St. Johannes 12,12-19 | Palmarum | Pfr. Dr. Martens

Es ist ein Traum, den viele tausend junge Menschen in unserem Land träumen: Einmal richtig groß herauszukommen, von den Massen bejubelt zu werden, ein Superstar zu werden, dem die Menschen zu Füßen liegen. Um sich diesen Traum zu erfüllen, strömen sie in Casting-Shows, machen sich dort oft genug selber zum Affen, riskieren es, vor einem Millionenpublikum im Fernsehen von Dieter Bohlen heruntergemacht zu werden. Die Sehnsucht nach dem Jubel der Massen ist stärker.

Vor ein paar Wochen fand hier in Deutschland der Vorentscheid darüber statt, wer unser Land in diesem Jahr beim European Song Contest vertreten soll. Das Fernsehpublikum bejubelte einen bis dahin nicht sehr bekannten Sänger namens Andreas Kümmert, wählte ihn zum Sieger des Vorentscheids. Was für eine große Karriere stand diesem Sänger nun bevor; er hatte erreicht, wovon so viele kaum zu träumen wagten. Doch was erklärte der Sänger: Der Jubel, der Erwartungsdruck – all dies wird mir zu viel; ich ziehe zurück, ich will nicht länger dieser Begeisterung für meine Person ausgesetzt sein. Das Publikum reagierte entsetzt – der, dem man gerade noch begeistert zugejubelt hatte, wurde von einer Minute zur anderen zum großen Buhmann, weil er nicht mehr mitspielte bei dem Spiel, das die Zuschauer bis dahin in solche Euphorie versetzt hatte.

Von jubelnden Massen ist auch im Heiligen Evangelium des heutigen Sonntags die Rede. Jesus kommt nach Jerusalem – und was ihn dort erwartet, dürfte wohl jedem, der sich danach sehnt, einmal so ein richtiger Superstar zu werden, einen Schauer nach dem anderen über den Rücken laufen lassen. Da ziehen die Bewohner Jerusalems in einer feierlichen Prozession Jesus entgegen, begrüßen ihn, wie man sonst nur einen König oder einen siegreichen Feldherrn begrüßte, bejubeln ihn mit Palmzweigen in ihren Händen, singen Lieder, in denen die Sehnsucht nach der guten alten Zeit zum Ausdruck kommt, als man in Israel noch einen wirklichen König hatte und nicht bloß solch eine Witzgestalt wie den Herodes. Die Begeisterung der Massen kocht fast über – was für eine Chance für Jesus! Jetzt, wo er die Massen in der Hauptstadt auf seiner Seite hatte, hätte er echt was reißen können, hätte ohne Probleme die Revolution ausrufen können, hätte dazu aufrufen können, die Römer aus dem Lande zu jagen – und die Massen wären ihm gefolgt, keine Frage! Er musste die Dynamik der Masse nur richtig zu nutzen wissen, dann war er bald schon der Herrscher über ein freies Jerusalem!

Doch Jesus reagiert ganz anders. Nein, er zieht sich nicht zurück wie Andreas Kümmert, wehrt sich nicht gegen den Jubel, der ihm da entgegenschlägt. Doch er nutzt die Massenbegeisterung auch nicht aus, hält hier keine flammende Rede, um die Begeisterung noch weiter anzufachen. Kein einziges Wort von Jesus wird uns im Heiligen Evangelium des heutigen Tages berichtet. Ganz offenkundig sieht sich Jesus mit diesem feierlichen Empfang nicht am Ziel seiner Träume, am Ziel seines Weges, geschweige denn, dass er sich durch den Jubel der Menschen nun irgendwie gebauchpinselt fühlte. Jesus blickt weiter, er weiß schon, was dieselben Menschen, die ihm jetzt noch begeistert zujubeln, schon wenige Tage später rufen werden; er weiß, wie wenig man auf die Begeisterung von Massen bauen kann. Und erst recht will er von sich aus diese Begeisterung nicht erzeugen, will sich nicht auf einer Woge solcher Begeisterung ganz nach oben tragen lassen.

Ganz still setzt er hier ein Zeichen: Er nimmt einen kleinen Esel und setzt sich darauf. Der Esel – er ist gerade kein Symbol von Macht und Stärke; er ist ein Symbol des Friedens. Mit Eseln kann man keine Schlacht gewinnen. Wer Augen hatte zu sehen, der konnte es schon da erkennen: Da kommt ein ganz anderer König als der, den sich die jubelnde Masse erwartete und erhoffte, keiner, der einfach die Wünsche und Hoffnungen der Menschen befriedigt, keiner, der sein Verhalten danach ausrichtet, sich auch ja immer diesen Jubel der Menschen zu erhalten. Da kommt kein König, der mit Macht und Gewalt seine Herrschaft durchsetzt, der eine neue, bessere Welt schafft. Doch solche Augen hatten damals am Palmsonntag nur die Allerwenigsten, noch nicht einmal die Jünger Jesu selber. St. Johannes berichtet uns hier, dass auch den Jüngern erst nach der Verherrlichung Jesu, erst nach seinem Kreuzestod und seiner Auferstehung ein Licht aufging, was sich damals an jenem Tag in Jerusalem eigentlich ereignet hatte: wie hier ein König einem ganz anderen Königsthron entgegenritt als dem, von dem die Menschen mit den Palmzweigen in der Hand ausgingen, wie hier ein König seinem Königsthron am Kreuz entgegenritt.

Ja, was Jesus hier bei seinem Einzug in Jerusalem erlebte, war für ihn keine Bestätigung, was für ein guter Mann er doch war und wie recht er doch hatte. Sondern dieser Einzug Jesu in Jerusalem war schon Teil seiner Passion, seines Leidensweges: von Leuten umjubelt zu werden, die überhaupt nicht wussten, was sie eigentlich taten, verkannt zu werden von denen, die ihn gerade anhimmelten, Projektionsfläche zu werden für Menschen, die Erwartungen an ihn richteten, die er nicht erfüllen wollte. Es muss Jesus eine Menge Überwindung gekostet zu haben, dieses Schauspiel still und gefasst über sich ergehen zu lassen, nicht doch wegzulaufen, nicht doch den vergeblichen Versuch zu machen, den Massen deutlich zu machen, wer er in Wirklichkeit ist und wohin sein Weg ihn nun führt. So setzt er dies eine Zeichen für die Zeit nach Ostern, vertraut darauf, dass Menschen im Rückblick erkennen werden, was die Massen nun bei seinem Einzug noch nicht sehen und verstehen konnten.

Wir blicken heute nun zurück auf diesen Einzug Jesu, blicken zurück wie die Jünger nach Ostern damals auch. Und nun, aus dem Rückblick, wird auch uns so einiges klar – über Jesus und über uns selber dazu.

Aus dem Rückblick betrachtet erkennen wir zunächst einmal: Es ist relativ einfach, Jesus zuzujubeln, wenn viele andere um einen herum das auch tun. Es ist nicht schwer, hier in der Kirche das Glaubensbekenntnis mitzusprechen, gemeinsam mit anderen zu sagen: Ich glaube an Jesus Christus, unseren Herrn. Es ist nicht schwer, hier in der Kirche den Gesang anzustimmen, den damals schon die Menschen bei dem Einzug Jesu in Jerusalem gesungen haben: Gelobt sei der da kommt im Namen des Herrn, Hosianna in der Höhe. Doch, so hat es Sören Kierkegaard schon so treffend formuliert: Jesus Christus will nicht Bewunderer, sondern Nachfolger. An Jesus Christus zu glauben heißt nicht, sich gemeinsam mit einer Masse aufputschen zu lassen, sondern den Weg mit ihm weiterzugehen, den er hier bei seinem Einzug antritt. An Jesus Christus zu glauben heißt, Ja zu sagen zu einem Herrn, dessen Weg ans Kreuz geführt hat, dorthin, wo sich die schnell wieder von ihm abwandten, die ihn kurz zuvor noch gebraucht hatten, um sich selber in Stimmung zu bringen.

Mache deinen Glauben darum niemals abhängig von irgendwelchen Zahlen und Mehrheiten, nicht von Gefühlen der Begeisterung oder vom Rausch einer Masse. Erkenne im Rückblick immer klar das Ziel des Weges Jesu: dass er sein Leben auch für dich dahingegeben hat am Kreuz. Schau nicht darauf, ob Menschen dem zustimmen, was Jesus sagt und tut, warte nicht auf große Auftritte und große Sensationen. Schau vielmehr auf die kleinen Zeichen, durch die sich Jesus auch dir heute zu erkennen gibt. Jetzt, nach Ostern, können doch auch wir erkennen, was Jesus getan hat, als er am Abend vor seiner Verhaftung Brot und Wein nahm, sie seinen Jüngern reichte und deutlich erklärte, was dies in Wirklichkeit sei: sein Leib und sein Blut, für uns am Kreuz geopfert. Hier im Heiligen Mahl kannst du Jesus finden, ganz gleich, wie du dich fühlst, ganz gleich, wie viele es sein mögen, die heute und in Zukunft immer wieder gemeinsam mit dir dieses Heilige Mahl empfangen. Brot und Wein – was für scheinbar so lächerliche Zeichen, nicht weniger lächerlich als der kleine Esel, auf den sich Jesus damals setzte! Und doch bringen sie dir Jesus, kommt in ihnen dein König auch zu dir, dein König, der seine Herrschaft auch über dich ausübt vom Kreuz herab. Geh den Weg mit Jesus darum mit, gerade auch in diesen kommenden Tagen der Heiligen Woche, feiere die Gottesdienste der kommenden Tage ganz bewusst alle mit und nicht bloß in Auswahl. Lass dir dadurch wieder neu vor Augen stellen, wer Jesus wirklich ist: kein Superstar, sondern dein Herr und Retter, dein König mit der Dornenkrone, ja der Sieger über den Tod. Und dann singst du es hoffentlich nicht bloß mit, weil es nun mal alle singen, dann singst du es hoffentlich auch dann noch mit, wenn dich so vieles in deinem Leben davon abhalten will, dann singst du es hoffentlich mit nicht als Bewunderer, sondern als Nachfolger deines Herrn: Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn, Hosianna in der Höhe! Amen.

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