Römer 11, 32-36 | Trinitatis | Pfr. Dr. Martens

Wenn ich abends in mein Arbeitszimmer komme, finde ich fast jeden Tag in der Fülle der E-Mails auch eine Reihe von Presseanfragen: Wir haben gehört, dass bei Ihnen so viele Muslime getauft werden. Können wir kurz mal bei Ihnen vorbeikommen, ein paar Taufen filmen, ein Interview mit Ihnen führen und ein Gespräch mit ein paar bedrohten Christen führen, möglichst auf Deutsch, und das alles in zwei Stunden?

Ja, schnell mal ein paar Informationen zusammenstellen, schnell mal einen Eindruck von der Arbeit hier in unserer Gemeinde schildern – so läuft die Arbeit nicht weniger Medienvertreter heutzutage ab. Denn genau so werden eben heutzutage auch viele Themen in der öffentlichen Diskussion behandelt: Schnell ein paar Schlagworte, schnell ein paar Gedanken und Eindrücke – und schon hat man das Thema abgehakt.

Nicht anders geht es oftmals zu, wenn Menschen sich heutzutage mit dem Thema „Gott“ befassen. Mit ein paar kurzen knappen Bemerkungen meint man, mit diesem Thema fertig werden zu können: „Wenn es Gott gäbe, warum gibt es dann all das Leid auf dieser Welt?“ „Der liebe Gott wird das alles schon nicht ganz so eng sehen.“ „Alle Menschen glauben ja doch an denselben Gott.“ Tiefere, längere Gespräche zu dem Thema sind hingegen nicht unbedingt erwünscht. Eher ist man oftmals dazu bereit, sich über seine sexuellen Vorlieben auszutauschen als darüber, was einem denn nun persönlich Gott in seinem Leben bedeutet. Kurz mal das Thema streifen ist noch okay – aber zu lange sollte man sich mit dieser Materie denn doch nicht befassen, wenn man denn überhaupt noch auf die Idee kommt, sich mit solch einer exotischen Materie zu beschäftigen!

Um Gott geht es auch an diesem Trinitatissonntag, ganz klar. Doch wer sich nun von dieser Predigt einfach nur ein paar schnelle, eingängige Sprüche über Gott erhofft, ein wenig Fast Food für die Seele, den muss ich enttäuschen. Denn in der Epistel des heutigen Festtags ruft kein Geringerer als der Apostel Paulus selber ganz laut „Stopp!“ – oder, wie er es selber formuliert: „O!“ Ja, dringend nötig haben auch wir dieses „O!“ – dieses Innehalten, wenn wir von Gott sprechen und über Gott nachdenken. Das können wir nicht schnell mal nebenbei. Da tun wir gut daran, wieder neu das Staunen zu lernen, das Staunen darüber, wer Gott eigentlich ist und was es eigentlich bedeutet, dass wir von ihm, über ihn reden können. Ja, genau darum soll es in dieser Predigt gehen, dass ihr alle miteinander am Ende dieses Gottesdienstes mit solch einem „O!“ in euren Herzen und auf euren Lippen nach Hause geht – mit diesem fröhlichen Staunen darüber, dass wir es mit einem lebendigen Gott zu tun haben, der wahrlich nicht für kurze, schnelle Smalltalks dient. Und so wollen wir dieses „O!“ nun Schritt für Schritt in dieser Predigt wieder neu einüben:

Beginnen wir zunächst einmal damit, uns die Welt anzuschauen, die uns umgibt. Beginnen wir damit, darüber zu staunen, wie eine jede Zelle unseres menschlichen Körpers aufgebaut ist, wie genial nicht nur diese Zelle selber funktioniert, sondern wie sie in sich gleichsam einen kleinen Computer trägt, der programmiert ist und ausführt, was ihm eingeprägt worden ist – ein Bauprogramm für einen ganzen Menschen in mikroskopischem Format. Durch Zufall soll diese Zelle letztlich entstanden sein? Wer sich Zeit nimmt, darüber nachzudenken, dem wird wieder neu aufgehen, was der Apostel Paulus hier in der Epistel schreibt: Durch ihn, Gott, sind alle Dinge. Du bist kein Produkt des Zufalls. Gott hat dich und einen jeden Menschen so geschaffen, wie du bist, wie er oder sie ist. Das gibt dir deinen Wert und deine Würde, die dir niemand rauben kann. Und dann schaue hinaus ins Weltall, beginne einmal, die Dimensionen zu erahnen, die auch heute mit den modernsten Teleskopen noch nicht einmal ansatzweise erfasst werden kann. Ein Staubkorn ist unsere Erde im Vergleich zu den Welten, die sich uns immer mehr erschließen, je länger und je mehr wir forschen. Und dann beginne einmal zu ahnen, was es bedeutet, dass unsere Erde unendlich mehr ist als bloß solch ein Staubkorn, was es bedeutet, dass du Gott wichtig bist, dass er dich bei deinem Namen ganz persönlich angesprochen hat und auch weiter anspricht. Zu ihm sind alle Dinge, betont der Apostel. Alles, was wir in unserem Leben erfahren, läuft letztlich auf eben dies Ziel zu, dass wir dem begegnen, der zu uns gekommen ist, um uns ein Leben in seiner Gemeinschaft zu schenken. Er, der die unendlichen Tiefen des Weltalls geschaffen hat, ist nicht einfach jenseits dieser Tiefen zu vermuten, sondern ist hier und jetzt am Werk in unserem Leben, in dieser Welt; ja, wirklich alle Dinge sind auch durch ihn. Ja, nimm dir heute am Trinitatissonntag einfach mal Zeit, darüber auch nach dem Gottesdienst noch nachzudenken, was es heißt, dass Gott dein Schöpfer ist, dass von ihm und durch ihn und zu ihm alle Dinge sind, jawohl, alles, was du in deinem Leben bist und erfährst. Nein, das geht nicht schnell mal. Da muss man schon innehalten und schlicht und einfach „O!“ sagen!

Und dann mache dir Gedanken darüber, dass dieser Gott, der die ganze Welt, der auch dich geschaffen hat, auch der Herr der Geschichte ist, dass er seine Pläne auch und gerade da durchsetzt, wo wir selber überhaupt keinen Sinn in diesen Wegen erkennen können, die er uns führt. Ach, wie viele Vorschriften haben wir Menschen in unserer Menschheitsgeschichte schon Gott gemacht, wie er als anständiger Gott zu handeln und zu reagieren habe! Doch Gott kümmert sich nicht um die Pläne, die wir schmieden; er weiß, wie er auch aus all dem Unheil, das Menschen anzurichten vermögen und von dem so viele auch hier in unserer Gemeinde betroffen sind, doch immer noch Gutes zu schaffen vermag.

Ja, so darfst auch du staunend im Blick auf dein Leben feststellen: Gott ist schon in meinem ganzen Leben am Werk gewesen. Der hat nicht erst angefangen, sich mit mir zu beschäftigen, als ich aus dem Iran oder aus Afghanistan hierher nach Deutschland gekommen bin. Sondern der war schon bei dir, hat dich geführt und geleitet schon damals in deiner Heimat, als du vielleicht noch gar keine Ahnung von ihm, dem lebendigen Gott, hattest. Der war bei dir und hat dich auf oftmals schwer begreiflichen Wegen geführt und geleitet. Und der ist auch jetzt bei dir, auch wenn du ihn immer noch nicht verstehen und begreifen kannst. „Wir wissen, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen“, so schreibt es der Apostel Paulus einige Kapitel zuvor in seinem Brief an die Römer. Alles hat Gott in seiner Hand, alles hat er im Blick – auch deine Frustration und deine Trauer, dein Unverständnis gegenüber  dem, was er dich in deinem Leben so alles erfahren lässt. Ja, deine ganze Lebensgeschichte hat mit Gott zu tun, ist ein mehr oder weniger langer Anmarschweg dahin gewesen, wo Gott dich in seine Arme genommen, dich zu seinem Kind gemacht hat.

 Und damit sind wir schon bei dem dritten ganz großen „O!“, das wir angesichts dessen sprechen dürfen, wofür uns der Apostel Paulus hier die Augen öffnet:

Ein ganz großes Wort sagt der Apostel hier gleich zu Beginn unserer Lesung: „Gott hat alle eingeschlossen in den Ungehorsam, damit er sich aller erbarme.“

Wir feiern heute das Trinitatisfest, das Fest der Allerheiligsten Dreifaltigkeit. Für viele Menschen in unserem Land ist das Bekenntnis zu dem dreieinigen Gott so weit weg, dass sie damit nicht mehr das Geringste anfangen können. Und für viele Muslime ist dieses Bekenntnis zu dem dreieinigen Gott einer der größten Anstöße in Bezug auf den christlichen Glauben überhaupt. Ja, was feiern wir eigentlich an diesem Trinitatisfest, was glauben wir da eigentlich als Christen?

Nein, wir glauben nicht eine selbstgebastelte Lehre, sondern wir stammeln staunend nach, wie Gott sich selber in Jesus Christus uns Menschen zu erkennen gegeben hat. Durch ihn allein wissen wir um ihn, den dreieinigen Gott. Und Paulus macht hier nun in atemberaubender Weise deutlich, wer dieser dreieinige Gott eigentlich ist: Er ist ein Gott, der sich aller erbarmt. Nun wird auch Allah gleich im allerersten Vers des Koran als „Allerbarmer“ bezeichnet. Doch wenn man einmal genauer hinschaut, ist damit etwas ganz anderes gemeint, als was der Apostel Paulus hier schreibt: „Allerbarmer“ meint im Koran, dass Allah jedem Menschen die Möglichkeit gibt, von seinem falschen Weg umzukehren und den Weisungen des Islam zu folgen. Tut er dies nicht, so ist es mit der Barmherzigkeit bei Allah dann auch wieder vorbei. Paulus hingegen schildert uns, wie Gott allen Ernstes einen Weg mit uns Menschen geht, wie er nicht bloß im Jenseits verharrt, sondern selber in unsere Welt, in unser Leben kommt, wie er sich selber mit seiner ganzen Existenz einbringt – nur mit diesem einen Ziel: tatsächlich sich aller zu erbarmen. Ja, Gott will, dass alle Menschen gerettet werden. Darum sendet der Vater den Sohn in die Welt, um die Welt mit sich zu versöhnen. Darum sendet der Sohn den Heiligen Geist, damit Menschen an ihn, Jesus, als ihren Herrn und Retter glauben können. Der Heilige Geist führt die Menschen in die Gemeinschaft mit Jesus Christus, und er, der Sohn des Vaters, führt die Menschen in die Gemeinschaft mit Gott, dem Vater, der mit dem Sohn und dem Heiligen Geist eins ist. Es ist eine einzige große Bewegung der Liebe, die wir beschreiben, wenn wir von ihm, dem dreieinigen Gott, sprechen: Gott bewegt sich auf uns Menschen zu, umfängt uns und zieht uns an sein Herz.

Und diese Liebesbewegung wird eben auch und gerade dadurch nicht in Frage gestellt, dass unsere Lebenswege oft gar nicht glatt und gradlinig erscheinen, dass wir von diesem liebevollen Umarmen Gottes erst einmal gar nichts spüren. Auch Umwege und Irrwege haben ihren Platz in Gottes Plan für unser Leben – auch auf solchen Wegen kann und will uns Gott in seine Gemeinschaft holen und ziehen. Nein, versuchen wir ja nicht, das nun alles systematisch zu klären und zu erklären! Bleiben wir einfach bei dem großen „O!“, dem großen Staunen über ihn, den dreieinigen Gott, der in seinem tiefsten Wesen die Liebe ist, die Liebe, die nicht für sich bleiben will, sondern ihre Geschöpfe in ihre Gemeinschaft zieht! Staunen wir so über ihn, den dreieinigen Gott, dass wir ihn immer wieder voller Freude anbeten, voller Freude das „Ehre sei dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist“ sprechen – nein, eben gerade nicht als Formel, sondern als jubelnder Lobpreis des einen Gottes, der sich selbst uns hingibt, um sich unser aller zu erbarmen. Anbetung braucht Zeit, lässt sich nicht schnell mal mit einem Satz erledigen. Anbetung geht nicht „kurz mal“, auch und gerade nicht hier im Gottesdienst. Mensch, Gott will sich auch deiner erbarmen – da kannst du nicht schnell wieder zur Tagesordnung übergehen! Da tust du gut daran, zu singen, zu beten – und diesen sich erbarmenden Gott mit deinem Mund zu empfangen im Heiligen Mahl. Immer weiter wirst du so ins Staunen geraten – bis du einmal aus dem Staunen endgültig gar nicht mehr herauskommen wirst, wenn du ihn, diesen Gott, der die Liebe ist, einmal selber schauen wirst. Das ist das Ziel, das ist die Bestimmung deines Lebens. Das will Gott für dich. Ihm sei Ehre in Ewigkeit! Amen.

Zurück