Apostelgeschichte 2,1-21| Heiliges Pfingstfest | Pfr. Dr. Martens

Feiern wir heute am Heiligen Pfingstfest den Geburtstag einer Leiche? Ja, „Geburtstag der Kirche“ – So wird das Pfingstfest ja auch immer wieder genannt. Doch haben wir in diesem Jahr noch Grund dazu, Geburtstagslieder anzustimmen? O nein, Geburtstagslieder sowieso nicht, denn Singen ist natürlich in der Kirche gar nicht mehr erlaubt. Gesundheitsförderliches Schweigen ist stattdessen angesagt. Doch auch abgesehen davon mögen wir in diesem Jahr den Eindruck haben, dass wir zu Pfingsten eher der Geburtstagsfeier einer Leiche beiwohnen. Das Corona-Virus hat nicht nur die Organe vieler tausend Menschen in unserem Land angegriffen und mehr als 8000 von ihnen sterben lassen – und in anderen Ländern noch viel, viel mehr. Sondern man hat den Eindruck, dass dieses Virus auch die Funktionen der Kirche in vielen Bereichen lebensbedrohlich angegriffen hat und es fraglich erscheint, ob diese Funktionen in der Zukunft noch einmal wiederhergestellt werden können. Kirche ist doch der Leib Christi, gebildet aus den Leibern von Menschen. Nicht umsonst beginnt die Pfingstgeschichte bei St. Lukas mit den Worten: „Als der Pfingsttag gekommen war, waren sie alle beieinander an einem Ort.“ Doch wir können nicht alle beieinander sein an einem Ort, sondern immer nur in kleinen Gruppen, können nicht zusammen Gottesdienst feiern, können nicht zusammen Gemeinschaft erfahren beim gemeinsamen Essen, können keine gemeinsamen Fahrten und Unternehmungen stattfinden lassen. Eine Kirche, in der die Menschen nicht beieinander sein können, leidet schweren Schaden, vor allem, wenn dies über eine längere Zeit anhält. Doch diese äußeren Probleme scheinen nur noch einmal den Verwesungsprozess einer Kirche beschleunigt zu haben, die sich in diesen Wochen und Monaten auch in der Öffentlichkeit ganz unverhohlen als überflüssig präsentiert hat, die ihre Aufgabe im Wesentlichen darin gesehen hat, die Angst, die vonseiten des Staates den Menschen gemacht wird, um eine Ausbreitung des Virus zu verhindern, an die Menschen weiterzugeben, ja, die sich von dieser Angst in ihrem Leben, in ihren Äußerungen, ja gerade auch in ihren Anweisungen an die Pastoren geradezu selber hat lähmen lassen. Bloß ganz still sein, bloß nichts falsch machen, bloß am besten aufhören zu atmen – das ist der Geist, der weite Teile der Kirche erfasst hat. Und da gibt es die anderen, die sogar mit Freuden die Kirche in den virtuellen Raum verlagert haben, die auch grundsätzlich auf leibhaftige Gemeinschaft ganz gut verzichten können, weil man doch Kirche eigentlich auch ganz gut online haben kann. Kirche als Bildschirmangebot mit dem Gläubigen als Zuschauer – das sieht ganz modern und zukunftszugewandt aus und ist in Wirklichkeit oft genug doch auch nur ein Verwesungszeichen der Kirche, die sich in virtuelle Nischen zurückgezogen hat und die am Ende niemand mehr wirklich braucht.

Ja, machen wir uns nichts vor: Die Lage der Kirche, zumal hier in Deutschland, ist sehr ernst. Was von ihr noch übrig bleibt, falls es eine Zeit nach Corona noch einmal geben sollte, lässt sich noch nicht einmal ansatzweise erkennen. Menschen werden es nicht vergessen, wenn Kirchen und Gemeinden offen erklärt haben, dass sie auch ganz gut für längere Zeit auf die Feier des Heiligen Mahles verzichten können, dass Gottesdienste ersetzbar sind durch andere Angebote. Das wird sich alles nicht so schnell wieder zurückdrehen lassen. Die Organschäden durch Corona, sie werden weite Bereiche der kirchlichen Arbeit auch in fernerer Zukunft noch lähmen.

Ja, in mancherlei Hinsicht feiern wir heute am Pfingstfest tatsächlich den Geburtstag einer Leiche, die nicht mehr dazu in der Lage ist, sich selber noch zu reanimieren. Doch gerade dann, wenn wir uns das ganz ehrlich eingestehen, wenn wir aufhören, uns einzureden, das, was wir im Augenblick erleben, sei doch eigentlich für die Kirche eine große Chance, gerade denn, wenn wir uns eingestehen, dass wir auf dem letzten Loch pfeifen, können wir wieder neu wahrnehmen, was Pfingsten eigentlich geschehen ist und bis heute geschieht:

Einer Gruppe von Menschen, die sich ganz zurückgezogen hatten, die nicht die geringste Systemrelevanz besaßen, sendet der erhöhte Christus seinen Heiligen Geist, holt sie heraus aus der Enge, in der sie nur unter sich waren, schickt sie raus und eröffnet ihr ganz neue Lebens- und Zukunftsperspektiven. Ja, genau das braucht die Kirche, die sich auch in unserem Land zumeist so weit zurückgezogen hat und sich so oft nur noch von der Angst leiten lässt, ganz besonders: Sie braucht das Wehen des Leben schaffenden Geistes Gottes, sie braucht die Auferweckung, die wir nicht selber mit noch so nett aussehenden Maßnahmen zu bewirken vermögen, sondern die allein der Geist, der da lebendig macht, zu bewirken vermag. Nein, diese Erweckung durch den Geist Gottes, die können wir als Kirche Christi nicht selber herbeiführen. Wir können nur um sie beten, wie es auch damals die ersten Christen in Jerusalem getan haben. Ja, es ist gut, wenn wir in diesem Jahr das Heilige Pfingstfest als Bußtag begehen, als Tag, an dem wir Gott unsere Geistlosigkeit, die Geistlosigkeit seiner Kirche, unsere Angst und Lahmheit bekennen und ihn, unseren Herrn, darum bitten, dass er wieder neu seinen Geist zu uns senden, uns durch seinen Geist wieder neu beleben möge.

Belebung durch den Geist Gottes lässt sich im Übrigen nicht durch „action“ um jeden Preis beschleunigen oder auch nur herbeiführen. Wir können darauf immer wieder nur warten, wie damals die Jünger in Jerusalem auf das Kommen des Geistes gewartet haben.

Doch woran kann man das Kommen des Geistes Gottes erkennen? Was wirkt er? Man kann das Wirken des Geistes Gottes nicht an großen Zahlen erkennen, erst recht nicht an irgendwelchen Glücksgefühlen, die Menschen verspüren. Sondern was der Heilige Geist bewirkt, das beschreibt St. Lukas in der Predigtlesung dieses Festtages sehr eindrücklich:

Der Heilige Geist treibt die Kirche zunächst einmal nach draußen. Da sitzen die Jünger in ihrem Obergemach und beten. Das ist schön und gewiss nicht falsch, wenn Menschen sich in der Kirche auch zum Gebet zurückziehen. Aber dabei darf es nicht bleiben. Wenn Gottes Geist am Werk ist, dann kann die Kirche nicht einfach unter sich bleiben, kann und darf sie sich nicht einfach zurückziehen in ihre Kuschelecke, dann treibt Gottes Geist sie heraus zu den Menschen, ja, dorthin, wo einem dann auch der Gegenwind ins Gesicht bläst, wo man damit rechnen muss, angegriffen und angefeindet zu werden. Als Besoffene werden die Jünger hier in unserer Geschichte verhöhnt; doch Petrus lässt sich durch diesen Gegenwind nicht einschüchtern, bezeugt die Auferstehung Christi, riskiert damit, dass aus der kleinen überschaubaren Gruppe im Obergemach am Ende eine beinahe unüberschaubare Menge von über 3000 Gemeindegliedern wird.

„Wo ist eigentlich die Kirche?“ – So wurde in den Medien in den vergangenen Monaten immer wieder einmal gefragt. Zum Teil war die Frage natürlich unfair: Wenn der Staat die Schließung der Kirchen verfügt, wenn er ihnen die Möglichkeit nimmt, leibhaftig in der Öffentlichkeit präsent zu sein, dann bleibt der Kirche nichts anderes übrig, als auf andere Wege der Kommunikation auszuweichen. Doch zum Teil ist die Frage tatsächlich auch berechtigt: Wie groß ist die Gefahr, sich als Kirche auf eine kleine Gruppe zu beschränken, wie groß ist die Gefahr, es sich im Obergemach der virtuellen Kirche bequem einzurichten, wo man sich gekonnt einem interessierten Kreis von Zuschauern präsentieren kann, ohne dass einem dabei der Gegenwind spürbar ins Gesicht bläst! Beten wir darum um den Geist Gottes, der uns immer wieder heraustreibt aus unserer Komfortzone, der uns immer wieder der Gefahr aussetzt, dass unsere Gemeinde am Ende viel größer wird, als wir dies selber in unserem Bedürfnis nach Kuscheligkeit uns eigentlich wünschen würden! Doch es geht in der Kirche eben um viel mehr als um Kuscheln!

Ein weiteres Zeichen des Wirkens des Heiligen Geistes ist es, dass durch sein Wirken Menschen aus ganz verschiedenen Sprachen, Ländern und Kulturen erreicht werden. Wir haben es in den letzten Jahren in unserem Land wiederholt erlebt und erleben es bis heute immer wieder neu, wie der christliche Glaube als eine Art von deutschem Kulturerbe angesehen wird, das gepflegt werden soll. Menschen aus dem Iran und Afghanistan sind bei dieser Form der Kulturpflege natürlich überflüssig. Doch in unserer heutigen Epistel hören wir, dass die ersten Menschen, die damals zu Pfingsten die Verkündigung der Apostel hörten und sich taufen ließen, aus dem Gebiet des heutigen Iran stammten. Christlicher Glaube ist nichts Deutsches oder auch nur Westliches. Er hat seinen Ursprung in den Gebieten, in denen es heute für Christen lebensgefährlich geworden ist zu leben und in die deutscher Rassismus sie am liebsten doch zurückbefördern würde. Doch wo der Geist Gottes wirkt, da ist Platz für Menschen aus ganz verschiedenen Ländern, für Menschen mit ganz verschiedenen Sprachen, die doch alle durch den einen Geist Gottes im Lob der großen Taten Gottes verbunden sind.

Und damit sind wir schon bei dem entscheidenden Kennzeichen des Heiligen Geistes: Er lässt Menschen die großen Taten Gottes erkennen, so zeigt es uns St. Lukas hier. Der Heilige Geist öffnet mir die Augen dafür, was Christus für mich getan hat und tut, was er damals getan hat, als er für mich gestorben und auferstanden ist, was er jetzt an mir getan hat in meiner Taufe, ja, was Christus auch weiter mit mir tun wird, bis einmal der letzte große Tag Gottes kommt. Der Heilige Geist richtet unseren Blick nicht auf uns selber, auf die Intensität unserer Frömmigkeit; er richtet unseren Blick immer wieder ganz weg von uns selber allein auf ihn, Christus, hin, unseren Herrn. Und eben so führt er Menschen schließlich immer wieder zur Taufe, dorthin, wo wir an den großen Taten Gottes persönlich Anteil bekommen, und so passt es gut, dass wir auch in diesem Jahr zu Pfingsten wieder in einem unserer Gottesdienste auch Heilige Taufen feiern, direkt miterleben, wie der Heilige Geist auch in unserer Mitte am Werk ist, Menschen zu Christus geführt hat, die dies vor gar nicht so langer Zeit zum Teil noch gar nicht für möglich gehalten hätten.

Nein, die Kirche ist keine Leiche, so erleben wir es, gottlob, in unserer Mitte. Und doch wissen auch wir, wie sehr wir darauf angewiesen sind, dass der Heilige Geist bei uns tut, was wir selber niemals schaffen könnten. Doch wenn auch wir immer wieder neu auf das Wirken des Heiligen Geistes in unserer Mitte warten, dann sollen wir diese Zeit stets damit verbringen, uns im Wirkbereich des Heiligen Geistes aufzuhalten – dort, wo sein Wort verkündigt wird, dort wo sein Heiliges Mahl gefeiert wird. Wo Gottes Wort nicht verkündigt wird, wo das Mahl des Herrn nicht gefeiert wird, wird es in einer Kirche immer geistlos bleiben, werden alle Versuche der Kirche, sich selber zu reanimieren, gewiss scheitern.

Lassen wir uns also durch das Pfingstfest wieder neu dazu bewegen, Gott um das Kommen seines Geistes anzuflehen, und lassen wir uns dann von ihm die Augen dafür öffnen, wo und wie der Geist auch in unserer Gemeinde am Werk ist und bleibt. Nein, wir sind als Kirche nicht am Ende, solange der in unserer Mitte ist, der da lebendig macht: Gottes Heiliger Geist. Um seinetwillen haben wir die Aussicht auf viele weitere Geburtstage der Kirche – bis der Herr wiederkommt! Amen.

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