Apostelgeschichte 9,1-20 | 12. Sonntag nach Trinitatis | Pfr. Dr. Martens

Noch immer kann man in den Medien neue Berichte über die vielen Taufen von ehemaligen Muslimen in unserer Gemeinde lesen. Und in jedem Bericht wird dann natürlich auf die eine oder andere Weise die Frage gestellt: Wie kann das eigentlich sein, dass hier bei uns in der Gemeinde passiert, was doch eigentlich so völlig unmöglich erscheint, was gegen alle sonstigen Erfahrungen und Vorstellungen zu laufen scheint, dass sich Menschen nicht nur vom Islam abwenden, sondern sich einer scheinbar völlig veralteten und abgewirtschafteten Religion wie dem christlichen Glauben anschließen, von der doch die Deutschen schon längst nichts mehr wissen wollen. Und dann versucht man alle möglichen Gründe zu finden, die meistens dann darauf hinauslaufen, dass die Leute ja doch nur kommen, weil sie sich einen Vorteil für ihr Asylverfahren erhoffen. Warum sollte man sonst schon auf die Idee kommen, Christ zu werden?

So ähnlich wie auf die Geschichten, die hier in unserer Gemeinde geschehen, reagieren auch viele, wenn sie die Geschichte von der Bekehrung des Apostels Paulus hören. Das kann doch gar nicht sein, dass der Paulus da wirklich solch ein Licht gesehen, solch eine Stimme gehört hat! Das kann doch gar nicht sein, dass sich das Leben eines Menschen mit einem Mal so völlig verändert! Und so versucht man sich an allen möglichen Erklärungen, zum Beispiel dass Paulus ja eigentlich immer schon Probleme mit den jüdischen Gesetzen hatte und dieser Hass gegen das jüdische Gesetz mit einem Mal so richtig aus ihm herausgebrochen ist. Irgendwie muss sich das bei Paulus doch alles psychologisch erklären lassen!

Letztlich folgen all die Erklärungen für das, was hier bei uns geschieht und was damals bei Paulus geschehen ist, immer demselben Muster: Sie lassen die entscheidende handelnde Person heraus, weil sie mit ihr nichts anfangen können: Sie lassen Christus selber heraus, den auferstandenen Herrn, der damals in das Leben des Paulus eingegriffen hat und auch heute noch immer wieder in das Leben von Menschen eingreift – wenn auch nicht immer gleich mit Lichtglanz und Knockout.

Um eben diesen Christus soll es nun auch in dieser Predigt gehen – nicht um unsere menschlichen Befindlichkeiten und Erklärungsversuche, sondern um das, was er, Christus, nicht nur damals bei Paulus gewirkt hat, sondern auch bei uns heute noch wirkt. Dreierlei macht Christus auch heute noch:

 

  • Er identifiziert sich mit den verfolgten Christen.
  • Er dreht das Leben von Menschen um.
  • Er bekehrt auch Gemeindeglieder.

 

I.

Da ist der Saulus unterwegs nach Damaskus. Sein Ziel ist es, Glieder der jüdischen Synagogengemeinde, die sich zu Jesus als dem auferstandenen Herrn bekennen, der Gerichtsbarkeit in Jerusalem zu unterstellen – und das konnte damals immerhin 39 Peitschenhiebe bedeuten. Es gibt genügend Leute hier bei uns in der Gemeinde, die können sehr genau davon erzählen, wie es ist, 39 Peitschenhiebe abzubekommen. Ein Fanatiker ist dieser Saulus, zweifellos. Im festen Glauben, Gott damit einen Dienst zu tun, ist es ihm völlig egal, ob er Menschen damit Leid zufügt. Zur Ehre Gottes ist das aus seiner Sicht alles erlaubt.

Christen, die von Menschen bedrängt, verfolgt, ja getötet werden, eben weil sie sich zu Christus bekennen, gab es nicht nur damals in Damaskus. Wie viele Christen weltweit leben heute in ganz ähnlicher Angst wie damals die Christen in Damaskus! Wie viele Christen haben gerade auch in Syrien Angst vor Menschen, die glauben, zur höheren Ehre ihres Gottes Menschen foltern und abschlachten zu dürfen! Wie viele Glieder unserer Gemeinde haben in ihrer Heimat genau dieselben Erfahrungen gemacht wie die Christen in Damaskus, mussten immer Angst haben, dass sie jemand entdeckt und sie angeblich im Namen Gottes verhaftet und misshandelt werden. Christenverfolgung – nein, das ist kein exotisches Thema, das ist ein Thema, das viele Millionen Christen weltweit direkt betrifft, das ist nicht nur ein Thema, sondern eine traurige Realität, die so viele unserer Gemeindeglieder hierher nach Deutschland hat fliehen lassen, ja, das ist eine Erfahrung, die so viele Christen leider auch in den Heimen hier in unserem Land machen, dass sie Angst haben müssen, entdeckt zu werden, dass sie bedroht und bedrängt werden – und dies alles angeblich immer wieder im Namen Gottes.

Und auf diesem Hintergrund fangen dann die Worte Jesu an Saulus vor den Stadttoren von Damaskus noch einmal neu an zu leuchten: Saul, Saul, was verfolgst du mich? Christus stellt sich an die Seite seiner verfolgten Gemeinde, ja mehr noch: Er identifiziert sich mit ihr: Die Drohungen, die Schikanen, die Peitschenhiebe – sie treffen ihn selber, lassen ihn nicht unberührt. Wenn Christen um ihres Glaubens willen leiden, wo auch immer auf der Welt, dann tun sie es immer in der Gemeinschaft mit Christus, ihrem Herrn. Wenn Christen um ihres Glaubens willen leiden, sind sie niemals allein, sondern gerade in ihrem Leiden mit Christus, ihrem Herrn, ganz eng verbunden. Ja, es ist ein Skandal, wie Christen in so vielen Ländern dieser Welt um ihres Glaubens willen leiden müssen. Es ist erst recht ein Skandal, dass Christen dieses Leid immer wieder zugefügt wird von Menschen, die glauben, damit Gottes Willen zu befolgen. Und doch können wir die Verfolgung, die Christen an so vielen Stellen dieser Welt erleben, nur recht erfassen, wenn wir dabei Christus nicht draußen vorlassen, wenn wir das niemals übersehen: Alle Angriffe gegen die Christen gelten letztlich Christus selbst. Und er lässt seine Christen nicht allein, steht ihnen zur Seite, lässt ihr Leid sein Leid sein.


II.

Schwestern und Brüder: Sagen wir es ganz klar: Was der Apostel Paulus damals vor den Stadttoren von Damaskus erfahren hat, war etwas Einmaliges, nicht etwas, was sich auch heute noch dauernd in unserer Mitte wiederholt. Ganz klar sagt es Paulus selber, dass seine Begegnung mit dem auferstandenen Christus die letzte Erscheinung des auferstandenen Christus war, von der er zu berichten weiß. Dass Christus seinen größten Feind zu seinem Apostel machte, dass er damit zeigte, was für eine Macht er als der Herr der Welt besitzt, das war und ist ein Signal auch für uns, dass wir wissen, wer der ist, der auch uns heute noch zur Seite steht.

Doch dass Christus dazu in der Lage ist, das Leben von Menschen völlig umzudrehen, es in eine völlig andere Richtung zu lenken, das ist etwas, was wir in der Tat auch heute immer wieder in unserer Mitte erleben. Ja, das gibt es tatsächlich, dass Menschen, die früher überzeugte Muslime waren, die selber den Islam früher praktiziert, ja sogar gelehrt hatten, in ihrem Leben eine völlige Wende erfahren haben, nun nur noch von Christus wissen wollen und von keinem sonst. Das gibt es tatsächlich, so habe ich es wiederholt selber gehört, dass Menschen, die mit allem Möglichen gerechnet haben, aber sicher nicht damit, Christen zu werden, dass solche Menschen Christus selber begegnen und von ihm zur Taufe, zum Leben in seiner Gemeinschaft gerufen werden. Ja, das gibt es tatsächlich, dass wir in diesen Monaten und Jahren die größte Hinwendung von Muslimen aus dem Iran und Afghanistan zum christlichen Glauben erleben, die es je in der Kirchengeschichte gegeben hat. Nein, da reichen alle möglichen platten Begründungen und Erklärungsversuche nicht aus. Das können wir in der Tat nur recht verstehen, wenn wir wissen, dass hier der auferstandene Christus am Werk ist, dass es seine Kraft ist, die das Leben von Menschen verwandelt, dass es seine Kraft ist, die Erweckungen unter Menschen hervorruft, die wir selber niemals bewirken können. Nein, es ist nicht unsere Arbeit, die dazu führt, dass wir all die Wunder hier in unserer Gemeinde erleben. Es ist Christus selber, der lebendige Herr, der unter uns tut, womit der Saulus damals vor seiner Begegnung mit Christus niemals gerechnet hätte, ja, der unter uns tut, was auch heute für so viele Menschen verborgen bleibt. Ja, es geht um Christus in unserer Mitte, um keinen anderen sonst.


III.

Aber nun geht die Geschichte weiter: Der geblendete Paulus wird nach Damaskus gebracht – und nun wird Christus noch einmal aktiv, fordert den Hananias auf, zu Paulus zu gehen, ihm die Hände aufzulegen und ihn in die Gemeinschaft der christlichen Gemeinde aufzunehmen. Und diese Aufforderung haut den Hananias erst einmal ziemlich um: Er soll allen Ernstes zu Paulus gehen, zu diesem Mann, vor dem er sich immer gefürchtet hatte, den er sich nun beim besten Willen niemals als Gemeindeglied vorstellen konnte? Doch Christus besteht darauf: Ja, tu es, nimm ausgerechnet diesen Paulus in die Gemeinde auf. Und Hananias macht es daraufhin tatsächlich, tut etwas, was er kurz zuvor noch für völlig ausgeschlossen gehalten hätte: Er redet den Christenverfolger Paulus als lieben Bruder an, legt ihm die Hände auf und öffnet damit zugleich seine Augen. Und das Erste, was der Paulus daraufhin nun tut, ist nicht, dass er nach drei Tagen Fasten erst mal wieder etwas isst. Sondern Paulus weiß, was das Allerwichtigste nun auch für ihn ist: Er lässt sich taufen. Und danach war für ihn das Essen dran. Hauptsache, getauft. Alles andere kommt danach.

Ja, auch das gehört bis heute zum Wirken des auferstandenen Christus dazu, dass er auch Gemeindeglieder bekehrt, dass er das Herz von Gemeindegliedern öffnet, dass sie dazu bereit sind, Menschen in ihrer Mitte aufzunehmen, die doch eigentlich überhaupt nicht in ihre Mitte zu passen schienen, die ihnen vielleicht sogar früher eher Angst eingejagt hatten. Wenn Christus seine Kirche baut, gehören auch solche Bekehrungen der Herzen von Gemeindegliedern immer wieder mit dazu. Auch dies können und dürfen wir in unserer Mitte erleben, wie Christus auch hier sich als der lebendige Herr erwiesen hat, dass er Herzen von Menschen geöffnet hat, die früher niemals auf die Idee gekommen wären, ihr Leben in der Gemeinde einmal mit Flüchtlingen aus dem Iran und Afghanistan zu teilen. Christus ist dazu in der Lage, Berührungsängste zu überwinden, Menschen dazu anzuleiten, für diese neuen Menschen da zu sein, dass sie Heilung erfahren, ja, dass auch ihnen nichts wichtiger wird, als endlich getauft zu werden. 

Dem Paulus wurden damals die Augen geöffnet, und so konnte er bald darauf seinen Dienst antreten, konnte verkündigen, was er bisher immer bekämpft hatte: Die Botschaft, dass Jesus Gottes Sohn ist. Möge uns Christus auch immer wieder die Augen dafür öffnen, wie er auch heute in unserer Mitte wirkt, ja, möge er dann auch unsere Münder öffnen, dass wir mit Paulus fröhlich bekennen können: Dieser Jesus ist wirklich Gottes Sohn. Amen.

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