Apostelgeschichte 6,8-15; 7,55-60 | St. Stephanus | Pfr. Dr. Martens

Vor einigen Tagen erhielt ich einen Weihnachtsrundbrief aus einer anderen Gemeinde, zu der wie bei uns auch viele iranische und afghanische Christen gehören. Die Verfasserin erzählte von einem afghanischen Gemeindeglied, das dort in der Gemeinde getauft worden war und dann anschließend noch unter der Regierung von Herrn Seehofer nach Afghanistan abgeschoben worden ist. Das Gemeindeglied ist weiter mit der Gemeinde in Kontakt und steht tapfer zu seinem christlichen Glauben, auch jetzt unter der Herrschaft der Taliban. Aber es weiß genau: Wenn die Taliban das herausbekommen, dass es Christ ist, dann wird sein Leben sehr schnell zu Ende sein. Ja, wie feiern Christen in diesem Jahr in Afghanistan Weihnachten? In den Straßen von Kabul werden sicher keine Weihnachtsbäume zu sehen sein, es wird keine Weihnachtsmusik aus den Häusern und Geschäften klingen; es wird überhaupt gar nichts an Weihnachten erinnern. Eine romantische Stimmung wird bei den Christen in Afghanistan ganz gewiss nicht aufkommen. Und doch werden diese Christen in Afghanistan von Weihnachten wohl sehr viel mehr verstehen als die meisten Menschen in Deutschland. Denn sie wissen, warum es sich lohnt, Christ zu sein, selbst wenn sie dies ihr Leben kosten würde.

Am 2. Weihnachtsfeiertag feiert die Kirche seit vielen Jahrhunderten immer den Tag des heiligen Stephanus, des ersten Zeugen für Jesus Christus, der wegen dieses Zeugnisses getötet wurde. Rot ist die Farbe des heutigen Tages – nein, nicht, um sich optisch an die Kleidung des Weihnachtsmanns anzupassen. Sondern rot ist die Farbe des Blutes, das Stephanus und mit ihm so viele andere Christuszeugen für ihr Zeugnis für Jesus Christus vergossen haben. Ja, es ist hilfreich und heilsam, dass die Kirche an diesem 2. Weihnachtsfeiertag sehr nüchtern in den Blick nimmt, was für Folgen die Geburt des Kindes in der Krippe in Bethlehem für diejenigen hat, die sich zu diesem Kind in der Krippe bekennen und es anbeten. So wird unser Blick wieder auf das Wesentliche gelenkt, auf das, was von Weihnachten bleibt, wenn die romantische Stimmung vorbei ist und das Geschenkpapier beiseitegeräumt ist. Um dreierlei geht es nämlich beim wirklichen Weihnachten, das mehr ist als bloß eine Fassade.

Es geht um

  • Christus
  • einen Konflikt
  • das ewige Leben

 

I.

Hätte Stephanus damals nur ganz allgemein von Liebe und Mitmenschlichkeit geredet, hätte er nur einige warme Worte gefunden, die die Herzen aller Menschen anrühren, dann wäre es ihm wahrscheinlich erspart geblieben, sein Leben unter einem Haufen von Steinen zu beenden. Doch Stephanus wusste, was seine Aufgabe war: Er bezeugte Jesus Christus, ihn, der einen ganz neuen Weg zu Gott gebahnt hat, ihn, der allen Versuchen der Menschen, durch das Tun guter Werke in den Himmel zu kommen, seinen Tod am Kreuz als einzigen Weg zu Gott entgegengestellt hat.

Ja, es geht zu Weihnachten, wie überhaupt in unserem christlichen Glauben, um Jesus Christus. Das klingt so selbstverständlich, ist es aber gar nicht. Die Gefahr ist groß, dass auch in den Kirchen immer wieder über wohlklingende allgemeine Prinzipien geredet wird, dass man ein wenig allgemeine hoffnungsvolle Stimmung verbreiten will und den Leuten noch die eine oder andere moralische Forderung mit auf den Weg geben will. Doch zu Weihnachten geht es allein um ihn, Jesus Christus, um ihn, den Mensch gewordenen Gott, um ihn, der als Kind in einem Stall geboren wurde, damit wir nicht in der Dunkelheit des ewigen Todes bleiben. Weniger dürft auch ihr von keinem Weihnachtsgottesdienst erwarten, als dass euch Jesus Christus gepredigt wird, und für weniger als für ihn, Jesus Christus, den Mensch gewordenen Gott, würden auch die die afghanischen Christen nie und nimmer ihr Leben riskieren.


II.

Doch wo von Jesus Christus gepredigt wird, da brechen immer wieder Konflikte auf, ja, da müssen geradezu Konflikte aufbrechen. Denn Jesus Christus stellt das religiöse Denken der Menschen grundlegend in Frage und bringt damit die Menschen gegen sich und seine Boten auf.

Gerade jetzt zu Weihnachten in diesem Jahr 2021 wird wieder so viel von Frieden, von Zusammenhalt, von Liebe, von freundlichem Umgang miteinander geredet. Das ist ja auch alles nicht falsch. Aber niemals vergessen sollten wir, dass die Botschaft von diesem Jesus Christus, der da für uns in der Krippe von Bethlehem gelegen hat, immer wieder Ablehnungen und Aggressionen hervorruft, dass sie allen Ernstes Menschen dazu veranlasst, diejenigen zu töten oder töten zu lassen, die sich zu diesem Jesus Christus bekennen.

Der Stephanus wurde damals vor das oberste jüdische Gericht gezerrt. Dort muss er erleben, dass keine faire Gerichtsverhandlung stattfindet, sondern seine Verurteilung gleichsam schon von vornherein feststeht. Aber Stephanus versucht eben gerade nicht, dieser für ihn so unangenehmen Situation so schnell wie möglich zu entkommen. Sondern er hält den Konflikt aus, predigt keine weichgespülte Weihnachtsbotschaft, sondern predigt von Sünde und Vergebung – und muss erfahren, wie diese Botschaft ihn am Ende das irdische Leben kostet.

Wiederholt ist im Neuen Testament von ungerechten Gerichtsverhandlungen die Rede, von Gerichtsverhandlungen, bei denen das Urteil gegen die, die Christus bezeugen, von vornherein feststeht. So erlebte es damals der heilige Stephanus, und so erleben wir es auch heute, auch wenn die Methoden, Christen zum Schweigen zu bringen, heute gegenüber früheren Zeiten zumeist etwas verfeinert sind.

Ja, was wir in den Gerichtsverhandlungen von konvertierten christlichen Asylbewerbern oft genug erleben, zeigt ja nur exemplarisch, wie Menschen heutzutage in unserem Land immer wieder darauf reagieren, wenn sie hören, dass Jesus Christus mit seinem Kommen ihre eigenen religiösen Vorstellungen grundlegend in Frage stellt: „Sie hielten sich ihre Ohren zu!“ – So heißt es hier von denen, die am Ende den Tod des Stephanus herbeiführen. „Sie hielten sich ihre Ohren zu“ – Ja, so habe ich es immer wieder erlebt, wenn ich versucht habe, politisch Verantwortliche auf das Geschick konvertierter christlicher Geflüchteter aufmerksam zu machen. „Sie hielten sich ihre Ohren zu“ – Mit dieser Haltung reagieren Menschen immer wieder, wenn sie sich ansonsten durch die Botschaft von Jesus Christus in Frage gestellt sehen müssten. Wo Weihnachten nicht länger bloß als nettes deutsches Kulturgut angesehen wird, sondern das Kind in der Krippe Menschen zur Entscheidung herausfordert, da ist es schnell aus mit der Weihnachtsstimmung, da bröckelt auch sehr schnell die Fassade einer angeblich christlichen Leitkultur in unserem Land. Und da besteht dann am Ende sowohl in der Haltung als auch in der Konsequenz gar nicht mehr ein so großer Unterschied zwischen den Taliban in Afghanistan und deutschen Behördenvertretern, die alles daran setzen, Christen in den Tod abzuschieben.

III.

Doch St. Lukas erzählt uns hier in der Apostelgeschichte gerade keine traurige Geschichte, sondern eine ganz froh machende Geschichte: Ja, getötet wird Stephanus, auf ganz brutale Weise, durch eine Steinigung. Doch am Ende steht eben nicht der Haufen von Steinen. Sondern am Ende steht Jesus Christus, der den Stephanus schon mit offenen Armen erwartet. Ja, genau darum geht es doch auch zu Weihnachten: Darum, dass Menschen durch diesen Jesus Christus, der für uns in Bethlehem geboren wurde, das ewige Leben empfangen. Für einen Weihnachtsbaum wird niemand sein Leben riskieren. Aber wer Jesus Christus vor Augen hat, wer weiß, dass er ihn am Ende in seine Arme schließen wird, der wird sich selbst dann noch zu ihm bekennen, wenn ihm dies Schwierigkeiten einbringt, ja wenn er dafür am Ende sterben muss. „Siehe, ich sehe den Himmel offen!“ – Das ist die Botschaft von Weihnachten, ja, das ist das Ziel, dem wir als Christen entgegengehen: Nicht dem Dunkel des Todes, sondern dem Licht, das er, Jesus Christus, selber ist. Was für eine wunderbare Botschaft, auch und gerade an diesem Corona-Weihnachten! Amen.

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