St. Matthäus 5, 13-16 | 8. Sonntag nach Trinitatis | Pfr. Dr. Martens

„Wie viele Christen gibt es denn in den Hausgemeinden im Iran?“ – So wurde ich neulich in einem Interview von einer Journalistin gefragt. Eine genaue Antwort konnte ich darauf auch nicht geben. Es liegt in der Natur der Sache, dass sich Christen, die sich heimlich zum Gottesdienst treffen, nur schwer mit einer Statistik erfassen lassen. Es gibt Schätzungen, die schon von mindestens einer halben Million solcher Christen ausgehen. Ich halte diese Zahl nicht für an den Haaren herbeigezogen. Wenn ich bedenke, wie viele Christen aus den Hausgemeinden im Iran schon hier in unserer Gemeinde ihre neue geistliche Heimat gefunden habe, dann lässt sich erahnen, wie groß die Zahl der Christen, die an Treffen von Hausgemeinden teilnehmen, wohl insgesamt sein mag. Man sieht sie nicht – und doch bewirken sie mittlerweile schon so viel in der Gesellschaft im Iran, wohl mehr, als wir hier zu ahnen vermögen.

„Ihr seid das Salz der Erde“, so sagt es Christus zu seinen Jüngern, und wir tun gut daran, den Vers mitzuhören, der diesem Wort Jesu vorangeht: „Selig seid ihr, wenn euch die Menschen um meinetwillen schmähen und verfolgen und reden allerlei Übles gegen euch, wenn sie damit lügen.“ „Ihr seid das Salz der Erde“ – Dieses Wort richtet Christus an verfolgte Christen, an Menschen, die selber überhaupt nicht den Eindruck hatten und haben, dass sie auf dieser Erde, in ihrer Gesellschaft auch nur irgendetwas bewegen können. Christus sieht es anders: Ihr verfolgten Christen, ihr seid tatsächlich wie Salzkörner. Man sieht sie nicht im Essen, und doch haben sie auf die Genießbarkeit des Essens eine entscheidende Wirkung. Ganz im Verborgenen wirken sie, und haben doch eine Kraft, die man zunächst gar nicht erahnen mag.

„Ihr seid das Salz der Erde“, so sagt es Christus auch zu unseren 15 neu getauften Schwestern und Brüdern heute an diesem Tag. Auch sie mögen nicht unbedingt den Eindruck haben, dass sie auf diese Welt, dass sie auf unsere Gesellschaft irgendeinen Einfluss haben. Im Gegenteil: Sie erleben, wie man versucht, sie von hier wieder zu verdrängen, sie abzuschieben, sie verschwinden zu lassen, sie erleben, wie sie nur als Belastung oder als Bedrohung wahrgenommen werden. Doch Jesus sagt: „Ihr seid das Salz der Erde“, ja gerade ihr Christen aus dem Iran und Afghanistan. Ihr gebt dem geistlichen Leben hier in Deutschland eine Würze, die es dringendst nötig hat.

Da haben die beiden großen Kirchen jüngst ihre Jahresstatistiken veröffentlicht, mussten berichten, wie sie in der letzten Zeit wieder Hunderttausende an Kirchgliedern verloren haben. Und wenn nun in der kommenden Zeit die Statistik unserer eigenen Kirche erscheinen wird, dann wird die Tendenz, wenn auch in viel kleinerem Maßstab auch nicht unbedingt sehr viel anders aussehen. Natürlich gibt es viele verschiedene Gründe für diese Entwicklung. Aber einer scheint mir doch der zu sein, dass wir hier in Deutschland oftmals einfach überhaupt nicht mehr wahrnehmen, was für einen Schatz wir mit der frohen Botschaft von Jesus Christus haben, was für ein Schatz das Evangelium von Jesus Christus ist. Der christliche Glaube scheint nur noch ein Stück Kulturgeschichte zu sein, mehr nicht. Und da kommen nun in unser Land junge Christen, statistisch gesehen gar nicht so besonders viele, aber eben doch eine ganze Reihe, junge Christen, die für ihren Glauben an Jesus Christus alles aufgegeben haben und aufgeben, was sie hatten und haben, junge Christen, die sich nicht damit zufrieden geben, irgendwie ein bisschen religiös zu sein, sondern die erkannt haben: Jesus Christus ist der einzige Herr und Retter. Er schenkt, was der Islam niemals bieten könnte: Vergebung, Freiheit, Freude darüber, ein geliebtes Kind Gottes zu sein.

Ja, Salz seid ihr, liebe neugetaufte Schwestern und Brüder, Salz für unsere lutherische Kirche, Salz für die Christenheit in Deutschland, Salz auch für unsere Gesellschaft – ja, Salz, das man schmecken kann, sodass es sich heute auch das öffentlich-rechtliche Fernsehen nicht hat nehmen lassen, von eurer Taufe zu berichten.

Und Licht der Welt seid ihr, so fährt Christus hier fort.

Wenn ich die Geschichten von den Taufbewerbern und Gliedern unserer Gemeinde höre, wie sie im Iran Kontakt zum christlichen Glauben bekommen haben, dann höre ich oftmals ganz ähnliche Geschichten: Sie hatten einen Menschen kennengelernt, der Christ war, und dieser Mensch fiel ihnen auf, weil er anders war als die anderen, weil er Freude und Hoffnung ausstrahlte. Und dann erfuhren sie von ihm, was die Quelle dieser Freude und dieser Hoffnung bei diesem Menschen war, und wollten dann mehr davon erfahren, wollten selber auch an diese Quelle herankommen.

Christen fallen auf, auch im Iran – nicht unbedingt dadurch, dass sie nun in der Öffentlichkeit große Missionsreden halten, sondern schlicht und einfach dadurch, dass sie da sind, dass sie aus der Kraft ihrer Verbindung mit Jesus Christus leben. Und das bleibt auf die Dauer nicht verborgen. „Es kann die Stadt, die auf einem Berge liegt, nicht verborgen sein“, sagt Jesus.

In unsere Gemeinde kommen immer wieder Konvertiten aus dem Iran und Afghanistan, die zuvor in Norwegen gelebt hatten. Dort wird die Konversion vom Islam zum christlichen Glauben in aller Regel nicht als Asylgrund anerkannt. „Ihr könnt doch in eurer Heimat einfach euren Mund halten, euren Glauben einfach nur im Verborgenen leben, dann wird euch schon nichts passieren“, so wird ihnen gesagt. Ach, Schwestern und Brüder, als ob das möglich wäre! Nein, sagt Christus, ihr seid es, Licht der Welt, ihr müsst nicht erst in einigen besonderen Situationen mal den Schalter bei euch anknipsen, und dann fangt ihr an zu leuchten. Nein, diesen Schalter gibt es nicht, eben auch keinen, den man wieder ausknipsen könnte. Wer Christ ist, ist Licht der Welt, muss es nicht erst noch dadurch werden, dass er sich besonders Mühe gibt. Eben haben wir es bei den Taufen gleich fünfzehnmal gehört: Christus spricht: „Ich bin das Licht der Welt.“ Er, Christus, nimmt durch die Taufe, nimmt durch das Heilige Mahl in uns Wohnung – und dann leuchtet er, und wir können dieses Licht gar nicht verstecken. Es wird sichtbar, auch wenn wir selber gar nicht den Eindruck haben, dass andere davon etwas mitbekommen könnten.

„Ihr seid das Licht der Welt“, ihr könnt anderen Menschen Orientierung geben, die noch nichts von der wunderbaren Hoffnung wissen, die wir als Christen haben. Ja, genauso erlebe ich es immer wieder, wie durch die, in denen Christus schon leuchtet, auch andere den Weg zum Leben finden. „Ihr seid das Licht der Welt“, Boten der Hoffnung in einer Welt, in der so viel Dunkelheit herrscht, in der Menschen so wenig von dem Ziel ihres Lebens wissen.

„Ihr seid das Licht der Welt“ – So ermutigt Christus die Christen aus Afghanistan, die sich Gedanken machen über die Zukunft ihres Landes, das so gezeichnet ist von religiöser Gewalt. Ihr mögt nur wenige sein – aber auch eine kleine Öllampe kann doch einen dunklen Raum erleuchten.

„Ihr seid das Licht der Welt“ – das sagt Christus aber auch zu euch, die ihr schon lange in Deutschland wohnt, schon lange Christen seid. Wahrscheinlich merken viele von euch auch gar nicht, wie sie mit ihrem ganz selbstverständlichen Verhalten hier in der Gemeinde anderen Orientierung schenken, zum Glauben an Christus ermutigen. Ihr mögt auch wenige in der Gemeinde sein im Vergleich zu den vielen neuen. Aber Christus braucht gerade auch euch, will gerade auch durch euch hindurchleuchten und Menschen Hoffnung schenken, in deren Leben es oft so dunkel bleibt.

Jawohl, ihr seid es – Salz der Erde, Licht der Welt. Ihr müsst es nicht erst noch werden, werdet es nicht durch euer soziales oder missionarisches Engagement. Gott sei Dank: Ihr seid einfach da, seid damit Salz der Erde, Licht der Welt. Lebt nur nicht dem entgegen, was ihr seid, stellt euer Licht nicht unter den Scheffel, unter den Eimer, bleibt in Verbindung mit ihm, Christus, dem einen großen Licht der Welt! Es kommt nicht auf Zahlen an, nicht auf beeindruckende Statistiken, auch nicht auf eure Glaubenskraft. Es kommt nur darauf an, wie Christus euch wahrnimmt. Und der weiß besser als wir alle, wer ihr wirklich seid, ihr gemeinsam und darin ein jeder von euch: Salz der Erde, Licht der Welt. Amen.

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