Lukas 14,7-14 | Mittwoch nach dem 7. Sonntag nach Trinitatis | Pfr. Dr. Martens

Der Gottesdienst ist zu Ende; die Gottesdienstteilnehmer sind verabschiedet, und ich gehe unten in unseren neuen Gemeindesaal. Da sieht man sie schon: Die Schlangen, die sich vor den Essensausgaben gebildet haben. Möglichst die Ersten sein, möglichst schnell drankommen – das ist für so manche so wichtig, dass sie dafür schon mal den Segen am Ende des Gottesdienstes sausen lassen. Und da sehe ich auf der anderen Seite so manches Gemeindeglied ganz gelassen in der Ecke stehen: Sollen doch erst mal die Drängler drankommen. Ich stelle mich später an und verpasse dabei auch nichts!

Möglichst als erste drankommen – ähnliches lässt sich durchaus auch in unseren Sonntagsgottesdiensten selber beobachten: Die Einladung: „Kommt, denn es ist alles bereit“ weckt bei so manchem Gottesdienstteilnehmer ungeahnte sportliche Fähigkeiten, lässt ihn nach vorne stürmen, um ja gleich am Anfang mit dabei zu sein – bevor sich erst mal die lange Schlange bildet, bei der man sich ganz hinten anstellen müsste. Und da gibt es dann eben auch die anderen, die ganz in Ruhe bis zum Schluss der Kommunionausteilung warten, die wissen, dass sie am Ende nicht weniger gewiss den Leib des Herrn empfangen als die Sportler am Beginn der Austeilung.

Von solchen, die ganz vornean bei einer Festmahlzeit sitzen wollen, und solchen, die freiwillig ganz untenan Platz nehmen, erzählt Jesus in der Predigtlesung des heutigen Abends. Doch was er uns hier mitteilt, ist mehr als eine auch heute noch durchaus einleuchtende Benimmregel, dass Menschen, die sich selber in den Vordergrund drängeln, als peinlich wahrgenommen werden, während man mit einer gewissen Bescheidenheit sehr viel weiterkommt, vor allem, wenn man sie so geschickt zu zeigen vermag, dass man mit ihr auch noch von anderen als angenehm bescheidener Mensch wahrgenommen wird. Mit den Ersten und den Letzten ist das ja auch durchaus eine Sache. Es geschieht ja durchaus, dass Menschen hier schon gleich zu Beginn an den Altar eilen, weil sie bereits seit dem Abend vorher unten in der Küche gestanden und das Essen für die Gottesdienstteilnehmer vorbereitet hatten und jetzt kurz vor dem Ende des Kochens ganz schnell wieder nach unten in die Küche müssen. Und unter denen, die sich ganz am Ende der Reihe der Kommunikanten befinden, mögen dann auch manche sein, die es nicht für nötig gehalten hatten, pünktlich zum Gottesdienst zu erscheinen und jetzt gerade noch im letzten Augenblick in die Kirche gerauscht sind. Nein, an der Position in der Schlange bei der Kommunionausteilung kann man nicht ablesen, wer im Reich Gottes ganz oben und wer ganz unten steht.

Jesus geht es hier auch um etwas ganz anderes: Diejenigen, die sich beim Festmahl ganz selbstverständlich obenan setzen, gehen von vornherein davon aus, dass sie einen Anspruch darauf haben, dabei zu sein, ja mehr noch: in besonderer Weise geehrt zu werden für das, was sie sind und was sie geleistet haben. Und diejenigen, die sich beim Festmahl ganz selbstverständlich obenan setzen, gehen von vornherein davon aus, dass sie jedenfalls besser sind als andere und von daher eher als andere ein Teilnahmerecht bei dieser Feier haben.

Ja, genau vor solchem Denken warnt Jesus, warnt er auch uns: Wenn es um die Teilnahme an Gottes großem Festmahl in seinem Reich geht, dann sollte keiner meinen, er habe ein Recht darauf, bei diesem Fest mit dabei zu sein. Wir können uns die Teilnahme an diesem Festmahl nicht verdienen, nicht mit unserem Ansehen, nicht mit unserer Frömmigkeit, nicht mit unseren guten Werken, nicht mit unserem anständigen Leben. Mit ganz leeren Händen stehen wir in Wirklichkeit da, sind ausschließlich angewiesen auf die Einladung des Gastgebers, der uns zu sich ruft, obwohl wir es gerade nicht verdient haben. Nein, es ist nicht selbstverständlich, dass wir in den Himmel kommen, nicht logisch, nicht einsichtig. Staunen sollen und dürfen wir jedes Mal darüber, wenn Christus uns, ja ausgerechnet uns einlädt, an seinen Tisch zu kommen, ganz vornean bei ihm Platz zu nehmen hier an seinem Altar. Da nehmen wir nicht unser Recht wahr, sondern wir werden von Christus selber ganz nach vorne gerufen, ganz nach oben gehoben. Was für ein Wunder!

Und erst recht sollen wir nicht meinen, wir kämen dadurch eher in den Himmel, weil wir besser sind als manche andere, weil wir im Vergleich zu ihnen besser abschneiden. Was für ein unseliges Denken, das sich auch in unseren Köpfen immer wieder einnistet, uns immer wieder dazu veranlasst, uns mit anderen zu vergleichen, ja, schlimmer noch: über andere schlecht zu reden, weil einem das genau dieses wunderbare Gefühl vermittelt, besser zu sein als die anderen! Nein, keiner von uns kommt in den Himmel, weil es andere gibt, die schlechter sind als er. Keiner kann Gott damit beeindrucken, dass er mit seinem Finger darauf verweist, was andere getan haben. Der Trick funktioniert ganz grundsätzlich nicht – und auch wir werden einmal an Gottes großer Tafel ganz beschämt Menschen entdecken, auf die wir in unserem Leben vielleicht herabgeblickt haben und die in Gottes Augen eben doch ganz anders dastanden, als wir dies gedacht hatten.

O nein, wir haben solche Tricks doch nicht nötig. Gott möchte uns doch im Gegenteil gerade dazu anleiten, ganz von uns selber wegzuschauen allein auf ihn, Christus, den Gastgeber. Der nimmt uns an, der holt uns an seinen Tisch, gerade weil er ein Faible hat für die, die nichts vorzuweisen haben, die sich nicht für besser halten als andere, die warten können auf sein lösendes Wort. Ja, genau darum geht es, dass wir dies immer wieder einüben: Unseren Blick wegzulenken von dem, was wir hier und jetzt sind, was wir hier und jetzt bekommen hin auf die Tür, die Christus selber einmal öffnen wird, um uns an seinen Tisch zu geleiten.

Und genau das können wir eben nun auch schon hier und jetzt einüben, indem wir uns als Gastgeber betätigen, so macht es uns Christus hier deutlich. Völlig Ungewöhnliches, ja scheinbar Unmögliches erwartet er hier von uns: Wenn wir ein Essen veranstalten, dann sollen wir dazu nicht Freunde, Verwandte, reiche Nachbarn einladen, bei denen wir mit einer angemessenen Gegeneinladung rechnen können, sondern stattdessen Arme, Verkrüppelte, Lahme und Blinde, Menschen eben, die überhaupt nicht dazu in der Lage sind, unsere Einladung zu erwidern. Ja, einladen sollen wir sie, weil wir wissen, was Inhalt und Ziel unseres Lebens ist: nicht möglichst viel mitzunehmen von dem, was uns hier geboten wird, sondern Boten zu sein für Gottes großes Fest, das gerade denen gilt, die selber nichts vorzuweisen haben.

Ja, wie fröhlich es bei solchen Festen zugehen kann, bei denen es nicht darum geht, dass wir davon etwas haben, dass wir dadurch etwas wiederbekommen, dürfen wir immer wieder in unserer Gemeinde erleben. Da essen wir miteinander, geben dafür in der Tat auch nicht wenig Geld aus, und können uns davon keinen persönlichen Vorteil erhoffen. Aber wir erfahren dafür schon etwas davon, wie es in Gottes neuer Welt zugeht, in der gerade die einen Platz finden werden, die von den Menschen hier auf Erden abgeschrieben, verleumdet, ausgegrenzt werden, ja, wir erahnen hier schon etwas von der wunderbaren himmlischen Anarchie, die gerade dadurch funktioniert, dass der Herrscher der Welt zum Diener aller geworden ist. Und wenn sich dann immer mehr Menschen bei uns in unsere Räume drängen und dabei vielleicht auch drängeln: Freuen wir uns darüber, dass sie mit dabei sind, und zeigen wir ihnen, dass sie hier anders leben können, als sie es sonst aus ihrem Alltag gewohnt sind. Denn bei Gott ist ganz unten am Ende doch ganz oben. Amen.

Zurück