St. Matthäus 13,31-33 | Mittwoch nach Sexagesimae | Pfr. Dr. Martens

Vielleicht war ich ja doch ein wenig naiv gewesen, als ich vor einigen Wochen einem Journalisten der Deutschen Presseagentur die Zusage gab, dass er über unsere Arbeit hier in Steglitz einen Artikel schreiben dürfe. Nun ist der Artikel von der dpa veröffentlicht worden – und innerhalb weniger Stunden erhielt ich nicht nur Anrufe von verschiedenen Medien, die über unsere Arbeit berichten wollten, sondern der Artikel wurde zugleich auch in ganz verschiedenen Zeitungen veröffentlicht – von der Tiroler Tageszeitung über die Berliner Zeitung bis hin zum Greenpeace-Magazin. Und jedes Mal las man die gleiche Überschrift: Hunderte Flüchtlinge konvertieren in Berlin-Steglitz vom Islam zum Christentum.

Ist das also eine Erfolgsgeschichte, die wir hier in Steglitz erzählen können, ja, können wir anderen vielleicht gar erzählen und zeigen, wie man das macht, wie man eine kleine Gemeinde zum Wachsen bringt? So ähnlich könnte man beim ersten Hinhören auch die beiden Gleichnisse missverstehen, die wir eben in der Predigtlesung des heutigen Abends, einer Predigtlesung zum Sonntag Sexagesimae, gehört haben: Da erzählt Jesus scheinbar auch eine Erfolgsgeschichte: Es beginnt alles mit einem Senfkorn. Nein, mit dem Senfkorn ist nicht diese beige Kugel gemeint, die wir aus Gurkengläsern kennen. Sondern der Senfsamen, von dem Jesus hier spricht, ist so winzig klein, dass man ihn mit dem bloßen Auge kaum sehen kann. Doch wenn man ihn aussät, geschieht, was kaum möglich erscheint: Aus diesem winzigen Samen wächst ein Strauch, der zwei oder drei Meter hoch werden kann und solche Ausmaße annehmen kann, dass man ihn mit Fug und Recht als Baum bezeichnen kann. Und noch eine scheinbare Erfolgsgeschichte erzählt Jesus: Die Geschichte von einer Frau, die in eine Riesenmenge Teig etwas Sauerteig mengt – mit dem erfreulichen Ergebnis, dass nach einiger Zeit der gesamte Teig von dieser kleinen Menge Sauerteig durchsäuert war.

Eine Erfolgsgeschichte – so könnte man die beiden Gleichnisse missverstehen, könnte meinen, wir hätten als Christen eine Art von Erfolgsrezept, wie wir Wachstum erzeugen können, wie wir es erreichen können, dass stets gelingt, was wir beginnen. Doch unsere Verkündigung, unsere Arbeit als Kirche hat keine Uncle Bens-Reis-Garantie: „Gelingt immer und klebt nicht.“ Wir haben es im Heiligen Evangelium des vergangenen Sonntags vernommen, dass nicht jeder Same, der ausgesät wird, auch aufgeht oder auch Frucht bringt.

Jesus erzählt uns hier in diesen Gleichnissen vielmehr eine Trost- und Ermutigungsgeschichte – eine Geschichte darüber, dass wir uns von kleinen, unscheinbaren Anfängen nicht entmutigen lassen sollten. In den Gleichnissen geht es zunächst einmal um ihn selber: Wir müssen uns ja einfach nur mal die Situation vor Augen stellen, in der Jesus diese Gleichnisse damals erzählte: Da wandert ein junger Mann durch eine abgelegene römische Provinz und erzählt Menschen vom Reich Gottes. Für den Kaiser in Rom, für diejenigen, die damals Geschichte schrieben und gestalteten, war das in etwa so wichtig wie der berühmte Sack Reis, der irgendwo in China umfällt. Lächerlich, unwichtig, nicht der Rede wert, möchte man meinen, so unscheinbar, wie ein winziges Senfkorn. Doch wir wissen, was sich daraus entwickelt hat: die Kirche Jesu Christi, mit Menschen aus aller Herren Länder, so riesig, dass der Vergleich mit dem großen Senfbaumstrauch noch eher eine Untertreibung als eine Übertreibung darstellt. Dreihundert Jahre, nachdem Jesus dieses Gleichnis erzählt hatte, wurde der erste römische Kaiser selber Christ, hatte sich der christliche Glaube bereits im gesamten römischen Reich und darüber hinaus ausgebreitet. Nein, er hatte sich nicht dadurch ausgebreitet, dass Christen mit Schwertern bewaffnet die Ungläubigen niedergemetzelt hatten und ein christliches Gottesreich errichtet hatten. Sondern der christliche Glaube hatte die Gesellschaft allmählich durchdrungen wie der Sauerteig den halben Zentner Mehl in dem Gleichnis – ganz unspektakulär und doch am Ende sehr nachhaltig, ja, nicht zuletzt dadurch, dass die Christen immer wieder dazu bereit waren, für ihren Glauben auch zu leiden, ja in den Tod zu gehen.

Und der Senfbaumstrauch wächst immer weiter, wächst mittlerweile auch hier in Steglitz, versammelt Menschen aus ganz verschiedenen Völkern auf seinen Zweigen. Ja, wir haben auch hier in Steglitz teil an dem Wunder, das seit 2000 Jahren in dieser Welt geschieht – an dem Wunder, dass die Botschaft von Jesus Christus, dass sein Tod am Kreuz und seine Auferstehung eine solche Kraft in sich haben, dass sie diese Welt immer weiter durchdringen.

Was so im Großen geschehen ist, geschieht zugleich auch immer wieder im Kleinen: Ja, auch wir hatten bei uns die Senfkornsamenzeit, die Zeit, in der zwei oder drei Iraner zu unserer Gemeinde gehörten und es nicht so aussah, dass sich daran in der Zukunft irgendetwas ändern würde. Ganz klein waren auch bei uns die Anfänge, aus denen schließlich etwas Größeres gewachsen ist. Und genauso geschieht es auch jetzt noch immer wieder neu hier in unserer Arbeit in der Gemeinde. Gestern haben wir nun wieder einen neuen Taufunterricht begonnen. Eine Reihe von Taufbewerbern ist erschienen. Nichts sonderlich Spektakuläres, und wenn man in die Gesichter der Taufbewerber schaut, sind darunter sicher auch noch so einige, die selber noch sehr unsicher sind, überhaupt erst einmal hören wollen, was sie hier in der Kirche eigentlich erwartet. Und da säe ich nun auch wieder Samen aus, Samen, bei dem ich zunächst nicht erkennen kann, was sich daraus entwickeln wird. Ja, es verhält sich auch mit dem Wachstum des Glaubens so ähnlich wie mit dem Sauerteig. Wörtlich übersetzt heißt es hier in dem zweiten Gleichnis, dass die Frau den Sauerteig unter dem Mehl „verbirgt“, er ist also gar nicht zu sehen und erst später an seinen Folgen zu erkennen. Ja, auch hier in unserer Gemeinde ist immer wieder Sauerteigzeit, Zeit, in der wir bei Menschen oft erst einmal nicht erkennen können, was sich da bei ihnen entwickelt.

Doch der Same, der Sauerteig – sie haben eine ungeheure Kraft. Und auf diese Kraft sollen und dürfen wir gerade auch dann vertrauen, wenn wir erst einmal nichts sehen, nichts feststellen können. Darauf dürfen wir auch dann vertrauen, wenn mal eine Zeit kommen sollte, in der wir nicht eine Massentaufe nach der anderen haben. Gottes Reich wächst nicht immer gleich spektakulär. Oft ist sehr viel Geduld, sehr viel Warten angesagt, bevor man überhaupt irgendetwas sehen und erkennen kann.

Lassen wir uns also nicht von irgendwelchen Zeitungsmeldungen blenden, lassen wir uns erst recht nicht dazu verführen zu meinen, wir könnten hier in unserer Gemeinde von uns aus irgendetwas bewerkstelligen. Nein, wir tun hier einfach nur unsere ganz alltägliche, mitunter auch mühselige Arbeit: Wir säen, wir kneten Teig und warten ab. Wisst ihr, wie es in einem halben Jahr hier bei uns in Steglitz aussehen wird? Ich weiß es nicht. Aber das eine dürfen wir wissen: Der Same des Wortes Gottes wird auch weiter aufgehen, wird uns immer wieder auch staunen lassen. Und noch viel mehr werden wir schließlich am Ende staunen, wenn wir einmal vor Christus, dem kommenden Herrn, stehen werden und betrachten werden, was er hat wachsen lassen, was unseren Augen bis dahin verborgen geblieben ist. Lassen wir uns darum durch Enttäuschungen und Rückschläge nicht entmutigen. Was uns im Wort Gottes anvertraut ist, ist stärker als alle anderen Kräfte dieser Welt. Und wenn wir etwas von dem Wachstum erkennen können, das dieses Wort Gottes hervorruft, dann schneiden wir bloß keine Zweige wieder ab: Menschen aus allen Völkern sollen auch hier bei uns auf unseren Zweigen ihre Nester bauen können. Amen.

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