St. Johannes 13,1-15.34-35 | Gründonnerstag | Pfr. Dr. Martens

Wenn Menschen hier in Deutschland ein Bild von der Glaubenspraxis des Islam vor Augen haben, dann sehen sie auf diesem Bild Menschen, die in der Moschee vor Allah auf die Knie fallen, sich mit ihrem Kopf bis auf den Erdboden beugen – Ausdruck der völligen Unterwerfung unter den allmächtigen Gott. Der Mensch muss Gott dienen, muss sich vor ihm ganz klein machen – das ist der Weg zum Heil, wie er im Islam verkündigt wird.

Im Heiligen Evangelium des heutigen Abends wird uns auch ein Mensch vor Augen gestellt, der sich ganz klein macht, der niederkniet und dient – ja, der eine Arbeit verrichtet, die damals in Israel noch nicht einmal jüdische Sklaven zu tun hatten, die einzig und allein nichtjüdischen Sklaven vorbehalten war: Menschen nach ihrer Ankunft im Haus die dreckigen Schweißfüße zu waschen. Doch der da anderen Menschen dient, ihnen die Füße wäscht, ist eben nicht ein nichtjüdischer Sklave, nicht einer, der zu dieser Arbeit gezwungen wird. Sondern der da den anderen Menschen die Füße wäscht, der wird von denen, die sich hier waschen lassen, der „Herr“ genannt, ja, er ist es auch, der Herr schlechthin, der lebendige Gott. Er, der lebendige Gott, kniet vor denen, die eigentlich vor ihm auf die Knie fallen müssten, er, der lebendige Gott, macht sich ganz klein vor denen, die sich doch eigentlich vor ihm klein machen und erniedrigen müssten. Deutlicher lässt sich der Unterschied zwischen dem Islam und dem christlichen Glauben kaum beschreiben als in diesem Kontrast: Wir glauben als Christen an einen Gott, der nicht darauf wartet, dass andere sich vor ihm klein machen und sich ihm unterwerfen, sondern wir glauben an einen Gott, der seinerseits vor uns Menschen kniet und ihnen dient – bis in den Tod.

Das klingt nun so schön und so einleuchtend – aber in Wirklichkeit geht uns genau diese Botschaft des christlichen Glaubens als Menschen völlig gegen den Strich. Wir wollen nicht von anderen bedient werden, wir wollen selber etwas tun. Wir empfinden es geradezu als peinlich, wenn jemand, der eigentlich höher gestellt zu sein scheint als wir selber, etwas für uns tut. Das beste Beispiel hierfür ist der Petrus hier in unserer Geschichte. Da kniet Christus vor ihm und will auch ihm nun die Füße waschen. Doch Petrus protestiert vehement: „Nimmermehr sollst du mir die Füße waschen!“ Ach, wie gut können wir den Petrus verstehen: Wenn Christus zu uns kommt, dann möchten wir auch am liebsten vor ihm auf die Knie sinken und ihn anbeten – aber dass der da vor uns kniet und uns dient – das scheint doch ein beinahe unerträglicher Gedanke zu sein. Doch Christus macht dem Petrus, macht auch uns deutlich: Genau so, ja nur so wirst du, Petrus, werden wir alle miteinander gerettet: Dadurch, dass Christus uns dient, so weit, dass er sein Leben aus Liebe zu uns in den Tod gibt. Nicht wir können etwas dafür tun, dass wir für immer in der Gemeinschaft mit Gott werden leben dürfen, nicht wir erarbeiten uns das mit irgendwelchen frommen Übungen, mit täglichen Gebeten, mit Fasten und Wallfahrten, mit unserem Einsatz für eine gerechtere Welt. Sondern gerettet, selig wirst du einzig und allein dadurch, dass du ihn, Christus, dir dienen lässt, dass du es aushältst und erträgst, dass er sich für dich ganz klein macht, sich nicht zu schade ist, den ganzen Dreck deiner Sünde abzuwaschen, dass du es aushältst und erträgst, dass er auch für deine Sünde am Kreuz hängt und stirbt, dass er beladen auch mit deiner Sünde am Kreuz schreit: Mein Gott, warum hast du mich verlassen? So und nicht anders sieht Gottes Weg der Rettung für dich aus: Dass er dir dient bis in den Tod, dass er nicht auf Abstand zu dir bleibt, sondern sich nicht zu schade ist, sich mit dem ganzen Dreck deines Lebens abzugeben, ihn abzuwaschen, dich zu einem Menschen zu machen, der in Gottes Augen richtig, rein, sauber dasteht.

Was uns St. Johannes hier schildert, geschieht in der Nacht, in der Jesus verraten wurde, in der Nacht, in der er für seine Jünger, für uns das wunderbare Sakrament seines Leibes und Blutes stiftete. Hier an dieser Stelle erwähnt St. Johannes diese Stiftung des Heiligen Mahles nicht. Schon längst vorher, einige Kapitel zuvor, hatte er davon berichtet, was für eine Bedeutung das Heilige Mahl für diejenigen hat, die zu ihm, Christus, gehören. Jetzt reichen hier an dieser Stelle Andeutungen, ja, wer ein bisschen die Art des heiligen Johannes kennt, Dinge zu berichten, der weiß, dass all das, was er hier beschreibt, gleichsam noch eine zweite Ebene hat. Da berichtet St. Johannes von der Fußwaschung, aber berichtet so davon, dass wir zugleich besser verstehen können, was immer wieder neu bei uns im Heiligen Mahl geschieht: Wir haben uns als lutherische Christen oftmals schon so sehr daran gewöhnt, dass wir wissen, dass wir hier im Heiligen Mahl nicht bloß ein Stück Brot und etwas Wein empfangen, sondern wirklich und wahrhaftig den Leib und das Blut des Herrn. Aber machen wir uns eigentlich klar, was das bedeutet, dass Christus sich nicht zu schade ist, uns Menschen im Heiligen Mahl zu dienen, was das bedeutet, dass Christus sich nicht zu schade ist, sich uns Menschen in den Gestalten von Brot und Wein in den Mund legen zu lassen, in unseren Mund, aus dem so vieles herauskommt, was in Gottes Augen zutiefst anstößig ist, was ihn, den heiligen Gott, abstößt und anekelt? Doch Christus lässt sich davon nicht beirren. Immer und immer wieder ist er bereit, dir so zu dienen, sich so für dich klein zu machen. Denn er weiß: Wir brauchen diese tägliche Reinigung immer wieder neu. Gewiss, in der Taufe ist der ganze Schmutz unseres Lebens abgewaschen worden. Aber der tägliche Dreck, die tägliche Sünde, sie muss immer wieder neu von Christus abgewaschen werden. Und so kommen wir heute Abend zusammen und danken Christus für dieses wunderbare Geschenk seines Sakraments, ja, für seinen Dienst, den er mit unendlicher Liebe immer wieder neu an uns vollzieht, wenn wir nicht fernbleiben von ihm, sondern uns seinen Dienst gefallen lassen im Heiligen Mahl.

Und das bewirkt etwas an uns und in uns, so macht es Christus hier schließlich seinen Jüngern auch noch deutlich: Nein, Christus sitzt hier nicht mit erhobenem Zeigefinger und ermahnt uns, nun auch brav einander zu dienen. Sondern er lässt seine Jünger, lässt auch uns erkennen: Wenn wir dies erfahren, dass Gottes Sohn selber uns so hoch achtet, dass er vor uns auf die Knie geht, uns dient bis in den Tod, dann lässt uns das anders mit unseren Schwestern und Brüdern in der Gemeinde umgehen, die diesen Dienst Christi genauso erfahren wie wir selber auch. Dann geht es in einer christlichen Gemeinde, geht es auch bei uns nicht mehr darum, wer der Größte ist, wer die Macht hat, wer das Sagen hat. Dann wird uns das, was Christus an uns getan hat und tut, auch dazu bereit machen, den anderen in der Gemeinde zu dienen. Ja, genau das soll, ja das wird das Erkennungszeichen der Christen sein, so zeigt es uns Christus hier: Das sind Menschen, die einander in Liebe begegnen, ja einander in Liebe dienen. Liebe ist im christlichen Glauben ja etwas sehr Nüchternes: Nicht ein Gefühl von Schmetterlingen im Bauch – das brauchen wir beim Anblick unserer Schwestern und Brüder in der Gemeinde gar nicht zu haben. Sondern Liebe bedeutet einfach diese Haltung gegenüber dem Bruder, der Schwester, in der sich widerspiegelt, was Christus an uns und für uns getan hat.

Ja, es ist gut und angemessen, wenn wir vor Christus, dem Herrn, niederfallen, wenn er hier in unserer Mitte gegenwärtig ist mit seinem Leib und Blut. Doch was Christus vor allem von uns erwartet ist, dass wir vor ihm niederfallen, indem wir seinen geringsten Brüdern und Schwestern dienen, dass wir ihm dienen, wenn wir ihnen dienen.

Wir feiern nun gleich wieder das Heilige Mahl, feiern es heute mit besonderer Freude und Dankbarkeit. Ja, es geht darin um die Begegnung mit ihm, unserem Herrn, der sich für uns in den Tod gegeben hat, ganz gewiss. Aber wir tun doch gut daran, wahrzunehmen, dass wir hier nicht allein am Altar knien, dass da gemeinsam mit uns andere knien, Brüder und Schwestern, an die uns Christus gerade dadurch weist, dass er uns mit ihnen durch die Teilhabe an seinem Leib und Blut zusammenschließt. Gott geb’s, dass wir diese anderen, die mit uns hier zum Altar kommen, niemals aus den Augen verlieren, ja, Gott geb’s, dass Menschen, die neu zu uns kommen, genau diese Erfahrung auch in unserer Gemeinde machen: „Daran wird jedermann erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untereinander habt.“ Ja, dann werden sie hoffentlich fragen nach dem, der uns zu dieser Liebe befähigt: nach ihm, Christus, der uns die Füße wäscht, uns dient bis in den Tod. Amen.

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