Römer 4,18-25 | Mittwoch nach dem 16. Sonntag nach Trinitatis | Pfr. Dr. Martens

„Seit ich Christ geworden bin, hat sich alles in meinem Leben geändert. Die ganzen Probleme, die ich vorher hatte, sind jetzt alle weg. Alles, was vorher in meinem Leben so schlecht lief, läuft jetzt richtig gut. Ich habe erfahren, wie Jesus meine Gebete hört, dass er wirklich lebt und bei uns ist!“

Schwestern und Brüder: Solche Äußerungen habe ich schon öfter von Gliedern unserer Gemeinde gehört, und ich gestehe, ich bin immer ein wenig zwiegespalten, wenn ich sie höre. Auf der einen Seite freue ich mich natürlich, freue mich darüber, wenn es einem Gemeindeglied auch mal richtig gut geht, wenn ihm Lasten von den Schultern genommen worden sind. Ja, ich freue mich natürlich auch darüber, dass das Gemeindeglied all dies nicht als selbstverständlich ansieht, erst recht nicht als Ergebnis eigener Bemühungen, sondern als Gabe und Geschenk unseres Herrn Jesus Christus. Und ein wenig ärgere ich mich auch über meinen typisch deutschen Kleinglauben, der dem Herrn Christus oftmals so wenig zutraut und ihn so leicht aus bestimmten Gebieten des Lebens ausklammern will, als ob er für sie nicht zuständig wäre und dort nichts erreichen könnte. Aber andererseits höre ich solche Bekenntnisse auch immer mit einer gewissen Sorge: Hängen diejenigen, die mir solche Geschichten voller Freude berichten, nicht am Ende ihr Herz, ihren Glauben doch zu sehr daran, dass in ihrem Leben alles so läuft, wie sie es sich vorstellen? Und was ist, wenn Rückschläge und Enttäuschungen kommen, wenn Gebete nicht so erhört werden, wie man sich das selber vorgestellt hatte? Ist dann etwa Jesus nicht mehr der Herr und Helfer, an den es sich zu glauben lohnt?

Es lohnt sich, sich auf diesem Hintergrund noch einmal die Geschichte von Abraham anzuschauen, wie sie uns der Apostel Paulus in der Predigtlesung des heutigen Abends vor Augen stellt. Was können wir in dieser Geschichte erkennen?

Zunächst einmal wird uns da ein Mensch vor Augen gestellt, der sehr, sehr lange warten musste. Abraham ist wahrlich keiner, der sagen könnte: Schaut auf mein Leben – ich musste nur Gott mit festem Glauben um etwas bitten, und schon hat er es mir umgehend geschenkt! Im Gegenteil: Ein ganzes Menschenleben lang, fast 100 Jahre, musste er ohne Nachkommen auskommen, musste erfahren, dass der größte und sehnlichste Wunsch seines Lebens ihm verwehrt worden war. Längst war er in einem Alter, in dem sich jeder vernünftige Mensch damit abfinden muss, dass es jetzt zu spät ist, dass jetzt gar nichts mehr geht, dass das Thema „Familienplanung“ ja wohl endgültig abgeschlossen sein dürfte. Nein, das Leben Abrahams ist keine Erfolgsstory, sondern eine Story voll von Enttäuschung und Traurigkeit. Und es wendet sich schließlich auch nicht einfach alles zum Guten. Sondern Abraham muss erst noch einmal die letzten menschlichen Sicherungen, die er für sich und seine Frau noch hatte, aufgeben: die Verwandtschaft, die Immobilie, die Heimat, und mit all dem die Alterssicherung, die für ihn ohne Kinder doch absolut überlebensnotwendig zu sein schien. Gott lässt den Abraham erst einmal erfahren, dass er voll und ganz nur auf ihn und auf nichts anderes angewiesen ist, bevor er ihn schließlich erfahren lässt, wie er sein Versprechen an ihm wahrmacht.

Ja, so geht Gott auch mit uns immer wieder in unserem Leben um. Er ist keine fromme Version von Amazon, wo man einfach nur per Mouseclick eine Bestellung aufgibt und dann wenige Tage später geliefert bekommt, was man möchte. Die ganze Heilige Schrift ist voll von Wartegeschichten, von Geschichten, die beschreiben, wie Menschen in ihrem Leben nicht gleich bekommen, was sie möchten, von Menschen, die oft ihr ganzes Leben lang gegen den Augenschein glauben mussten. Eigentlich ist das ja auch wieder eine Erfahrung, die wir gerade auch von unseren neuen Gemeindegliedern lernen können: So viele von ihnen haben ja ihre eigenen Abrahamserfahrungen gemacht, haben ihr Vaterland, ihre Verwandtschaft, ihr Haus, ihre Wohnung, ihren Beruf aufgegeben – scheinbar für etwas völlig Durchgeknalltes, für etwas letztlich völlig Unsichtbares, was so lächerlich erscheint im Vergleich zu all dem Sichtbaren, was sie hinter sich gelassen haben. Ja, unsere neuen Gemeindeglieder haben gelernt, dass die Hinwendung zu Christus nicht immer gleich Glück und Erfolg mit sich bringt, sondern im Gegenteil Verfolgung, Gefängnis, Folter, Flucht, Armut – und den Spott noch mit dazu.

Warum ist der Abraham damals losgezogen; warum sind auch so viele Glieder unserer Gemeinde losgezogen und haben alles aufgegeben? Nein, nicht, weil sie die Hoffnung hatten, dass Gott alle ihre Wünsche erfüllt, dass er ihnen Erfolg und Wohlstand schenkt. Seit einiger Zeit breitet sich von Amerika aus auch hier in Deutschland die Irrlehre des Wohlstandsevangeliums aus, die von nicht wenigen Predigern auch hier in Deutschland weitergetragen wird. Sie besagt: Wenn du nur richtig fest an Gott glaubst, wenn du nur die eigenen Potentiale in dir entdeckst, die Gott dir gegeben hat, dann wirst du in deinem Leben reich werden und Erfolg haben, dann werden alle deine Probleme schwinden. Und wenn es dir nicht gut geht, wenn du keinen Erfolg hast, wenn du arm bist, dann liegt es daran, dass du nicht genügend geglaubt hast, dass du die Botschaft des Wohlstandsevangeliums nicht genügend ernst genommen hast. Glaube nur, dass Gott dir einen Mercedes schenken will – und du wirst ihn bekommen!

Ja, es ist traurig, dass Menschen auf solch eine Irrlehre allen Ernstes hereinfallen. Und es ist noch trauriger, wenn so viele Menschen dadurch schließlich im Glauben an Christus irre gemacht werden, weil sie in ihrem Leben erfahren, dass dieses angeblich biblische Erfolgsrezept in Wirklichkeit eben doch nicht funktioniert!

Nein, Abraham ist nicht im Vertrauen losgezogen, dass Gott seine Wünsche erfüllt, erst recht nicht seinen Wunsch nach Reichtum. Sondern Abraham hat Gottes Verheißung geglaubt, hat dem geglaubt, was Gott ihm versprochen und zugesagt hatte. Das ist der ganz entscheidende Unterschied. Dietrich Bonhoeffer hat es in seinen Briefen aus dem Gefängnis hier in Berlin auf den Punkt gebracht: „Nicht alle unsere Wünsche, aber alle seine Verheißungen erfüllt Gott.“ Wenn Gott etwas verspricht, dann dürfen wir uns darauf auch verlassen. Aber Gott hat uns eben beispielsweise nicht versprochen, alle unsere Wünsche zu erfüllen, auch nicht, alle unsere Gebete so zu erhören, dass darin nur noch unser Wille, aber nicht sein Wille geschieht.

Darum geht es also zunächst und vor allem, dass wir uns immer wieder klarmachen, was Gott uns eigentlich tatsächlich versprochen und zugesagt hat. Ja, das ist eine gute geistliche Übung, immer wieder neu dies in unserem Leben zu bedenken: Was hat Gott mir versprochen? Es ist dann immer wieder neu eine Besinnung auf unsere Taufe, eine Besinnung auf die Gaben, die Gott uns in seinem Wort und Sakrament schenkt, ganz persönlich, auf unsere Person ausgerichtet. Ja, geradezu Unglaubliches verspricht uns Gott: Er verspricht uns, uns ohne unser Zutun, ohne unsere Mitwirkung, ganz aus dem Nichts heraus zu retten, uns ein neues, unvergängliches Leben zu schenken. Er verspricht uns, die ganze Last unserer Schuld, unserer Vergangenheit, zu tilgen, so endgültig, dass nichts, aber auch gar nichts mehr von ihr übrigbleibt. Er verspricht uns, hier und jetzt in uns, in unseren Herzen und in unseren Körpern, zu leben, auch wenn wir selber so deutlich merken, wie hinfällig und vergänglich sie sind. Nein, man sage nicht, solchen Verheißungen zu glauben, sei doch leicht. Das ist überhaupt nicht leicht, wenn man mit seiner eigenen Vergänglichkeit oder mit der Krankheit und dem Tod eines anderen Menschen konfrontiert ist, dann an Gottes Zusage festzuhalten, dass er aus dem Nichts doch einmal neues Leben schaffen wird. Das ist überhaupt nicht leicht, an Gottes Zusage der Vergebung festzuhalten, wenn es einem so schwer fällt, sich selber zu vergeben, was man in seinem Leben getan hat, worin man selber so sehr versagt hat. Das ist überhaupt nicht leicht, Gottes Zusage ernst zu nehmen, dass wir ihm hier im Gottesdienst real begegnen, dass es nicht bloß um eine nette Veranstaltung eines Pastors geht, sondern um die Begegnung mit dem lebendigen Gott, darum dass wir hier allen Ernstes mit ihm eins werden.

Ja, das macht unser ganzes Leben als Christen aus, dass wir immer wieder neu einüben, wegzuschauen von uns selber, von unseren Möglichkeiten, die wir haben, von unseren Vorstellungen und Wünschen, die wir entwickeln, hin auf das, was Gott uns zusagt. Das macht unser ganzes Leben als Christen aus, dass wir immer wieder neu einüben, unser Heil nicht in uns selber zu suchen und zu finden, sondern allein in Christus, in dem, was Gott an ihm und durch ihn für uns getan hat.

Ja, dieser Gott, der Christus von den Toten auferweckt hat, der ist gewiss auch dazu in der Lage, tote Gemeinden neu zum Leben zu erwecken, Menschen, die jede Hoffnung verloren haben, zu neuer Hoffnung auf ihn, den lebendigen Herrn, zu erwecken, ja, der ist dazu in der Lage, uns in unserem Leben aus scheinbar ausweglosen Situationen wieder herauszuholen. Doch wie sehr es sich lohnt, auf Gottes Versprechen zu vertrauen, das wird uns ganz erst aufgehen, wenn wir einmal vor ihm stehen werden, wenn wir mit eigenen Augen erkennen werden, was Gott uns hier noch so verborgen zugesagt hat. Wenn wir das einmal sehen werden, werden wir dann auch verstehen, warum Gott uns mit so vielem so lange in unserem Leben warten ließ, ja, warum uns so mancher Wunsch überhaupt nicht erfüllt wurde. Aber mit seinen Versprechen wird Gott uns nicht hängen lassen; da hat er den Mund nicht zu vollgenommen. Denn was Gott verheißt, das kann er auch tun. Ja, dafür lohnt es sich, wirklich alles stehen und liegen zu lassen. Amen.

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