St. Matthäus 11,25-30 | Kantate | Pfr. Dr. Martens

In einigen Wochen wird Thessa aus Hamburg vermutlich in eher kleinerem Kreis ihren 20. Geburtstag feiern. Vor vier Jahren war das ganz anders. Da hatte Thessa zur Feier ihres 16. Geburtstags über Facebook eingeladen und dabei vergessen, diese Feier als privat zu markieren. So lud sie unwissentlich Menschen aus ganz Deutschland zu ihrer Feier ein, und auch nachdem sie die Feier daraufhin wieder abgesagt hatte, strömten doch immer noch 1500 Leute zu dem Reihenhaus in Hamburg, in dem sie lebte, um mit ihr eine große Party zu veranstalten. Die Party musste dann schließlich von der Polizei aufgelöst und beendet werden.

Ja, das sollte man sich vorher gut überlegen, wenn man auf die Idee kommt, einfach alle einzuladen. Im Heiligen Evangelium des heutigen Tages haben wir gehört, dass jemand genau dies getan hat und tut – offenbar nicht aus Versehen, sondern ganz bewusst: „Kommt her zu mir alle“, so verkündigt es Christus hier, nein nicht bloß über Facebook, sondern auf allen möglichen Kanälen. Ja, ganz offensichtlich will Christus nicht bloß mit ein paar Menschen zusammen sein, sondern mit richtig vielen.

Und dann schaut euch mal an, wen er da zu sich einlädt: Im Unterschied zu Thessa sind es nicht unbedingt diejenigen, die gut drauf sind und ordentlich Party machen wollen. Nein, Christus lädt hier alle ein, die mühselig und beladen sind, bedrückt, abgekämpft, kaputt, ausgebrannt, deprimiert. Solche Leute holt man sich doch nicht freiwillig in die Nähe – die ziehen einen doch nur runter, die vermiesen einem doch nur die eigene gute Stimmung! Doch Christus geht es hier auch gar nicht darum, Party zu machen, ihm geht es auch nicht um sein eigenes Wohl, um seine eigene Stimmung. Es geht ihm allein um die, die auf seine Einladung angewiesen sind – ach, was sage ich: Christus lädt hier eigentlich gar nicht ein, er spricht hier geradezu einen Befehl aus: „Her zu mir!“ Nein, das macht er nicht, um die, die er so anspricht, unter Druck zu setzen. Sondern er weiß: Wenn man wirklich mühselig und beladen ist, ganz unten und kaputt – da braucht man solch deutliche Worte, die einem den Weg zeigen, wenn man selber gar nicht mehr die Kraft hat, sich noch selbst zu entscheiden.

Alle lädt Christus ein, ja, tatsächlich alle Mühseligen und Beladenen. Und das galt nicht nur damals, als Jesus mit seinen Jüngern im Heiligen Land unterwegs war; das gilt auch heute noch. „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid!“ – Das ist der Ruf unseres Herrn, den wir als Kirche, den wir als Gemeinde auch heute noch immer wieder neu weiterzureichen haben. Und dann kann es in der Tat passieren, dass sie tatsächlich alle ankommen und die Kirche füllen, die Mühseligen und Beladenen: Menschen, die aus ihrer Heimat fliehen mussten, weil sie dort um ihr Leben fürchten mussten, Menschen, die schon in ihrer Heimat entsetzliche Erfahrungen machen mussten, Folter am eigenen Leibe, Ermordung von Angehörigen. Menschen, die auf der Flucht hierher nach Deutschland Entsetzliches durchgemacht haben, erleben mussten, wie Angehörige auf der Flucht ums Leben kamen, erleben mussten, wie sie selber verhaftet und in Gefängnissen gequält wurden, erleben mussten, wie sie Tag für Tag in Angst verbringen mussten, erwischt zu werden, bestraft zu werden für das Verbrechen, ein Flüchtling zu sein. Ja, da sitzen sie dann schließlich auch hier in der Kirche: Menschen, die Angst davor haben, in den nächsten Tagen und Wochen aus Deutschland abgeschoben zu werden, Menschen, die an der Sorge um ihre Angehörigen in ihrer Heimat kaputtgehen, Menschen, die beladen sind von der Last, jahrelang hier in Deutschland herumhängen zu müssen, ohne dass irgendetwas mit ihnen geschieht, ohne Hoffnung darauf, in absehbarer Zeit eine Antwort auf ihr Asylbegehren zu erhalten, Menschen, die es in ihren Heimen einfach nicht mehr aushalten und anfangen durchzudrehen, Menschen, die an der Willkür von Behörden zu zerbrechen drohen. Aber da sitzen hier eben auch die anderen Mühseligen und Beladenen: diejenigen, die darunter leiden, dass ihre Kinder und Enkel von Christus und der Kirche nichts mehr wissen wollen, diejenigen, denen die Lasten des Alters immer mehr zu schaffen machen, diejenigen, die den Eindruck haben, dass sie in ihrem Leben eigentlich von niemandem gebraucht werden, diejenigen, die darunter leiden, in ihrem Leben versagt zu haben. Was für eine große Schar, was für Lasten, die all diejenigen, die heute Morgen hierhergekommen sind, hierher angeschleppt haben! Da müsste sich der Fußboden in unserer Kirche eigentlich ganz schön durchbiegen!

Und da sind dann ja schließlich auch noch diejenigen, die den Ruf Christi weiterreichen, die all die Mühseligen und Beladenen, die Christus zu sich ruft, hier in Empfang nehmen. Die werden dann auch sehr schnell dabei selber zu Mühseligen und Beladenen, weil sie das ganze Leid und Elend derer, mit denen sie zu tun haben, kaum noch tragen können, weil sie damit überfordert sind, wenn sich die Mühseligen und Beladenen mit ihren Lasten mitunter mehr an sie als an Christus hängen, weil sie das schlechte Gewissen nicht loslässt, nicht genügend zu tun für die, die auf ihre Hilfe angewiesen sind. Und so sitzen und stehen wir hier also nun alle miteinander – als Mühselige und Beladene, denen der Ruf ihres Herrn allen miteinander gilt!

Was bedeutet nun dieser Ruf unseres Herrn für uns? Der Trost, den wir daraus schöpfen können, besteht ja nicht darin, dass Christus neben uns noch viele andere Mühselige und Beladene versammelt und wir feststellen können, dass wir nicht die einzigen sind, die Lasten zu tragen haben, dass es anderen ja vielleicht sogar noch schlechter geht als uns.

Der Trost, der in den Worten dieses Rufes zu finden ist, besteht zunächst und vor allem in dem, der da ruft: Christus ruft: Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid! Ihr braucht euch nicht selber mit euren Lasten allein abzuschleppen, und ihr braucht eure Hoffnung auch nicht darauf zu setzen, dass andere Menschen euch diese Lasten abnehmen, dass sie euch „erquicken“. Kommt her zu mir, ich will euch helfen, aufzuatmen, neue Hoffnung zu schöpfen. Kommt her zu mir – dieser Ruf gilt gerade auch denen, die diesen Ruf an andere weiterleiten; auch sie haben es nötig, selber zu Christus zu kommen, sich von ihm entlasten zu lassen. Sie haben es nötig, immer wieder zu erfahren, dass sie nicht selber Christus sind und es auch nicht zu sein brauchen.

„Erquicken“ will Christus uns, so übersetzt Martin Luther. Man könnte auch übersetzen: Er will uns aufatmen lassen, will uns Ruhe schenken – aramesh. Und genau das geschieht ja tatsächlich immer wieder, wenn wir dem Ruf unseres Herrn und Heilands folgen: Immer wieder berichten mir Menschen aus unserer Gemeinde, immer wieder berichten mir Mühselige und Beladene, wie sie hier im Gottesdienst diese Ruhe finden, diese Entlastung, wie sie hier in der Gegenwart ihres Herrn wieder neu aufatmen können, entlastet wieder in den Alltag zurückkehren können.

Wie entlastet uns Christus, wenn wir seinem Ruf folgen und zu ihm kommen? Nein, er macht es nicht so, dass er uns unsere Lasten einfach abnimmt und sie ganz wegnimmt. Vielmehr lädt er uns ein: „Nehmt auf euch mein Joch!“ Das bedeutet: Christus lädt uns ein, unter sein Joch zu kommen, das er schon auf seinen Schultern trägt. Unsere Last ist damit nicht einfach weg. Aber wir müssen sie nicht mehr allein tragen. Christus, unser Herr, trägt mit, geht Seite an Seite mit uns mit, Schritt für Schritt. Er kennt unsere Lasten, kennt vor allem die allerschwerste Last, die wir mit uns herumschleppen, die Last unserer Schuld. Die hat er selber für uns bis ans Kreuz von Golgatha geschleppt und uns davon in der Tat schon ganz und gar befreit. Aber er trägt nun auch weiter, auch all die anderen Lasten, die uns so sehr zu schaffen machen mögen, lässt uns mit diesen Lasten nicht allein. Und wenn er so Seite an Seite mit uns mitgeht und mit uns mitträgt, dann wird er uns damit auch prägen in unserem Leben, werden wir von ihm lernen, von seiner Art, Lasten zu tragen, in Liebe zu Gott, unserem Vater, der uns niemals mehr aufbürden wird, als wir am Ende gemeinsam mit Christus tragen können.

Höre darum auf die Stimme deines Heilands, wenn er dich nun auch gleich wieder ruft hierher an seinen Altar. Da verbindet er sich wieder neu mit dir, zieht dich wieder neu unter sein Joch, hilft dir tragen, geht mit dir wieder neu hinaus in den Alltag. Und wenn er uns so gemeinsam unter sein Joch holt, uns, die Mühseligen und Beladenen, dann wird daraus in der Tat ein Fest, viel schöner als die Facebook-Party bei Thessa, ein Fest, bei dem auch Bedrückte und Belastete und Ausgebrannte anfangen zu singen. Ja, dann erleben wir hier immer wieder neu schon einen Vorgeschmack des Himmels, dort, wo Christus einmal alle Lasten endgültig von unseren Schultern nehmen wird. Amen.

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