Micha 5, 1-4a | Heiliges Christfest | Pfr. Dr. Martens

Der Schreck steckte ihnen noch in den Gliedern: Da waren die Assyrer im Nordreich Israel eingefallen, hatten das Land erobert und seine Einwohner deportiert. Deportation – es war das Schreckenswort auch im kleinen Südreich Juda mit seiner Hauptstadt Jerusalem.

Ja, die Angst vor der Deportation ging auch im Südreich Juda um. Was für ein eigentlich unvorstellbarer Gedanke: Nicht mehr ins Haus Gottes, in den Tempel, gehen zu können, sein Leben weit entfernt von dieser geistlichen Heimat in einem Land verbringen zu müssen, dessen Einwohner so ganz anders waren als man selber. Ja, die Angst war verständlich, war berechtigt, und so hatten die Bewohner des Landes nur einen Wunsch: endlich sicher wohnen zu können, endlich keine Angst vor solch einer Abschiebung in ein fremdes Land mehr zu haben.

Der Schreck steckte ihnen noch in den Gliedern: Da war in den frühen Morgenstunden die Polizei in das Asylbewerberheim gekommen und hatte die Familie vom selben Flur mitgenommen, ab ins Flugzeug, zur Abschiebung in die Heimat. Sind wir auch bald dran? So fragten sie mich. Ich versicherte ihnen, dass eine Deportation bei ihnen rechtlich zurzeit gar nicht möglich sei. Aber sie blieben skeptisch: Und wenn es nun doch geschehen sollte? Was sollte mit uns werden? – so fragten sie. Weit entfernt von der nächsten christlichen Kirche, weit entfernt von dem Ort, an dem ihnen die Begegnung mit dem lebendigen Christus so wichtig geworden war. Und dann kamen schon die nächsten an, mit einem Brief in der Hand: In einer Woche sollen sie dieses Land verlassen; ihr Antrag auf Asyl wurde abgelehnt. Angst sehe ich auch in ihren Augen: Sollen wir wirklich deportiert werden? Gibt es für uns wirklich keine Chance, irgendwo endlich sicher zu wohnen? Wenn es in der Heimat nicht geht, wo sollen wir sonst hin? Ja, wir wollen wirklich nur eins: endlich sicher wohnen.

Und diese Sehnsucht nach dem sicheren Wohnen, die steckt ja nicht nur in so vielen Flüchtlingen aus unserer Gemeinde, die steckt ja in uns allen, erst recht nach dem Terroranschlag in Berlin in dieser vergangenen Woche. Kann das mit diesem Terror denn nicht endlich mal ein Ende haben, kann es denn nicht doch möglich sein, dass wir hier in unserem Land in Sicherheit wohnen? Und dann werden diese Fragen immer wieder mit ganz bestimmten politischen Hoffnungen verbunden: Ach, wenn doch nur dieser oder jener Mensch, diese oder jene Partei regieren würde, dann, ja, dann würde endlich Frieden im Lande herrschen, dann wären wir endlich sicher!

Ach, wie aktuell sind auch auf diesem Hintergrund die Worte des Propheten Micha, die Worte der alttestamentlichen Lesung des heutigen Festtags: Gesprochen sind sie zu Menschen, die in ihrer Angst und Sorge ihre Hoffnung an bestimmte politische Führer in Jerusalem hingen und von ihnen erwarteten, dass sie sie schützen könnten, dass sie es letztlich schaffen könnten, sie sicher und im Frieden wohnen zu lassen.

Doch Micha verkündigt hier etwas ganz Anderes: Die Zukunft hängt gerade nicht an den Königen in Jerusalem, auch nicht, wenn und weil sie Nachkommen des Königs David sind. Gott wird nicht durch sie seinem Volk Sicherheit und Frieden schenken.

Sondern Gott fängt noch einmal ganz von vorne an, nicht in Jerusalem, nicht in der Hauptstadt, sondern in einem kleinen Dorf im judäischen Bergland, dem Herkunftsort der Sippe der Ephrater, in einem Dorf, das so klein war, dass es noch nicht einmal dazu in der Lage war, genügend Männer für eine eigene Abteilung im judäischen Heer zu stellen. Ja, klein und unbedeutend ist dieses Dorf – und hat doch zugleich einen besonderen Klang: Hierher stammten die Vorfahren Davids, hier hatte die ganze Geschichte des Königtums Davids begonnen. Und doch ist der, mit dem Gott seine Geschichte mit seinem Volk noch einmal neu beginnen will, nicht einfach bloß ein Nachkomme Davids. Sein Ausgang, seine Herkunft ist von Anfang und von Ewigkeit her. Er ist nicht verwickelt in irgendwelche Kungeleien der Mächtigen; er hat seinen Ursprung ganz woanders her – aus der Ewigkeit, und das heißt: von Gott.

Ja, wenn Gott diesen einen zu seinem Volk schicken wird, der aus Bethlehem stammt und doch letztlich seinen Ausgang von Gott selber her hat, dann wird dieser eine ein wirklich guter Hirte sein, so kündigt es Micha an, einer der sein Volk nicht zu seinem eigenen Vorteil weiden wird, sondern der selber in seiner Person der Friede sein wird.

Schwestern und Brüder: Wir wissen, wie Gott selber sein Versprechen an sein Volk wahrgemacht hat, wie er in der Tat mit seinem Volk und zugleich auch mit allen Völkern dieser Welt noch einmal neu angefangen hat – in diesem kleinen Kuhdorf oder wohl besser Schaf- und Ziegendorf Bethlehem. Die persischen Sterndeuter, die den neugeborenen Herrscher über Israel besuchen und ihm huldigen wollten, merkten bald diesen entscheidenden Unterschied: In Jerusalem war er nicht anzutreffen; sie mussten weg aufs Land, in die Provinz, um ihn zu finden. Und als sie ihn fanden, war ihnen klar, dass das nicht einfach nur ein nettes süßes Baby ist. Nein, sie fielen nieder und beteten ihn an, so betont es St. Matthäus in seinem Bericht. Gott fängt mit seinem Volk, fängt mit uns allen noch einmal dadurch neu an, dass er den einen schickt, dessen Herkunft man nicht einfach bloß an einem bestimmten geographischen Ort festmachen kann, sondern die bis in die Ewigkeit, bis zum Anfang zurückreicht: Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. Und das Wort wurde Fleisch und wohnte unter uns. Unsere Hoffnung liegt nicht in dem, was wir Menschen mit unseren Bemühungen erreichen können. Unsere Hoffnungen liegen allein darauf, dass Gott mit uns Menschen einen Neuanfang gemacht hat, dass er den einen guten Hirten geschickt hat, der im Unterschied zu allen Königen und anderen politischen Führern diesen Namen wirklich verdient.

Dieser neugeborene Herrscher seines Volkes erfährt es bald nach seiner Geburt am eigenen Leibe, was es heißt, nicht sicher leben zu können. Der muss fliehen aus seinem Land, muss als Flüchtling leben, ohne sicheren Wohnort, immer nur vorläufig, hat auch später keinen festen Wohnsitz, weiß morgens oft nicht, wo er abends sein Haupt niederlegen soll. Und wie gefährdet und unsicher sein Leben ist, das erfährt er dann schließlich in der großen Hauptstadt Jerusalem, in der er eine Thronbesteigung der besonderen Art vornimmt, sich gerade dadurch als König erweist, dass er als der gute Hirte sein Leben für die Schafe hingibt – am Kreuz.

Was ist also nun mit unserem sicheren Wohnen? Unsere Gemeindeglieder machen gerade die Erfahrung, dass der Glaube an Jesus Christus sie gerade nicht vor Abschiebungsandrohungen bewahrt, ihnen gerade kein sicheres Wohnrecht hier auf Erden schenkt. Ja, eines ist ganz klar: Wenn wir unsere Hoffnung auf menschliche Führer, auf menschliche Politiker setzen, dann können wir nur enttäuscht werden. Verlasst euch nicht auf ihre Versprechen; sie können und werden sie doch nicht halten. Es gibt nur einen, der wirklich verlässlich zu seinem Wort steht, und das ist er, der als Baby in Bethlehem geboren worden ist.

Nein, der verspricht uns nicht, dass wir immer gleich eine positive Antwort in unserem Asylverfahren bekommen, wenn wir an ihn glauben. Der verspricht uns auch nicht, uns vor Terroranschlägen oder auch vor dem Islam im Allgemeinen zu bewahren. Micha vergleicht die Zeit, in der damals seine Zuhörer lebten, mit den Wehen vor einer Geburt. Ohne dass ich dazu nun sehr viel aus eigener Erfahrung beitragen könnte, habe ich doch vernommen, dass Wehen ziemlich wehtun, dass man sich als Frau nur wünscht, dass die bald vorbei sind. Ja, wir leben noch in einer Zeit der Wehen, in einer Zeit, in der uns das Unrecht so wehtut, das wir immer wieder auch hier in unserem Land erleben müssen. Doch Wehen haben ein Ziel: am Ende steht die Freude über ein neues Leben. Ja, wir freuen uns auf das neue Leben, das Christus auch uns schon geschenkt hat, als wir in unserer Heiligen Taufe zum ewigen Leben wiedergeboren worden sind. Da werden wir tatsächlich einmal für immer sicher wohnen, für immer Frieden haben, da werden wir niemals mehr Angst haben müssen, dass wir mit einem Mal abgeholt und abgeschoben werden, dass unser Aufenthalt in der neuen Stadt Jerusalem einmal ein jähes Ende nehmen wird. Noch merken wir die Wehen deutlich, noch sind wir nicht im neuen Jerusalem angekommen. Aber nach Bethlehem, da dürfen wir jetzt schon kommen, nach Brothausen, wie es wörtlich übersetzt heißt, an den Ort, wo wir dem Herrn, der von Ewigkeit her herrscht, persönlich und leibhaftig begegnen können in den Gestalten von Brot und Wein. Das lässt uns durchhalten in den Wehen, das lässt uns schon hier und jetzt erfahren: Er ist da, er ist gekommen, derselbe Herr, der damals in Bethlehem in einer Krippe gelegen hat und der uns nun wieder genauso unscheinbar begegnet wie damals auch. Bei ihm wohnst du jetzt schon sicher, er schenkt dir jetzt schon Frieden für dein Leben, den dir niemand sonst geben kann, Frieden in der Gemeinschaft mit ihm. Bleibe nur dran an ihm. Lass dich nicht dadurch stören, dass er scheinbar so klein und schwach zu dir kommt. Er ist und bleibt doch dein Hirte, der für dich sorgt, dein Retter, der aus der Ewigkeit zu dir gekommen ist, nur um dir ein ewiges Zuhause zu schenken – bei ihm. Amen.

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