Philipper 2,14-16 | Mittwoch nach dem 7. Sonntag nach Trinitatis | Pfr. Dr. Martens

 „Wie sollen wir das denn bloß noch alles schaffen?“ – Diese Gedanken gehen mir in den letzten Tagen und Wochen immer wieder einmal durch den Kopf. Da steigt die Zahl der Christen, die aus Skandinavien vor ihrer Abschiebung in den Iran oder Afghanistan in unsere Gemeinde fliehen oder die vor Misshandlung und Folter in den Flüchtlingslagern in Bulgarien geflohen sind und nun zu uns gekommen sind, immer weiter an. Wie sollen wir mit diesem Ansturm noch fertig werden, wie können wir diesen Menschen denn noch helfen und sie nicht im Stich lassen? Ja, wie können wir das alles überhaupt noch bewältigen mit unseren begrenzten Kräften, mit unseren begrenzten Geldmitteln? Das kann doch eigentlich alles gar nicht mehr gut gehen!

Und wie sollen wir das denn bloß alles schaffen? Das mögen wir uns auch heute Abend wieder fragen, wenn wir uns nachher im Vorbereitungskreis für die Kinderbibelwoche treffen. Wie sollen wir die ganze Organisation für all die vielen Kinder bewältigen, wie sollen wir das kräftemäßig bewältigen mit einem Team, das in den letzten zwanzig Jahren auch nicht unbedingt jünger geworden ist? Ja, wie sollen wir die Verantwortung für all die vielen Kinder tragen und auf uns nehmen? Das wird uns doch alles zu viel!

Wie gut können wir da die Verse unserer heutigen Predigtlesung gebrauchen, die diesem 8. Sonntag nach Trinitatis zugeordnet sind! „Tut alles ohne Murren und ohne Zweifel“, schreibt der Apostel Paulus hier zunächst einmal. Murren – das Wort erinnert an die Haltung der Israeliten in der Wüste Sinai: Da hatte Gott sie so wunderbar aus Ägypten gerettet, hatte ihnen gezeigt, dass er der Herr ist, der sie zu führen und zu bewahren vermag – doch kaum tauchen die ersten Schwierigkeiten auf, glauben die Israeliten, sie würden es nicht schaffen, glauben die Israeliten, sie stünden ganz allein da und wären damit völlig überfordert. Murren – eine Haltung, die sich Gottes Führung verweigert, eine Haltung, die glaubt, dass sie alles besser weiß als Gott. Und Zweifel – das ist der Mangel an Vertrauen auf Gott, die Frage, ob Gott wirklich will, was er in seinem Wort gesagt hat.

Tut alles ohne Murren und Zweifel – das ist von daher eine Ermutigung an uns: Denkt doch daran, wie Gott euch in der Vergangenheit geführt hat – viel wunderbarer, als ihr selber dies euch jemals hättet vorstellen können. Denkt doch daran, wie Gott euch immer wieder bewahrt und beschützt hat – besser als ihr es je selber gekonnt hättet! Und dann tut dies alles, was euch aufgetragen ist, tut dies alles, zögert, murrt, zweifelt nicht!

Nein, natürlich redet der Apostel hier nicht einem gedankenlosen Aktionismus das Wort, sagt nicht, dass wir einfach immer ohne Nachzudenken loslegen sollen. Wir sollen schon genau prüfen, was Gottes Wille ist. Aber wenn wir dann erkannt haben, dass es tatsächlich Gottes Willen entspricht, was wir tun, dann sollen wir es auch tun, ohne Zweifel, ohne Murren. Wenn wir erkannt haben, dass es Gottes Willen ist, verfolgten Brüdern und Schwestern zu helfen, sie aufzunehmen, ihnen Schutz zu gewähren, dann sollen wir nicht danach fragen, was denn daraus wohl noch alles werden wird. Wenn wir erkannt haben, dass es Gottes Willen ist, Menschen die gute Botschaft nahezubringen, dann werden wir fröhlich und getrost die Möglichkeiten nutzen, die uns Gott mit der Einrichtung der Kinderbibelwoche in unserer Gemeinde gegeben hat. Ja, tut alles ohne Murren und Zweifel – vertraut darauf, dass Gott seinen Segen auf das legen wird, was Seinem Willen entspricht!

Wenn wir uns so an Gottes Willen orientieren, wenn wir einfach handeln ohne zu murren und zu zweifeln – dann können wir allerdings nicht damit rechnen, dass wir damit in unserer Umgebung auf Begeisterung stoßen. Das war schon damals zur Zeit des Apostels Paulus so, und das ist auch heute noch genauso der Fall. Wenn wir uns einsetzen für Flüchtlinge, denen die Abschiebung droht, dann müssen wir damit rechnen, gerade auch von Kreisen, die sich christlich nennen, schief angeschaut, ja, auch angegriffen und verleumdet zu werden. Und wenn wir nun in den kommenden Wochen wieder unsere Zelte vor der Kirche aufbauen, dann müssen wir wieder damit rechnen, dass die Nachbarn sich aufregen und der Polizei mal wieder melden, dass wir hier ein illegales Flüchtlingslager errichten. Verdorbenes und verkehrtes Geschlecht – so nennt der Apostel Paulus diejenigen, die in ihrem Leben nur um sich selber kreisen, um ihren eigenen Vorteil, denen es nichts ausmacht, wenn Menschen in den Tod geschickt werden, wenn man damit nur die eine oder andere Wählerstimme sammeln kann oder nicht in die Gefahr gerät, sein Brot mit den Hungrigen gemeinsam brechen zu müssen. Ja, verdorbenes und verkehrtes Geschlecht – so nennt der Apostel Paulus die, die keinen Zugang zur frohen Botschaft von Jesus Christus haben und sich darum nicht mitfreuen können, wenn Kindern eben diese frohe Botschaft nahegebracht wird.

Ja, lassen wir uns dadurch nicht irritieren, wenn wir merken, dass wir in der Tat ganz anders ticken als so viele andere Menschen in unserer Umgebung. Unser Maßstab ist nicht, was die Mehrheit denkt, auch nicht, was andere über uns denken. Unser Maßstab ist allein das Wort des Lebens, wie Paulus es hier formuliert, das Wort Gottes, das nicht allein den Weg zum Leben weist, sondern dieses Leben selber schenkt, das Evangelium von Jesus Christus, dem Licht der Welt.

An diesem Wort des Lebens sollen wir festhalten, so betont es St. Paulus hier, sollen uns davon durch nichts und niemand abbringen lassen – nicht durch die Meinung anderer und auch nicht durch unsere eigenen Zweifel und Bedenken. Ja, alles, was wir hier in unserer Gemeinde tun, sei es nun die Arbeit mit Flüchtlingen, sei es die Kirchenasylarbeit, sei es die Arbeit mit den Kindern auf der Kinderbibelwoche und darüber hinaus, all dies hat nur eine Verheißung, wenn wir immer wieder festhalten am Wort des Lebens, wenn dieses Wort des Lebens im Zentrum all dessen steht, was wir in unserer Gemeinde tun. Dieses Wort allein kann uns davor bewahren, dass wir in unserer Gemeinde letztlich doch nur Aktionismus betreiben, und sei er noch so gut gemeint. Dieses Wort allein kann uns dann in unserer Arbeit auch nach außen strahlen lassen.

„Lichter in der Welt“ sind wir, als Lichter in der Welt strahlen wir, so übersetzt Martin Luther. Man könnt auch übersetzen: Lichtträger oder auch: Sterne, die in der Dunkelheit leuchten. Lichter sind wir in der Welt, nicht um all das, was in dieser Welt geschieht, ein wenig zu illuminieren und zu verzieren. Sondern Lichter sind wir, an denen andere sich orientieren können, ja, die andere dann auch anziehen – nicht weil wir selber solche großen Leuchten wären, sondern weil in unserer Mitte, ja in uns Christus selber, das Licht der Welt, das Licht des Lebens scheint. Wir selber bekommen das in aller Regel gar nicht mit, und das ist auch gut so, das sollen wir auch gar nicht. Aber wir sollen dann eben auch nicht überrascht sein, wenn andere uns als solche Lichter wahrnehmen, wenn sie dann auch einfach zu uns kommen und da sind. Weisen wir sie dann immer wieder auf den hin, der in unserer Mitte leuchtet, führen wir auch sie an dieses Licht heran!

Bringt das alles überhaupt etwas, was wir hier tun? Menschlich gesprochen mögen wir manchmal unsere Zweifel haben, ob wir hier am Ende nicht doch vergeblich arbeiten, ob die Kräfte, gegen die wir uns immer wieder zur Wehr setzen müssen, am Ende nicht doch stärker sind als alle unsere Bemühungen. Doch, gottlob, müssen wir das nicht beurteilen, was denn nun unsere Arbeit am Ende bringt, welche Früchte am Ende tatsächlich bleiben. Herausstellen wird sich das alles einmal am Tag Christi, so betont Paulus hier, an dem Tag, an dem Christus mit seinem Licht einmal bis in die letzten Winkel der Dunkelheit hineinleuchten wird, an dem Tag, an dem in diesem Licht vieles noch einmal ganz anders erscheinen wird, als wir Menschen es im Augenblick noch wahrnehmen. Halten wir darum immer wieder nur fest am Wort des Lebens, tun wir, was wir als Willen Gottes erkannt haben! Am Ende wird Christus urteilen und entscheiden – derselbe Christus, der für uns alle am Kreuz gestorben ist, damit unsere Zukunft nicht von unserem Tun, nicht von unseren Erfolgen abhängt, sondern allein von seiner Vergebung. Und eben darum ist unsere Arbeit nicht umsonst. Ja, eben darum wollen wir unsere Arbeit hier in der Gemeinde fortführen, wie es nach unseren Kräften möglich ist. Es geht doch Christus, dem wiederkommenden Herrn, entgegen! Amen.

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