St. Johannes 6,55-65| Laetare | Pfr. Dr. Martens

Er war immer treu in unsere Gottesdienste gekommen. Doch dann ließ er sich eines Tages nicht mehr blicken. Einige Zeit später konnte ich dann doch Verbindung mit ihm aufnehmen.  Er habe eine andere Gemeinde gefunden, erzählte er mir, eine, in der die Gottesdienste nicht so lange dauern würden, weil da kein Heiliges Abendmahl gefeiert würde. Ich versuchte, ihm deutlich zu machen, dass in der Gemeinde, in der er jetzt zum Gottesdienst geht, überhaupt nicht gelehrt und geglaubt wird, dass Brot und Wein wirklich Leib und Blut Christi sind, dass Brot und Wein dort nur als Symbole angesehen werden, als Erinnerungszeichen. Kein Wunder, dass man dort in der Gemeinde auch meinte, das Heilige Abendmahl nicht so häufig feiern zu müssen. Doch all das, was ich ihm in seinem Taufunterricht ans Herz zu legen versucht hatte, prallte an ihm ab. So wichtig konnte das Heilige Abendmahl nun auch nicht sein, dass man dafür eine ganze Stunde extra in der Kirche verbrachte. Hauptsache, man hatte irgendwie seine sonntägliche Pflicht erfüllt – je schneller, desto besser!

Am Heiligen Abendmahl scheiden sich die Geister. Das ist nicht erst eine Erfahrung unserer Tage. Genau das erlebten schon vor 200 Jahren die Väter und Mütter unserer lutherischen Kirche in Preußen, als sie gezwungen werden sollten, einen Glauben anzunehmen, in dem nicht mehr klar war, was wir im Heiligen Abendmahl denn eigentlich empfangen. Heimlich mussten sie sich treffen – in Hausgemeinden, in Scheunen, im Wald, um weiter das heilige Sakrament so zu empfangen, wie Christus selber es eingesetzt hat. Viel mussten sie dafür aufgeben – ihre Kirchgebäude, die ihnen genommen wurden, oft genug einen gut Teil ihres Besitzes, wenn der Staat sie dabei erwischte, dass sie lutherische Gottesdienste gehalten hatten, und nicht selten auch die Freiheit, gerade im Falle der Pastoren. Und diese Scheidung der Geister, sie ist auch heute nicht überwunden, weil es immer wieder um die eine Frage geht, ob wir versuchen, die Worte Jesu, die wir heute hier in unserer Predigtlesung vernommen haben, abzuschwächen, oder ob wir sie tatsächlich so stehenlassen und ihnen glauben.

Da hatte Jesus 5000 Menschen auf wunderbare Weise satt gemacht – die Leute waren so begeistert, dass sie ihn am liebsten gleich zum König gemacht hätten. 5000 Fans auf einmal – was für ein großartiger Erfolg für Jesus, möchte man meinen. Doch Jesus genießt nicht das Bad in der Menge, er versucht nicht, seine Popularität zu steigern, sondern er redet Klartext, redet davon, worauf diese Speisung der 5000 in Wirklichkeit verweist – auf die Speise des ewigen Lebens, die künftig die, die zu ihm gehören, empfangen sollen im heiligen Sakrament seines Leibes und Blutes. Da kühlt die Begeisterung der Massen schnell ab, als Jesus sagt, das Brot des Lebens, das er gebe, sei sein Fleisch, sein Leib. „Wie kann der uns sein Fleisch zu essen geben?“ – So fragen sie ganz empört. Doch Jesus wiegelt nicht ab, versucht nicht, zu relativieren und schön zu reden, was er gerade vorher gesagt hat. Er sagt nicht: Ach, das mit meinem Fleisch, das habe ich doch gar nicht wörtlich so gemeint; dass ihr mein Fleisch essen, mein Blut trinken sollt, das ist natürlich alles nur ein Zeichen, ein Bild, eine Erinnerung. Nein, sagt Jesus nicht. Ihm geht es nicht darum, dass ihm möglichst viele Menschen zujubeln. Ihm geht es im Gegenteil darum, dass die, die zu ihm gehören, erkennen, wohin die Bewegung führt, die damit begonnen hat, dass Gott der Vater ihn, den Sohn, in diese Welt gesandt hat. Fleisch geworden, wirklich leibhaft geworden ist der Sohn, ganz eingegangen in unsere menschliche Existenz, er, der wahrer Mensch und wahrer Gott zugleich ist: Diese Bewegung kommt eben erst da zu ihrem Ziel, wo Menschen in den Gestalten von Brot und Wein ihn, den lebendigen Gottessohn, leibhaftig in sich aufnehmen und eben dadurch in die Gemeinschaft mit Gott selber hineingezogen werden. So wichtig ist das, dass Jesus hier allen Ernstes erklärt: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr nicht das Fleisch des Menschensohns esst und sein Blut trinkt, so habt ihr kein Leben in euch. Wer sich von dieser Lebensgabe abschneidet, der schneidet sich vom Leben selber ab. Und dann formuliert es Jesus gleich darauf positiv: Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der hat das ewige Leben, und ich werde ihn am Jüngsten Tage auferwecken. Medizin des ewigen Lebens, Heilmittel der Unsterblichkeit – dies und nicht weniger wird uns in der Heiligen Kommunion ausgeteilt. Ach, was wären Menschen bereit zu zahlen für ein Medikament, das sie zwanzig Jahre länger leben ließe! Doch hier spricht Jesus nun von einer Medizin, die uns ewige Leben schenkt, Leben ohne Todesgrenze, und das alles ganz umsonst!

Und damit wir ja nicht auf die Idee kommen, das Ganze dann doch nur für eine schöne poetische Rede, doch nur für eine nette Idee zu halten, betont es Jesus gleich noch einmal: Mein Fleisch ist wahre Speise, mein Blut ist wahrer Trank. Jesm wa chune haghighiye Masih. In den Gestalten von Brot und Wein begegnen wir der leibhaftigen Realität des Mensch gewordenen Gottes, berühren ihn, nehmen ihn in uns auf. Christlicher Glaube ist nicht eine nette Idee, er vollzieht sich im Kauen und Trinken, so drastisch formuliert es Christus selber hier. Nicht zu überbietende enge Gemeinschaft mit Christus wird uns hier geschenkt: Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der bleibt in mir und ich in ihm, so betont es Christus gleich darauf. Ja, er ist es, wirklich leibhaftig, berührbar, in doppelter Gestalt – und doch zugleich er, Christus, ganz, als Person. Und als Person zieht er die, die ihn in den Gestalten von Brot und Wein empfangen, zugleich hinein in die Gemeinschaft zwischen ihm und dem Vater, in das Geheimnis der Gemeinschaft, die im Wesen Gottes selber liegt: Wie mich der lebendige Vater gesandt hat und ich lebe um des Vaters willen, so wird auch, wer mich isst, leben um meinetwillen. Nein, es geht hier nicht bloß um irdische Speise, um ein nettes gemeinschaftliches Essen. Es geht um eine Speise, die vom Himmel selber kommt: Es ist nicht wie bei den Vätern, die gegessen haben und gestorben sind. Wer dies Brot isst, der wird leben in Ewigkeit.

Wenn man diese Worte Jesu hört, dann möchte man nur noch vor Freude jubeln, jubeln über diese Speise des Lebens, über diesen Weg, auf dem wir mit ihm, Christus, dem lebendigen Gott, schon hier auf Erden aufs engste verbunden werden. Ja, wenn man diese Worte Jesu hört, dann kann man sich eigentlich gar nicht mehr vorstellen, wie jemand jemals auf dieses Brot des Himmels verzichten könnte, auch nur einen Sonntag.

Doch in Wirklichkeit reagierten schon damals die Zuhörer Jesu, ja, seine eigenen Jünger, ganz anders: Sie murrten, so heißt es hier, sie sprachen: Das ist eine harte Rede; wer kann sie hören? Da verkündigt Jesus ihnen das Evangelium in der allerschönsten Form – und die, die ihn hören, nehmen daran Anstoß, ärgern sich darüber. Ja, genau das hat es zu allen Zeiten in der Kirche Jesu Christi gegeben, dass Menschen sich diesen Worten Christi, dieser Einladung zu seinem Mahl verschließen, nichts von ihr wissen wollen, sie für überflüssig, ja letztlich für Quatsch halten. Genau das hat es zu allen Zeiten gegeben, dass Menschen sich dieser Botschaft Jesu verweigern, dass wir Anteil an seinem Leben eben dadurch erhalten, dass wir seinen Leib essen und sein Blut trinken. Die Botschaft Jesu, die Leben, ewiges Leben verspricht, führt immer wieder zu Scheidungen, führt immer wieder auch dazu, dass Menschen sich abwenden und meinen, sie wüssten einen besseren Weg, an Jesus heranzukommen, als den, den Jesus selber uns hier vor Augen stellt.

Menschen wenden sich von Jesus ab, von seinen Worten über das Heilige Mahl, sehen als Zeitverschwendung an, was doch in Wirklichkeit Quelle des Heils, Quelle des ewigen Lebens ist. Unglaube – so nennt Jesus die Dinge hier sehr klar beim Namen. Es gibt einige, die doch eigentlich so dicht an Jesus dran sind – und sich dann doch dem Entscheidenden verweigern, nichts damit anfangen können, dass Gott eben gerade diesen Weg zum Heil für uns gewählt hat, dass er sich selber für uns ganz klein macht, so klein, dass wir ihn mit unserem Mund aufnehmen können.

Wie kann dieser Unglaube überwunden werden? Wir selber können es nicht, können das, was Jesus hier sagt, nicht für vernünftig und einleuchtend erklären. Für unsere menschliche Vorstellung wird es immer anstößig bleiben, dass Jesus uns sein ewiges Leben dadurch schenken will, dass er uns ein Stück Brot essen und gemeinsam aus einem Kelch trinken lässt. Genau das meint Jesus hier, wenn er sagt: Das Fleisch ist nichts nütze. Da ist nun mit diesem Fleisch nicht sein Fleisch gemeint, das wir im Heiligen Mahl empfangen, sondern unser menschliches Denken, unsere begrenzte menschliche Wahrnehmung. Mit der kommen wir nicht weiter, wenn es darum geht, das Geheimnis des heiligen Sakraments zu erfassen. Nur einer kann uns die Augen öffnen für die Realität dessen, was uns hier geschenkt wird: Der Geist Gottes selber, der da lebendig macht, wie wir es im Nizänischen Glaubensbekenntnis immer wieder bekennen. Dieser Geist Gottes, der kann uns Augen öffnen, neue Welten eröffnen, uns eine Realität wahrnehmen lassen, die uns von uns aus nur lächerlich und absurd erscheinen mag. Und wie bekommen wir Anteil an diesem Geist Gottes? Schlicht und einfach dadurch, dass wir die Worte Christi immer wieder vernehmen, gerade auch diese Worte über das Heilige Mahl, die wir heute gehört haben. Denn diese Worte sind Geist und Leben; sie bewirken, was wir niemals bewirken könnten, lassen uns erkennen, was uns sonst völlig verschlossen bliebe.

Wo und wann dieser Geist Gottes bei Menschen Glauben wirkt, das müssen wir ganz ihm überlassen, so heißt es schon in unserem lutherischen Bekenntnis. Was uns bleibt, ist, dieses  Wort immer wieder laut werden zu lassen – und uns selber dadurch immer wieder stärken, trösten, ermutigen zu lassen. Dann wird uns immer klarer vor Augen stehen, warum wir auf das Sakrament des Leibes und Blutes Christi niemals verzichten können, warum auch eine Stunde nichts ist, wenn hier am Altar doch Menschen Anteil am ewigen, unvergänglichen Leben ihres Herrn erhalten, ja, warum wir niemals verwässern und verschleiern können und wollen, was uns hier im Sakrament gegeben wird: wirklich und wahrhaftig der heilige Leib und das heilige Blut unseres Herrn.

Gott geb’s, dass wir uns durch nichts und niemanden von diesem Heiligen Mahl wegziehen lassen, dass wir uns auch nicht von langen Gottesdiensten und langen Wegen davon abhalten lassen, es immer und immer wieder zu empfangen! Ja, Gott geb’s, dass uns dieses Heilige Mahl so lieb und wichtig wird, dass uns immer klarer vor Augen steht, was uns hier geschenkt wird: nicht weniger als Gemeinschaft mit dem lebendigen Gott, fühlbar, essbar, kaubar, Gemeinschaft mit Gott, die ins ewige Leben führt. Ja, Gott geb’s, dass wir darauf wirklich niemals in unserem Leben werden verzichten wollen! Amen.

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