Apostelgeschichte 17,22-34 | Jubilate | Pfr. Dr. Martens

Als ich vor einigen Jahren mit unserem Missionsprojekt in Steglitz begonnen hatte, bekam ich einige Zeit später Post von einem Pastor. Er hatte sich offenkundig viel Mühe gegeben und versucht, ein Missionstraktat für die Arbeit mit Iranern und Afghanen zu schreiben, und fragte mich, ob ich das nicht gut gebrauchen könnte. Als ich es mir durchlas, merkte ich schnell: Das war wirklich rührend und gut gemeint – aber für unsere Arbeit völlig ungeeignet. Denn in diesem Traktat hatte der gute Pastor, der seinen Dienst in der DDR versehen hatte, versucht, Argumente dafür anzuführen, dass es Gott wirklich gibt. So etwas kann man natürlich machen – nur: Für die Arbeit mit Menschen aus dem Iran und Afghanistan ist solch ein Traktat völlig überflüssig. Denn auf die verrückte Idee, an der Existenz eines Gottes zu zweifeln, der diese Welt geschaffen hat, würde im Iran oder Afghanistan wohl kaum ein Mensch kommen. Das bekommen wir nur hier in Deutschland und in Westeuropa fertig, das in Frage zu stellen. Hier in unserem Land, ganz besonders in unserer Stadt Berlin, ist allerdings in der Tat die Zahl derer, die noch ernsthaft mit der Existenz eines Gottes rechnen, der diese Welt geschaffen hat, so weit gesunken, dass selbst in den Kirchen viele Amtsträger und treue Gemeindeglieder schon froh sind, wenn sie einen Menschen gefunden haben, der allen Ernstes noch an Gott glaubt. Das scheint für viele dann schon das höchste der Gefühle zu sein, wenn ein Mensch überhaupt noch irgendwie an Gott glaubt, wenn er irgendwie noch gläubig oder religiös ist. Ja, es gibt Pastoren, die tatsächlich meinen, damit schon ihre Aufgabe erfüllt zu haben, wenn sie Menschen irgendwelche Denkanstöße zu vermitteln, dass sie vielleicht mal wieder sich vorstellen können, dass es da oben irgendwo einen lieben Gott gibt.

Zugleich haben wir heutzutage in den Kirchen unseres Landes aber auch die Diskussion, ob man denn beispielsweise Muslime überhaupt zum christlichen Glauben führen sollte, oder ob man sie nicht Muslime bleiben lassen sollte, ja, ob wir als Christen nicht eigentlich vom Islam noch einiges lernen könnten. Ganz selbstverständlich wird immer wieder in kirchlichen Dokumenten der neueren Zeit davon ausgegangen, dass der Gott, an den Muslime glauben, und der Gott, an den wir als Christen glauben, derselbe Gott ist und dass von daher der christliche Glaube und der Islam letztlich nur zwei verschiedene Zugangsweisen zu diesem einen Gott seien.

Um genau dieses Thema geht es nun auch in der Predigtlesung des heutigen Tages. Da berichtet uns St. Lukas von einem Besuch des Apostels Paulus in Athen im Rahmen einer seiner Missionsreisen. Athen hatte seine großen Glanzzeiten damals schon länger hinter sich; es war eine kleine Stadt mit etwa 5000 Einwohnern, die sich aber immer noch als so etwas wie der geistige Nabel der Welt vorkamen, als die geistige Hauptstadt der gesamten antiken Welt. Völlig andere Voraussetzungen fand Paulus von daher in Athen vor, als er sie in anderen Städten vorgefunden hatte. Gewiss, auch in Athen folgt Paulus seiner durchgängigen Strategie, geht zunächst einmal in die Synagoge, verkündigt zunächst einmal den dort lebenden Juden die Christusbotschaft. Doch bald schon kommt er dann auch mit den Philosophen ins Gespräch, die dort in Athen in besonders großer Zahl existierten.

Nun muss man den Philosophen damals in Athen ein echtes Kompliment machen: Wenn da jemand zu ihnen kam, der etwas Neues sagte und etwas anderes als sie selber, dann wurde dieser Mensch nicht rausgeworfen, sondern bekam im Gegenteil die Gelegenheit, das, was er zu sagen hatte, vor allen zu präsentieren. In dieser Hinsicht sind wir in den vergangenen 2000 Jahren nicht unbedingt vorangekommen, sondern eher einige Schritte zurückgegangen. Wenn heute jemand eine andere Meinung verbreitet als die, die man selber hat, dann dauert es nicht lange, bis Aufschreie der Empörung laut werden, bis gefordert wird, dass man gegen Menschen, die nicht die eigene Meinung vertreten und darum natürlich Unrecht haben müssen, vorgehen müsse, sie zum Schweigen bringen müsse. Und dabei will ich mir jetzt noch nicht mal vorstellen, was passieren würde, wenn der Paulus beispielsweise irgendwo an der Großen Moschee in Mekka anfangen würde zu predigen. Wie gesagt: Die Athener waren uns da in mancher Hinsicht ein ganzes Stück voraus.

Und Paulus nutzt die Gelegenheit: Obwohl es für ihn eigentlich kaum erträglich war, dort auf dem Areopag so viele verschiedene Tempel und Altäre für verschiedene Götter zu sehen, beginnt er nicht damit, den Athenern erst einmal deutlich zu machen, was für einen Quatsch sie da glauben und machen, sondern er versucht, einen positiven Ansatzpunkt zu finden, von dem er dann seine Zuhörer mitnehmen kann. Er hatte dort auf dem Areopag nämlich auch einen Altar gefunden, der „dem unbekannten Gott“ gewidmet ist – errichtet wohl aus Furcht davor, dass man aus Versehen irgendeinen Gott übersehen haben und ihn damit erzürnt haben könnte. Und genau daran knüpft nun der Paulus ganz geschickt an und erzählt ihnen, wer denn dieser unbekannte Gott ist, von dem sie keine Ahnung haben. Er erzählt von ihm als dem Schöpfer der Welt, als dem Schöpfer der Menschen, von dem die Menschen eine Ahnung haben und der sich doch nicht durch das religiöse Suchen der Menschen finden lässt. Manches von dem, was Paulus da verkündigte, sagte auch den dort anwesenden Philosophen sicherlich zu. Und doch ist es gerade nicht das Ziel der Verkündigung des Paulus, so zu tun, als ob er doch eigentlich genau dasselbe meinte und glaubte wie die Philosophen, wie die Einwohner Athens auch. Im Gegenteil: Auch wenn er die religiösen Gedanken und Praktiken der Athener recht zurückhaltend als „Zeit der Unwissenheit“ beschreibt, macht er schließlich in seiner Predigt ganz deutlich, dass jetzt die Stunde gekommen ist, vom bisherigen Leben umzukehren und an Jesus Christus zu glauben, weil es um ihn, Christus, allein gehen wird, wenn einmal das letzte Gericht über die Menschen gehalten werden wird. Ja, Paulus beendet seine Predigt mit einem Hinweis auf die Auferstehung Jesu Christi, weil der christliche Glaube ohne die Predigt von dem auferstandenen Christus nun mal kein christlicher Glaube wäre, sondern selber höchstens nicht mehr als eine religiös angehauchte Philosophie.

Taktisch gesehen war das eigentlich nicht so hilfreich von dem Paulus, hier nun von der Auferstehung Jesu Christi zu sprechen, denn die Reaktionen darauf, die konnte er sich eigentlich schon vorher ausrechnen: Für einen anständigen Griechen, für den der Körper nur das Gefängnis der Seele war, das sie mit ihrem Tod endlich verlassen durfte, war die Vorstellung einer Auferstehung vollkommen absurd. Doch er, Paulus, der den auferstandenen Christus selber gesehen hatte, wusste: Ich muss den Menschen von dieser Auferstehung berichten. Sie ist und bleibt der Angelpunkt unseres Glaubens als Christen. Und wenn Menschen die Verkündigung der Auferstehung Jesu Christi ablehnen, dann ist nichts damit gewonnen, wenn sie ansonsten den einen oder anderen Gedanken im christlichen Glauben vielleicht ganz richtig oder nett finden. Doch selbst in Athen passiert das Wunder, dass Menschen durch die Predigt des Apostels zum Glauben an Jesus Christus finden und selber Christen werden.

Was können wir aus dem, was uns St. Lukas hier von dem Auftritt des Apostels Paulus in Athen berichtet, für uns selber mitnehmen, gerade auch für unsere Arbeit mit Menschen, die im Islam religiös sozialisiert worden sind?

Paulus hat es sich damals erspart, mit den Athenern über die Existenz Gottes zu diskutieren. Er sah seine Aufgabe nicht darin, den Athenern zu zeigen, dass es Gott gibt. Dann hätte er völlig an ihnen vorbeigeredet. Aber er identifiziert auch nicht einfach einen ihrer Götter mit dem Gott, den er verkündigt, sondern knüpft bewusst an die Vorstellung an, dass es da ja einen Gott geben könnte, von dem sie, die Athener, in Wirklichkeit keine Ahnung haben, einen Gott, dem wir Menschen alle miteinander unsere Existenz verdanken.

Genauso sprechen auch wir in unserer Arbeit mit Menschen, die aus dem Islam stammen: Es ist wahrlich nicht nötig, ihnen die Existenz Gottes nahezubringen. Die können wir voraussetzen. Und doch identifizieren wir den Gott, an den wir glauben, auch nicht einfach mit dem Gott, an den Muslime glauben. Gewiss, auch im Islam gibt es eine Ahnung von einem Gott, der diese Welt geschaffen hat. Diese Ahnung können wir durchaus aufgreifen. Doch wir können nicht einfach sagen: Der Gott, an den wir als Christen glauben, ist Allah. Nein, der Gott, an den wir als Christen glauben, ist auch für Muslime ein unbekannter Gott, ein Gott, von dem sie keine Ahnung haben, ja, keine Ahnung haben können, weil er sich uns Menschen allein in seinem Sohn Jesus Christus ganz zu erkennen gegeben hat.

Aber eben darum versuchen wir auch nicht, gegenüber Muslimen irgendwie die Illusion aufrechtzuerhalten, dass wir ja eigentlich letztlich doch all dasselbe glauben, ja, dass wir uns in diesen Zeiten mit denen verbünden sollen, die wie wir an einen Gott da oben im Himmel glauben. Nein, wenn wir mit Muslimen über unseren Glauben sprechen, wenn wir überhaupt mit anderen Menschen über unseren Glauben sprechen, dürfen wir Jesus Christus und seine Auferstehung niemals verschweigen, dürfen wir niemals verschweigen, dass die letzte Entscheidung in unserem Leben in unserer Stellung gegenüber diesem Jesus Christus fällt – ob er für uns nur ein Prophet oder Gesetzeslehrer ist – oder ob er der Sohn Gottes selber ist, unser Retter von Sünde und Tod. Ja, es ist klar, wenn wir dieses Thema ansprechen, dann wird es auch im Gespräch mit Muslimen immer wieder geschehen, dass unsere Gesprächspartner ähnlich ablehnend reagieren wie viele Zuhörer des Paulus damals in Athen auch. Und doch wird zugleich auch immer wieder das Wunder geschehen, das wir hier in unserer Gemeinde immer und immer wieder erleben dürfen, dass die Botschaft von Jesus Christus Herzen öffnet, Menschen zum Glauben an den lebendigen, auferstandenen Herrn führt.

Paulus hat damals ganz bewusst das Thema des letzten Gerichts angesprochen – ein Thema, das heute in der kirchlichen Verkündigung weithin verschämt verschwiegen wird und das doch gerade im Gespräch mit Muslimen immer wieder ein sehr guter Anknüpfungspunkt ist: Sie wissen sehr genau um diesen letzten Tag, der einmal kommen wird – und in aller Regel haben sie Angst vor diesem Tag, weil sie nicht wissen, welches Urteil sie an diesem letzten Tag erwarten wird, ob ihre guten Werke denn nun ausgereicht haben werden oder nicht. Und da können wir dann immer wieder ganz fröhlich von unserem Herrn Jesus Christus sprechen, der eben darum für uns am Kreuz gestorben ist, damit das Urteil im letzten Gericht nicht mehr an unseren guten Werken hängt, sondern allein an ihm. Ja, da können wir ganz fröhlich von unserem Herrn Jesus Christus sprechen, der den Tod besiegt hat, damit wir als Christen vor dem Tod keine Angst zu haben brauchen, auch und gerade jetzt nicht in diesen Corona-Zeiten. Ja, verlieren wir dieses Ziel in unseren Gesprächen über den christlichen Glauben, in unserer Verkündigung niemals aus den Augen: Wir haben als Christen unendlich mehr zu bieten als ein bisschen Religiosität und ein bisschen gutes Gefühl. Wir haben einen Herrn, der auferstanden ist und lebt und auch uns in den Himmel bringt. Nutzen wir jede Gelegenheit, um den Menschen in unserer Umgebung, ganz besonders aber den Muslimen diese gute Nachricht von Jesus Christus weiterzugeben! Stoßen wir ihnen nicht vor den Kopf, gehen wir auf ihre Fragen ein – und verschweigen wir ihnen doch nicht, wer Jesus Christus ist und was er für uns getan hat! Einen anderen Weg in den Himmel als ihn, Jesus Christus allein, gibt es doch nicht! Amen.

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