St. Matthäus 25, 31-46 | Vorletzter Sonntag des Kirchenjahres | Pfr. Dr. Martens

Heute wird der Gottesdienst wieder etwas länger dauern. Denn nachher feiern wir wieder das Heilige Abendmahl, und viele Menschen werden wieder hierher nach vorne kommen, um den Leib und das Blut ihres Herrn zu empfangen. Sie wissen: Hier im Sakrament, da begegne ich Christus, da kann ich ihn tatsächlich empfangen, berühren, mit ihm eins werden. Und das ist so schön, das ist so wichtig, dass wir auf diese Christusbegegnung in keinem Gottesdienst verzichten wollen, auch wenn es dadurch heute wieder etwas später werden wird, bis wir mit dem Mittagessen werden beginnen können.

Doch was hat nun das Heilige Abendmahl mit dem Heiligen Evangelium dieses Sonntags zu tun, das wir gerade eben gehört haben? Ganz einfach: Die Geschichte von der Einsetzung des Heiligen Abendmahls schließt sich im Matthäusevangelium fast unmittelbar an die Erzählung vom Weltgericht an, die wir gerade vernommen haben. Anders ausgedrückt: Die Erzählung vom Weltgericht dient uns gleichsam als Anleitung, um wahrnehmen zu können, was im Heiligen Mahl tatsächlich geschieht. Von daher wollen wir uns diese Geschichte nun noch einmal genauer anschauen:

Wir begegnen Christus im Sakrament, persönlich, real, leibhaftig – ja, genau darum geht es im Heiligen Mahl, nicht bloß um ein nettes Gemeinschaftsgefühl, das wir hier irgendwie haben. Doch wer ist dieser Jesus Christus, dem wir hier im Sakrament begegnen? 

Er ist nicht einfach nur ein netter Begleiter, der uns das Gefühl gibt, mit unseren Problemen nicht ganz allein zu sein; er ist nicht einfach nur ein Motivator, der uns dazu antreibt, Gutes zu tun. Sondern er ist, so gibt sich Christus hier selber klar und eindeutig zu erkennen, König und Richter der Welt.

Wenn Christus hier von sich als dem König spricht, dann meint er nicht bloß einen Gruß-August, der zu irgendwelchen Feierstunden ein paar passende Worte sagt und sich an seinem Geburtstag bejubeln lässt. Nein, dieser König ist tatsächlich der unumschränkte Herr der Welt, sitzt auf dem Thron seiner Herrlichkeit – und das heißt: Er sitzt auf dem Thron Gottes selber. Er ist nicht weniger als der lebendige Gott. Der König ist nicht weniger als ein Titel Gottes selber. Diesem Herrn und Gott begegnest du im Heiligen Mahl, vor seiner Herrlichkeit gehst du auf die Knie. Und dieser König ist, wie könnte es anders sein, nun zugleich auch der Richter der Welt, der Richter aller Menschen – und eben auch dein Richter.

Schwestern und Brüder: Im Nachrichtenblatt der Evangelischen Kirche in Bayern schrieb jüngst ein Pfarrer allen Ernstes: „Wer den Christen heute noch das Bekenntnis zumutet, Christus würde ‚wiederkommen, zu richten die Lebenden und die Toten‘, der handelt unverantwortlich.“ Ja, so fuhr er fort, wer heute noch verkündigt, Jesus würde als Richter wiederkommen, der arbeite dem Teufel in die Hände. Das ist schon starker Tobak – denn diese Kritik aus der Bayrischen Evangelischen Kirche betrifft ja auch diese Predigt, die ihr gerade hört. Zugleich bringt diese Kritik aber nur auf den Punkt, was heute leider schon allgemeine Praxis geworden ist: Vom Gericht Gottes wird heute zumeist in den Kirchen nur noch verschämt geschwiegen. Dass am Ende der Welt, dass auch am Ende unseres Lebens einmal eine Scheidung stattfinden wird, das passt nicht zu der Kuschelverkündigung, mit der man sich heute auf vielen Kanzeln zufrieden gibt. Doch Christus lässt sein Gericht nicht ausfallen, nur weil es ein bayrischer Pfarrer verlangt oder weil es vielen heute peinlich ist, darüber noch zu sprechen. Er wird einmal alle Menschen zur Rechenschaft ziehen für das, was sie gesagt, getan und gedacht haben – und die Pfarrer, die nicht sein Wort, sondern ihre eigenen Ideen verkündigt haben, die nicht gewarnt haben, wo sie hätten warnen müssen, und Menschen in falscher Sicherheit eingelullt haben, gewiss ganz zuerst.

Ja, du wirst einmal nach deinem Leben gefragt werden, wirst dich verantworten müssen, wirst erfahren müssen, wie deine ganze Zukunft von dem Richterspruch des Richters abhängen wird. Gott wird einmal Recht schaffen. Keinen Menschen wird es geben, der sich diesem Gericht wird entziehen können – auch nicht die Mörder von Paris, aber eben du selber auch nicht. Und nur wenn dir das klar ist, kannst du eigentlich erahnen, was geschieht, wenn du hier im Sakrament den Leib und das Blut deines Herrn empfängst, für dich gegeben und vergossen zur Vergebung der Sünden. Derselbe Richter, der einmal über alle Menschen sein Urteil sprechen wird, der auch einmal über dein Leben sein Urteil sprechen wird, kommt hier und jetzt zu dir, um in dir zu leben, ja, um dich mit seiner Vergebung zu beschenken, um all das auszulöschen, was dich einmal für immer von Gott trennen könnte. Schwestern und Brüder: Wenn wir uns das klarmachen, was hier im Sakrament eigentlich geschieht, dass uns hier die Rettung in Gottes letztem Gericht geschenkt wird, wer wollte sich dann noch darüber beschweren, dass es bei uns ein wenig länger dauert, bis alle, die das Sakrament begehren, es tatsächlich bei uns empfangen können? Und wenn wir uns das klarmachen, dass wir hier im Sakrament unserem König und Richter begegnen, hier von ihm Vergebung, Leben und Seligkeit empfangen – wer wollte auf diese Gabe auch nur eine Woche verzichten wollen?

Ja, Christus wird uns einmal als König und Richter in Herrlichkeit begegnen – und er begegnet uns hier und jetzt schon verborgen in den Gestalten von Brot und Wein. Aber nun macht uns Christus hier im Heiligen Evangelium noch etwas anderes deutlich: Wir begegnen Christus in der Tat auch in den geringsten Brüdern und Schwestern, in Menschen, die auf unsere Zuwendung, ja auf unsere Barmherzigkeit dringend angewiesen sind.

Schwestern und Brüder: Die Worte unseres Herrn hier im Heiligen Evangelium haben für uns in unserer Gemeinde und damit auch für einen jeden von uns ganz persönlich in diesen vergangenen Monaten und Jahren eine unglaubliche Aktualität erhalten. „Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich aufgenommen“ – so sagt es Christus hier. Schwestern und Brüder: Wissen wir eigentlich, wie reich wir beschenkt sind mit unseren neuen Gemeindegliedern, die als Fremde hier in unser Land, ja auch in unsere Gemeinde gekommen sind? Haben wir uns das schon richtig klargemacht, dass wir in ihnen Christus begegnen, Christus selber dienen dürfen, dass diese Menschen uns in ihrer Person Christus selber mitbringen? Was für ein Segen! Ja, Gesegnete des Herrn sind wir in der Tat, genau wie Jesus es hier sagt, gesegnet durch Menschen, die es in der Tat so nötig hatten und haben, dass wir sie aufnehmen, dass wir ihnen geben, was sie brauchen: Essen und Trinken, ein Dach über dem Kopf, Kleidung, ja Zuwendung in ihrer Not! Nein, Schwestern und Brüder: Wir müssen gar nicht unbedingt bei jedem neuem Fremden, der hier bei uns vor der Tür steht, sofort an Matthäus 25 denken, müssen nicht unbedingt jedes Mal uns klar machen, dass uns in ihnen jedes Mal Christus begegnet. Die Menschen, denen der König hier in der Geschichte die Tür zum ewigen Leben öffnet, sind ja selber ganz überrascht, wissen gar nicht, was sie da eigentlich gemacht haben, haben ganz selbstverständlich so gehandelt, wie sie gehandelt haben, weil die Barmherzigkeit Gottes, die sie empfangen hatten, sie ganz von selbst so handeln ließ, wie sie gehandelt haben. Wir müssen nicht dauernd über unser eigenes Handeln nachdenken, unseren eigenen frommen Bauchnabel betrachten. Der Blick auf die anderen, auf das, was sie brauchen, reicht allemal. Aber wie schön, dass wir zugleich doch immer wieder um diese Verheißung wissen dürfen, die Christus hier mit unserem Handeln verbindet: Dass er selber es ist, dem wir in allem dienen, was wir auch hier in unserer Gemeinde tun.

Und wem das einmal aufgegangen ist, wer könnte dann noch allen Ernstes anders handeln – Fremde nicht aufnehmen, sondern sie abweisen und vor der Tür stehen lassen, sie vielleicht gar verleumden, statt in ihnen Christus selber zu sehen? Wer könnte es dann allen Ernstes noch als ein unverbindliches Hobby einiger sogenannter Gutmenschen ansehen, Fremden, verfolgten christlichen Brüdern und Schwestern allemal, die Barmherzigkeit zu erweisen, die er, der Richter der Welt, von uns erwartet? Ja, sprechen wir es ruhig deutlich aus: Wer allen Ernstes auf die Idee kommt, Fremde nicht aufzunehmen, sondern sie abzuweisen, dem gilt das Wort des Königs hier in dieser Geschichte in der Tat: Geht weg von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln! Da hilft dann auch keine Kirchen- oder Parteizugehörigkeit mehr. Da hilft nur einer: Christus selber, der uns in seinem Wort zur Umkehr und zum Empfang der Vergebung ruft.

Denke darum daran, wenn du nachher wieder hierher zum Altar kommst: Du kannst Christus nicht zum Segen im Sakrament empfangen, wenn du ihn in der Gestalt der geringsten Brüder und Schwestern abweist und ablehnst, wenn du Christus nur für dich persönlich haben willst und dich ihm entziehst, wenn er dir in der Gestalt des Fremden begegnen will! Barmherzig will Christus dir auch heute wieder hier am Altar begegnen. Lass diese Barmherzigkeit dein Herz erweichen, dass du erkennst: Der Fremde, der Hungrige, die Durstige, der Nackte, die Kranke – mit ihnen will Christus dich segnen! Ist es nicht wunderbar, wie Christus uns mit diesem Segen hier in unserer Mitte beinahe erschlägt? Amen.

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