St. Johannes 2, 13-22 | Gedenktag der Reformation| Pfr. Dr. Martens

Es geht heute Abend nicht um Martin Luther, erst recht nicht um seinen Kampf gegen die Missstände in der römischen Kirche seiner Zeit. Es geht heute Abend nicht um protestantische Heldenverehrung, als ob besagter Martin Luther gleichsam die Tempelreinigung Jesu zu seiner Zeit noch einmal ganz neu reinszeniert habe – Martin Luther gleichsam als wiedergekommener Jesus Christus, der sein Werk unter anderen Umständen weiterführt. Erst recht geht es heute Abend nicht um ein kollektives gegenseitiges Schulterklopfen, bei dem wir uns gegenseitig versichern, dass wir doch die Guten sind, dass wir doch schließlich die Kirche der Reformation sind, hervorgegangen aus der Tempelreinigung eines Wittenberger Mönches.

Es geht heute Abend, so macht es uns das Heilige Evangelium des Gedenktags der Reformation sehr eindrücklich deutlich, einzig und allein um Jesus Christus. Wenn der nicht im Zentrum steht, wenn der nicht der entscheidende Inhalt dieses Reformationstags ist, dann könnten und sollten wir einpacken, lieber doch eine Halloween-Party veranstalten, statt mit diesem Gottesdienst noch weiter fortzufahren. Ja, es geht heute Abend einzig und allein um Jesus Christus, so zeigt es uns St. Johannes hier. Er, Jesus Christus, ist

  • Hausherr der Kirche
  • Schlüssel zur Heiligen Schrift
  •  Ort der Gegenwart Gottes

I.

Das klingt so selbstverständlich, dass er, Jesus Christus, der Hausherr der Kirche ist, dass er allein in seiner Kirche etwas zu sagen hat. Doch wir wissen nicht nur aus der Geschichte der Kirche, dass es eben alles andere als selbstverständlich ist, dass wir dies stets vor Augen haben. Wie leicht sind wir eben doch immer wieder geneigt, den jeweiligen Pastor einer Gemeinde als den Hausherrn der Kirche anzusehen, zu meinen, wir gingen zu ihm in den Gottesdienst, zu meinen, wichtig sei allein, wie er einen ansehe oder wahrnehme! Und wie groß ist die Versuchung für einen Pastor, sich diese Sicht der Dinge gefallen zu lassen, aus der Kirche Jesu Christi einen persönlichen Fanclub zu machen!

Und wie schnell und leicht geschieht es, dass sich in der Kirche Jesu Christi beinahe unmerklich alle möglichen Dinge und zweifelhaften Traditionen einschleichen, die am Ende Menschen den Zugang zu dem eigentlichen Inhalt dessen, worum es in der Kirche geht, verdunkeln oder gar versperren! Da wird die Kirche dann zu einem Selbstzweck, zu einem gemütlichen Verein, in dem man letztlich nur mit sich selbst beschäftigt ist und gar nicht mehr wahrnimmt, wozu man als Kirche doch eigentlich berufen ist. Da mag eine Gemeinde den Eindruck großer Betriebsamkeit erwecken – doch wenn man genauer hinschaut, geht es in dem ganzen Betrieb so wenig um ihn, Christus, und viel mehr um alle möglichen Unterhaltungs- oder Marktangebote, um Sicherung des eigenen Bestandes.

Und wenn sich dann Christus in der Kirche als Hausherr zu erkennen gibt und betätigt, dann kann das auch heute noch als genauso schmerzlich empfunden werden wie damals bei der Tempelreinigung auch: Wie konnte Christus denn einfach all die Händler draußen im Vorhof der Heiden vertreiben – diese Geschäfte waren doch nötig, um den Tempelbetrieb aufrechtzuerhalten! Man brauchte Opfertiere, die den biblischen Vorschriften entsprachen, man brauchte auch Münzen, die nicht das Bildnis des römischen Kaisers zeigten, sondern frei von solchen Abbildungen waren. Doch Jesus gibt sich mit solchen Argumenten nicht zufrieden. Unerträglich ist es für ihn, wenn aus dem Haus seines Vaters ein Basar gemacht wird, der den eigentlich Sinn dieses Hauses kaum noch wahrnehmen lässt! Und so macht er sich eine Art von Peitsche aus Stricken und treibt damit die Opfertiere aus dem Tempelbereich heraus, randaliert kräftig, bringt den ganzen schönen religiösen Betrieb am Tempeleingang völlig durcheinander.

Und wenn sich dann Christus in der Kirche als Hausherr zu erkennen gibt und betätigt, dann kann das auch heute noch als genauso schmerzlich empfunden werden wie damals bei der Tempelreinigung auch: Wie konnte Christus denn einfach all die Händler draußen im Vorhof der Heiden vertreiben – diese Geschäfte waren doch nötig, um den Tempelbetrieb aufrechtzuerhalten! Man brauchte Opfertiere, die den biblischen Vorschriften entsprachen, man brauchte auch Münzen, die nicht das Bildnis des römischen Kaisers zeigten, sondern frei von solchen Abbildungen waren. Doch Jesus gibt sich mit solchen Argumenten nicht zufrieden. Unerträglich ist es für ihn, wenn aus dem Haus seines Vaters ein Basar gemacht wird, der den eigentlich Sinn dieses Hauses kaum noch wahrnehmen lässt! Und so macht er sich eine Art von Peitsche aus Stricken und treibt damit die Opfertiere aus dem Tempelbereich heraus, randaliert kräftig, bringt den ganzen schönen religiösen Betrieb am Tempeleingang völlig durcheinander. Wenn Jesus sich in seiner Kirche als der Hausherr erweist, tut das weh, auch noch heute. Dann kann das bedeuten, dass einem umgestoßen wird, was man bisher für völlig normal und selbstverständlich hielt, dass man verzichten muss auf manches, was man bisher für unverzichtbar hielt. Wenn Jesus sich in seiner Kirche als Hausherr erweist, ist es vorbei mit der beschaulichen Ruhe, mit dem gemütlichen Kreisen um sich selbst, dann heißt es Abschied nehmen von kleinen, überschaubaren Einheiten, dann hört man in einer Gemeinde mit einem Mal ganz verschiedene Sprachen, muss vielleicht Abschied nehmen von liebgewonnenen Gewohnheiten und umdenken, umlernen, wieder neu danach fragen, was in einer christlichen Gemeinde denn am besten dazu dient, Menschen den Zugang zu Jesus Christus und seinem Wort zu ermöglichen. Wir haben solche Umbruchprozesse in den vergangenen Jahren auch in unserem eigenen Pfarrbezirk erlebt, erkennen vielleicht auch erst jetzt im Rückblick, ähnlich wie die Jünger damals, dass da Jesus Christus selber die Geißel geschwungen hat, Platz geschaffen hat für ganz Neues. Wehren wir uns nur ja nicht dagegen, wenn Christus auch bei uns in der Gemeinde immer wieder kräftig aufräumt! Er weiß, warum er dies tut – für uns!

II.

Doch St. Johannes begnügt sich hier nun nicht damit, uns eine spannende und in manchen Zügen geradezu zum Schmunzeln anregende Geschichte aus dem Leben Jesu zu erzählen. Er macht anhand dieser Erzählung zugleich deutlich, wie wir mit diesen Geschichten aus dem Leben Jesu, mit den schriftlichen Berichten aus seinem Leben, mit den Evangelien umgehen sollen:

Wir sollen, so zeigt er es uns hier, in der ganzen Heiligen Schrift immer wieder Christus als den Herrn und Schlüssel der Schrift wahrnehmen – und wir sollen alles, was uns von Jesus Christus berichtet wird, im Licht seiner Auferstehung wahrnehmen, also in der Gewissheit, dass derselbe Jesus, von dem Johannes damals berichtete, auch hier und jetzt noch der lebendige, gegenwärtige Herr ist.

Nein, das Alte Testament ist eben nicht bloß eine interessante historische Urkunde, die für uns Christen heute aber eigentlich kaum noch eine praktische Bedeutung hat. Im Gegenteil: Im ganzen Alten Testament sollen und dürfen wir Christus erkennen – das, was er für uns getan hat und noch weiter tut. Und wenn wir die Worte des Heiligen Evangeliums heute Abend vernommen haben und vernehmen, dann dürfen wir ebenfalls gewiss sein: Derselbe Herr, der damals die Schafe und Rinder aus dem Tempel befördert hat, spricht hier und jetzt zu uns. Er lebt – und dass er lebt, ist der Schlüssel zu allem, was wir in den Evangelien von ihm hören und lesen. Genauso sind die Evangelien damals schon entstanden, so zeigt es uns St. Johannes hier ausdrücklich: Nach Ostern, nach der Auferstehung Jesu, sind bei den Jüngern serienweise erst die Groschen gefallen, konnten sie jetzt erst verstehen, was Jesus alles ihnen gesagt und was er gemacht hatte, so vieles, was ihnen zuvor noch verborgen und verschlossen geblieben war. Jede Geschichte in den Evangelien des Neuen Testaments ist von vornherein in den Lichtglanz der Auferweckung Jesu gestellt und wird nur von daher richtig verständlich.

Wenn wir den Gedenktag der Reformation heute Abend begehen, dann soll uns dieser Tag eben auch dies in Erinnerung rufen: Höre auf das Wort der Heiligen Schrift, befasse dich mit ihm jeden Tag – und gehe so mit ihm um, dass du weißt, dass dein Herr Jesus Christus dir darin begegnet und zu dir spricht. Ja, lass dich durch nichts und niemanden darin beirren, dieses Wort, das du in der Heiligen Schrift liest, ernst zu nehmen! Von ihm her erscheint auch dein Leben noch einmal in einem ganz anderen Licht.

III.

Und damit kommen wir zu dem eigentlichen Clou dieser Geschichte: Warum schmeißt Jesus hier das ganze Viehzeug aus dem Tempel, hindert die Wechsler daran, weiter noch Geld für die Opfer im Tempel einzutreiben? Er macht dies, weil er weiß, dass mit ihm ein neuer Tempel in die Welt gekommen ist, er selber, in dem Gott selbst zu den Menschen gekommen ist, in dem Gott tatsächlich gefunden werden kann. All die anderen Opfer, die tagtäglich im Tempel dargebracht wurden, waren und sind nicht mehr nötig, seit Jesus das entscheidende Opfer selber dargebracht hat, als er sich für uns ans Kreuz nageln und töten ließ.

Wo ist Gott zu finden? Genau darum geht es letztlich in dieser Geschichte. Nein, er lässt sich nicht einfach bloß in einer fernen Vergangenheit finden, er lässt sich nicht finden in irgendwelchen Gefühlen oder Wetterphänomenen. Er lässt sich einzig und allein finden in dem Körper eines Menschen, in dem Leib Jesu Christi. Das war die große Provokation für die Gegner Jesu damals – und ist es bis heute: Jesus Christus, sein Leib als der Ort der Gegenwart Gottes: das klingt doch geradezu gotteslästerlich! Doch Jesus steht dazu: Wenn ihr Gott finden wollt, dann schaut auf meinen Leib, auf meinen Körper, am Kreuz in den Tod dahingegeben.

Ja, darum geht es heute Abend, darum geht es ganz grundlegend in jeder wahren Reformation der Kirche, dass sie wieder neu erkennt und wahrnimmt, wo Gott zu finden ist. Darum geht es ganz grundlegend in jeder wahren Reformation der Kirche, dass sie wieder neu entdeckt, was es bedeutet, dass man Gott allen Ernstes in einem Stück Brot und in einem Schluck Wein finden kann. Damals vor knapp 500 Jahren war die Reformation ganz wesentlich eine Bewegung zur Wiederentdeckung der Gabe des Heiligen Altarsakraments, eine Bewegung zur Wiederentdeckung der Heiligen Kommunion. Und wenn wir heute nun wieder neu erfahren, wie Christus als der Hausherr seiner Kirche so vieles in unserer Mitte neu anstößt, dann bleibt dies eine auch wieder entscheidend wichtig: dass wir uns scharen um den Leib und das Blut des Herrn im Heiligen Mahl, dass wir vom Empfang dieser Heiligen Gaben die Erneuerung der Kirche Jesu Christi erwarten.

Ja, um Christus geht es in der Kirche, geht es gerade in unserer Kirche, die sich der Reformation Martin Luthers besonders verpflichtet weiß. Um Christus geht es, den wir finden können verborgen im Brot und Wein des Heiligen Mahles. Ja, hier am Altar, genau da findest du ihn: den Tempel Gottes, da findest du sie: die eine Kirche, die Christus selber sich baut. Um ihn, um seinen Leib geht es in der Kirche, ja, um ihn, den leibhaftig auferstandenen Herrn allein. Amen.

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