Römer 3, 21-28 | Gedenktag der Reformation | Pfr. Dr. Martens

Nun hat er in diesen Tagen endgültig begonnen: Der Countdown zum großen Reformationsjubiläum am 31. Oktober 2017. Die Werbemaschine für dieses große Ereignis ist allerdings bereits längst angelaufen und treibt schon jetzt so skurrile Blüten, dass man sich nur von Herzen wünschen kann, dass dieses Jubiläum möglichst bald an uns vorübergehen möge. Denn von dem, worum es Martin Luther vor 500 Jahren einmal ging, ist in all dem Wirbel, der jetzt um das Reformationsjubiläum veranstaltet wird, fast überhaupt nicht mehr die Rede. Da werden Luthertomaten, Luthernudeln und Luther als Quietscheentchen für die Badewanne angeboten; es gibt Ausstechformen für Lutherkekse und natürlich auch Lutherlikör. Ach, wie unprofessionell wurde im Vergleich dazu vor 500 Jahren der Ablasshandel aufgezogen! Doch wenn man erwartet, dass die Kirchen dem nun die eigentlichen Inhalte der Reformation entgegensetzen und die Chance nutzen, die biblische Botschaft den Menschen von heute wieder nahezubringen, dann wird man schon bald doch sehr enttäuscht werden. Da findet man auf der Seite des evangelischen Online-Magazins Chrismon zehn Reformationsbotschafter, Prominente, die man als Werbeträger für das bevorstehende Jubiläum gewonnen hat. Jeder der zehn soll auf der Seite erklären, was für ihn Reformation bedeutet. Und dann kann man lesen, dass Jürgen Klopp Martin Luther mag, weil er für die Unterprivilegierten und Ausgeschlossenen gekämpft hat oder dass Katrin Göring-Eckardt sich durch die Reformation angespornt sieht, für Gerechtigkeit, Demokratie und Freiheit einzutreten. Frauke Ludowig erklärt, für sie bedeute Martin Luther: „Immer auf der Suche zu sein nach dem, was besser ist“, während Bettina Wulff erklärt: „Für Dinge kämpfen und nicht alles klaglos hinnehmen – das verbinde ich mit Martin Luther.“  Ich vermute, dass die Stadtwerke von Wittenberg mit den Rotationen von Martin Luther in seinem Grab angesichts solcher Äußerungen über die Reformation einigen Strom zur Erleuchtung der Haushalte in der Stadt gewinnen könnten.

Die ganze Sache läuft schon völlig schief, wenn man aus dem Gedenken an die Reformation eine Art von protestantischer Heldenverehrung macht, aus Luther einen wackeren Kämpfer gegen die katholische Finsternis. Es ist mehr als nur peinlich, dass solche Vorstellungen im Jahr 2016 allen Ernstes noch salonfähig sind. Doch das eigentliche Problem reicht eben viel tiefer: In den Äußerungen der zehn Reformationsbotschafter findet sich kein einziges Wort von dem, was Martin Luther in der Heiligen Schrift als die zentrale Botschaft des christlichen Glaubens wieder neu entdeckt und verkündigt hat.

Und auf diesem Hintergrund wollen wir uns nun noch einmal die Epistel des heutigen Gedenktags der Reformation aus dem dritten Kapitel des Römerbriefs anschauen. Denn in ihr finden sich all die wichtigen Worte, um die es Martin Luther tatsächlich ging, nein, natürlich nicht nur die Worte, sondern die Inhalte der Reformation, die doch keine Gründung einer neuen Kirche oder eine Abspaltung von der katholischen Kirche war, sondern die doch nichts anderes wollte, als die Botschaft der Kirche aller Zeiten wieder neu ohne Zusätze aus dem Wort der Heiligen Schrift heraus zu verkündigen.

Welche Worte finden wir hier bei dem Apostel Paulus, die in den Äußerungen der zehn Reformationsbotschafter ohne Ausnahme fehlen?

Fangen wir ganz einfach an: In keiner einzigen Äußerung der Reformationsbotschafter ist von Gott die Rede. Doch um Gott geht es nun einmal ganz grundlegend in der Verkündigung der Kirche. Wenn ich nicht mehr von Gott rede, dann muss ich stattdessen davon reden, was wir Menschen alles tun müssen – und eben damit wird die biblische Botschaft auf den Kopf gestellt. Schwestern und Brüder: Dass Gott in den Äußerungen der zehn Reformationsbotschafter nicht vorkommt, ist auch eben leider kein Zufall. Es ist Papst Benedikt gewesen, der in seinen Reden und Ansprachen immer wieder sehr deutlich und tiefgründig darauf hingewiesen hat, dass das Grundproblem unserer heutigen Welt darin besteht, dass sie Gott vergessen hat. Und dieses Denken der Welt hat sich eben leider auch in den Kirchen immer weiter verbreitet, dass sie meinen, über alles und jedes reden zu müssen, Aufrufe zum Handeln verfassen zu müssen – und dafür oft genug so einsilbig werden, wenn es darum geht, über Gott zu reden, darüber, dass Gott nicht bloß eine religiöse Motivationshilfe ist, sondern der Herr und Richter, vor dem sich alle Menschen werden verantworten müssen. Ja, wenn wir denn den Gedenktag der Reformation feiern, dann sollte dies damit beginnen, dass die Kirchen selber Buße tun, sich wieder zurückrufen lassen zu dem, was ihr Auftrag ist, dass sie den Menschen wieder von Gott erzählen, nicht von einem Gott in Gartenzwerggestalt, sondern von dem Gott, in dessen Gegenwart sich diese eine Frage von selbst stellt: Wie kann ich in der Gemeinschaft mit diesem Gott leben – und was bedeutet es für mich, wenn ich aus dieser Gemeinschaft ausgeschlossen bin?

Und damit sind wir bei dem zweiten wichtigen Stichwort, von dem hier in unserer Predigtlesung die Rede ist und über das nicht nur die zehn Reformationsbotschafter so beredt schweigen: Von der Sünde, von den Sünden spricht Paulus hier, und wenn er davon spricht, wird sofort klar: Er hält hier keine Moralpredigt; ihm geht es nicht darum, die Menschen zu ethisch handelnden Subjekten zu erziehen. Paulus erhebt hier nicht den Zeigefinger und erklärt den Christen, dass sie nicht sündigen sollen. Sondern er stellt fest: Die Sünde ist die Grundsituation aller Menschen: Es ist hier kein Unterschied: sie sind allesamt Sünder und ermangeln des Ruhmes, den sie bei Gott haben sollten. Alle Menschen, ohne Ausnahme, haben von sich aus keine Chance, in der Gemeinschaft mit Gott zu leben – und wenn sie noch so nett und anständig sind und sich noch so viel Mühe geben. Sünde heißt nicht weniger als Trennung von Gott – und in diese Trennung werden alle Menschen schon hineingeboren. Und diese Trennung von Gott ist die Katastrophe für uns Menschen schlechthin; denn ohne Gott verfehlen wir die Bestimmung unseres Lebens, auch wenn wir uns in unserem Leben noch so wohlfühlen mögen. Natürlich können und müssen wir auch darüber reden, was für Folgen diese Abwendung von Gott ganz konkret im Leben von Menschen hat. Aber wir müssen vor allem darüber reden, wie denn nun diese Trennung von Gott überbrückt werden kann.

Und damit sind wir bei dem dritten zentralen Stichwort, um das es dem Apostel Paulus hier geht und das Martin Luther in seiner Verkündigung aufgegriffen hat: Es geht um das Stichwort „Gerechtigkeit“.

Wenn wir heute von Gerechtigkeit reden, dann meinen wir, dass jeder das bekommen soll, was er verdient hat. Und verdient hat jeder Mensch zum Beispiel dieselben Chancen, aus denen er dann selber das machen kann, was er will. Wenn die Bibel, wenn der Apostel Paulus von „Gerechtigkeit“ redet, dann ist damit etwas völlig anderes gemeint. Es geht nicht darum, dass jeder bekommt, was er verdient – glücklicherweise nicht. Denn verdient haben wir allemal die Trennung von Gott, verdient haben wir, dass wir genau das bekommen, was wir in unserem Leben immer wieder gewollt haben: Ein Leben ohne Gott, weil wir selber für uns immer wieder unser eigener Gott waren. Nein, es geht nicht darum, dass wir eine Chance bekommen bei Gott. Das wäre viel zu wenig. Wir könnten und würden diese Chance nicht in der rechten Weise nutzen, so zeigt es uns der Apostel. Doch Gott gibt uns eben nicht bloß eine Chance, sondern er macht uns gerecht, so formuliert es Paulus hier. Gemeint ist: Gott nimmt uns in seine Gemeinschaft auf, obwohl wir dies nicht verdient haben. Gott macht uns zu Menschen, die nicht aufgrund ihrer eigenen guten Werke, sondern allein aus Gnaden für immer in seiner Gegenwart leben dürfen.

Und damit sind wir bei dem nächsten entscheidenden Stichwort, um das es Paulus und der ganzen Heiligen Schrift geht, um das es von daher auch Martin Luther ganz entscheidend gegangen ist: Es geht natürlich und vor allem und zuerst und zuletzt um Jesus Christus, oder, mit den Worten des Apostels: um die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist. Und das heißt zugleich: Es geht bei Jesus Christus nicht um einen Lehrer, der uns zeigt, wie wir uns selber vervollkommnen können, wie wir immer bessere Menschen werden können. Es geht bei Jesus Christus auch nicht zuerst und vor allem um einen Vorkämpfer für die Rechte der Unterdrückten. Sondern Jesus Christus ist zuerst und vor allem der, der für unsere Sünde sein Blut vergossen hat, der, der dafür gesorgt hat, dass wir für immer in der Gemeinschaft mit Gott leben können. Einer Kirche, die von Luther und der Reformation redet und dabei Christus und seinen Tod am Kreuz nichts ins Zentrum rückt, ja vielleicht oft genug noch nicht einmal erwähnt, kann man nur bescheinigen: Thema verfehlt, setzen, sechs. Ohne Christus wird alles Reden von Freiheit, von Gerechtigkeit, von Gemeinschaft, von Frieden völlig hohl und leer. Alles, was die Kirche tut und wofür sie sich einsetzt, muss herkommen von dem, was Christus am Kreuz für uns erlitten, was er für uns durch seinen Tod am Kreuz getan hat.

Um Christus geht es. Das heißt: Es geht im christlichen Glauben nicht zuerst und vor allem um das, was wir Menschen tun und tun müssen, nicht um unsere guten Werke. Sondern es geht zuerst und vor allem um das, was Gott für uns getan hat und tut, was er uns schenkt. Wir stehen vor Gott nur mit ganz leeren Händen; wir haben nichts, was wir ihm vorweisen könnten. Und dann kommt Christus, verbindet sich mit uns, wird mit uns eins, nimmt uns auf in seine Gemeinschaft, füllt unsere leeren Hände mit seiner Gegenwart. Das ist gemeint, wenn Paulus hier sagt, dass wir gerecht werden durch den Glauben. Glaube ist nicht unsere menschliche Entscheidung, sondern die Art und Weise, wie Gottes Rettung, wie seine Gerechtigkeit bei uns ankommt. Glauben ist Gemeinschaft mit Christus, wie sie grundlegend in der Taufe geschenkt wird, wie sie heute Morgen auch Maria in der Heiligen Taufe geschenkt worden ist. Glauben ist Gemeinschaft mit Christus, die immer wieder gestiftet und geschenkt wird, wenn wir den heiligen Leib und das heilige Blut unseres Herrn empfangen im Heiligen Mahl.

Darum ging es Martin Luther, darum ging es der Reformation. Das ist keine Speziallehre einer abgespaltenen Sonderkirche. Das ist die Lehre der einen, heiligen, allumfassenden, apostolischen Kirche aller Zeiten. Sie ist heute nicht sonderlich beliebt, sie ist zumeist sogar völlig unbekannt, so sehe ich es immer wieder, wenn ich die Protokolle der Anhörungen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge lese. Nach allem Möglichem wird da gefragt, nur so wenig nach dem Zentrum, das Paulus hier beschreibt, das Martin Luther wieder neu markiert hat und das doch das Zentrum von Verkündigung und Lehre aller Kirchen ist, wenn sie denn Kirche Jesu Christi sein wollen. Nutzen wir also dieses Reformationsjubiläumsjahr, um den Menschen wieder neu nahezubringen, was die Botschaft der Heiligen Schrift eigentlich ist, warum sie heute so aktuell ist wie vor 500 Jahren. Es geht um Gott, um die Sünde, um die Gerechtigkeit Gottes, um Christus und die Vergebung der Sünden, um den Glauben. Es sind nicht die Themen, die die Menschen in unserem Land unbedingt von vornherein interessieren. Aber es geht eben nicht darum, ob die Menschen diese Botschaft interessiert. Sie gilt eben auch ihnen, auch wenn sie davon nichts wissen wollen. Wie gut, dass so viele hier in unserer Gemeinde genau das wissen, was das Zentrum des christlichen Glaubens ist! Und so hoffe ich, dass wir hier in unserer Gemeinde im kommenden Jahr viele hundert Reformationsbotschafter haben werden – Menschen, die nicht für Luther Werbung machen und erst recht nicht für Luther-Quietscheentchen, sondern für Christus, Menschen, die andere Menschen einladen, weil sie wissen: Es geht hier nicht bloß um eine Touristenattraktion; es geht um unser aller Leben, um das ewige Leben. Lassen wir uns von diesem Thema durch nichts und niemanden abbringen! Amen.

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