St. Matthäus 15, 21-28 | 17. Sonntag nach Trinitatis | Pfr. Dr. Martens

Das war schon ein besonderer Hammer in dieser vergangenen Woche, als wir erfahren haben, wie VW die Abgasmessung bei seinen Dieselautos sehr geschickt manipuliert hat: Unter Testbedingungen stießen die Autos nur sehr geringe Abgaswerte aus – doch nachher auf der Straße, im Alltag, sah alles dann ganz anders aus als in dem Augenblick, als die Wagen getestet wurden. Da blieb von dem wundersam niedrigen Abgasausstoß nicht mehr viel übrig.

So ähnlich, Schwestern und Brüder, mögen manche Menschen auch den christlichen Glauben erfahren: Da weiß ich, dass nicht wenige Menschen im Iran und Afghanistan darum Christen geworden sind, weil sie erfahren haben, wie Gott wunderbar in ihrem Leben eingegriffen hat, ihnen oder einem geliebten Menschen Hilfe und Heilung geschenkt hatte, nachdem sie oder ein anderer Christ darum gebeten hatte. Gott hört ja tatsächlich meine Gebete; dem ist es nicht egal, nicht unwichtig, wenn ich zu ihm rufe, mit ihm spreche, so hatten sie erfahren. Und das hatte sie dann dazu veranlasst, sich weiter mit dem christlichen Glauben zu befassen, ja sich schließlich sogar taufen zu lassen. Und auch diejenigen, die hier in Deutschland als Christen aufgewachsen sind, kennen vielleicht diese Erfahrung, wie schön es sein kann, Gottes Eingreifen, Gottes Bewahrung und Führung im Leben ganz handgreiflich wahrnehmen zu können.

Doch solche Erfahrungen machen wir eben nicht immer. Uns geht es vielleicht in unserem Leben oft genug auch so wie manchem VW-Kunden, der feststellt, dass im Alltag all das, was unter Testbedingungen so gut zu funktionieren schien, gar nicht mehr funktioniert, dass da mit einem Mal etwas ganz anderes herauskommt, was einen nicht gerade vor Freude jubeln lässt.

Doch Gott ist eben nicht der VW-Konzern. Der hat es nicht nötig, Leute mit falschen Versprechungen anzulocken, um sich eine genügend große Zahl von Kunden zu sichern. Gott muss sich keine Sorgen machen, dass irgendwann mal auffliegt, dass all das, womit er uns geködert hatte, am Ende doch nur ein großer Bluff war. Ja, es ist richtig: Gott ist in der Tat nicht Zalando, kein Lieferservice, bei dem wir unsere Wunschbestellung aufgeben und dann nachher vor Freude kreischen, wenn das Bestellte eingetroffen ist. Er ist in der Tat anders als der Gott, den wir uns vielleicht nach unseren eigenen Wünschen zusammenbasteln würden. Ja, wer er wirklich ist, das zeigt er uns im Heiligen Evangelium dieses Sonntags, zeigt er uns in Jesus Christus, in seinem Reden und Verhalten, wie es uns hier geschildert wird.

Da will Jesus endlich mal seine Ruhe haben. Dauernd laufen die Leute hinter ihm her, wollen etwas von ihm. Jetzt ist es genug – und so zieht er sich zurück aus Israel in das Gebiet des heutigen Libanon, in ein heidnisches Gebiet, wohin ihm seine jüdische Anhängerschaft nicht mehr so einfach folgen würde. Doch wie so oft erlebt es Jesus auch bei diesem Versuch, einfach mal ein paar Tage Urlaub zu nehmen, dass ihm diese Ruhe nicht vergönnt ist. Kaum ist er jenseits der Grenze, da begegnet ihm eine Frau, die dort wohnt, und schreit um Hilfe: „Ach Herr, du Sohn Davids, erbarme dich meiner!“ Das ist schon erstaunlich und sollte man nicht erwarten, dass eine Frau, die gar nicht zum Volk Israel gehört, so viel Ahnung von Jesus hat, ja ihn sogar in liturgisch korrekter Sprache anredet. Wirkliche Not ist es, die diese Frau dazu treibt, so zu schreien: Ihre Tochter ist schwer krank, wird geplagt von bösen Mächten, in deren Gewalt sie sich befindet und gegen die sie, die Mutter, einfach nicht ankommt. Kein Wunder, dass die so verzweifelt schreit. Doch Jesus geht auf diese Schreie der Frau überhaupt nicht ein, so betont es St. Matthäus hier ausdrücklich: „Und er antwortete ihr kein Wort.“ Unfasslich: Da wendet sich ein Mensch in seiner Not an Jesus – und der reagiert einfach nicht, schweigt einfach, tut so, als ginge ihn dieses Schreien gar nichts an. Doch die Frau gibt nicht auf – bis schließlich die Jünger schon ganz genervt sind und Jesus bitten, nun doch endlich was zu unternehmen, damit sie wieder ihre Ruhe haben. Doch die Antwort Jesu ist ernüchternd: Für diese Frau bin ich nicht zuständig. Ich habe von meinem Vater einen klaren Arbeitsauftrag: Ich soll mich um die Menschen im Volk Israel kümmern, die meine Zuwendung besonders brauchen. Tyrus und Sidon gehören nicht zu meinem Aufgabengebiet.

Doch die Frau gibt immer noch nicht auf. Sie kommt direkt zu Jesus, fällt vor ihm nieder und äußert eine ganz schlichte Bitte: „Herr, hilf mir!“ Jetzt, wenn nicht jetzt, wann denn sonst, sollte Jesus doch endlich weich werden, endlich der Bitte der Frau entsprechen. Wozu ist er denn in diese Welt gekommen? Doch Jesus reagiert ganz anders, reagiert auf geradezu schockierende Weise: „Es ist nicht recht, dass man den Kindern ihr Brot nehme und werfe es vor die Hunde.“ Mit einem Hund vergleicht Jesus sie, die bittende Frau, mit einem Hund im Unterschied zu den Kindern des Volkes Israel. Allerspätestens jetzt hätte sich die Frau ja wohl voller Empörung von Jesus abwenden müssen: Wie geht denn der mit mir um? Das ist doch eine Frechheit! Doch statt zu protestieren und sich aufzuregen, packt die Frau Jesus bei seinem eigenen Wort, verweist darauf, dass doch auch die Hunde etwas abbekommen von den Krümeln, die beim Essen am Tisch abfallen. Ja, sie nimmt den Vergleich auf, akzeptiert es, als Hund behandelt und bezeichnet zu werden – und nagelt Jesus gleichsam auf seinen eigenen Vergleich fest: Wenn’s denn so sein soll, dass du mich hier nur als Hund behandelst, dann will ich trotzdem und gerade deshalb haben, was ich von dir erbeten habe. Und Jesus staunt, staunt über den Glauben dieser Frau – und lässt geschehen, worum sie gebeten hat: Ihre Tochter wird gesund zur selben Stunde.

Ach, wie aktuell ist diese Geschichte, die St. Matthäus hier erzählt. Kennst du solche Situationen in deinem Leben auch, in denen du eigentlich nur noch schreien willst, weil die Not so groß ist, weil der Schmerz so groß ist, den du gerade erlebst? Kennst du das aus deinem Leben vielleicht auch, dass diese Not und dieser Schmerz seinen Grund hat in deinen Kindern, darin, dass sie ganz andere Wege gehen als die, die du ihnen wünschst, dass sie sich in Abhängigkeiten begeben haben, von denen du weißt: Die sind nicht gut für sie? Kennst du das auch, dass dir in solchen Situationen gar keine eigenen Worte mehr über die Lippen kommen und du froh bist, dass dir der Gottesdienst, die Liturgie Worte zur Verfügung stellen, die du gerade auch in solchen Situationen noch sprechen kannst: Kyrie eleison, Herr, erbarme dich!? Und kennst du das dann auch, dass du dieselbe Erfahrung machen musst wie die Frau in dieser Geschichte auch: „Und er antwortete ihr kein Wort“? Da schreist du dir die Seele aus dem Hals, rufst zu deinem Herrn, dass er dir helfen möge – und nichts geschieht! Wieso klappt das denn nicht, wieso reagiert er denn bloß nicht? Lohnt es sich denn überhaupt nicht, sich an ihn zu wenden, an ihn zu glauben?

Doch die Frau hier in dieser Geschichte gibt nicht auf, ermutigt uns, es ihr in solchen Situationen gleichzutun: Gib nicht auf, wenn dein Herr auf deine Bitten überhaupt nicht zu antworten scheint, wenn du nichts anderes als Schweigen vernimmst. Jesus prüft deinen Glauben, will, dass du auch und gerade in solchen Erfahrungen wächst. Ja, er mutet es dir schließlich sogar zu, dass du schließlich in deinem Schreien die nüchterne Erfahrung machen musst, dass du es überhaupt nicht verdient hast, dass er deine Bitten erhört. Wie gesagt: Jesus ist nicht der VW-Konzern, der ist nicht davon abhängig, dass die Kunden mit seinem Service zufrieden sind, der muss nicht irgendeine Show abziehen, um seine Fans zu begeistern. Er lässt es dich in deinem Leben mitunter auch schmerzlich erfahren, dass du bei ihm nichts einfordern kannst, dass du kein Recht darauf hast, dass er so reagiert, wie du es gerne haben möchtest. Nichts, aber auch gar nichts hast du in der Hand, womit du ihn beeindrucken könntest, womit du ihn vielleicht gar unter Druck setzen könntest. Nichts – außer seinem Wort. Aber dieses Wort ist nicht einfach nichts. Wenn du dich an dieses Wort klammerst, wie es die Frau hier in der Geschichte getan hast, dann hast du etwas in der Hand, dem sich auch dein Herrn Jesus Christus nicht entziehen kann und will. Sprich ihn darum an auf die Versprechen, die er dir, die er deinen Kindern gegeben hat, sprich ihn darauf an, dass er in seinem Wort doch zugesagt hat, dass er will, dass alle Menschen gerettet werden. Sprich ihn darauf an, dass er dir doch zugesagt hat, dir zuzuhören, auch wenn du davon erst einmal gar nichts spüren magst. Sprich ihn an, gib nicht auf, lass nicht los!

Vertraue darauf: Dein Herr Jesus Christus ist kein Betrüger, kein Blender, keiner, dem dein Schicksal egal ist. So wichtig bist du für ihn, dass er schließlich sogar am Kreuz für dich gestorben ist. Ja, erinnere ihn auch daran immer wieder! Schau darauf, wie die Frau hier in der Geschichte das Herz deines Herrn bewegt hat, dass er gar nicht mehr anders konnte, als ihr zu geben, worum sie ihn gebeten hatte! Auch wenn du zunächst einmal den Eindruck haben magst: Jesus ist das niemals egal, wenn du zu ihm rufst, auch wenn er zunächst schweigt, auch wenn sich erst einmal gar nichts zu tun scheint. Er will doch nur, dass dein Glaube an ihn wächst und stärker wird, dass du auch durch alle schweren Erfahrungen nur immer weiter wächst im Vertrauen auf ihn. Es geht ihm nicht um sich, um seinen eigenen Vorteil. Es geht ihm wirklich nur um dich, um dein Heil, um deine Rettung, darum, dass du immer fester mit ihm verbunden wirst und bleibst – auch und gerade in aller Not, die du in deinem Leben erfahren magst. Jesus hat die Frau am Ende nicht abgewiesen. Er wird auch dich nicht abweisen, wird dich nicht enttäuschen. Jesus ist nicht VW. Amen.

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