Apostelgeschichte 27, 33-44 | Mittwoch nach dem 15. Sonntag nach Trinitatis | Pfr. Dr. Martens

Es gibt Erzählungen in der Heiligen Schrift, die lesen wir in diesen Tagen und Wochen noch einmal mit ganz anderen Augen. Zum Beispiel die Abendlesung des heutigen Tages. Da wird beschrieben, wie ein Boot mit fast 300 Menschen an Bord zwei Wochen lang manövrierunfähig im Mittelmeer umhertreibt, wie die Insassen des Schiffs Todesängste durchstehen und zudem auch einfach seekrank sind. Und dann wird es am Ende richtig dramatisch: Das Schiff droht in der Nacht auf einen Felsen aufzulaufen und auseinanderzubrechen. Verzweifelte Notmaßnahmen werden ergriffen, um das Schiff zu retten. Doch schließlich geht die ganze Geschichte glimpflich aus: Als es hell wird, erkennt die Crew, dass vor dem Schiff eine flache Bucht liegt. Sie lässt das Schiff gegen eine Sandbank treiben und dort auflaufen; das Vorderschiff bohrt sich in die Sandbank, das Hinterschiff zerbricht. Diejenigen, die schwimmen können, retten sich als erste ans Ufer, die anderen können sich mithilfe von Planken und Brettern ans rettende Ufer treiben lassen. Alle 276 Passagiere überleben am Ende; es gibt keine Bilder von toten Dreijährigen, die ans Ufer gespült werden. Im letzten Augenblick werden sie alle gerettet – auch ohne den Einsatz von Seenotrettungsschiffen, die in der Nähe patrouilliert hätten.

Wir wissen: Nicht alle Bootsüberfahrten im Mittelmeer gehen so gut aus, wie es hier bei St. Lukas in der Apostelgeschichte beschrieben wird. Wir haben genügend Glieder in unserer Gemeinde, die davon berichten können, dass solche Schiffsreisen auf dem Mittelmeer auch ganz anders enden können, dass nicht immer alle gerettet werden, wenn ein Boot in Seenot gerät.

Was ist das Besondere, was uns St. Lukas hier berichtet? Das Besondere an dieser Schiffbruchgeschichte auf dem Mittelmeer ist der eine Passagier, der dort mit an Bord ist, ist der Apostel Paulus. Der soll nach Rom, soll dort das Evangelium von Jesus Christus bezeugen, so hat es Gott in seinem Plan beschlossen. Und darum kann und darf das Boot nicht einfach untergehen, ja, um dieses Paulus willen wird schließlich dann auch die ganze Besatzung mit ihm gerettet. Und Paulus – der weiß um das Versprechen, das Gott ihm gegeben hat. Und so bleibt er in dem ganzen Chaos an Bord ganz ruhig, fängt an zu essen, macht damit auch den anderen Passagieren Mut, nicht in Panik zu verfallen, sondern sich gerade nicht nüchtern, sondern gesättigt und gestärkt auf den Schiffbruch vorzubereiten, der vor ihnen liegt.

Was hat uns diese Geschichte heute zu sagen? Sie verkündigt uns nicht die simple Botschaft: Glaube an Jesus, dann geht in deinem Leben immer alles gut aus, dann hast du letztlich keine Probleme mehr. Dieses Versprechen haben wir nicht. An Jesus geglaubt haben auch die Christen, die vor einigen Monaten an Bord eines solchen Seelenverkäufers auf dem Mittelmeer saßen und dann von den muslimischen Bootsinsassen über Bord geworfen wurden, eben weil sie Christen waren. Und wie viele Christen aus Eritrea sind beispielsweise in den vergangenen Monaten und Jahren auf ihrer Flucht vor der Christenverfolgung in ihrem Land im Mittelmeer ertrunken!

Wir müssen schon danach fragen: Was für ein Versprechen haben wir denn von Christus erhalten, auf das wir uns verlassen dürfen, selbst wenn so vieles dagegen zu sprechen scheint? Machen wir es einfach mal an einem konkreten Beispiel deutlich: Die Lage in Europa, die uns in diesen Tagen im Fernsehen immer wieder neu vor Augen geführt wird, kann einen ja schon an das Schiff erinnern, in dem sich der Apostel Paulus damals vor der Insel Malta befand. Manövrierunfähig treibt es herum, und die Besatzung versucht, mit allen möglichen mehr oder weniger sinnvollen oder sinnlosen Notmaßnahmen das Schlimmste zu verhindern. Und von allen möglichen Seiten hört man sie schon, die Ankündigung vom Untergang des Schiffs, vom Untergang des christlichen Abendlandes unter dem Ansturm der Wellen des Islam.

Schwestern und Brüder: Ich bin weder Politiker noch Prophet. Ich weiß auch nicht, welche Maßnahmen denn nun im Augenblick nötig sind, um das Schiff wieder flottzumachen. Klar ist, dass das Schiff ganz schön voll ist, dass die Situation schwierig ist. Dass wir in der kommenden Zeit möglicherweise auch auf die eine oder andere Sandbank auflaufen, ist in der Tat nicht auszuschließen.

Doch als Christen steht es uns nicht an, nun in Panikmache auszubrechen und Weltuntergangsängste zu fördern. Wir wissen doch um die Verheißung, die Christus uns gegeben hat, dass selbst die Pforten der Hölle die Gemeinde Jesu Christi nicht überwältigen werden. Wenn auch vieles andere im Augenblick offen ist – diese Verheißung steht fest, auf die können wir uns nicht weniger verlassen als Paulus damals auf das Versprechen, das Gott ihm gegeben hatte. Was auch passiert: Die Kirche Jesu Christi wird nicht untergehen. Und diese Gewissheit, die soll und darf unser Handeln bestimmen. Was hat der Paulus damals auf dem Schiff gemacht: Ganz ruhig hat er vor allen anderen Gott gedankt, das Brot gebrochen und gegessen. Und genau das machen wir hier in unserer Gemeinde auch: Während so viele den Untergang des christlichen Abendlandes beschreien, kommen wir hier immer wieder zusammen und feiern das Mahl, das Christus gestiftet hat, danken ihm, brechen das Brot und empfangen in den Gestalten von Brot und Wein den Leib und das Blut unseres Herrn. Das ist jetzt dran: Mitten in allen Stürmen das Mahl der Danksagung zu feiern, immer wieder neu zu erfahren, dass Christus in unserer Mitte gegenwärtig ist und uns nicht untergehen lässt.

Und noch etwas ist in der Geschichte, die uns St. Lukas hier erzählt, ja ganz bezeichnend: Der eine Passagier Paulus bewegt mit seinem Handeln die Herzen all der anderen Schiffsinsassen, die von Christus doch eigentlich gar nichts wussten, ja, um dieses einen Passagiers willen werden schließlich auch die anderen auf dem Boot am Strand von Malta gerettet.

Vorgestern sah ich auf Facebook ein Video eines syrischen Journalisten, der vor dem LaGeSo in der Turmstraße in Berlin stand. Er hielt eine Wutrede auf die islamischen Staaten: Er sagte: Diese Staaten machen nichts anderes, als uns vor den angeblich Ungläubigen in Europa zu warnen. Aber helfen tun sie uns nicht. Aber diese angeblich Ungläubigen, die helfen uns, die nehmen uns mit offenen Armen auf. Ja, der Journalist, er merkte: Da stimmt doch etwas nicht mit dieser Religion, die, wenn es darauf ankommt, ihre eigenen Leute im Stich lässt. Ja, wie kann das sein, dass die Menschen hier in Europa so anders reagieren? Hier in unserer Gemeinde haben schon so viele Menschen auf diese Frage eine Antwort gefunden, haben gemerkt: Der christliche Glaube hat uns doch etwas ganz anderes zu bieten als der Islam. Ja, es mag wohl sein, dass uns die vielen Muslime, die jetzt in unser Land strömen, in der Zukunft noch jede Menge Schwierigkeiten bereiten werden. Da wollen wir gar nicht blauäugig sein. Aber sehen wir zugleich doch immer die große Chance: Wir können vor diesen Menschen unseren christlichen Glauben leben, ihnen zeigen, dass Christus etwas ganz anderes zu bieten hat als Mohammad, können ihnen mit der Art und Weise, wie wir unseren Glauben praktizieren, ja, können auch mit unserem Zeugnis Menschen dahin führen, dass sie durch Jesus Christus gerettet werden – und wir mit ihnen.

Ja, vielleicht stehen uns in der Zukunft noch Schiffbrüche bevor, vielleicht bleibt uns manche Schwierigkeit nicht erspart. Vielleicht werden auch wir einmal eine Minderheit auf dem Schiff sein wie Paulus damals auch. Doch das Versprechen unseres Herrn, dass er über jedem Haar auf unserem Haupt wachen wird, das hat Bestand. Feiern wir darum auch heute Abend wieder fröhlich das Mahl des Herrn. Wir haben doch seit unserer Taufe auch diese Verheißung: Er, Christus, wird uns durch alle Nöte hindurch tragen – bis ans Ufer des ewigen Lebens. Amen.

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