St. Lukas 3, 1-14 | Dritter Sonntag im Advent | Pfr. Dr. Martens

Habt ihr schon einmal etwas von einer Filterblase gehört? Filterblasen entstehen, wenn uns im Internet in sozialen Netzwerken oder in Suchmaschinen zunächst und vor allem solche Informationen angeboten und vor Augen gestellt werden, die unsere eigenen Wünsche, Meinungen und Erwartungen bekräftigen. Das gibt uns ein Gefühl von Geborgenheit und Sicherheit, immer wieder neu in dem bestätigt zu werden, was wir schon kennen und für richtig halten; das ermutigt uns, die Wege immer weiter zu gehen, die wir einmal eingeschlagen haben. Wer einmal zu der Auffassung gelangt ist, dass Flüchtlinge für alles Übel in diesem Land verantwortlich sind, und sich mit gleichgesinnten Freunden in den sozialen Netzwerken umgibt, der wird irgendwann tatsächlich nur noch in einer Welt leben, in der alle Flüchtlinge Verbrecher sind, die uns das Geld wegnehmen und die Zukunft unseres Landes ruinieren, weil sie nur noch solche Nachrichten von allen Seiten erhalten. Und wer einmal den Weg eingeschlagen hat, dass auch die leiseste Kritik am Islam ein Zeichen für rechtsradikale Gesinnung ist, der wird tatsächlich am Ende in einer Welt leben, in der alle problematischen Aspekte des Islam geradezu systematisch ausgeblendet sind und eine Auseinandersetzung mit ihnen gar nicht mehr möglich ist. Gesellschaftliche Diskussionen mit Menschen, die in ihren jeweils eigenen Filterblasen leben, sind am Ende kaum noch möglich.

Doch die Heilige Schrift macht uns deutlich: Filterblasen gibt es nicht erst im Zeitalter von Google und Facebook. Seit wir Menschen das Paradies verlassen mussten, haben wir uns selber solche Filterblasen geschaffen, Räume, in denen wir uns eingerichtet haben, uns die Welt zurechtgemacht und erklärt haben und in die wir nach Möglichkeit nichts hereinlassen, was diese geschlossene Welt irgendwie in Frage stellen oder durcheinanderbringen könnte. Und in solchen Filterblasen ist dann beispielsweise kein Platz mehr für Gott, dafür, dass er in diese Welt eingreifen könnte, dass er all das in Frage stellen könnte, was uns in unserer eigenen Filterblase so völlig eindeutig und nicht hinterfragbar erscheint.

Und eben damit sind wir nun schon mitten drin in der Predigtlesung des heutigen Adventssonntags. Da schildert uns St. Lukas genau dies, wie Gott selber in unsere große menschliche Filterblase hineinpiekst und sie zum Platzen bringt. Alles scheint in dieser Welt seinen gewohnten Gang zu gehen: Kaiser und Könige und Statthalter regieren; nach ihrer Regierungszeit wird die Geschichte berechnet – doch da geschieht mit einem Mal das Wort Gottes zu Johannes, so formuliert es St. Lukas hier. Gott kommt mitten in diese unsere menschliche Geschichte hinein, an einem ganz bestimmten Punkt, fassbar, markierbar, so, dass man sein Eingreifen an ganz bestimmten Menschen festmachen kann. Und dieser Mensch, an dem und durch den Gott in die Filterblase dieser Welt hineinsticht, ist Johannes der Täufer. In dem, was er tut und verkündigt, begegnet uns etwas ganz Anderes, etwas, was wir Menschen selber uns niemals vorgestellt hätten, was unserem eingefahrenen Denken, was unseren Erwartungen gerade nicht entspricht:

Wenn man auf den Islam schaut, dann stellt man fest, dass Johannes der Täufer dort im Islam auch eine ganz wichtige Rolle spielt: Er ist der drittletzte große Prophet; nach ihm kommen nur noch der große Prophet Jesus und das Siegel der Propheten namens Mohammad. Alle Propheten haben dabei letztlich die gleiche Aufgabe: Sie sollen die Menschen zum Glauben an den einen Schöpfergott rufen und zur Einhaltung der Gesetze, die er den Menschen gegeben hat. Doch Lukas macht deutlich: Johannes hat in Wirklichkeit eine ganz andere Aufgabe, eine ganz andere Botschaft: Er kündigt das Kommen eines anderen an, der unendlich mehr ist als bloß ein Prophet, der nicht weniger ist als der Herr selbst, der sich im Alten Testament zu erkennen gegeben hat. Johannes gibt nicht den Staffelstab der Propheten weiter an den nächsten Propheten. Sondern er ist selber der allerletzte Prophet, so macht es St. Lukas hier deutlich. Nach ihm kommt nur noch Gott selber.

Ja, Gott selber kommt, Gott greift in diese Welt, in diese Weltgeschichte ein, lässt uns nicht unter uns bleiben in einer wohlgehüteten Filterblase. Ein Leben ohne die Gegenwart des lebendigen Gottes ist eine nette oder vielleicht auch furchtbare Illusion, ein Leben in einer Blase, das das Allerwichtigste völlig ausblendet und sich nur damit zufrieden gibt, sich selber zu bespiegeln. Gott kommt – ja, so hat es damals im Jahr 28 nach Christi Geburt Johannes den Leuten verkündigt, hat auf den hingewiesen, der in Wahrheit der Heiland Gottes ist. Und genauso will Gott auch heute immer wieder in unsere Filterblasen hineinstechen, in denen für Gott kein Platz ist, weil wir Menschen ja uns angeblich alles auch ohne Gott erklären können, weil wir mit so vielem anderen beschäftigt sind, dass wir uns ein religiöses Hobby nicht auch noch leisten können. Doch wenn Gott tatsächlich kommt, dann bringt das unsere ganze Lebenslandschaft durcheinander, da werden Dinge, die vorher so unwichtig erschienen, mit einem Mal ganz wichtig, und Dinge, die ganz oben zu sein schienen, landen in ihrer Wichtigkeit mit einem Mal ganz unten. Gott kommt – jawohl das ist das entscheidende Thema deines Lebens! Nicht die Frage danach, was für eine Entscheidung das Bundesamt über dich fällt, nicht die Frage danach, ob du eine Arbeit findest, mit der du genügend Geld verdienst, ob du eine Wohnung findest, ob du den Sprachtest bestehst. Wenn Gott kommt – dann rückt das alles in den Hintergrund, dann geht es nur noch um die eine Frage, wie wir vor diesem lebendigen Gott bestehen können, wenn der allen Ernstes in unser Leben eingreift und uns gegenübertritt.

Ja, es ist richtig, wir Menschen haben uns auch in unserer Filterblase unsere eigenen Gedanken darüber gemacht, was wir denn sagen könnten, wenn wir tatsächlich einmal mit Gott konfrontiert werden sollten, wenn der uns tatsächlich einmal nach unserem Leben fragen sollte. Und die Antworten, die wir uns dabei zurechtgelegt haben, die klingen beruhigend, die scheinen zu zeigen, dass wir unser Verhältnis zu Gott selber ganz gut „handlen“ und in Ordnung bringen können: Wir sind doch immer anständige Menschen gewesen; wir haben immer unseren Müll ordentlich getrennt; wir haben sogar regelmäßig für wohltätige Einrichtungen gespendet; wir haben eigentlich alle Bedingungen erfüllt, die Gott realistischerweise uns stellen kann. Und wenn das am Ende nicht reicht, dann haben wir sicher noch den einen oder anderen Witz auf Lager, mit dem wir den lieben Gott dazu bewegen können, uns freundlich nickend in einen Himmel zu lassen, der ebenfalls unseren eigenen Wünschen und Vorstellungen entspricht.

Doch diesen Traum davon, dass wir es schaffen, unser Verhältnis zu Gott so zu regeln, dass es am Ende für uns doch ganz gut aussieht, diesen Filterblasentraum lässt Johannes der Täufer hier mit einem lauten Knall zerplatzen: Man muss sich das mal vorstellen: Da lädt Johannes der Täufer dazu ein, mitten in der Wüste sich im Jordan taufen zu lassen als Zeichen der Umkehr zu Gott im Angesicht seines Kommens. Und dann machen sich die Menschen allen Ernstes auf den Weg mitten in die Wüste, nehmen manche Unbequemlichkeit in Kauf, zeigen ihr starkes religiöses Interesse. Und was macht der Johannes, als sie bei ihm ankommen? Er sagt nicht: Ich begrüße Sie herzlich im Namen des Vorbereitungsteams, das diese Taufen heute für Sie vorbereitet hat! Wie schön, dass Sie alle heute Morgen hierhergekommen sind! Nein, Johannes wählt eine andere Anrede: „Ihr Schlangenbrut, wer hat denn euch gewiss gemacht, dass ihr dem künftigen Zorn entrinnen werdet?“ Das ist nicht nett, das ist nicht diplomatisch, das entspricht nicht den Bedürfnissen und Sehnsüchten derer, die gekommen sind. Ich weiß nicht, wie ihr reagiert hättet, wenn ich euch heute Morgen zu Beginn des Gottesdienstes oder zu Beginn dieser Predigt als Schlangenbrut bezeichnet und euch angekündigt hätte, dass auch euch die Axt schon an die Wurzel gelegt ist. Ob da nicht doch eine instinktive Reaktion gewesen wäre: Das müssen wir uns nicht bieten lassen! Da gehen wir lieber irgendwo hin, wo wir netter behandelt werden!?

Doch Johannes geht es hier ja nicht um Publikumsbeschimpfung, er hat keine Lust am Pöbeln. Sondern er will den Menschen im Auftrag Gottes noch einmal neu in ihre Filterblasen hineinpieken, dass ja keiner auf die Idee kommt zu meinen, er könne sich mit seinen guten Werken, mit seinem anständigen Leben, vielleicht auch mit seiner Abstammung aus einem lutherischen Elternhaus den Himmel verdienen. Wer glaubt, er habe von sich aus ein Anrecht auf den Himmel, wer nicht angesichts des Kommens Gottes erst einmal zutiefst erschrickt, weil er diesem Gott nichts, aber auch gar nichts vorzuweisen hat, was ihn vor seinem Zorn schützen könnte, wer nicht erkennt, dass er allein in seiner Filterblase vor Gott ganz und gar verloren ist, der muss dringendst aufgeweckt werden, damit er erkennt, was für ihn eigentlich auf dem Spiel steht in seinem Leben.

Doch, gottlob: Johannes der Täufer ist nicht Mohammad. Er begnügt sich nicht mit der Ankündigung des kommenden Gerichts Gottes. Sondern alles, was er tut und verkündigt, soll doch dem dienen, dass die Menschen zur Vergebung der Sünden geführt werden, dass sie sehen, wer der Heiland Gottes ist – kein anderer als der, der Gott selber in Person ist und dessen Weg doch zugleich dorthin führt, wo ihn kein Mensch in seiner eigenen Filterblase suchen und erwarten würde: ans Kreuz. Darum will Johannes die Menschen aufwecken, damit sie zu ihm, Christus, fliehen, von ihm allein und nicht von sich alles erwarten: Heil, Vergebung der Sünden, Leben. Das kommt alles von außerhalb der Filterblase auf uns zu; das ist immer wieder neu ein Wunder, über das wir stets aufs Neue nur staunen können: dass Gott zu uns kommt, nicht um uns zu vernichten, sondern um uns zu retten.

Doch Johannes der Täufer piekst noch weiter in unserer Filterblase herum: Wenn wir meinen, das Kommen Gottes in unsere Welt, in unser Leben sei für uns nur an einigen ausgewählten Sonntagen von Bedeutung, der flüchtet sich eben doch wieder in seine eigene, kleinere Filterblase zurück, meint allen Ernstes, es gäbe Bereiche in unserem Leben, aus denen wir Gott heraushalten könnten. Doch wenn Gott in unser Leben hineinkommt, wenn er sich an unsere Filterblase heranmacht, dann geht er auch mitten an unseren Alltag heran, dann bleibt auch unser Portemonnaie nicht von ihm verschont, so zeigt es uns St. Lukas hier.

Ach, wie aktuell sind die Weisungen, die Johannes der Täufer hier der Menge, die zu ihm kommt, gibt! Wie aktuell sind sie in einer Zeit, in der in unserem Lande alle möglichen unsinnigen Neiddebatten geführt werden – bis hin zu der absurden Behauptung, Asylbewerber könnten hierher nach Deutschland kommen und sich hier umsonst ein neues Gebiss anfertigen lassen, während anständige Deutsche dafür eine Riesenstange Geld auf den Tisch blättern müssten! Wer einmal beim LaGeSo darum gekämpft hat, dass Asylbewerbern wenigstens eine gewisse medizinische Grundversorgung gewährt wird, der weiß, auch ohne Johannes den Täufer, wie unsinnig solche Diskussionen sind. Doch Johannes geht ja viel weiter: Der verkündigt den Willen Gottes, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen: Wer zwei Hemden hat, der gebe dem, der keines hat; und wer zu essen hat, tue ebenso.

Ja, so dicht wollten wir den lieben Gott dann vielleicht doch nicht in unserem Leben haben, dass er uns so etwas zumutet: Teilen statt Jammern, Abgeben statt Besitzstandswahrung! Doch es geht Johannes hier ja nicht um die Errichtung einer sozialistischen Gesellschaftsordnung. Ihm geht es um unendlich mehr: Wenn Gott in die Filterblase unseres Lebens hineinkommt, dann ändern sich unsere Werte und Wichtigkeiten, dann stehen Geld und Besitz nicht mehr an erster Stelle. Wer dann an erster Stelle steht, ist Christus allein, er, den Johannes der Täufer damals angekündigt hat und der allein mit seinem Tod am Kreuz die Vergebung unserer Schuld, unseres Versagens auch im Umgang mit Geld und Besitz bewirkt hat.

Wie gut, dass das Gottes letztes und entscheidendes Wort ist, mit dem er in unsere Filterblasen hineindringt! Ja, wie gut, dass er heute Morgen nun sogar noch weitergeht, dass er noch dichter, noch tiefer in unser Leben eindringt, wenn er zu uns kommt mit seinem Leib und Blut hier im Heiligen Mahl. Christus in uns – das ist das Gegenteil aller Abschottung, aller Versuche, sich seine eigene Welt nach den eigenen Wünschen und Vorstellungen zu schaffen. Christus in uns – der lässt uns anders leben, der lässt uns dann auch immer wieder auf das hören, was uns nicht passt. Wir müssen uns nicht unsere eigene heile Welt schaffen. Christus schafft sie, wird sie bringen, im Weltmaßstab, am Tage seines Kommens. Da werden dann auch die letzten Blasen platzen, da wird es nur noch eine Wirklichkeit geben: Alle Menschen werden den Heiland Gottes sehen. Amen, ja, komm, Herr Jesu! Amen.

Zurück