Ansprache über 2. Mose (Exodus) 13,20-22 | Jahreswechsel 2020/2021 – 31.12.2020/1.1.2021 | Pfr. Dr. Martens

Wenn das alte Kalenderjahr zu Ende geht und wir in das neue Kalenderjahr eintreten, dann herrscht bei uns hier in Deutschland, aber auch in den Gottesdiensten in der Kirche und ebenso auch bei uns ganz persönlich eine ganz besondere Stimmung: Normalerweise blicken wir zu diesem Jahreswechsel dankbar und zugleich ein wenig wehmütig auf das alte Jahr zurück, denken an all das Schöne, was hinter uns liegt und was wir nun zurücklassen müssen, und blicken voller Hoffnung und Vorfreude auf das neue Jahr und auf all das, was uns darin erwarten mag.

In diesem Jahr ist alles ganz anders: Da gibt es wohl kaum jemanden in unserem Land und auch unter uns, dem es leidtäte, dass das Jahr 2020 nun schon zu Ende ist. Im Gegenteil: Wir können es wohl kaum erwarten, dieses furchtbare Jahr 2020 endlich hinter uns lassen zu können, das so viel Schlimmes und Schmerzliches mit sich gebracht hat: Wir haben erlebt, wie so viele unserer Pläne und Hoffnungen zerplatzt sind. Wir haben erlebt, wie wir dazu gezwungen worden sind, zueinander auf Distanz zu gehen, wie an die Stelle von selbstverständlichem Vertrauen zueinander die Angst vor dem Gegenüber als potenzielle Bedrohung getreten ist. Wir haben erlebt, wie unser Gemeindeleben durch die Pandemie schwer in Mitleidenschaft gezogen worden ist, wie so vieles kaputtgegangen ist, von dem wir noch gar nicht wissen, ob es sich überhaupt noch einmal reparieren lässt. Nicht wenige von uns haben erfahren müssen, wie das Corona-Virus ihnen geliebte Menschen entrissen hat, nicht wenige in unserer Gemeinde sind auch selber an diesem Virus erkrankt und haben schwere Zeiten durchstehen müssen. Und darüber hinaus haben nicht wenige von uns in dieser Pandemiezeit auch erfahren, wie diese Pandemie das Übelste und Böseste aus den Menschen hervorzubringen vermag, haben erfahren, wie die Boshaftigkeit anderer Menschen ihnen ihre Zukunftshoffnungen zerstört hat. Und in diesem Jahr erleben wir es nun so deutlich wie wohl kaum einmal zuvor, dass wir an dieser Jahreswende eben nicht einfach das Alte zurücklassen und befreit in ein neues Jahr marschieren können. Nein, was im Jahr 2020 geschehen ist, bleibt wie eine schwere Bleikugel an unserem Bein, die uns kaum vorankommen lässt, uns daran hindert, auch nur irgendwelche verlässlichen Zukunftspläne machen zu können. Das Einzige, was sich etwas verlässlicher abzeichnet, ist die Aussicht, dass mit dem 10. Januar der Lockdown wohl nicht zu Ende sein wird, dass vor uns auch im neuen Jahr dunkle Wochen, ja dunkle Monate liegen werden.

Als damals die Israeliten aus der Gefangenschaft in Ägypten mit Mose in die Freiheit zogen, mag die Euphorie, die sie zunächst verspürt haben, wohl doch sehr viel größer gewesen sein als die unsrige an diesem Jahreswechsel. Doch im Grunde genommen ging es den Israeliten damals auch nicht viel anders als uns in diesen Tagen: Das Alte, ganz konkret die Armee der Ägypter, verfolgte sie ebenso unerbittlich, wie es das Corona-Virus jetzt bei uns tut. Und die Israeliten wussten ebenso wenig, wohin sie ihr Weg denn nun in der nächsten Zeit führen würde, wie wir auch. Nur eines war für sie klar, sichtbar klar: Gott der HERR zieht vor uns her, der zeigt uns den Weg, und wenn wir ihm folgen, wird es ein guter Weg sein, auch wenn er noch so beschwerlich erscheinen mag.

Sehen können wir solch eine Wolken- und Feuersäule nicht, wie es damals die Israeliten konnten. Doch das bedeutet nicht, dass wir weniger gewiss sein könnten, ob der Herr auch uns so führt wie die Israeliten damals. Im Gegenteil: Gott ist uns ja noch viel näher gekommen als den Israeliten damals. Er ist selber Mensch geworden, hat uns in seinem Sohn Jesus Christus zugesagt, alle Tage bei uns zu bleiben bis an der Welt Ende. Ja, wenn uns der Weg ins neue Jahr diesmal auch besonders schwerfällt, wenn auch die Corona-Armee uns nicht weniger unerbittlich nachjagt als die Armee der Ägypter damals den Israeliten: Wir gehen unseren Weg in das neue Jahr nicht allein. Christus, unser Herr, geht den Weg mit uns mit. Und dessen versichert er uns auch heute wieder in diesem Gottesdienst, wenn er mit seinem Leib und Blut in uns Wohnung nimmt. Ja, wir dürfen wahrlich dankbar dafür sein, dass uns der Herr dieses gewisse Zeichen seiner Gegenwart an diesem Jahreswechsel nicht genommen hat. Damit stärkt er uns auf dem Weg in das neue Jahr, was auch immer dieses Jahr mit sich bringen mag.

Direkt vor den Versen aus dem 2. Mosebuch (Exodus), die wir eben gehört haben, steht eine interessante Erklärung. Da wird nämlich ausdrücklich vermerkt, dass Gott die Israeliten einen großen Umweg geführt hatte, weil er erkannt hatte, dass die Israeliten für den direkten Weg nicht vorbereitet waren, weil der für sie zu schwer geworden wäre. Wir haben in diesem Jahr auch den Eindruck gehabt, dass Gott uns wohl eher einen großen Umweg geführt hat. Vertrauen wir darauf, dass Gott weiß, warum dieser Umweg für uns nötig war. Denn letztlich ist doch nur eins wichtig: Dass wir auf allen Wegen unseres Lebens, wie schwierig und unverständlich sie auch mitunter sein mögen, am Ende am Ziel ankommen: Dort, wo wir dann nicht nur eine Wolken- und Feuersäule, sondern den lebendigen Gott selber im Angesicht unseres Herrn Jesus Christus sehen werden. Ja, dahin führt unser Weg, ganz gleich, was uns in diesem neuen Jahr noch an Schwerem bevorstehen mag. Dahin, zu diesem Ziel, zum ewigen Leben in der Gemeinschaft mit Christus führt er, der Herr, uns selber – ganz gewiss! Amen.

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