Ansprache über Lukas 2,41-5 | 2. Sonntag nach Weihnachten | Pfr. Dr. Martens

Eine der Fragen, die mir immer wieder in den Bibelstunden in unserer Gemeinde gestellt wird, ist die: Was hat Jesus eigentlich zwischen seiner Geburt in Bethlehem und seiner Taufe durch Johannes den Täufer gemacht? Ja, das ist verständlich, dass wir da neugierig sind und das gerne wüssten, was in diesen 30 Jahren seines Lebens wohl so alles geschehen ist. Im Koran gibt es tatsächlich Fantasiegeschichten über Jesus als Kind. Doch die Heilige Schrift befriedigt unsere Neugier nicht. Eine einzige Geschichte erzählt sie aus der Zeit zwischen der Geburt Jesu und seiner Flucht nach Ägypten und seiner Taufe im Jordan. Und genau diese Geschichte haben wir nun eben gehört:

Jesus ist 12 Jahre alt, als Maria und Josef ihn das erste Mal von Nazareth mit nach Jerusalem nehmen, damit er dort einmal das Passafest miterleben kann. Sie sind dabei nicht allein – das ganze Dorf Nazareth war gemeinsam mit ihnen nach Jerusalem gekommen. Und dann waren die Tage des Festes vorbei, und Maria und Josef machten sich wieder auf den Rückweg. Auf Jesus achteten sie erst mal nicht besonders; sie waren davon überzeugt, dass er mit seinen Freunden schon ein Stück vorausgelaufen sei. Einen ganzen Tag lang reisen sie zurück – bis sie abends im Übernachtungsquartier feststellen: Jesus ist nicht da. Wer selber Kinder hat, der wird ein wenig nachempfinden können, wie Maria und Josef da wohl zumute war. Panik erfasst sie, sie laufen den ganzen Weg wieder zurück nach Jerusalem und begeben sich auf die Suche nach ihm. Drei Tage klappern sie all die Orte ab, wo sie zuvor mit ihm gewesen waren – aber von Jesus keine Spur. Dann schließlich, nach drei Tagen, finden sie ihn im Tempel, wie er da mit den Theologen zusammensitzt und diskutiert. Alle staunen darüber, wie gut er sich über Gott auskennt. Doch Maria ist überhaupt nicht stolz auf ihren Sohn – sie reagiert, wie Mütter eben reagieren: „Mein Kind, warum hast du uns das angetan? Drei Tage haben wir dich gesucht! Wir sind fast umgekommen vor Sorge um dich!“ Doch Jesus reagiert ganz anders, als Maria dies erwartet hatte: Er zeigt sich völlig überrascht, dass Maria und Josef ihn gesucht haben: „Warum habt ihr mich gesucht? Wusstet ihr nicht, dass ich sein muss in dem, was meines Vaters ist?“ (V.49) Für Jesus ist völlig klar, wer sein Vater ist: Nicht Josef, der ihn da überall in der Stadt gesucht hat, sondern Gott selber. Gottes Haus ist eben sein Haus, weil es das Haus seines Vaters ist. Doch Jesus bleibt dann nicht im Tempel. Er geht mit seinen irdischen Eltern zurück nach Nazareth „und war ihnen gehorsam“, so heißt es ausdrücklich. Und am Ende heißt es dann noch: „Und Jesus nahm zu an Weisheit, Alter und Gnade bei Gott und den Menschen.“ (V.52)

Was für eine spannende Geschichte! Nein, was es für Jesus selber in seinem Denken und Fühlen bedeutet hat, zugleich wahrer Gott und wahrer Mensch zu sein, das können wir nicht annähernd erahnen. Und wir sollen es auch erst gar nicht versuchen, uns da irgendwie in Jesus hineinzuversetzen. Wir können es nicht. Aber beides ist hier erkennbar: Auf der einen Seite ist es für Jesus immer klar gewesen, dass Gott sein Vater ist – so klar, dass er gar nicht verstehen kann, dass Maria und Josef ihn nicht gleich im Haus seines Vaters gesucht haben. Auf der anderen Seite war Jesus aber seinen irdischen Eltern gehorsam, ja, mehr noch: Er nahm zu an Weisheit, Alter und Gnade – Als wirklicher Mensch entwickelt Jesus sich auch, er, der doch zugleich Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrhaftiger Gott vom wahrhaftigen Gott ist. Ein ganz bisschen lässt uns diese Geschichte erahnen von dem Geheimnis Jesu, und befriedigt unsere Neugier zugleich doch nicht, lässt uns nur anbetend staunen über dieses Geheimnis, dass Gott selber Mensch geworden ist.

Nein, die Geschichte schildert uns Jesus nicht als pubertierenden Teenager, den die Überfürsorge seiner Eltern nervt. Sie schildert uns vielmehr, dass Jesus weiß, dass Eltern hier auf Erden nie die letzte Autorität haben. Es gibt einen Bereich, in dem sie nicht das letzte Wort haben: Dort, wo es um Gott geht, müssen auch sie zurückstehen. Ich denke an die vielen Glieder unserer Gemeinde, die sich bei ihrer Taufe entscheiden mussten zwischen ihren Eltern und ihm, Jesus Christus. Sie haben sich für Jesus entschieden, auch wenn sie wussten, dass die Taufe den Bruch mit ihrer Familie darstellen würde. Doch Jesus ist in der Tat noch wichtiger als die Eltern, als alle familiären Bindungen. Nur er kann ewiges Leben schenken. Lassen wir uns darum durch diese Geschichte daran erinnern, was in unser aller Leben das Wichtigste ist und bleibt: Nicht die familiären Bindungen, so schön und wichtig diese auch sein mögen. Am Ende kommt es nur darauf an, dass auch wir für immer im Haus Gottes bleiben, dass wir dort bleiben, wohin Jesus uns weist. Dafür ist er, der Sohn Gottes, doch Mensch geworden, damit wir einmal für immer und ewig im Haus unseres Vaters bleiben werden. Mehr brauchen wir über das Leben Jesu zwischen seiner Geburt und seiner Taufe auch wirklich nicht zu wissen. Amen.

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