, unser Vertrauen ganz auf Christus zu setzen, stille zu halten, ihn alles tun zu lassen, ihn uns retten zu lassen. Er hat’s getan, als er am Kreuz für uns gestorben ist; er hat’s getan, als er uns in der Heiligen Taufe zum ewigen Leben gerettet hat. Und gleich üben wir es wieder neu ein, hier im Heiligen Mahl, stille zu sein, uns einfach nur beschenken zu lassen, einfach nur den Mund zu öffnen und Christus alles, wirklich alles tun zu lassen. Christus ist nicht bloß eine Idee, er ist der wirklich gegenwärtige, wirklich wirksame Herr. Gott geb’s, dass wir eben dies im kommenden Jahr immer wieder gemeinsam erfahren und bekennen: Befiehl dem Herrn deine Wege und hoffe auf ihn! Er wird’s wohl machen! Amen.

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