Apostelgeschichte 1,15-26 | Tag des Apostels St. Matthias | Pfr. Dr. Martens

In den letzten Tagen wurde auf Facebook wiederholt ein reichlich verstörendes Video gepostet. Es zeigt einen vermutlich römisch-katholischen Priester im grünen Messgewand, vor dem eine Schlange von Kindern steht. Jedes Kind, das an ihm vorbeigeht, bekommt von ihm einen Schlag auf den Kopf, eine Ohrfeige oder ähnliches. Worin der tiefere Sinn dieser Zeremonie bestehen soll, ist mir immer noch nicht aufgegangen; doch diejenigen, die es posten, sind ein wenig verwirrt: Wie kann ein christlicher Pfarrer denn so etwas machen?

Vor einer ganz ähnlichen Frage stand damals auch die allererste christliche Gemeinde noch vor dem Pfingstfest: Aus den zwölf Aposteln waren elf Apostel geworden, weil Judas zunächst den Herrn verraten und sich anschließend das Leben genommen hatte. Und da standen nun die elf Apostel und die anderen Glieder der Gemeinde da und waren einfach fassungslos: Wie konnte das sein, dass einer der zwölf engsten Mitarbeiter Jesu, einer, den Jesus selber doch persönlich für diesen Dienst ausgesucht hatte, so etwas getan hatte, sein Amt in dieser Weise missbraucht hatte? Und wie sollte es nun weitergehen, nach diesem Schock über das Versagen des Judas?

Ja, Schwestern und Brüder, das sind Fragen, vor die wir nicht bloß angesichts eines Facebook-Videos oder angesichts des Versagens des Judas gestellt sind. Immer wieder erfahren Christen in den Gemeinden, dass Gottes Bodenpersonal mehr als fehlbar ist, dass es sich immer wieder so verhält, dass es dem, was es eigentlich zu verkündigen und zu bezeugen hat, widerspricht, ja geradezu in den Rücken fällt. Wie sollen wir mit diesen Erfahrungen umgehen? Genau darum geht es in ganz besonderer Weise an diesem Tag des Apostels Matthias, und so wollen wir uns nun genauer anschauen, wie die erste christliche Gemeinde damals mit dem so offenkundigen Versagen eines Amtsträgers umgegangen ist.

Zunächst einmal haben sich die Christen damals dessen vergewissert, dass das, was sie gerade an Verstörendem erlebt hatten, dennoch nicht der Heiligen Schrift widerspricht, sondern das dort Gesagte bestätigt. Petrus erkennt, dass selbst solch ein furchtbares Geschehen wie der Verrat des Judas Gottes Heilsplan nicht widerspricht, sondern in Gottes Plan auch seinen Platz hatte. Er erkennt dies aufgrund der Lektüre der Heiligen Schrift, die ihm sehr deutlich sagt, was Gottes Wille ist und was daraus folgt.

So können und sollen auch wir es machen. Wenn wir solch verstörende Bilder von diesem merkwürdigen Priester sehen, dann fragen wir uns natürlich: Ist das mit Gottes Plan, mit Gottes Willen für uns Menschen zu vereinbaren? Natürlich ist es nicht richtig, wenn Priester Kinder schlagen, wenn sie ganz anders handeln, als sie es aufgrund ihres Amtes eigentlich tun müssten. Aber was wir da sehen, stellt nicht etwa die Botschaft der Heiligen Schrift in Frage. Die behauptet nämlich an keiner Stelle, dass Menschen, denen Christus ein Amt anvertraut hat, deswegen fehlerlos sind oder ihr Amt nicht missbrauchen können. Es entspricht ganz der Lehre der Heiligen Schrift und auch dem Plan Gottes, dass auch Pfarrer wie alle Menschen Sünder sind und Gott oft genug gegen die, die eigentlich in seinem Auftrag handeln sollten, diesen seinen Plan durchsetzen muss. Natürlich sollen wir tun, was uns möglich ist, dass die, denen Gott ein Amt anvertraut hat, dieses Amt auch so führen, wie es seinem Willen entspricht. Wir wissen, wie viel Schaden sonst angerichtet werden kann. Aber die Kirche und das Evangelium in Frage stellen kann auch solch ein Video nicht, kann kein Versagen eines Pastors. Gott weiß, wie er auch aus dem Versagen von Pastoren Gutes wirken kann. Ja, auch dies macht uns die Heilige Schrift sehr eindrücklich deutlich.

Was ist nun zu tun? So fragten sich die Jünger nach dem Judas-Debakel als nächstes. Und Petrus gibt ganz klar die Antwort: Es bleibt immer das Wichtigste, dass das Evangelium von Jesus Christus weitergetragen wird, angefangen von denen, die selber noch Augenzeugen gewesen sind, die selber alles miterlebt haben und vor allem auch den auferstandenen Christus selber gesehen haben. Das ist das Wichtigste, dass diese Augenzeugenschaft von Menschen wahrgenommen wird, die mit ihrer Person, mit ihrem Leben dafür einstehen, dass es tatsächlich stimmt, was sie verkündigen, weil sie es selber gesehen und gehört haben. Und so kommen als Kandidaten für den freigewordenen Platz unter den zwölf Aposteln nur solche Leute in Frage, die genau diese Bedingungen erfüllen, dass sie Jesus während seiner ganzen Wirksamkeit vor Ostern miterlebt haben und dann auch mit dabei waren, als Jesus seinen Jüngern erschien. Zwei Kandidaten finden sich – und einer der beiden, Matthias, wird schließlich nicht von Menschen, sondern von Gott selbst in dieses ganz besondere Amt gerufen.   

Wie gut, dass die Apostel das damals gemacht haben, dass sie bei der Auswahl des zwölften Apostels darauf geachtet haben, dass dieser tatsächlich die Bedingungen erfüllt, die auch für uns heute noch so wichtig sind! Denn um das Evangelium geht es doch auch heute noch zunächst und vor allem in der Kirche. Wenn Dinge in der Kirche, in der Gemeinde schieflaufen, dann sollte dies zunächst und vor allem unsere wichtigste Frage sein: Wie können wir es erreichen, dass trotz des Versagens von Menschen das Evangelium in seiner ganzen Freude weiterverbreitet wird? Und da ist es zunächst einmal ganz wichtig, dass wir um dieses Evangelium wissen, dass wir darum wissen, warum wir darin eine verlässliche Grundlage haben, auf der wir aufbauen können. Wir haben heute keine Augenzeugen der Auferstehung Jesu mehr unter uns; wir müssen uns schon ganz auf das verlassen, was die Zeugen damals gesehen und geschildert haben. Aber gerade weil wir diesen Zeugen vertrauen dürfen, dürfen wir dann auch ganz fröhlich immer wieder auch in unserer Gemeinde danach fragen, wie diese apostolische Botschaft am besten weitergegeben werden kann, allem Versagen von Menschen zum Trotz. Alles, was hier in unserer Gemeinde geschieht, sollte sich daran messen lassen: Dient dies zur Ausbreitung des Evangeliums, zur Stärkung des Glaubens derer, die durch das Evangelium schon zum Glauben geführt worden sind? Ja, fragen wir uns dies bei allem, was wir in der Gemeinde planen und bedenken, immer wieder: Wie können wir Menschen auch hier und heute zum Zeugendienst ermutigen und befähigen, dazu, das eine apostolische Wort weiterzusagen, für das damals schon der heilige Matthias eingestanden ist? Darum drehten sich damals schon die Gedanken der Apostel, und genau darum geht es auch heute noch: Das Evangelium muss laut werden – und das wird es auch bei uns heute noch in vielfacher Weise. Mögen wir uns von Petrus und den anderen Aposteln darin ermutigen lassen, danach immer wieder zu fragen: Dient das, was wir machen, tatsächlich immer noch der Ermutigung und Stärkung durch das Evangelium?  Wir sind eben kein Treffpunkt zur Ausübung verschiedener Hobbys, wir sind keine Selbstbespaßungstruppe. Wie gut, dass uns das Petrus hier so deutlich macht!

Und noch eines macht uns Petrus hier schließlich ganz deutlich: Gott ändert nicht seinen Weg und seine Weise, Menschen mit dem Evangelium zu erreichen. Er setzt weiter auf sterbliche, fehlbare Menschen, um durch sie, ja durch sie, sein Evangelium ausbreiten zu lassen. Gott wählt keine neue Methode, die weniger anfällig ist, weil sie den Faktor Mensch ausklammert. Sondern er will mit und durch Menschen, deren Versagen mitunter so offensichtlich ist, sein Reich bauen, seine Herrschaft erweitern lassen. Das Amt, das einem Pastor heutzutage anvertraut wird, ist nicht mehr das Amt des Matthias. Als letzter Apostel bleibt er noch auf der Seite der Augenzeugen, derer, die mit den Grund der Kirche gelegt haben, der Bestand hat bis heute. Kein Pastor ist heute noch Augen- oder Ohrenzeugnisse dessen, was Jesus damals vor fast 2000 Jahren gemacht hat; was uns bleibt, sind die Zeugenaussagen derer, die es damals noch direkt erlebt haben. Doch für die Wahrheit dessen, was in der Heiligen Schrift steht, sollen und dürfen nun diejenigen eintreten, die hier und jetzt im Amt der Kirche stehen. Ja, sie sollen sich dessen immer bewusst sein, wie viel in der öffentlichen Meinung von ihrem Verhalten abhängt, wie sehr Menschen eher ihr Verhalten studieren als die Worte der Heiligen Schrift. Und doch bindet sich Gott mit seinem Wort auch heute wieder an leibhaftige Menschen, geht das Risiko von Versagen und Enttäuschungen ein, und weiß doch, wie er all dies gebrauchen kann, um seinen Plan zu verwirklichen. In diesem Plan haben alle ihren Platz: Judas, Matthias – und du und ich auch. Gott sei Dank! Amen.

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