St. Matthäus 28, 16-20 | 6. Sonntag nach Trinitatis | Pfr. Dr. Martens

„Herr Pastor, können Sie mich nicht schnell mal nächste Woche taufen? Ich brauche das dringend für mein Asylverfahren!“ Es kommt nicht sehr häufig vor, aber von Zeit zu Zeit eben doch einmal, dass solch ein Wunsch an mich herangetragen wird. Natürlich kann ich diesem Wunsch nicht entsprechen und schreite in solchen Fällen ganz bewusst nicht zur Schnelltaufe. Ich tue das schon allein deshalb nicht, weil in Wirklichkeit keinem Asylbewerber mit einer Schnelltaufe hier in Deutschland irgendwie geholfen werden kann. Aber selbst wenn man es könnte, könnte ich es gewiss nicht verantworten, schnell mal jemanden zu taufen, der die Taufe in Wirklichkeit nur für ganz andere Zwecke benutzen möchte. Ja, warum mache ich das nicht, warum geht das nicht? Das Heilige Evangelium des heutigen Sonntags macht uns das sehr eindrücklich deutlich. Ganz bekannte, vertraute Worte sind das, die wir da vernehmen. Fast jede Woche hören wir sie, wenn das Taufwasser für die Taufen im Gottesdienst gesegnet wird. Doch ist euch schon einmal bewusst geworden, dass in diesen kurzen Worten Jesu nicht weniger als viermal das Wort „alle“ vorkommt? Ja, um alles und um alle geht es in der Taufe; anders ausgedrückt: Die Taufe ist nie eine halbe Sache. Es geht immer um alles oder nichts. Und was das bedeutet, wollen wir uns jetzt noch einmal genauer anschauen:

I.

„Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden.“ – So beginnt der auferstandene Herr Jesus Christus seine Rede an die elf Jünger, die auf sein Geheiß hin auf den Berg in Galiläa zu ihm gekommen sind. Was für ein Anspruch, den Jesus hier erhebt! Er sagt nicht: Schaut her, ich habe auch ein ganz nettes religiöses Angebot zu machen, und wenn ihr wollt, könnt ihr mich ja auch mal ausprobieren. Ich bin gar nicht so viel schlechter als Buddha oder Mohammad. Sagt Jesus nicht. Sondern er behauptet allen Ernstes, dass er der Herr der Welt, der Herr des gesamten Universums ist, und das heißt ja nichts anderes, als dass er selber und kein anderer der wahre Gott ist.

Darum und um nicht weniger geht es auch bei jeder Taufe. Die Taufe ist nicht bloß ein nettes religiöses Ritual, das man vielleicht doch mal bei sich selber oder für seine Kinder in Anspruch nehmen sollte, weil es ja nicht schaden kann, getauft zu sein. O nein, dass es in der Taufe um unendlich mehr geht, das wissen vor allem diejenigen aus unserer Mitte sehr gut, die als ehemalige Muslime die Heilige Taufe empfangen haben. Sie wissen: Ich kann nicht ein bisschen Muslim und ein bisschen Christ sein, ich kann nicht gleichzeitig Ramadan halten und am Heiligen Abendmahl teilnehmen, ich kann nicht die Taufe als eine gewisse Zusatzversicherung mit in meinen religiösen Hausrat aufnehmen. Nein, wer sich taufen lässt, der bekennt damit: Alle Gewalt, alle Macht im Himmel und auf Erden ist allein Jesus Christus gegeben, niemandem sonst, kein anderer ist der wahre Herr und Gott als der, der für uns am Kreuz gestorben und auferstanden ist. Und darum sagt jeder ehemalige Muslim bei der Taufe ganz klar und eindeutig auch Nein, sagt sich los vom Islam und seiner Lehre und seinen Ansprüchen. So etwas kann man nicht schnell mal nebenbei machen; das will in der Tat gut durchdacht und entschieden und vorbereitet sein, denn das hat ja auch Konsequenzen für das ganze weitere Leben. Nein, so etwas kann nicht schnell mal nebenbei machen, dass man sich taufen lässt. Ich weiß, was für ein Schritt es für viele von euch gewesen ist, bis ihr es tatsächlich von Herzen selber sprechen konntet: Er, Jesus, ist nicht bloß ein Prophet, ihm ist tatsächlich alle Macht gegeben im Himmel und auf Erden, er ist es tatsächlich: Mein Herr und mein Gott. Die Taufe, sie ist in der Tat nie eine halbe Sache.

II.

Daraus, dass Jesus Christus alle Macht im Himmel und auf Erden gegeben ist, ergibt sich beinahe von selbst das Zweite: Er sendet die Apostel aus, um alle Völker zu seinen Jüngern zu machen.

Schauen wir genau hin, was das heißt: Es bedeutet zunächst einmal: Christus erwartet von uns, seiner Kirche, in der Tat, dass wir nicht einfach bloß herumsitzen und darauf warten, dass vielleicht sich irgendwann mal jemand für uns interessiert und bei uns eintritt. Die erste und wichtigste Bewegung der Kirche besteht nicht darin, seinen Hintern auf einen Stuhl bei irgendwelchen wichtigen Sitzungen zu platzieren. Sondern die erste und wichtigste Bewegung der Kirche besteht nach dem Auftrag ihres Herrn darin, loszugehen, rauszugehen aus dem eigenen Kirchenmief hin zu anderen Leuten, die mit Sicherheit ganz anders sind als man selber – sonst wären sie ja schon längst in der Kirche drin. Geht hin – das heißt: Seid offen für Menschen aus ganz anderen Völkern und Kulturkreisen, ja, geht erst einmal hin zu ihnen, lernt sie kennen mit ihrer Geschichte, mit ihrem Denken – und dann, ja dann ladet sie tatsächlich ein, denkt bloß nicht, dass es irgendwelche Menschen, irgendwelche Völker geben könnte, die nicht zu Christus passen, die nicht in die Kirche Jesu Christi passen!

Dieses Denken ist ja heute ganz weit verbreitet. Da erklärte der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt vor einigen Jahren in seinem Buch „Außer Dienst“: „Ich habe Gläubige zeit meines Lebens immer respektiert, gleich, welcher Religion sie anhängen. Aber ebenso habe ich religiöse Toleranz immer für unerlässlich gehalten. Deshalb habe ich christliche Mission stets als Verstoß gegen die Menschlichkeit empfunden. Wenn ein Mensch in seiner Religion Halt und Geborgenheit gefunden hat, dann hat keiner das Recht, diesen Menschen von seiner Religion abzubringen.“ Das klingt so tolerant, so einleuchtend. Doch in Wirklichkeit ist es das nur, wenn man die christliche Botschaft zu einer religiösen Bedürfnisbefriedigung unter vielen degradiert, wenn man von vornherein bestreitet, dass Jesus Christus tatsächlich alle Macht im Himmel und auf Erden gegeben ist. Es ist interessant, dass Helmut Schmidt mit seiner Einstellung letztlich Seite an Seite mit dem iranischen Terrorregime zu stehen kommt, das ebenfalls behauptet, dass es nicht erlaubt sei, einem Menschen, der einmal als Muslim geboren ist, die christliche Heilsbotschaft nahezubringen. Die sei ohnehin nur eine westliche Religion, nur etwas für Menschen aus Europa oder Amerika.

Nein, sagt Jesus Christus: Geht hin und macht zu Jüngern alle Völker, ohne jede Ausnahme, nicht bloß Deutsche oder Amerikaner oder bestenfalls noch Russen, sondern eben auch Perser und Araber und Kurden und Hazara und Pashtunen. Und das gilt natürlich erst recht, wenn wir dabei gar nicht so weit hingehen müssen, um diese Menschen zu erreichen, wenn diese Menschen gleich hier bei uns vor der Haustür leben. „Alle“, sagt Jesus, nicht bloß: „einige“, erst recht nicht bloß Menschen mit deutscher Leitkultur. Die Taufe ist nie bloß eine halbe Sache.

III.

Nun geht es in der Taufe noch um ein drittes „Alles“: „Lehrt sie halten alles, was ich euch befohlen habe“, sagt Jesus.

Es ist erst einmal interessant, die Reihenfolge wahrzunehmen, die Jesus hier benennt: Menschen werden dadurch Jünger Jesu, dass sie erstens getauft und zweitens gelehrt werden. Die Taufe geht also dem Lehren voraus. Genauso ist es tatsächlich auch in der ersten Kirche praktiziert worden. Da sind die Leute oftmals sehr, sehr schnell getauft worden, oft noch am selben Tag, zur selben Stunde, in der sie zum ersten Mal etwas von Jesus gehört hatten, und mitunter wurde dann auch gleich das ganze Haus mit dazu getauft. Wenn wir heute Kinder taufen und sie dann lehren, dann halten wir also genau die Reihenfolge ein, die Jesus hier in seinen Worten an die Jünger vorgesehen hat. Und wenn wir es bei Erwachsenen ein Stück weit umgekehrt machen, dann müssen wir das jedenfalls gut begründen, dann reicht als Argument sicher nicht, dass das Bundesamt heute nun mal die Taufpraxis der ersten Christen für nicht richtig hält. Wir können es, wie gesagt, damit begründen, dass Menschen, die sich taufen lassen, tatsächlich wissen sollen, was es bedeutet, Jesus Christus als den anzuerkennen und anzubeten, dem alle Macht im Himmel und auf Erden gegeben ist. Aber zu lange warten sollten wir eben auch nicht. Dazu ist die Taufe einfach zu wichtig, dazu ist es zu wichtig für einen Menschen, durch die Taufe zum ewigen Leben wiedergeboren zu werden. Das sollte man wirklich auch nicht unnötig herausschieben. Aber so viel sollte eben auch klar sein: Wir sollten einen Menschen nur taufen, wenn auch nach menschlichem Ermessen gewährleistet ist, dass er nach der Taufe auch bei Christus bleibt, dass er dazu bereit ist, auch nach seiner Taufe weiter zu lernen, ja, alles zu lernen, was Jesus uns gesagt hat. Nein, es geht eben nicht bloß um „schnell mal taufen“. Getaufter Christ zu sein heißt: Ein Leben lang weiter zu lernen, eben weil wir es in diesem Leben gar nicht schaffen, tatsächlich alles zu lernen, was Jesus uns gesagt hat. Aber dass wir dranbleiben und weiterlernen, das ist und bleibt entscheidend wichtig. Denn die Taufe ist nun mal keine halbe Sache.

IV.

Und dann kommt schließlich noch ein viertes „Alles“ in den Worten Jesu: Er verspricht: Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.

Was für ein Trost: Und wenn in unserem Leben Tage und Wochen und vielleicht auch Jahre kommen, in denen wir von der Nähe Jesu gar nichts zu spüren scheinen, in denen alles nur noch dunkel und unverständlich erscheint: Die Zusage unseres Herrn bleibt: Er bleibt bei uns alle Tage bis ans Ende unseres Lebens, ja bis ans Ende der Welt, bis zu dem Tag, an dem wir ihn dann bei seiner Wiederkunft auch einmal mit eigenen Augen sehen werden.

In der Taufe werden wir mit Christus verbunden, werden mit ihm eins, und so leben wir seit unserer Taufe in Christus. Und das bleibt, was auch kommen mag, alle Tage unseres Lebens. Jesus nimmt sein Versprechen, das er uns in der Taufe gegeben hat, niemals mehr zurück. Darauf können wir uns verlassen – tausendprozentig. Denn Jesus macht in der Taufe niemals bloß halbe Sachen. Amen.

Zurück