St. Markus 12,41-44 | Okuli | Pfr. Dr. Martens

„Wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele aus dem Fegefeuer in den Himmel springt“ – Mit diesem Slogan warb der Ablassprediger Johann Tetzel vor 500 Jahren für seine vielversprechenden religiösen Produkte, die Ablassbriefe, die einem eine deutliche Verkürzung der Zeit, die man nach seinem Tod im Fegefeuer zuzubringen hatte, versprachen. Wir wissen, was Martin Luther von diesen Ablassbriefen gehalten hat, denken daran in diesem Jahr 2017, genau 500 Jahre nach der Veröffentlichung von Martin Luthers 95 Thesen gegen den Ablass, in besonderer Weise. Ja, das steckt uns als lutherischen Christen hoffentlich so richtig in den Knochen: Nie und nimmer können wir uns den Himmel erkaufen, nie und nimmer können wir mithilfe von Geld unser Schicksal jenseits des Todes beeinflussen. Was für ein Irrsinn!

Und nun klingelt in unserer heutigen Lesung wieder das Geld im Kasten – besser gesagt: in einem der 13 posaunenförmigen Spendenbehälter im Bereich des Tempels, in die die Tempelpilger ihre Gaben werfen konnten. 12 der Spendenbehälter hatten eine feste Zweckbestimmung, der 13. war ohne feste Bestimmung; das Geld, das sich darin sammelte, wurde in der Regel für gottesdienstliche Zwecke, etwa für die Finanzierung von Brandopfern, bestimmt.

Und vor diesen 13. Spendenbehälter setzt sich nun Jesus und guckt zu, was die Leute in diesen Spendenbehälter wohl so alles werfen oder, besser gesagt, wohl von einem Priester werfen lassen, der zuvor die Gaben kontrolliert hatte, um festzustellen, dass das verwendete Geld auch den religiösen Vorschriften entsprach. Das war eigentlich nicht erlaubt, sich im Tempel einfach hinzusetzen. Doch Jesus macht es trotzdem, macht dazu etwas, was wir vielleicht als ein wenig unfein empfinden mögen: Er schaut sich genau an, wie viel die einzelnen Leute, die da zu diesem Spendenbehälter kommen, dort einwerfen. Ach, was für ein wunderbarer Aufhänger wäre das jetzt für eine richtig schöne gewinnbringende Tetzelpredigt im Jahr 2017:

„Weißt du eigentlich, dass Jesus genau zuguckt, wenn du nachher deine Kollekte am Ausgang gibt? Weißt du eigentlich, dass er das genau kontrolliert und das auch kommentieren wird, was du da eingeworfen hast? Weißt du, was Jesus von dir erwartet? Er erwartet von dir nicht bloß einen läppischen 10 oder 20-Euroschein. Er erwartet, dass du alles rausrückst, was du hast, dass sich da kein Schein mehr in deinem Portemonnaie befindet, wenn du nachher zur Kirchentür rausgehst. Oder willst du etwa schlechter vor Gott dastehen als die Witwe hier in unserer Predigtlesung, die noch den letzten Cent, den sie hatte, für Gott hingegeben hat? Hängst du so an deinem Besitz, dass du ihn nicht ganz rausrückst und Jesus gibst?“

Schwestern und Brüder: So oder so ähnlich könnte eine Tetzelpredigt aussehen, die man über die Predigtlesung des heutigen Tages halten könnte. Und es mag wohl sein, dass wir dann heute am Ende des Gottesdienstes tatsächlich ein besseres Kollektenergebnis verzeichnen könnten als an den vorherigen Sonntagen.

Das Problem ist nur: Eine solche Predigt, ein solches Drängen darauf, dass wir genau wie die Witwe nun noch den letzten Cent aus dem Portemonnaie kramen sollen, wenn wir denn richtige Christen sein wollen, eine solche Predigt kann sich in Wirklichkeit überhaupt nicht auf das berufen, was der Evangelist St. Markus hier im 12. Kapitel seines Evangeliums schreibt.

Es lohnt sich, unsere Predigtlesung noch einmal genauer anzuschauen.

Da ist Jesus am Ende seiner irdischen Wirksamkeit nach Jerusalem gekommen. Seine Verhaftung und seine Kreuzigung stehen unmittelbar bevor. Nun, am Schluss, geht Jesus in den Tempel und lehrt dort. Ja, als Lehrer tritt Jesus auch hier in unserer Predigtlesung in Erscheinung. Denn Lehrer saßen damals, während die Schüler standen. Und nun beobachtet Jesus also das geschäftige Treiben rund um die Spendenbehälter. Es wird überliefert, dass bei besonders hohen Spenden der Name des Spenders laut ausgerufen wurde und der Posaunenchor des Tempels zum Einsatz kam, um den großherzigen Spender in besonderer Weise zu rühmen und ihm die Wertschätzung des gesamten Tempelpersonals zu zeigen – eine Art Fundraising der antiken Art. Und da sieht Jesus nun diese Witwe, an ihrer grauen Kleidung zu erkennen. Zwei Scherflein hat sie in der Hand, so übersetzt Martin Luther hier die kleinste Münzeinheit, die es damals gab. Mit zwei Scherflein konnte man sich als Witwe zwei einfache Mahlzeiten für den nächsten Tag kaufen. Und nun passiert das Unfassliche: Die Witwe wirft beide Scherflein in den Spendenbehälter – alles, was sie hat, um morgen überleben zu können.

Was für ein Irrsinn! – So mögen wir es der Witwe zurufen! Im Vergleich zu den Großspenden fällt deine kleine Gabe überhaupt nicht ins Gewicht; wenn du sie behalten würdest, würde das auf die Spendenübersicht praktisch keinen Einfluss haben. Und wieso konntest du nicht wenigstens eine Münze behalten – dann hättest du wenigstens etwas für das morgige Essen übriggehabt! Doch die Witwe hört auf solche Argumente nicht. Sie wirft alles, womit sie ihr Leben am morgigen Tag bestreiten kann, in den Spendenbehälter – nein, nicht aus Verzweiflung, sondern weil sie darauf vertraut, dass Gott sein Versprechen wahrmachen wird und für die Witwen, die Waisen, die Fremdlinge in besonderer Weise sorgen wird.

Und da ruft Jesus nun seine Jünger zusammen. Nein, er sagt nicht zu ihnen: Schaut mal, was die Witwe gemacht hat – die hat alles rausgerückt, das müsst ihr jetzt auch machen! Los ran an die Spendenbehälter! Sagt Jesus nicht. Sondern er beschreibt einfach nur, was er gesehen hat. Er beschreibt und wertet: Diese Witwe hat mehr gegeben als die anderen, weil sie alles, was sie hatte, ihren gesamten Lebensunterhalt, Gott gegeben, ihm anvertraut hat. Die anderen haben nur aus ihrem Überfluss etwas abgegeben. Die Witwe jedoch hat mit ihrer Gabe ihr ganzes Leben in die Hände Gottes gegeben, ihm vertraut, dass er sie versorgen wird.

Das sagt Jesus, beschreibt es, freut sich über solches Vertrauen auf Gott, das er dort gerade bei der Witwe beobachtet hat. Er stellt keine Forderungen auf, übt keinen moralischen Druck aus, sondern staunt einfach fröhlich und lässt die Jünger an seinem Staunen und an seiner Freude teilhaben.

Und genau das wollen wir heute nun auch machen: Wir wollen uns einfach darüber freuen, was die frohe Botschaft von Jesus Christus im Leben von Menschen bewirkt, sie Dinge tun lässt, die völlig unvernünftig erscheinen, die das eigene Leben zu gefährden scheinen. Staunen wollen wir darüber, wie Menschen Jesus Christus vertrauen, obwohl doch äußerlich betrachtet zu solchem Vertrauen so wenig Anlass zu bestehen scheint.

Da lese ich in den Ablehnungsbescheiden des Bundesamtes immer wieder: Es ist im Iran bekannt, dass die Konversion vom Islam zum christlichen Glauben mit schweren Strafen bedroht wird. Darum ist es unglaubwürdig, dass ein Mensch solch ein Risiko auf sich nimmt und etwa in eine Hausgemeinde geht. Wenn der Antragsteller so etwas beschreibt, dann lügt er. So sieht die Logik von Menschen aus, die nichts wissen von dem, was das Wort Gottes im Leben von Menschen zu bewirken vermag. Doch wir staunen darüber, wie so viele Christen im Iran ihr Leben aufs Spiel setzen wie die Witwe hier in der Geschichte auch, alles Gott überlassen, ja schließlich oft genug alles, wirklich alles aufgeben, was sie hatten, nur um Jesus folgen zu können. Ja, die Geschichte von der Witwe, sie wiederholt sich immer wieder, nicht weil irgendjemand auf diese Menschen Druck ausgeübt hätte, sondern weil Jesus in ihnen den Glauben gewirkt hat, der ihn höher setzt als aller irdischer Besitz. Und da erlebe ich es immer wieder, dass ich Gemeindeglieder trösten will, die einen Ablehnungsbescheid für ihren Asylantrag bekommen haben, obwohl sie doch so engagierte Christen sind. Doch dann sind es diese Gemeindeglieder selber, die mich umgekehrt trösten, die ihr Vertrauen zum Ausdruck bringen, dass Gott für sie schon sorgen und alles richtig fügen wird. Was für eine Freude, was für ein Grund zum Staunen, wenn Menschen so selbst mit offenkundigem Unrecht umgehen können! Und wie viel Grund zum Staunen habe ich eben auch immer wieder, wenn ich am Sarg von einem Menschen stehe, der in seinem Leben so viel Schweres durchgemacht hat, und dann doch bezeugen kann: Dieser Mensch ist bei Christus geblieben, hat sich durch nichts und niemanden davon abhalten lassen, Jesus Christus zu vertrauen.

Ja, eine Wundergeschichte erzählt uns St. Markus in der heutigen Predigtlesung – eine Geschichte von einem Wunder, das nicht geringer ist als eine Krankenheilung oder die Speisung von 5000 Menschen: das Wunder, dass ein Mensch mit seinem ganzen Leben Gott vertraut. Und der, der sich über dieses Wunder besonders freut, er, Jesus Christus, unser Herr, der macht sich dann gleich nach dem, was er erlebt hat, auf den Weg zum Kreuz, macht genau das, was die Witwe hier auch macht: Er gibt alles hin, was er hat: seine Gesundheit, seine Ehre, sein Leben – alles lässt er sich nehmen und vertraut darauf, dass Gott tun wird, was doch menschlich gar nicht möglich erscheint. Und Gott hat es getan, hat ihn, Jesus Christus, von den Toten zu einem neuen Leben auferweckt. Auf diesen Gott, der alles für uns gemacht, alles für uns dahingegeben hat, dürfen auch wir vertrauen, selbst wenn es noch so unsinnig erscheinen mag. Er wird für uns sorgen, für uns, die wir ihm doch so wichtig sind, dass er seinen Sohn Jesus Christus für uns hat am Kreuz sterben lassen. Er wird für uns sorgen – darum können wir gelassen sein, können wir sogar immer wieder auch scheinbar völlig unvernünftig handeln, brauchen uns nicht in allem abzusichern, bevor wir abgeben und loslassen. Gott hat schon längst für uns gesorgt – wie gut, dass wir ihm ganz vertrauen dürfen! Amen.  

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