Apostelgeschichte 20,28-32 | Mittwoch nach Misericordias Domini | Pfr. Dr. Martens

In unserer lutherischen Kirche bewegt sich im Augenblick so einiges. Da wurde gerade eine Initiative gestartet mit dem Ziel, zusätzliches Geld für die Finanzierung von Pfarrstellen zu sammeln, damit die Zahl der Pfarrstellen, die in den kommenden Jahren in unserer Kirche gestrichen werden soll, etwas reduziert werden kann. Und zugleich ruft die Kirchenleitung zum Gebet für Arbeiter in der Ernte auf – denn was würde uns das Geld nützen, wenn wir es denn überhaupt hätten, wenn es niemanden gibt, der den Dienst eines Pastors in unserer Kirche noch übernehmen will? Nein, das sind ja keine weltfremden Gedankenspiele, das werden wir eben auch in unserem Kirchenbezirk bald sehr deutlich zu spüren bekommen, wenn in den kommenden Jahren die Hälfte der Pastoren in den Ruhestand gehen wird und nicht damit zu rechnen ist, dass die dann entstehenden Lücken auch nur ansatzweise wieder gefüllt werden können.

Von einem Pastor, der sich verabschiedet, wird auch in unserer heutigen Predigtlesung berichtet. Nein, der Apostel Paulus verabschiedet sich hier nicht in den wohlverdienten Ruhestand – auf die Idee, ein Rentnerdasein als Apostolus emeritus zu führen, wäre er gewiss nie gekommen. Aber er geht nun aus den Gemeinden weg, in denen er in den letzten Jahren seinen Dienst versehen hat – und weiß genau: Mein Dienst nähert sich seinem Ende, weil ich bald schon um dieses Dienstes willen sterben werde. Doch er stimmt hier nun kein Klagelied an, verbreitet auch keine sentimentale Stimmung, sondern blickt ganz nüchtern in die Zukunft.

Und da macht er zunächst einmal deutlich: Mit seinem Weggang endet ja nicht der Dienst des Evangeliums in den Gemeinden. Gottlob hat der Heilige Geist dort schon andere als Gemeindeleiter, als Bischöfe, eingesetzt – und damit geht der Dienst des Apostels weiter. Und diese Bischöfe, diese Leiter der Gemeinden ruft Paulus hier nun bei seinem Abschied zusammen, gibt ihnen mit auf den Weg, was sie für ihren weiteren Dienst unbedingt wissen müssen.

Ja, so macht es St. Paulus hier deutlich: Der Dienst derer, die die Gemeinde Gottes weiden sollen und sie eben damit leiten sollen, ist für die Kirche Jesu Christi tatsächlich ganz wichtig. Er ist nicht eine menschliche Erfindung, nicht bloß eine praktische Einrichtung, sondern er ist Stiftung des Heiligen Geistes selber, der durch diesen Dienst für die Gemeinde Gottes sorgt. Ja, wir mögen uns alle möglichen Gedanken über Neustrukturierungen in der Arbeit unserer Gemeinden und unseres Kirchenbezirks machen. Wir mögen mit Recht feststellen, dass ein Gemeindepastor nicht unbedingt die Aufgabe hat, Rasen zu mähen oder die Gemeindefinanzen zu ordnen. Aber ohne das Weiden der Herde Gottes durch die Hirten geht es eben nicht.

Worin besteht dieses Weiden? Es besteht zunächst einmal darin, dass dem Hirten klar ist, dass ihm die Herde, die er zu weiden hat, nicht selber gehört. Ausdrücklich betont St. Paulus hier, dass die Hirten, die er da zusammengerufen hat, die Gemeinde Gottes weiden sollen und nicht ihre eigene Gemeinde. Gott vertraut seine Herde Unterhirten an, ja, so arbeitet Gott. Aber keiner dieser Unterhirten hat die Gemeinde erlöst, hat sein Blut für sie vergossen. Das hat nur Gott selber getan, als er am Kreuz für uns starb. Kein Pastor ist der Retter seiner Gemeinde, und kein Pastor soll die Gemeinde so an sich binden, dass sie ihre Zukunft von ihm abhängig macht. Der Dienst eines Unterhirten ist immer Dienst auf Zeit – ganz gleich, ob mit oder ohne Pensionsregelung.

Weiden sollen die Hirten die Gemeinde. Das heißt: Sie sollen der Gemeinde die nötige geistliche Speise geben, damit sie geistlich wachsen kann: Gottes Wort und die Heiligen Sakramente. Das ist und bleibt der zentrale Hirtendienst. Die Bischöfe von Ephesus hatten vermutlich nicht unbedingt ein zweites theologisches Examen an einer Hochschule abgelegt. Daran hängt es nicht. Aber dass sie vom Heiligen Geist selber eingesetzt sind, dass ihnen das apostolische Amt unter Handauflegung übertragen worden ist, das ist entscheidend wichtig. Und darum ist es wichtig, dass wir uns auch in unserer Kirche darüber Gedanken machen, wie dieser Hirten- und Weidedienst vielleicht auch in ganz neuen Strukturen von Menschen wahrgenommen werden kann, die letztlich vom Heiligen Geist selber in ihr Amt eingesetzt werden.

Doch Weiden bedeutet noch mehr, als zu predigen und die Sakramente auszuteilen. Paulus macht den Hirten der Gemeinde in Ephesus sehr deutlich, dass Weiden immer auch Kampf bedeutet. Wer weidet, muss immer damit rechnen, dass die Herde, die ihm anvertraut ist, von reißenden Wölfen bedroht wird, so formuliert es Paulus selber hier.

Von einer doppelten Bedrohung der Gemeinde Gottes spricht der Apostel hier: von der Bedrohung von außen durch reißende Wölfe und von der Bedrohung von innen durch falsche Lehrer, die Irrlehren verbreiten und damit auch noch versuchen, Menschen persönlich an sich zu binden.

Ach, wie aktuell ist diese Warnung des Apostels auch heute noch: Wir erleben es, wie die Kirche Jesu Christi auch heute in vielfältiger Weise von außen bedroht wird. Noch nie gab es eine so große Zahl von verfolgten Christen wie jetzt in dieser Zeit. Viele Glieder unserer Gemeinde können von den reißenden Wölfen, denen sie in ihrer Praxis des christlichen Glaubens begegnet sind, eine Menge erzählen. Ja, wenn wir uns das Neue Testament anschauen, dann stellen wir fest, dass diese Bedrohung von außen die Normalsituation der Christen ist und nicht eine extreme Ausnahmeerscheinung. Wenn wir erleben, wie sich auch staatliche Behörden in solche reißenden Wölfe verwandeln können, die die Glieder der Gemeinde Gottes, ja letztlich sogar die Existenz der Gemeinde Gottes selber bedrohen, dann sollen wir uns nicht wundern. Das Geschick unserer Brüder und Schwestern ist kein anderes als das, das damals auch schon die Christen in Kleinasien oder anderswo zu erwarten hatten. Doch das dürfen wir zugleich auch wissen: Da, wo die christliche Gemeinde von außen durch reißende Wölfe bedroht wird, wird sie am Ende aus dieser Bedrohung gestärkt hervorgehen. Die Bedrohung von außen mag als schmerzlich empfunden und erfahren werden – doch sie ist nicht die eigentliche Gefahr, die der Kirche droht.

Die eigentliche Gefahr, die der Kirche Jesu Christi droht, kommt von innen, kommt aus ihrer Mitte, kommt gerade von denen, die eigentlich die Gemeinde Gottes weiden sollen und sie stattdessen mit falschen Lehren vergiften. Nicht überall, wo Kirche draufsteht, ist wirklich auch Kirche Christi drin, nicht überall, wo vom Evangelium gesprochen wird, wird auch wirklich das Evangelium laut. Damals warnte Paulus schon vor Irrlehrern, die in Frage stellten, dass Jesus Christus wirklich der Mensch gewordene Gott ist, und ihn stattdessen auf einen guten, weisen Lehrer reduzierten. Damals warnte Paulus schon vor Irrlehrern, die mit dem Tod Jesu am Kreuz letztlich nicht mehr viel anfangen konnten, die eine nebulöse Spiritualität an die Stelle des Empfangs der heiligen Sakramente setzten. Damals warnte Paulus schon vor Irrlehrern, die die leibhaftige Auferstehung Christi in Frage stellten und damit letztlich den christlichen Glauben auf Moral reduzierten. Und geändert hat sich daran heutzutage – nichts. Ja, es ist nicht schön und bequem, nun dauernd vor solchen Irrlehren auf der Hut sein zu müssen. Doch Paulus macht deutlich: Dort, wo Hirten ihre Herde nicht vor solchen Irrlehren warnen und schützen, nehmen sie ihre Aufgabe, die Gemeinde Gottes zu weiden, nicht in der rechten Weise wahr.

Was sollen die Hirten stattdessen machen? Sie sollen klar die apostolische Botschaft predigen, sich nicht daran orientieren, ob sie damit gut bei ihren Zuhörern ankommen oder nicht. Weiden besteht darin, den Hörern das ganze Wort Gottes in Gesetz und Evangelium zu verkündigen, ihnen nichts vorzuenthalten, wie Paulus es zuvor in seiner Rede erklärt. Gesunde, heilsame Lehre – sie ist das beste Gegenmittel gegen die Irrlehre. Wer sie gehört hat, der wird auf die verkehrten Lehren, die ansonsten verbreitet werden, nicht mehr so schnell hereinfallen. Nutzt darum alle Möglichkeiten, die ihr habt, um die heilsame, gesunde Lehre des Evangeliums immer besser kennenzulernen! Dann werdet ihr den Wölfen, die von innen die Gemeinde zu zerstören versuchen, nicht so schnell auf den Leim gehen.

Doch neben die öffentliche Verkündigung der gesunden, heilsamen Lehre tritt bei Paulus zugleich auch die Sorge um jeden einzelnen in der Gemeinde. Ja, auch das gehört mit zum Hirtendienst dazu, nicht einfach nur eine große Herde zu verwalten, sondern jedem einzelnen hinterherzugehen, ihn Tag und Nacht zu ermahnen – ja, immer wieder auch unter Tränen, wie Paulus es hier formuliert. Hirtendienst ist Kampf um jede einzelne Seele, die die Verbindung zu Christus zu verlieren droht, ist Ringen mit den Mächten und Kräften, die nur darauf aus sind, die wieder von Christus wegzuziehen, die von ihm doch in seine Herde gerufen worden sind. Ja, solcher Hirtendienst führt immer wieder auch an die Grenzen der Kräfte.

Aber gerade, wenn ein Hirte diese Grenzen seiner Kräfte so deutlich spürt, darf er sich dann auch die abschließende Worte des Apostels Paulus zu eigen machen: Er befiehlt die Gemeinde Gottes und die, die nun neben und nach ihm ihren Dienst darin versehen, Gott und dem Wort seiner Gnade an. Was Paulus am Schluss seines Dienstes in Ephesus und Umgebung vorlegt, ist keine Erfolgsstatistik, kein Überblick über die Zahl von Taufen und Konversionen, kein Nachweis darüber, was er alles in diesen Jahren geschafft hat. Erfolg ist den Hirten in ihrem Dienst auch nicht verheißen. Aber sie dürfen wissen, dass das Wort der Gnade, das sie verkündigen, wirkt, viel mehr und viel besser, als sie es je mit ihren Möglichkeiten könnten. In diesem Wort der Gnade ist auch die Zukunft unserer Gemeinde und Kirche beschlossen, nicht in der Fähigkeit eines Pastors, nicht in seinem Engagement. Wie gut, dass auch ich euch diesem Wort der Gnade anbefehlen darf in meinem Dienst – heute und morgen und, Gott geb’s, noch so manches weitere Jahr! Amen.

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