St. Matthäus 10,16-22 | Mittwoch nach Exaudi | Pfr. Dr. Martens

Habt ihr euch auch darüber geärgert, dass nun schon wieder der nächste Lokführerstreik angefangen hat, dass es für viele Glieder unserer Gemeinde nun wieder so schwierig wird, hierher zur Kirche, zum Gottesdienst zu kommen – und das ausgerechnet nun auch noch über Pfingsten?! Ja, ich bin auch genervt, bin nun gerade dabei zu organisieren, wie wir unsere Taufbewerber alle zur Taufvorbereitung und zum Taufgottesdienst am Pfingstmontag hierher bekommen können.

Doch wie hilfreich ist da die heutige Predigtlesung für uns alle miteinander: Sie rückt unsere Maßstäbe zurecht, lässt uns erkennen, wie gut wir es als Christen hier in Steglitz trotz Lokführerstreik haben, stellt uns die wirklichen Herausforderungen vor Augen, mit denen wir als Christen zu rechnen haben. Von dem, was Christen zu erwarten haben, wenn sie in der Gemeinschaft mit ihm, Christus, leben, spricht er, unser Herr, hier, und was er hier beschreibt, ist zugleich wieder einmal atemberaubend aktuell, spricht direkt hinein in die Erfahrung so vieler Glieder unserer Gemeinde, die als Christen in ihrem Leben schon mit ganz anderen Herausforderungen zu kämpfen hatten als bloß mit ausgefallenen S- und Regionalbahnen auf dem Weg zum Gottesdienst.

„Siehe, ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe.“ – So kündigt es Christus hier seinen Jüngern an. Das ist keine sehr angenehme Perspektive – nicht für die einzelnen Jünger, die von Christus ausgesandt werden, und auch nicht für die Kirche insgesamt. Das scheint doch das reinste Himmelfahrtskommando zu sein, mit dem Christus seine Jünger beauftragt: Schafe mitten unter die Wölfe – da ist das Kräfteverhältnis so klar und eindeutig, dass man keine sonderlich ausgeprägte Phantasie braucht, um sich vorstellen zu können, wie die Geschichte ausgeht. Wer ein wenig Kirchengeschichte studiert hat, der weiß eben auch, wie die Sache ausgegangen ist, wie viele Christen um ihres Glaubens willen umgebracht worden sind, getötet worden sind von den Wölfen, die sich auf sie gestürzt haben. Aber wer ein wenig Kirchengeschichte studiert hat, ja, wer auch heute offene Augen hat, der weiß zugleich: Genau so breitet sich der christliche Glaube aus – das Blut der Märtyrer ist der Same der Kirche. Die scheinbare Schwäche des christlichen Glaubens ist in Wirklichkeit seine Stärke, weil Christus gerade so, ohne Gewalt, durchs Leiden, die Herzen von Menschen bewegt und verändert und sie gerade so für sich gewinnt. Ja, so verrückt es klingt: Am Ende erweisen sich die Lämmer als stärker als die Wölfe.

Wölfe und Lämmer – diejenigen, die im Iran in einer christlichen Hausgemeinde waren, diejenigen, die vielleicht gar schon in Afghanistan den Weg zum christlichen Glauben gefunden hatten, können dieses Bild gut verstehen. Interessant ist allerdings, dass Jesus hier nun noch zwei weitere Tierbeispiele hinzufügt: Seid klug wie die Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben. Das heißt in der Verfolgungssituation: Es ist Christen sehr wohl erlaubt, ja geradezu geboten, sich nun nicht freiwillig zu Märtyrern zu machen. Es ist Christen erlaubt, sich heimlich zu treffen, ihren Glauben im Untergrund zu leben und sich nicht gleich in aller Öffentlichkeit anzuzeigen. Ja, so macht es Christus in den Versen, die auf unsere Predigtlesung folgen, deutlich: Es ist Christen auch erlaubt, vor ihrer Verhaftung zu fliehen. Sie dürfen, ja sollen klug sein wie Schlangen. Aber zugleich sollen sie eben auch ohne Falsch sein wie die Tauben. Jeder, der mit ihnen zu tun hat und sie als Christen kennt, soll an ihnen wahrnehmen können, dass es ihnen in ihrem Glauben allein um Christus geht, dass sie mit ihrem Glauben nicht irgendwelche anderen Zwecke verfolgen, dass sie auch hier in Deutschland nicht etwa Christen werden, weil sie sich dadurch irgendwelche persönlichen Vorteile versprechen.

Danach verlässt Jesus dann allerdings auch die Tierwelt und redet Klartext. Was haben Jünger Jesu zu erwarten? Gerichtsverhandlungen, Auspeitschen, Verhöre, Anfeindungen innerhalb der eigenen Familie, dass die Eltern sich von ihren Kindern lossagen, dass die eigenen Verwandten Menschen, die Christen geworden sind, zu Tode zu bringen versuchen, ja, kurzum: Hass von allen Seiten.

Geißeln, Auspeitschen – was das bedeutet, können so manche Glieder unserer Gemeinde aus eigener Erfahrung genau beschreiben, und man kann es sich mitunter auf ihren Rücken immer noch anschauen. Verhöre, mit einem Sack über dem Kopf, mit ausgedrückten Zigaretten auf dem Arm und noch manchem mehr – auch davon können so manche aus unserer Mitte berichten. Konflikte mit den Eltern, die erklären: „Du bist nicht mehr mein Sohn, du bist nicht mehr meine Tochter!“ – Ja, davon höre ich hier in der Gemeinde fast jede Woche. Und was für Ärger man sich im Asylbewerberheim einhandelt, wenn man sich da als Konvertit vom Islam zum christlichen Glauben zu erkennen gibt, ja, auch davon könnten viele aus unserer Gemeinde eine Menge berichten. Da ist „Hass“ schon eine sehr treffende Beschreibung.

Bleiben noch die Gerichte. Ja, in letzter Zeit hatten wir hier in unserer Gemeinde kaum noch Gerichtsverhandlungen, weil das Bundesamt kaum noch Anhörungen durchführt und die meisten Glieder unserer Gemeinde in ihrem Asylverfahren gar nicht so weit gekommen sind, dass sie gegen eine negative Entscheidung klagen könnten. Aber wie oft haben wir es in den vergangenen Jahren schon erlebt, dass Christen aus unserer Gemeinde vor Gericht ihren Glauben bezeugen mussten, nachweisen mussten, was sich im Rahmen eines Gerichtsverfahrens doch eigentlich kaum nachweisen lässt: Dass sie wirklich von Herzen an Christus glauben und dieser Glaube ihre ganze Persönlichkeit bestimmt. Doch zugleich haben Glieder unserer Gemeinde dann auch immer wieder diese Erfahrung gemacht, wie Gott der Heilige Geist ihnen in diesen Verhandlungen beigestanden hat, wie sie dann auch tatsächlich Zeugnis ablegen konnten von dem, was ihnen im christlichen Glauben so wichtig ist.

Wir sind in der Woche des Sonntags „Exaudi“. Exaudi wird auch der „Sonntag der armen Kirche“ genannt. Wir befinden uns zwischen Himmelfahrt und Pfingsten: Christus ist nicht mehr zu sehen, und wir warten zugleich darauf, dass Gottes Heiliger Geist uns als Tröster und Beistand gesandt wird. So sieht es aus, das christliche „Himmelfahrtskommando“, zu dem wir gerade gerufen sind.

Und genau das ist unsere Situation auch hier in unserer Dreieinigkeits-Gemeinde. Ja, wir haben es als Christen hier in Steglitz wirklich gut, vergessen wir es nicht. Aber machen wir uns zugleich nichts vor: Wir haben auch hier in Deutschland keine Gewähr dafür, dass wir es als Christen immer so leicht haben werden, wie wir es jetzt noch weithin haben. Der Hass, der Christen in der Öffentlichkeit immer häufiger entgegenschlägt, lässt uns erahnen, was uns in der Zukunft auch hier in unserem Lande noch bevorstehen kann.

Wie werden wir als Christen darauf in der Zukunft reagieren? Werden wir dem standhalten, was da auf uns zukommen mag? Wenn wir auf uns selber blicken, mögen wir da nicht unbedingt sehr zuversichtlich nach vorne schauen. Doch gottlob brauchen wir uns darüber auch jetzt noch keine Gedanken zu machen, wie wir wohl mal in einer Verfolgungssituation reagieren werden. „Sorgt nicht, wie oder was ihr reden sollt“, sagt Christus. Der Geist unseres Vaters im Himmel, er wird uns gerade dann die nötige Kraft, die rechten Worte geben, wenn es soweit ist. Auf ihn sollen wir uns verlassen, um ihn sollen wir immer wieder neu bitten, dass er uns vor allen Dingen jetzt schon helfe, bei Christus zu bleiben, dass wir uns nicht jetzt schon, wo wir es so leicht haben, durch alle möglichen Kleinigkeiten davon abhalten lassen, dem Ruf Christi in seine Gemeinschaft zu folgen. Es geht tatsächlich um nicht weniger als um unser ewiges Leben, das wir nur in der Gemeinschaft mit Christus haben. Möge uns nichts und niemand darum wichtiger sein als er, Christus, allein, möge uns nichts wichtiger sein, als bei ihm zu bleiben, bei seinem Wort, bei seinem Heiligen Mahl! Denn wer bis an das Ende beharrt, der wird selig werden. Amen.

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