Daniel 7,13-14 | Vorabend zum Fest der Himmelfahrt Christi | Pfr. Dr. Martens

Es war ein pompöses Spektakel, das uns vorgestern im Fernsehen präsentiert wurde: Vor 5000 geladenen Gästen fand im Kreml in Moskau in einem goldenen Saal aus der Zarenzeit die vierte Amtseinführung des russischen Präsidenten Vladimir Putin statt – vom Rahmen her fast schon einer Zarenkrönung vergleichbar. Wie andere mächtige Herrscher auch wusste und weiß auch Vladimir Putin mit Symbolik zu spielen, und er weiß, dass er mit solch einer Feier auch viele seiner Untertanen glücklich macht, indem er ihren Nationalstolz stärkt.

Doch solche feierlichen Einführungen von Herrschern lösen nicht immer nur Freude und Zustimmung aus. Da musste vor mehr als zweitausend Jahren das Volk Israel erleben, dass sich in seiner eigenen heiligen Stadt Jerusalem ein neuer Herrscher feiern und präsentieren ließ, der so gar nicht den Hoffnungen des Volkes entsprach: Ein Nachfolger Alexanders des Großen war er, und er hatte zum Erweis seiner Herrschaftsanspruchs ausgerechnet im Tempel in Jerusalem eine Statue eines griechischen Gottes aufstellen lassen – eine größere Demütigung für das jüdische Volk hätte er nicht bewirken können!

Doch eben in dieser Zeit der Unterdrückung, in der es so schien, als ob alles verloren sei, als ob Israel endgültig keine Zukunft mehr habe, erinnerte man sich in Israel an Daniel, der einst in Persien gelebt hatte und selber erfahren hatte, wie schwer es war, unter einem heidnischen König seinen Glauben durchzuhalten. Und man erinnerte sich an die Träume, die Daniel einst gehabt hatte und die sich immer wieder als so hochaktuell erwiesen hatten.

Und ein solches „Gesicht in der Nacht“ wird uns nun auch hier in der alttestamentlichen Lesung des Festes der Himmelfahrt Christi geschildert. Ein „Gesicht“, eine „Schauung“ ist es, und so kann Daniel das, was er sieht, auch nur in Bildern umschreiben – in Bildern, die aber doch das Gesehene sehr deutlich erkennen lassen.

Daniel sieht zunächst einmal: Es wird in der Zukunft eine Bewegung geben, es wird nicht alles für immer so bleiben, wie es war. Sondern da wird einer kommen, den Daniel hier mit den Worten „wie eines Menschen Sohn“ beschreibt. Kommen wird er „mit den Wolken des Himmels“. Doch die Bewegung geht offenbar nicht, wie man erwarten könnte, von oben nach unten, sondern genau umgekehrt von unten nach oben. Die Wolken bringen diesen einen, der wie eines Menschen Sohn ist, zu dem, der uralt war. Ach, Schwestern und Brüder, damit ist nun gerade nicht gemeint, dass Gott ein alter Opa mit langem weißen Rauschebart ist, auch wenn die kirchliche Kunst ihre entsprechenden Darstellungen von Gott mit wallendem weißem Bart wesentlich dieser Bibelstelle aus Daniel 7 entnommen hat. Nein, es ist etwas ganz Anderes gemeint: Gott ist ewig, er war schon immer und wird für immer sein. Er ist nicht abhängig von dem, was hier auf Erden geschieht. Er kann nicht mit einem Putsch beseitigt werden, er muss nicht irgendwann einmal abdanken, und bei ihm ist auch keinerlei Nachlassen der Kräfte zu beobachten. Im Gegenteil: Der, der in Martin Luthers Übersetzung „uralt“ ist, hat alles voll im Griff, überträgt eben darum nun dem, der „wie eines Menschen Sohn“ ist, Macht, Ehre und die ewige Herrschaft über Menschen aus allen Völkern und Sprachen. Mit dieser Herrschaftsübertragung ist die Zukunft für immer entschieden, und sie ist entschieden in einem wunderbaren Sinne: Nicht irgendwelche Gewaltherrscher werden das letzte Wort haben, nicht diejenigen, die auf Gottes Wort und Gebot herumtreten. Am Ende wird es nur einen Herrscher geben: den, der wie eines Menschen Sohn ist und dem einmal alle Menschen dienen werden, vor dem einmal alle Menschen niederfallen werden.

Was für ein Trost für die Israeliten, die diese Worte damals hörten, was für eine Ermutigung, nicht aufzugeben, nicht zu resignieren! Ja, was Daniel sah, war für sie noch Zukunft; aber sie durften wissen: Diese Zukunft steht schon fest – auch wenn wir davon im Augenblick noch herzlich wenig erkennen können.

Wenn wir das Fest der Himmelfahrt Christi feiern und dabei diese Worte aus dem Alten Testament hören, dann stellen wir staunend fest: Ja, was Daniel einst gesehen hat, das hat sich tatsächlich erfüllt, das ist tatsächlich eingetreten. Diese ungewöhnliche Bewegung hat tatsächlich stattgefunden, dass da einer, der sich selber als der Menschensohn den Menschen seiner Zeit zu erkennen gegeben hat, mit den Wolken des Himmels in Gottes Welt gelangt ist und nun die Vollmacht als Herrscher über die ganze Welt empfangen hat, dass tatsächlich Menschen aus allen Völkern und Sprachen ihm dienen. Ja, Gott hält sein Wort, so dürfen wir es in diesem Gottesdienst am Vorabend des Festes der Himmelfahrt Christi feiern.

Und doch würden wir zu kurz greifen, wenn wir heute Abend nicht mehr täten als festzustellen, dass sich Gottes Wort aus dem Alten Testament im Leben und Geschick Jesu Christi tatsächlich erfüllt hat. Ja, es ist richtig, dass Christus, der Menschensohn, tatsächlich der Herrscher der ganzen Welt ist, dass sein Reich kein Ende mehr haben wird. Die Zukunft ist nicht mehr offen, ganz klar.

Doch dies bedeutet ja nun gerade nicht, dass mit der Himmelfahrt Christi alle unsere Probleme gelöst wären und wir nun schon gleichsam selber wie im Himmel leben würden, ohne Nöte, Konflikte und Probleme. Im Gegenteil – in vielem liegt uns die Situation des jüdischen Volkes damals in Jerusalem auch heute wieder so nahe. Auch heute erleben wir es, wie sich ein Staat anmaßt, über den Glauben derer, die zu ihm gehören, bestimmen zu wollen, wie er seine eigenen Vorstellungen von dem, was angeblich christlicher Glaube heißt, absolut setzt und denen, die in der Tat am Wort Gottes festhalten, bitteres Unrecht zufügt. Ja, nicht selten gelangen wir auch an einen Punkt, an dem wir fragen: Haben wir hier in unserem Land überhaupt noch eine Zukunft – oder sind die Mächte, die die Christen immer offener anfeinden und unterdrücken, mittlerweile so stark geworden, dass wir gegen sie einfach nicht mehr ankommen?

Und auf diesem Hintergrund wollen wir nun das Fest der Himmelfahrt Christi ganz bewusst feiern. Es bedeutet ja auch heute noch: Diejenigen, die jetzt die Herrschaft über andere beanspruchen und ihre Macht oft genug so hemmungslos missbrauchen, werden nicht das letzte Wort behalten. Am Ende werden auch sie einmal dem Menschensohn dienen müssen. Ja, wenn wir das Fest der Himmelfahrt Christi feiern, dann feiern wir, dass wir es einmal miterleben werden, wie Herr Khomeini einmal Christus zu Füßen liegen und ihm dienen wird, wie alle Bassij-Milizen einmal Christus zu Füßen liegen und ihn anbeten werden. Wir feiern heute, dass auch alle Anhörer und Entscheider des Bundesamtes, dass auch alle Richterinnen und Richter an den Verwaltungsgerichten sich einmal vor Christus werden verantworten müssen und offen werden bekennen müssen, wo sie den bedrohten Christen bitteres Unrecht zugefügt haben. Das Unrecht, das wir zurzeit in so schmerzlicher Weise immer und immer wieder auch in unserer Gemeinde erleben, wird nicht das letzte Wort behalten. Am Ende wird Christus stehen, er, der jetzt schon in Gottes Vollmacht regiert und handelt.

Noch sieht seine Herrschaft allerdings ganz anders aus, als wir sie uns wünschen mögen. Christus haut in Teheran nicht so rein, wie wir es uns ersehnen würden, und er setzt auch hier in Berlin und Brandenburg nicht einfach diejenigen ab, die ihr Amt missbrauchen und das Leben von Christen in Gefahr bringen. Ja, Christus ist der Menschensohn, so hat er sich selber zu erkennen gegeben. Aber er hat zugleich auch sehr eindrücklich beschrieben, welchen Weg der Menschensohn geht – nicht einfach so, dass er sich auf den Wolken des Himmels aus dieser Welt aus dem Staub macht, sondern so, dass er, der Menschensohn, zunächst verhaftet, gefoltert und getötet wird, bevor ihn sein Weg aus dem Grab heraus bis in die höchsten Höhen führen wird. Der Menschensohn, dem alle Gewalt gegeben ist im Himmel und auf Erden, hat durchbohrte Hände und Füße. Ja, er herrscht, aber er herrscht anders, als wir uns dies zunächst wünschen. Er herrscht mit seinem Wort, mit seiner Einladung – und erweist sich damit zugleich als stärker als alle Regime und Diktatoren, weil er mit seinem Wort die Herzen von Menschen erreicht und verändert, die kein Regime dieser Welt jemals mit seiner Gewalt erreichen könnte. Genau das ist es ja, was wir im Augenblick so eindrücklich im Iran erleben, dass Christus sich mit seinem Wort als stärker erweist als alle Geheimdienstmitarbeiter zusammen. Christus setzt sich durch mit seinem Wort, führt Menschen aus allen Völkern und Sprachen zusammen – und ein wenig davon erleben ja auch wir hier in unserer Gemeinde, wie er, der König Jesus Christus, regiert.

Doch der Tag wird kommen, an dem sich die Bewegung, von der einst schon Daniel zu berichten wusste, einmal endgültig vollenden wird – der Tag, an dem wir dann auch einmal mit eigenen Augen schauen werden, was doch jetzt schon Wirklichkeit ist. Der Tag wird kommen, an dem Christus mit den Wolken wiederkommen wird, der Tag, an dem Christus gleichsam den Nebel vor unseren Augen zerreißen wird und uns erkennen lassen wird, was doch jetzt schon gilt. Ja, die Herrschaft des gekreuzigten Christus wird kein Ende mehr haben – und wir werden uns einmal für immer an dieser Herrschaft freuen können.

Nein, wir blicken am Fest der Himmelfahrt Christi nicht bloß zurück. Die Engel ließen schon damals die Jünger bei der Himmelfahrt Christi nach vorne schauen – und so blicken auch wir nach vorne, bekennen uns zu unserem Herrn, dessen Reich ewig ist, und beten zugleich Tag für Tag: Dein Reich komme! Und Christus wartet nicht lange, lässt uns heute schon am Fest seiner Inthronisierung teilhaben, wenn er mit seinem Leib und Blut zu uns kommt im Heiligen Mahl. Der Thronsaal, den wir heute Abend hier am Altar unserer Kirche in Steglitz betreten, ist unendlich schöner und großartiger und erhabener als alle goldenen Säle des Kreml, und der, dem wir hier begegnen, dessen Herrschaft endet nicht in sechs Jahren, sondern dauert ewig.

Bei der Inthronisierung von Herrn Putin war unser früherer Bundeskanzler Gerhard Schröder einer der wenigen, die Herrn Putin auch persönlich die Hand schütteln durften. Wenn wir hier gleich das Heilige Mahl feiern, dann gibt es da keine Standesunterschiede, dann gibt es da nicht einige Auserwählte, die näher herandürfen als andere. Alle seid ihr in der ersten Reihe, dürft Christus selber mit eurem Mund empfangen und gewiss sein: Nun lebt er schon in uns, der Menschensohn, der Herrscher, der auch uns ewig leben lassen wird in seinem Reich, in dem einmal alle Unterdrückung und alle Ungerechtigkeit ein Ende haben werden. Ja, das gilt, eben weil Christus gen Himmel gefahren ist. Amen.

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