Römer 14, 10-13 | 4. Sonntag nach Trinitatis | Pfr. Dr. Martens

Die Kirche ist kein Kaninchenzüchterverein. Mitglieder eines Kaninchenzüchtervereins sind dadurch miteinander verbunden, dass sie alle miteinander dasselbe Hobby haben. Es mag sein, dass sie einander nicht unbedingt sehr mögen, aber das ist letztlich auch nicht so wichtig. Hauptsache, man ist sich in dem gemeinsamen Hobby einig. Und wenn einem dieses Hobby oder diese Leute im Verein nicht gefallen – nun ja, dann kann man den Kaninchenzüchterverein ja immer noch verlassen.

Die Kirche ist kein Kaninchenzüchterverein. Sie ist kein Zusammenschluss von Mitgliedern mit demselben religiösen Hobby. In ihr geht es um unendlich mehr: Es geht um nicht weniger als um das ewige Heil, um die ewige Rettung. Das ist es, was diejenigen, die zur Kirche gehören, zusammenschließt. Aber eben damit bekommen auch die Konflikte, die es auch in einer christlichen Gemeinde ganz selbstverständlich gibt, noch einmal einen ganz anderen Tiefgang. Es geht hier nicht bloß um Geschmacksfragen, nicht bloß darum, ob die anderen einem sympathisch sind. Es geht in den Konflikten in der christlichen Gemeinde immer wieder ganz schnell um die Frage des Heils, darum, dass man bewusst oder unbewusst, ausgesprochen oder unausgesprochen anderen in der Gemeinde abspricht, richtige Christen zu sein – und damit Menschen zu sein, denen das Geschenk des Heils in Christus genauso gilt wie einem selber auch.

Damals zur Zeit des Neuen Testaments entzündeten sich Konflikte in der christlichen Gemeinde immer wieder an der Frage des Essens: Wie sollten sich Christen in einer heidnischen Umgebung, in der das Essen nicht selten zuvor erst einmal anderen Göttern geopfert worden war, beim Essen verhalten? Sollten sie sich beim Verzehr von Fleisch oder auch von Wein zurückhalten, um nicht den Eindruck zu erwecken, sie würden ihren eigenen Glauben verraten – oder sollten sie mit ihrem Verhalten deutlich machen, dass ein Christ sich keine Gedanken darüber machen muss, was er isst und trinkt, weil er als Christ ein freier Mensch ist? Ja, solche Konflikte in der Gemeinde konnten ganz schön in die Tiefe gehen, wenn die einen den anderen Verrat am christlichen Glauben vorwarfen und die anderen den einen, dass sie wohl noch nichts vom Evangelium von der christlichen Freiheit verstanden hätten. Jeder stellte letztlich in Frage, dass die jeweils anderen überhaupt richtige Christen waren. Und wir wissen: Solche Konflikte gab es nicht nur zur Zeit des Neuen Testaments. Die gibt es in der christlichen Gemeinde immer wieder, dass die einen meinen, ein Teil der Gemeinde würde die Aussagen der Heiligen Schrift nicht genügend ernst nehmen, während die Betroffenen behaupten, die anderen wollten aus dem christlichen Glauben wohl wieder eine Gesetzesreligion machen.

Wer ist nun ein richtiger Christ – und wer ist keiner? Ach, diese Diskussionen kenne ich auch aus unserer Gemeinde nur allzu gut. Immer wieder höre ich es, dass Glieder, die schon zu unserer Gemeinde dazugehören, fest davon überzeugt sind, dass diejenigen, die nach ihnen in die Gemeinde kommen wollen, alle gar keine richtigen Christen sind, es mit dem christlichen Glauben nicht so ernst nehmen wie sie selber.

Ach, wie aktuell sind von daher die Worte des Apostels Paulus in der Epistel des heutigen Sonntags: Er bringt die Dinge hier gleich auf den Punkt. Unser Problem als Christen besteht immer wieder darin, dass wir anfangen zu richten, über andere zu richten, Urteile zu fällen über ihr Christsein. Ja, unser Problem besteht darin, dass wir dabei immer wieder so leicht dazu geneigt sind, auf die, die wir da richten, herabzublicken, ja, überhaupt zu meinen, wir seien dazu in der Lage, in der Position, solche Urteile aussprechen zu können.

Wie reagiert der Apostel auf unsere nebenamtliche oder gar hauptamtliche Richtertätigkeit, die wir immer wieder so gerne in der christlichen Gemeinde und darüber hinaus ausüben? Auf dreierlei lenkt er unseren Blick. Er sagt:

  • Schaut auf euch selber!
  • Schaut auf den Richter!
  • Schaut auf die anderen in der Gemeinde!


I.

Zunächst einmal lenkt der Apostel unseren Blick auf uns selber: Wer sind wir eigentlich, dass wir glauben, über andere Christen, über andere Gemeindeglieder zu Gericht sitzen zu können? Ist uns das eigentlich noch bewusst, dass wir jede Sekunde unseres Lebens ganz und gar angewiesen sind auf Gottes Erbarmen, auf Gottes Vergebung, dass es keine Sekunde in unserem Leben gibt, in der wir uns über andere erheben, ihr Christsein beurteilen könnten? Bevor du anfängst, über andere Christen dein Urteil zu fällen, denke daran, dass du für alles, was du gesagt, getan, gedacht hast, einmal Gott Rechenschaft ablegen musst, dass du ganz und gar vom Erbarmen und von der Vergebung deines Herrn Jesus Christus lebst.

Ja, du magst dich darüber aufregen, dass andere in der Gemeinde ihren Glauben scheinbar nicht so ernst nehmen wie du selber. Doch was für ein selbstgewisses Urteil fällst du damit über dich selber, über deinen eigenen Glauben? Woher weißt du, dass Christus das mit deinem so ernsten und festen Glauben nicht vielleicht ganz anders sieht? Ist dir klar, dass du nicht dadurch selig wirst, dass dein Glaube besonders stark und fest ist, erst recht nicht dadurch, dass er stärker und fester ist als der Glaube anderer? Er ist es jedenfalls ganz sicher nicht, wenn du dein Urteil zum Anlass nimmst, dich aus der Gemeinschaft derer zurückzuziehen, die aus deiner Sicht nicht genügend ernsthafte Christen sind. Damit zeigst du nur, wie nötig du selber eine geistliche Vertiefung deines Glaubens brauchst! Und auch wenn du noch so fest davon überzeugt bist, das Wort Gottes der Heiligen Schrift in deinen Urteilen auf deiner Seite zu haben – denke daran, dass du dich für deine Urteile und auch deine Verurteilungen einmal vor Christus wirst verantworten müssen, dass es am Ende eben nicht auf dein Urteil, sondern auf Christi Urteil allein ankommt!


II.

Dann aber lenkt der Apostel unseren Blick von uns selber weg hin auf den, der in der Tat einmal auf dem Richterstuhl sein Urteil sprechen wird – über die, die wir meinten beurteilen zu können, aber eben auch über uns selber.

Wir würden die Worte des Apostels Paulus eben völlig missverstehen, wenn wir sie einfach nur als Plädoyer für eine grenzenlos pluralistische Kirche verstehen würden, in der jeder seine ganz eigenen Vorstellungen von Gott haben und zum Besten geben kann, weil es ja nur darauf ankommt, dass keiner den anderen verurteilt, ganz gleich was dieser andere auch sagt oder macht.

Gott wird einmal sein Urteil sprechen, und von diesem Urteil über unser Leben wird einmal unsere Zukunft, jawohl unsere ewige Zukunft ganz und gar abhängen. Es geht nicht bloß darum, ob ich mich bei meinen Vorstellungen über Gott wohlfühle, und erst recht macht Gott sich in seinem Urteil über unser Leben nicht von dem abhängig, was eine Mehrheit der Menschen für richtig und einleuchtend hält. Gott lässt uns auch nicht im Ungewissen darüber, nach welchen Maßstäben er einmal sein Urteil über unser Leben zu fällen gedenkt. Du kannst es genau nachlesen in der Heiligen Schrift. Jesus Christus sagt es dir ganz genau: Wenn du dich auf dich selber verlässt, auf deinen Anstand, auf deine guten Werke, ja auch auf deine eigene Glaubensstärke, dann bist du verloren. Gerettet, freigesprochen im letzten Gericht wirst du einzig und allein durch ihn, Christus, dadurch, dass du mit ihm verbunden bist, dass er mit seinem Wort dein Leben schon hier und jetzt bestimmt.

Bevor du also über andere Menschen, über andere Schwestern und Brüder in der Gemeinde dein Urteil fällst, stelle dich und sie gleichermaßen unter das Urteil Gottes selber, beuge vor Christus die Knie, rufe ihn als deinen Herrn und Gott an. Und stelle eben auch alles, was du anderen über die Heilige Schrift sagen willst, immer wieder neu unter dieses Urteil Gottes, wie es auch die Verfasser unserer lutherischen Bekenntnisse gemacht haben, die ganz deutlich markiert haben, dass sie alles, was sie sagen und bekennen, vor dem Richterstuhl Christi aussagen und bekennen. Nur dann bekommt alles, was wir auch in einer christlichen Gemeinde sagen, seine rechte Tiefe und seinen rechten Ernst.


III.

Und dann richtet der Apostel Paulus schließlich unseren Blick noch ganz bewusst auf den Bruder, auf die Schwester in der Gemeinde. Alles, was wir sagen und tun in der christlichen Gemeinde, soll immer wieder diesem einen Ziel dienen: Dass die Geschwister in der Gemeinde im Glauben an Christus gestärkt werden und ja nicht durch unser Reden und Verhalten abgestoßen werden, ja, vielleicht gar dadurch die Verbindung zu Christus verlieren.

Vergiss es darum nie: Es geht niemals in der Gemeinde darum, dass du Recht behältst, dass du entscheidest, wer zur Gemeinde gehören sollte, dass du durchsetzt, was du für richtig hältst. Es geht immer wieder darum, dass die Schwestern und Brüder in der Gemeinde, ja, gerade die Schwachen im Glauben, gerade die, die in ihrem Glauben vielleicht auch noch ganz am Anfang stehen, in ihrem Vertrauen auf Christus gefestigt und ja nicht irre gemacht werden. Ja, da haben wir eine ganz große Verantwortung für andere in der Gemeinde. Wenn wir den Eindruck erwecken, diese Gemeinde sei unter unserem Niveau, wenn wir auf andere herabblicken und ihnen gar ihren Glauben absprechen, dann laden wir schwere Schuld auf uns, Schuld, für die wir uns ebenfalls einmal vor Gott werden verantworten müssen. Tun wir also, was uns möglich ist, dass Christus für die Schwestern und Brüder hier in der Gemeinde immer größer und wichtiger wird, verzichten wir dafür aufs Richten und Urteilen, auch wenn es uns noch so schwer fallen mag. Denn Christus selber will doch nur dies eine – dass wir alle miteinander gerettet werden, wenn wir einmal vor Gottes Richterstuhl stehen: dass wir alle miteinander gerettet werden durch ihn, Christus, allein. Amen.

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