Psalm 66,1-12 | Mittwoch nach Jubilate | Pfr. Dr. Martens

Können wir den Gottesdienst nicht etwas kürzer halten? Können wir das gottesdienstliche Programm nicht ein wenig zusammenstreichen? Was müssen wir beispielsweise so viel singen? Können wir darauf nicht ganz gut verzichten? Was müssen wir denn nun immer wieder Gott loben? Der weiß doch langsam sicher schon ganz genau, wie gut und wunderbar er ist. Dafür müssen wir nicht extra noch zusätzliche Minuten hier in der Kirche opfern!

Schwestern und Brüder, solche Gedanken mögen uns nicht nur den Kopf gehen; sie leiten und bestimmen uns oftmals mehr, als wir es ahnen. Wie oft habe ich schon Diskussionen über die Zahl der Liedverse im Gottesdienst geführt – und so mancher Gottesdienstteilnehmer löst das Problem auf seine Weise, meint, dass es doch auch reicht, erst dann zum Gottesdienst zu kommen, wenn das große Singen und Frohlocken am Anfang des Gottesdienstes schon vorüber ist.

Nun werden wir im Wochenpsalm dieses Sonntags, der diesem Sonntag auch seinen Namen gegeben hat, ausdrücklich zum Jauchzen, zum Jubeln aufgefordert. Und so wollen wir uns diesen Psalm heute Abend mal etwas genauer anschauen, um zu erkennen, warum das mit dem Gotteslob im Gottesdienst nicht überflüssig ist, warum wir darauf nicht verzichten können.

Um es ganz kurz auf den Punkt zu bringen: Genau das ist der letzte Sinn und das letzte Ziel unseres Lebens, ja des Lebens aller Menschen, ja mehr noch: der gesamten Schöpfung: Gott zu loben. Das Ziel und der letzte Sinn meines Lebens besteht nicht darin, möglichst viele Events mitgenommen zu haben, möglichst viel gesehen und ausprobiert zu haben, möglichst viele Freunde zu haben, möglichst viel Geld verdient zu haben. All das wird einmal der Vergangenheit angehören, wird einmal nicht mehr von Bedeutung sein. Doch eins wird bleiben – in alle Ewigkeit: Dass ich Gott loben werde, dass ich gemeinsam mit Menschen aus allen Ländern und Sprachen den Gott bejubeln werde, der mich geschaffen, gerettet und zum ewigen Leben geführt hat.

Es wäre also geradezu absurd, wenn wir genau das aus dem Gottesdienst streichen und herauswerfen würden, was doch die letzte Bestimmung unseres Lebens ausmacht. Dafür bin ich da, dafür bin ich geschaffen: um mich über Gott zu freuen und das, was er für mich getan hat und tut.

Und darin bin ich eben niemals allein: Das Lob Gottes, der Jubel über Gott verbindet mich mit so vielen anderen Menschen. Es ist spannend, wie schon hier im Alten Testament, im 66. Psalm, alle Völker zum Lob Gottes, zum Lob des Gottes Israels, aufgefordert werden. Das war schon den Israeliten damals ganz klar, dass das Lob des Schöpfers und des Herrn der Welt niemals bloß auf ein Volk, auf eine Gruppe von Menschen beschränkt sein kann, sondern dass alle Völker, alle Menschen dazu geschaffen sind, Gott zu loben. In einer Zeit, in der Menschen sich immer mehr auf ihre eigene Nation zurückbeziehen, in der Menschen verschiedener Nationen und Sprachen sich immer mehr voneinander abschotten und sich anfeinden, setzt der 66. Psalm genau das richtige Gegengewicht: Alle Völker sollen eins werden im Lob Gottes. Und eben davon erfahren wir hier in unserem Gottesdienst schon etwas, wenn Menschen, die aus so unterschiedlichen Ländern und Kulturen stammen, doch gemeinsam in das Lob Gottes einstimmen und wir merken, dass uns dieses Gotteslob viel mehr verbindet als ein gemeinsamer Ausweis, ja selbst als eine gemeinsame Sprache.

Und worüber jubeln wir nun? Warum loben wir Gott? Damals besangen die Israeliten das entscheidende Ereignis ihrer Geschichte – ihre Rettung aus Ägypten durch das Schilfmeer hindurch, ihren Zug in die Freiheit. Wenn Gott gelobt wird, dann also nicht einfach dafür, dass er nun mal so groß ist. Sondern er wird gelobt als der Retter, als der, der in unsere Geschichte eingreift und in ihr tätig wird. Er wird gelobt als ein Gott, dessen Handeln an einer bestimmten Stelle in der Weltgeschichte doch zugleich Auswirkungen hat für alle Völker, für die ganze Welt. Und so ist es eben auch bei uns: Wenn wir hier zusammenkommen und Gott loben, dann loben wir ihn eben deshalb, weil er seine Rettung des Volkes Israel aus den Händen der Ägypter noch einmal unermesslich überboten hat, als er seinen Sohn Jesus Christus vom Tod erweckt hat, als er den größten Feind der Menschheit überhaupt, den Tod, besiegt und in seine Schranken gewiesen hat. Das kann gar nicht oft genug gefeiert werden, das kann gar nicht oft genug gelobt und besungen werden. Das kann man nicht bloß einmal zur Kenntnis nehmen und abhaken – sondern das soll die Grundmelodie unseres Lebens sein, dass wir immer wieder gemeinsam darüber jubeln, dass Christus den Tod besiegt hat, dass Gott in unserer Menschheitsgeschichte ein für alle Mal etwas getan hat, was Auswirkungen hat auf uns Menschen bis zum heutigen Tag, Auswirkungen, die bis in die Ewigkeit reichen.

Ja, die Lieder, die wir singen, sind immer wieder Siegeslieder, Lieder, die wir auch und gerade dann singen, wenn es menschlich gesprochen so aussieht, als ob wir die Verlierer wären, als ob wir gar keinen Grund zum Singen hätten. Wir singen von Christus, unserem Herrn, von seinem Sieg, auch an Gräbern geliebter Menschen, wenn der Tod scheinbar das letzte Wort hatte. Wir singen von Christus, unserem Herrn, auch wenn der deutsche Staat uns in die Ecke drängt und Unwahres über viele von euch behauptet. Wir singen von Christus, unserem Herrn, auch mitten in aller Not und Bedrängnis.

Denn das ist das Dritte, was wir wissen müssen, warum wir eigentlich hier zusammenkommen und singen. Was Gott damals getan hat, das wirkt sich auch heute noch in unserem Leben aus. Die Israeliten sangen damals den Psalm viele hundert Jahre, nachdem Gott ihre Vorfahren aus Ägypten gerettet hatte. Sie sangen den Psalm, obwohl sie selber in ihrem Leben so viel Schweres erfahren hatten, obwohl sie selber in ihrem Leben oft in aussichtslosen Lagen gewesen waren. Aber sie wussten: Der Gott, der einst ihre Vorfahren gerettet hatte, der würde auch sie nicht im Stich lassen. Und so singen auch wir im Gottesdienst von dem Gott, der es bei uns persönlich in unserer Taufe hat Ostern werden lassen, der uns auch durch manches dunkle Tal hindurchführt – und von dessen Liebe uns doch nichts und niemand trennen kann. Und wir singen dann eben doch auch immer wieder davon, was wir schon an Hilfe und Bewahrung durch ihn in unserem Leben erfahren haben.

Wie schön, dass wir uns mit den Erfahrungen unseres Lebens immer wieder in diese Worte des 66. Psalms bergen dürfen, dass wir immer wieder mit ihm beten dürfen: Ja, Herr, du hast auf unsern Rücken eine Last gelegt, wohl wahr. Du hast Menschen über unser Haupt kommen lassen, wohl wahr, manchmal so viele, dass wir es kaum noch aushalten konnten. Wir sind in Feuer und Wasser geraten, wohl wahr, wir wussten manchmal wirklich nicht mehr, wie es mit uns weitergehen soll. Aber du hast uns herausgeführt und uns erquickt. Ja, Gott sei Dank, auch das ist immer wieder wahr gewesen und wird wahr bleiben. Darum jauchzt Gott, alle Lande! Lobsinget zur Ehre seines Namens; rühmet ihn herrlich – und nicht zu knapp, auch in diesem Gottesdienst! Amen.

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