St. Matthäus 28,1-10 | Heiliges Osterfest | Pfr. Dr. Martens

Eigentlich sollten wir es ja alle miteinander wissen: Der Tod hat nicht mehr das letzte Wort; er ist längst besiegt, längst nicht mehr das Ende. Ja, das sollten wir eigentlich wissen. Aber dann geht es so schnell, dass wir alles wieder vergessen, alles wieder aus den Augen, aus dem Sinn verlieren: Da sehen wir die Bilder von dem entsetzlichen Terroranschlag auf zwei christliche Kirchen am vergangenen Sonntag in Ägypten, sehen all das Blut, sehen die verzweifelten Menschen. Und da fühlen wir uns dann doch wieder so hilflos, den Boten des Todes, die im Namen ihrer Religion nichts anderes als Tod und Verderben zu bringen vermögen, einfach ausgeliefert. Und da gelingt es diesen Boten des Todes vielleicht gar, auch uns selber in Angst und Schrecken zu versetzen: Wenn sie es dort in Ägypten machen können, dann können sie es doch auch hier. Ist es dann vielleicht doch gefährlich, hierher zur Kirche zu kommen, hier Ostern zu feiern? Sollten wir uns vielleicht doch lieber zurückziehen, dorthin, wo der Tod uns nicht so leicht erreicht? Oder da erreicht uns die Nachricht von einer schweren Erkrankung oder gar dem Tod eines lieben Menschen, und sie trifft uns tief, weil wir gleich wieder spüren: Dieser Abschied ist endgültig, wir kommen nun an diesen Menschen nicht mehr heran. Oder da merken wir es an uns selber, dass unsere eigenen Kräfte schwinden, dass wir erkennen: Das wird nicht mehr besser, das geht nicht mehr aufwärts mit uns. Und wir spüren, wie leicht uns auch da die Angst überkommt, die Angst davor, was wäre, wenn, was wäre, wenn wir uns der Macht des Todes nicht mehr entgegenstemmen können, wenn der sich am Ende doch als der Stärkere erweist. Ach, was heißt: was wäre, wenn. Wir ahnen es nur allzu deutlich: So wird es sein, vielleicht in gar nicht mehr langer Zukunft.

Eigentlich sollten wir es ja wissen, dass es alles ganz anders ist, dass der Tod nicht mehr das letzte Wort hat, dass er längst besiegt ist, längst nicht mehr das Ende ist. Aber dann befinden wir uns doch wieder Seite an Seite mit Maria Magdalena und der anderen Maria auf dem Weg zum Grab, haben nur noch den Tod vor Augen, das Ende, haben vor seiner Macht innerlich schon längst kapituliert.

Ja, dringend nötig haben wir es, dass wir heute an diesem Ostermorgen den Weg der beiden Marias weitergehen, dass wir heute Morgen wieder miterleben, was sie damals an jenem Tag nach dem Sabbat, an jenem Sonntagmorgen in Jerusalem erfuhren.

Ja, eigentlich hatten es doch auch die Frauen schon gehört aus dem Munde Jesu selber, dass er am dritten Tage nach seiner Tötung auferstehen wird. Doch ihr Herz hatten diese Worte Jesu offenkundig nicht erreicht, ihren Verstand sowieso nicht. Und so gehen sie an diesem Sonntagmorgen zum Grab – ohne jede Hoffnung, dass sie etwas anderes dort erfahren würden als die Grabesstille, die den Begräbnisort eines Toten umgibt. Die beiden Marias – sie gehen ihren Weg der Kapitulation vor der Macht des Todes, der ihnen das Liebste, was sie hatten, geraubt hatte. Und wir – wir marschieren immer wieder an ihrer Seite.

Und dann kommen sie am Grab an. Schwer bewacht ist es von Soldaten. Was für ein urkomischer Anblick, wenn man es sich genauer überlegt: Da stehen Soldaten vor dem Grab und wollen damit erreichen, dass der Leichnam hinter dem großen Stein auch wirklich drin bleibt. Hüter des Todes, Menschen, die alles daran setzen, dass der Tod nun auch wirklich das allerletzte Wort hat und behält.

Doch was so leicht und geradezu überflüssig aussieht – einen Leichnam zu bewachen –, erweist sich für die Soldaten mit einem Mal als unmöglich: Sie werden weggefegt von einer Revolution im wahrsten Sinne des Wortes, von einer Umwälzung, die ihren sichtbaren Ausdruck findet in der Umwälzung des schweren runden Steins, der die Grabkammer Jesu geschlossen hielt. Nein, der Engel des Herrn wälzt den Stein nicht weg, um es Jesus zu ermöglichen, aus dem Grab herauszukommen. Der ist offenbar schon gar nicht mehr drin, als der Engel den Soldaten und den Frauen erscheint. Die Öffnung des Grabes, sie dient nur noch dazu, den Frauen die Möglichkeit zu geben, sich selber von der Wahrheit dieser unfasslichen Botschaft zu überzeugen: „Er ist nicht hier!“

Ja, komm, lass dich heute Morgen mit den Frauen hineinnehmen in diese unfassliche Revolution, in diese unfassliche Entmachtung des Todes, die alles ins Wanken bringt, was für uns doch so unumstößlich fest zu stehen schien: Der Tod hat seinen Schrecken verloren, er kann Menschen nicht mehr für immer in seiner Gewalt festhalten, seit Jesus selber ihm entronnen ist, seit damals kein Soldat und kein Stein und keine Gewalt dieser Welt ihn daran hindern konnte, das Grab wieder zu verlassen. Lass dich hineinnehmen in das Staunen der Frauen, die es zunächst gar nicht fassen können, was da geschieht, die erst allmählich erahnen, was das bedeutet, dass das Grab leer ist: Die Boten des Todes, die uns immer wieder in Schrecken zu versetzen versuchen, können nichts mehr ausrichten, wenn der eine Bote des Herrn kommt und den Sieg dessen verkündigt, der stärker ist als alle Bomben, als alle Krebszellen, als alle Mächte der Finsternis.

Jesus ist nicht mehr im Grab zu finden. Das gilt ein für alle Mal. Das Grab in der Grabeskirche in Jerusalem – es enthält keinen Leichnam; es ist als leeres Grab nur eine Erinnerung an das revolutionärste Ereignis der Weltgeschichte, das alle Machtverhältnisse dieser Welt vom Kopf auf die Füße gestellt hat: Der Tod ist nicht mehr der Herrscher dieser Welt. Er kann uns nicht mehr dazu zwingen, unser Leben von der Furcht vor ihm bestimmen zu lassen. Er kann uns nicht mehr dazu zwingen, in der ständigen Angst zu leben, wir könnten in unserem Leben etwas verpassen, könnten nicht genügend mitbekommen. Er kann uns nicht mehr dazu zwingen, uns zu verbiegen, anders zu leben, als wir es eigentlich wollen und für gut und richtig halten.

Doch was die Frauen an diesem Ostermorgen entdecken, ist eben nicht bloß, dass Jesus weg ist, dass das Grab leer ist. Ein leeres Grab allein wäre zwar schon sehr ungewöhnlich, wäre aber noch kein echter Trost, kein Grund zum Feiern. Doch Jesus ist eben nicht einfach weg, nicht einfach spurlos verschwunden. Der Engel schickt die Frauen zu den Jüngern, um ihnen auszurichten, dass sie ihn, den auferstandenen Herrn, in Galiläa sehen werden. Und dann laufen die Frauen, nein, sie gehen nicht gemächlich, sie gehen eilends, sie laufen, um diese beste Botschaft der Welt zu verkündigen – und laufen dabei dem auferstandenen Christus gleichsam in die Arme. Ja, nehmen wir das ruhig ganz wörtlich. Sie haben nicht nur eine Vision, sondern sie hören seine Stimme – und dann dürfen sie seine Füße umfassen, dürfen erfahren: Er ist es selber, jawohl leibhaftig, berührbar, spürbar, er, der Herr, von dem sie glaubten, sie hätten ihn doch schon endgültig an den Tod verloren. Jesus – er ist nicht im Grab zu finden, sondern eben dort, wo Menschen sich auf den Weg machen, ihn zu verkündigen.

Ja, gehen wir den Weg der beiden Marias heute Morgen mit. Lassen wir uns mitreißen von ihrer Freude, mit der sie vom Grab weglaufen, lassen wir uns von ihnen dazu bewegen, dem Tod die kalte Schulter zu zeigen, von ihm wegzulaufen in die Arme unseres Herrn Jesus Christus. Nichts anderes machen wir doch auch hier und heute in diesem Gottesdienst: Da kommen wir mit all den Todeserfahrungen, die uns in den Knochen stecken, mit unserer Angst, mit unserer Niedergeschlagenheit. Und nun reißt uns die Botschaft des Engels, nun reißen uns die beiden Frauen mit, all das hinter uns zu lassen und Christus entgegenzulaufen. Und was die beiden Frauen damals auf dem Weg vom Grab erfuhren, das erfahren wir nun auch heute Morgen hier am Altar: Wir begegnen dem auferstandenen Christus leibhaftig, dürfen ihn umfangen wie die Frauen damals auch, ja, mehr noch: dürfen hier und heute mit ihm eins werden, mit ihm, dem Sieger über den Tod, dürfen vor ihm wie die beiden Marias damals niederfallen voller Freude und heute wieder neu erfahren: Er lebt, er kommt zu uns, er ist nicht weg. Wir dürfen ihm begegnen, dürfen immer wieder neu die Ostererfahrung machen, dass er uns schon erwartet. Nicht wir können Jesus zu uns herbeizwingen; er selber schenkt uns seine Verheißung, dass er in unsere Mitte kommt, dass er es immer wieder neu Ostern bei uns werden lässt.

Von nichts und niemand werden wir uns davon abhalten lassen, ihm, Jesus, zu begegnen. Keine Macht der Welt kann uns solche Angst einjagen, dass wir stehen bleiben am Grab, stehen bleiben bei unseren Ängsten und Sorgen um unser irdisches Leben. Denn Jesus spricht es auch uns zu: Fürchtet euch nicht! Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden!

Ja, noch sind wir unterwegs, noch sind wir nicht dort angekommen, wo wir Jesus sehen, wie es die Jünger damals in Galiläa konnten. Doch dass wir ihn sehen werden, das ist gewiss. Auch der Tod wird uns daran nicht hindern können. Seit der Revolution am Ostersonntagmorgen ist aus der unüberwindlichen Sperre für uns eine offene Tür geworden, durch die wir einmal hindurchgehen werden, um einmal Ostern ohne Ende zu feiern. Und bis es soweit ist, geht hin, geht hin in die Asylbewerberheime, geht hin zu euren Freunden und Bekannten, geht hin zu denen, deren Leben immer noch beherrscht ist von dem Gedanken an den Tod, geht hin und verkündigt es, was der Engel den Frauen schon damals auftrug: Geht hin und sagt’s: Er, der Herr, ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden! Halleluja! Amen.

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