St. Lukas 1, 1-4 | Drittletzter Sonntag des Kirchenjahres | Pfr. Dr. Martens

Morgen ist es nun schon 26 Jahre her, dass sich hier in unserer Stadt wildfremde Menschen in den Armen lagen und den Fall der Mauer feierten. Eine Stimmung herrschte in der kommenden Zeit in unserem Land, ja in ganz Europa, als ob die Zeit der Kriege und Konflikte nun endgültig überwunden sei, als ob nun endlich in Europa ein großes Friedensreich errichtet werden könne. Doch es dauerte nicht lange, bis sich herausstellte, wie sehr man sich in dieser Hoffnung getäuscht hatte, und heute wissen wir, dass wir dem Traum von solch einem Friedensreich in der Zwischenzeit kein bisschen näher gekommen sind. Im Gegenteil: Heute, so ist mein Eindruck, werden die Menschen in unserem Lande gar nicht mehr so sehr von Hoffnungen auf eine wunderbare Zukunft angetrieben, sondern von allen möglichen Ängsten, die je nach politischer Ausrichtung ganz unterschiedlich ausfallen können, aber geradezu apokalyptische Ausmaße annehmen können.

Um Menschen, die in die Zukunft blicken und Großes erwarten, geht es auch im Heiligen Evangelium dieses Sonntags. Da fragen die Pharisäer Jesus: „Wann kommt das Reich Gottes?“ Ja, diese Menschen hatten wenigstens noch eine Hoffnung, das muss man ihnen lassen; die ließen sich nicht einfach nur von Ängsten gefangen nehmen. Und doch gibt Jesus ihnen nicht die einfache Antwort auf ihre „Wann“-Frage, die sie gerne gehabt hätten, macht ihnen vielmehr Dreierlei klar, das zu bedenken auch für uns als Christen in all den Diskussionen dieser Tage ganz wichtig ist:

  • Hütet euch vor denen, die das sichtbare Reich Gottes auf Erden schaffen wollen!
  • Nehmt wahr, dass das Reich Gottes schon längst da ist!
  • Seid immer bereit für den Tag meines Kommens!

I.

Morgen am 9. November werden wir nicht nur an den Mauerfall hier in Berlin denken, sondern auch an die Wiederkehr der Reichspogromnacht, mit der das angeblich Tausendjährige Reich eine neue, erschreckende Etappe bei seinem Versuch, das jüdische Volk zu vernichten, begann. Die Gräuelherrschaft des Dritten Reiches ist das wohl erschreckendste Beispiel dafür, wie Menschen immer wieder in Wahrheit die Hölle hervorbringen, wenn sie das Reich Gottes selber auf Erden errichten wollen, wenn sie ihr Handeln mit dem Reich Gottes gleichsetzen. „Geht nicht hin und lauft ihnen nicht nach!“ Wie aktuell sind diese Worte Jesu auch heute noch, wenn Gesinnungsgenossen dieser Verbrecher auch heute wieder versuchen, in unserem Land Stimmung zu machen.

Ganz aktuell ist die Warnung Jesu vor denen, die ihr politisches Handeln als Handeln der angeblichen Vorsehung oder als Handeln Gottes überhöhen, so erleben wir es nun wieder, wenn wir auf den Islamischen Staat im Nahen Osten blicken, der ebenfalls diesen Anspruch erhebt, die Gottesherrschaft hier auf Erden verwirklichen zu können. Und was dabei herauskommt, ist wieder nichts anderes als die Hölle. Und machen wir uns nichts vor: Der Auftrag, Gottes Herrschaft auch mit politischen, ja zur Not auch gewaltsamen Mitteln durchzusetzen, ist ganz tief im Koran selber verankert. Die Warnung Jesu: „Geht nicht hin und lauf ihnen nicht nach!“ betrifft nicht nur den IS, betrifft den Islam insgesamt. Nach Jesus kommt eben nichts und niemand, der Jesus selber überbieten oder gar ersetzen könnte!

II.

 

Und damit sind wir schon beim Zweiten: Auf die Frage, wann denn nun das Reich Gottes endlich komme, antwortet Jesus: Siehe, das Reich Gottes ist mitten unter euch! Gemeint ist: Hier bin ich, ich bin das Reich Gottes, wo ich bin, da ist Gott, da ist Gottes Herrschaft in dieser Welt schon angebrochen. Die Pharisäer blicken in die Zukunft und übersehen dabei, was in der Gegenwart geschieht. Sie schauen ganz genau hin, ob Jesus etwas macht, was den Gesetzen Gottes nicht entspricht, und übersehen dabei, dass er selber, Jesus, der Herr des Gesetzes, ja mehr noch: das Reich Gottes in Person ist.

Und genau das ist es auch, was die christliche Kirche zu verkündigen hat, das ist auch unser Auftrag hier in der Gemeinde: Es ist nicht unser Auftrag als Kirche, die Ängste der Menschen noch zu verstärken oder religiös zu überhöhen, ganz egal in welche politische Richtung auch immer. Und es ist auch nicht unser Auftrag als Kirche, den Menschen vorzurechnen, wie lange es wohl noch dauern wird, bis diese alte Welt vergehen wird. Solche Rechnereien überlassen wir gerne den Sekten. Wir haben Schöneres und Größeres zu verkündigen: Wir werden Gott nicht erst irgendwann einmal in der Zukunft, erst recht nur irgendwann mal nach unserem Tod begegnen. Sondern das Reich Gottes ist hier und jetzt schon mitten unter uns, weil Jesus selber in unserer Mitte gegenwärtig ist, weil Gottes Herrschaft hier und jetzt schon Realität ist, wenn Christus zu uns redet in seinem Wort, ja, wenn er mit seinem Leib und Blut in uns selber Wohnung nimmt.

Ja, ich weiß, das ist nicht spektakulär, selbst wenn wir im Augenblick einiges Medieninteresse deswegen hervorrufen, dass so viele ehemalige Muslime sich in unserer Gemeinde taufen lassen. Doch die, die das alles hier nur für ein etwas exotisches Spektakel halten, haben eben noch überhaupt nicht wahrgenommen, was hier in Wirklichkeit passiert, wie hier Gottes Reich gebaut wird – ganz unscheinbar und doch real, verborgen in Wasser, in Brot und Wein. Ja, in Wirklichkeit passiert hier in unserer Mitte mehr als in jedem Parlament, als in jeder politischen Versammlung. Hier werden Menschen zum ewigen Leben gerettet, werden hier und jetzt schon Staatsbürger des Reiches Gottes – und dabei spielt das Herkunftsland überhaupt keine Rolle. Ja, auch wenn wir als Kirche und Gemeinde in diesen bewegten Wochen in unserem Land auch zu Fragen des Umgangs mit Flüchtlingen Stellung nehmen und unsere Stimme für die erheben, die selber nicht sprechen können, bleibt unser erster Auftrag doch immer der: Möglichst vielen Menschen diese eine großartige Botschaft zu bezeugen: Das Reich Gottes ist mitten unter euch – wann immer ihr euch um Christus versammelt, wann immer Christus in eurer Mitte ist. Darum braucht ihr euch nicht zu fürchten, darum braucht ihr euer Heil auch nicht in Träumen von einer besseren Zukunft zu suchen. Wenn du hier an den Altar trittst, dann bist du schon dort, wo du einmal auch in aller Ewigkeit sein wirst: in der liebenden Gemeinschaft mit Christus, deinem Herrn.

III.

Aber eines ist natürlich richtig: Hier und jetzt musst du noch wieder weg hier vom Altar, zurück in deinen Alltag, in dem dich so vieles erwartet, was dir zeigt, dass Gottes neue Welt noch nicht sichtbar angebrochen ist, in deinen Alltag, in dem es so vieles geben mag, was dich wieder von Christus wegzuziehen versucht: Anfeindungen und Gewalt in den Asylbewerberheimen und auf der Straße, Angst um deinen Aufenthalt hier in Deutschland, Sorgen um deine Familie, ja, vielleicht auch der ganz normale Alltag, der dir so leicht den Blick auf Jesus Christus und auf sein Kommen verdeckt.

Ja, da kommt noch mehr, viel, viel mehr, als du jetzt im Augenblick auch nur zu ahnen vermagst. Dein Herr kommt wieder, und wenn er kommt, dann wirst du nicht lange überlegen müssen, ob er es wirklich ist, dann wird er dir so klar und eindeutig vor Augen stehen, wie du auch einen Blitz nicht übersehen kannst, der den ganzen Himmel aufleuchten lässt. Und wenn er dann kommt, dann wird er eben nicht so schnell wie ein Blitz wieder verschwunden sein, dann wird mit seinem Kommen wirklich alles anders, dann wird es all das nicht mehr geben, was dich jetzt noch so bedrückt und belastet, was dir solche Angst einjagen mag. Dann wird nur noch die Freude bleiben, die Christus dir jetzt schon in der Begegnung mit ihm hier am Altar schenken will.

Ganz wichtig ist allerdings eins: Dass du tatsächlich vorbereitet bist auf sein Kommen, dass du ihn, Christus, in deinem Alltag nicht völlig aus dem Blick verlierst, weil es scheinbar so viele andere Dinge gibt, die wichtiger sind als die Begegnung mit Christus, deinem Herrn! Die Menschen zur Zeit der Sintflut und die Bewohner Sodoms stellt Christus uns hier als warnende Beispiele vor Augen. Sie dachten, dass es in ihrem Leben immer so weitergehen würde wie bisher – und waren dann völlig überrascht, als sie merkten, dass sie es versäumt hatten, auf Gottes Wort zu hören. Denke daran, wenn dir solche Gedanken durch den Kopf gehen, du hättest jetzt keine Zeit für Christus, ja, vielleicht später mal könntest du ja wieder Zeit für ihn finden! Essen, Trinken, Kaufen, Heiraten – das ist alles schön. Aber wenn das allein der Inhalt deines Lebens wird, dann bist du drauf und dran, das Wichtigste in deinem Leben zu verpassen, ja, dann stehst du in der Gefahr, am Ende draußen vor zu bleiben, wenn Christus sein großes Fest feiern wird.

Schwestern und Brüder: Wir wissen nicht, was alles noch in der nächsten Zeit auf uns zukommen wird, wie viele Flüchtlinge noch in unser Land kommen werden, wie sich unsere Gesellschaft, wie sich vielleicht auch das Klima verändern wird. Wir wissen noch nicht einmal, wie lange unser eigenes Leben überhaupt noch dauern wird. Aber eines dürfen wir ganz sicher wissen: Jesus Christus kommt wieder, und er wird plötzlich kommen, dann, wenn es die meisten nicht erwarten. Halte dich darum hier und jetzt immer und immer wieder an ihn, begegne ihm jetzt schon, wenn er dich einlädt hier an seinen Altar! Dann wirst du dich vor Freude nicht mehr einkriegen, wenn er einmal ewig vor dir aufleuchten wird. Und dann wirst du tatsächlich nie mehr eine Frage haben! Amen.

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