Römer 1,18-25 | Mittwoch nach Jubilate | Pfr. Dr. Martens

„Ich finde Gott in der Natur!“ – Wahrscheinlich habt ihr solche und ähnliche Äußerungen auch schon in eurem Bekanntenkreis gehört, nicht zuletzt auch als Begründung dafür, warum man den Sonntagmorgen dann doch lieber im Grunewald als in der Kirche verbringt.

„Ich finde Gott in der Natur!“ – Ja, das legt sich in diesen Tagen und Wochen ganz besonders nahe, in der die Natur wieder neu zu grünen und zu blühen beginnt und man sich an der Schönheit der Natur nach der langen Winterzeit gar nicht satt sehen kann. Die allerschönsten, erhebendsten Erfahrungen in der Natur habe ich vor einigen Jahren bei einer Reise durch Nepal gemacht: Unvergesslich der Sonnenaufgang über dem Phewa-See bei Pokhara, die Wanderungen am Fuße des Himalaya, der Blick auf den Mount Everest. Da konnte einem beim Anblick dieser überwältigenden Natur tatsächlich ganz religiös ums Herz werden. Und nun sehen wir im Fernsehen die Bilder aus demselben wunderschönen Nepal, sehen die Bilder von Tod und Zerstörung, von den entsetzlichen Folgen eines schweren Erdbebens, das diesen so schönen Fleck Erde so grausam verwüstet hat. Herbert Grönemeyer macht es sich eben doch zu einfach, wenn er singt: „Die Erde ist freundlich, warum wir eigentlich nicht?“ So freundlich ist die Erde eben doch nicht, und so eindeutig ist das Bild, das wir uns aufgrund unserer Naturerfahrungen von Gott machen können, eben auch nicht. Wenn wir nur auf die Natur blicken, dann bleibt sie bestehen, die Frage: Was ist das denn für ein Gott, an den wir glauben sollen? Dass es ein liebender Gott ist, können wir aus der Natur nicht unbedingt ersehen, auch wenn uns bei dem einen oder anderen Sonnenuntergang mal ganz warm uns Herz werden sollte.

Eines ist allerdings richtig, so macht es uns der Apostel Paulus in der Predigtlesung dieses heutigen Abends deutlich: „Gottes unsichtbares Wesen, das ist seine ewige Kraft und Gottheit, wird seit der Schöpfung der Welt ersehen aus seinen Werken.“ Und daran hat sich in den letzten 2000 Jahren auch nichts geändert. Ich muss kein Christ sein, um zu erahnen, dass es wohl doch etwas sehr weit hergeholt ist, die komplizierten Strukturen des Lebens auf dieser Erde als Produkte des reinen Zufalls erklären zu wollen. Ich muss kein Christ sein, um bei der Frage, warum überhaupt diese Welt, warum überhaupt etwas existiert, ins Nachdenken zu kommen. Nein, natürlich können wir einem Atheisten nicht die Existenz Gottes anhand der Schöpfung demonstrieren. Aber wir haben sehr wohl Anlass dazu, davon zu sprechen, dass wir etwas von der gewaltigen Kraft und Gottheit Gottes erahnen, ja ersehen können, gerade wenn wir uns anschauen, was die moderne Naturwissenschaft in den letzten Jahren und  Jahrzehnten an neuen Erkenntnissen geliefert hat.

Doch damit, Schwestern und Brüder, sind wir eben nun noch nicht am Ziel, so macht es uns der Apostel Paulus hier in unserer Predigtlesung sehr eindrücklich deutlich. Es geht in der Verkündigung des christlichen Glaubens nicht bloß darum, dass wir anerkennen, dass es da oben irgendwo einen Gott gibt und dass es auch vernünftig ist anzunehmen, dass sich da oben nicht ein ganzer Familienclan von Göttern herumtummelt, sondern dass es nur einen Gott gibt, der der Schöpfer der ganzen Welt ist. Auf die Anerkennung dieses einen Gottes läuft ja im Wesentlichen die Verkündigung des Korans hinaus: Hauptsache, wir erkennen an, das Allah überaus groß ist.

Doch Paulus geht hier weiter. Er macht deutlich: Gerade weil wir Menschen aufgrund der Schöpfung ahnen, ja, ersehen können, dass es Gott, den Schöpfer, gibt, haben wir keine Entschuldigung. Wir können nicht so tun, als wüssten wir nicht, dass es Gott den Schöpfer gibt. Gewiss, Paulus selbst schränkt hier schon ein: Wir Menschen können aus der Schöpfung Gottes Gottheit ersehen, „wenn man sie wahrnimmt“. Ich kann meine Augen vor der Schöpfung und dem Schöpfer verschließen, weil ich ahne, dass das mein Leben verändern, in Frage stellen würde, wenn ich damit rechnen müsste, dass es da jemanden gibt, dem ich mein Leben verdanke und der mich darum auch einmal nach meinem Leben fragen wird. Und genau das machen eben so viele Menschen, dass sie vielleicht sogar zu besonderen Anlässen vom lieben Gott sprechen, dass sie es aber in ihrem Leben ansonsten überhaupt nicht ernst nehmen, dass Gott wirklich Gott ist, dass er ein Recht darauf hat, die Nummer eins in unserem Leben zu sein, dass er ein Recht darauf hat, dass wir unser Herz ganz an ihn hängen und an niemanden und nichts anderes sonst.

Und spätestens an dieser Stelle merken wir, dass wir selber nicht in der Position sind, dass wir mit dem Finger auf andere zeigen und den Kopf darüber schütteln können, wie die anderen bloß so dumm sein können, nicht an Gott zu glauben. Kein Mensch ist dazu in der Lage, sich vor Gott selber entschuldigen zu können, so schließt der Apostel Paulus seine Argumentation hier am Ende ab. Alle Menschen, ohne Ausnahme, stehen unter dem Zorngericht Gottes, weil niemand behaupten kann, mit seinem Leben Gott als den Schöpfer und Richter so anerkannt zu haben, wie es ihm gebührt. Ja, natürlich kann man auch heute reichlich Beispiele aus dem Bereich des 6. Gebots dafür anführen, dass Menschen Gott als den Schöpfer nicht ehren und ernst nehmen, angefangen schon mit der heutigen Gender-Ideologie, die grundsätzlich in Frage zu stellen versucht, dass Gott den Menschen als Mann und Frau geschaffen hat. Aber es geht eben letztlich in allem um das 1. Gebot, darum, ob wir unser Herz mehr an Geld und Besitz, an andere Menschen hängen als an Gott, ob wir Gott nur benutzen, um unseren eigenen Vorteil im Leben zu sichern, ob wir in unserem Sorgen immer wieder um uns selber kreisen und uns selber mehr zutrauen als Gott und seiner Fürsorge für uns. Und Paulus kann die Folgen dieses Kreisens um uns selbst dann in den Versen nach unserer Predigtlesung auch noch einmal sehr viel deutlicher benennen, wenn er Tratsch und Verleumdung, Hochmut, fehlenden Respekt vor den Eltern und Unbarmherzigkeit als Beispiele anführt. Ja, mit all dem laden wir uns Gottes Gericht auf den Hals, so betont es der Apostel.

Ja, Gottes Gericht steht uns noch bevor, so macht es uns der Apostel deutlich. Aber, so zeigt er es uns zugleich: Gottes Strafgericht beginnt jetzt schon, erweist sich darin, dass Gott uns Menschen das tun lässt, was wir gerne wollen. Was wir für einen Ausdruck besonderer Freiheit halten mögen, als Überwindung überkommener Tabus, kann in Wirklichkeit sehr wohl Ausdruck von Gottes Gericht über uns Menschen sein, dass er uns nicht daran hindert, zu tun, was uns schadet, ja, uns letztlich den Tod einbringt.

Wo bleibt also die frohe Botschaft in den Worten unserer Predigtlesung, ja in dieser Predigt selbst? Nein, wir finden sie nicht in der Anerkennung Gottes des Schöpfers, nicht in der Unterwerfung unter ihn, wir finden sie nicht in einem Appell, uns zu bessern und moralisch anständig zu leben. Die frohe Botschaft finden wir in den Versen, die unserer Predigtlesung unmittelbar vorangehen: Das Evangelium ist eine Kraft Gottes, die selig macht alle, die daran glauben. Gott hat sich eben nicht bloß in der Natur zu erkennen gegeben, sondern zuletzt und endgültig in seinem Sohn Jesus Christus, der den Zorn Gottes für unsere Abwendung von ihm am Kreuz auf sich genommen und weggetragen hat. Ja, wie gut, dass wir uns nicht mit dem Blätterrauschen im Grunewald zufriedengeben müssen, wie gut, dass wir uns nicht mit einer Ahnung von Gott dem Schöpfer begnügen müssen, sondern durch das Evangelium in sein Herz blicken dürfen. So wenig wir Gottes Wege mit uns und mit anderen Menschen in dieser Welt oftmals begreifen können – das eine steht fest: Gottes letztes und entscheidendes Wort an uns und an alle Menschen ist das Wort seiner Liebe, das Wort, mit dem er uns in seine Gemeinschaft ruft, ja, mit dem er uns davor rettet, das Zorngericht Gottes auf uns selber zu ziehen. Dieses Wort hörst du allerdings in aller Regel nicht im Grunewald oder beim Alpenglühen, das hörst du ganz schlicht und einfach hier im Gottesdienst, hörst es in der Predigt, in der Beichte, im Heiligen Abendmahl. Es ist nicht einfach bloß eine Information. Es ist eine Kraft Gottes, die dein Verhältnis zu Gott und damit dein Leben verändert. Denn es ist derselbe Gott, der einst die Welt geschaffen hat und der jetzt in dir ein neues Herz schafft, dich zu einem neuen Menschen macht, der ewig in seiner Gemeinschaft leben darf. Lass es dir darum niemals entgehen, wenn hier im Gottesdienst Gott selber zu dir spricht – und es geschieht, was er sagt. Amen.  

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