Dritte Fastenpredigt zum Thema „Leiden“: Leiden – Teilhabe an Christus | Mittwoch nach Okuli | Pfr. Dr. Martens

Leiden – das ist das Thema der Fastenpredigten in unserer Dreieinigkeits-Gemeinde in diesem Jahr. Als ich das Thema auswählte, hatte ich noch keine Ahnung, dass diese Fastenzeit so sehr von der Ausbreitung des Corona-Virus überschattet sein würde, dass ich diese Fastenpredigt nun schon nicht mehr wie die letzte in unserer Kirche halten würde, sondern sie nur noch auf elektronischem Wege verbreiten könnte.

Ja, das tut uns allen miteinander weh, dass wir uns nun gerade in dieser wichtigsten Zeit des Jahres für uns Christen nicht mehr um Gottes Altar versammeln können, nicht mehr die Absolution, nicht mehr den Leib und das Blut des Herrn empfangen können. Und doch sollten wir uns davor hüten, nun all dies gleich unter den Begriff des „Leidens“ einzuordnen. Nein, wir leiden in aller Regel zumindest zurzeit noch nicht unter den Entwicklungen in unserem Land, auch wenn wir auf manches Liebgewordene verzichten müssen. Gewiss, es ist schwer für manche Glieder unserer Gemeinde, die nun schon ihren Arbeitsplatz verloren haben und damit auch die Möglichkeit, weiter hier in Berlin in der Nähe unserer Gemeinde bleiben zu können. Es ist schwer für die, die sich auf Prüfungen vorbereitet haben und nun erleben müssen, dass diese Prüfungen nun abgesagt worden sind. Doch Leiden ist noch einmal etwas anderes. Ja, es mag sein, dass manche in unserer Gemeinde auch an einer Infektion durch das Virus erkranken werden, vielleicht auch schwer erkranken werden, daran auch sterben werden. Das ist sehr wohl Leiden, ganz klar. Und auch wenn jetzt die ganze öffentliche Aufmerksamkeit nur noch auf die Folgen des Virus gerichtet sind, sollten wir niemals vergessen, wie viele Glieder unserer Gemeinde nach wie vor in Angst leben, trotz ihrer Hinwendung zum christlichen Glauben in ihr muslimisches Heimatland abgeschoben werden zu können. Ja, Leiden unter Unrecht, Leiden um des Glaubens willen, das gibt es auch in unserem Land, und von all dem weiß die Heilige Schrift eine Menge zu sagen.

Wir hatten in den vergangenen Predigten davon gesprochen, wie das Leiden Folge der Sünde ist und wie wir es zugleich als Prüfung unseres Glaubens verstehen können. Ja, das ist erst einmal auch eine sehr menschliche Reaktion, dass wir versuchen, dem, was wir erleiden, irgendeinen Sinn abzugewinnen: Für irgendetwas muss das doch gut sein, was wir durchmachen. Und wie gesagt: Das ist ja durchaus auch biblisch, wenn wir Leiden als Prüfung unseres Glaubens verstehen, wenn wir uns dabei auch auf das Wort des Apostels berufen, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen müssen.

Doch in der Heiligen Schrift finden wir nun zugleich noch ein viel tieferes Verständnis des Leidens: Dieses Verständnis fußt darauf, dass unsere Rettung, unser Heil ausgerechnet im Leiden begründet ist, nein, nicht in unserem eigenen Leiden, sondern im Leiden unseres Herrn Jesus Christus.

Dieses Verständnis des Leidens wird schon im Alten Testament vorbereitet, wenn dort geschildert wird, wie insbesondere Propheten um ihres Auftrags willen leiden müssen. Das kann soweit gehen, dass bei Propheten wie Jeremia oder Hesekiel das Leiden selber Teil ihrer Verkündigung wird, ja dass bei ihnen Person und Verkündigung im Leiden immer mehr eins werden. Jesus selber bezieht sich auf diese Leidensgeschichte der Propheten, so haben wir es gerade am vorletzten Sonntag im Heiligen Evangelium vernommen. Doch in der Person Jesu selber führt diese Einheit von Person und Verkündigung im Leiden nun noch zu einem anderen Ziel: Unser Heil, unsere Rettung vollzieht sich eben dadurch, dass er, der Sohn Gottes, für uns leidet und stirbt, so wie es schon im Alten Testament im Buch des Propheten Jesaja angekündigt worden war.

Nein, die Heilige Schrift verklärt nicht das Leiden unseres Herrn, ganz im Gegenteil. Sie schildert es uns in einer erschütternden Deutlichkeit. Jesus hat nicht nur scheinbar gelitten, er hat sein Leiden auch nicht mit einer Einstellung auf sich genommen, dass er da jetzt mal für ein paar Tage durch muss, bis es vorbei ist. Nein, das Leiden hat unseren Herrn bis in die tiefsten Tiefen geführt, bestand nicht nur in unvorstellbaren körperlichen Schmerzen, sondern im Erleiden der tiefsten Gottesferne, die wohl nur der überhaupt zu erahnen wusste, der für immer in der Einheit mit seinem Vater gelebt hatte.

Doch genau in diesem Leiden vollzieht sich nun unsere Rettung; in diesem Leiden trägt Jesus nicht allein unsere Schuld, sondern er erleidet zugleich auch unsere Krankheit, unsere Schmerzen, so lesen wir es bei Jesaja. All dies und nicht weniger packt Gott Jesus am Kreuz auf Golgatha auf seine Schultern. Und indem Gott es ihm auf seine Schultern packt, befreit er uns von dem letzten und ultimativen Leid: von der ewigen Trennung von ihm, von der Hölle.

Der Weg, der Jesus ins Leiden führt – er ist der Weg unserer Rettung. Und an dieser Rettung gibt uns Christus selber nun Anteil, indem er sich mit uns verbindet in der Heiligen Taufe, ja mehr noch, indem er uns in der Taufe mit sich sterben und auferstehen lässt. Dort in der Heiligen Taufe sind wir gerade in der Weise mit Christus verbunden worden, dass unser ganzer weiterer Lebensweg nun ein Weg in der Gemeinschaft mit Christus ist – und damit ein Weg, der in dieser Gemeinschaft mit ihm durch Leiden und Tod ins Leben der Auferstehung führt.

Nein, das ist nicht nur symbolisch und bildlich gemeint, sondern ganz real-leiblich, genauso wie wir in der Taufe real und leiblich gerettet werden, wie wir im Heiligen Mahl real und leiblich mit Christus verbunden werden. Im 2. Korintherbrief schreibt der Apostel Paulus: „Wir tragen allezeit das Sterben Jesu an unserm Leibe, auf dass auch das Leben Jesu an unserm Leibe offenbar werde.“ Ja, so weit geht die Lebensgemeinschaft, die wir in der Taufe mit Christus eingegangen sind, dass das Sterben Jesu an unserem Leib sichtbar werden kann. Und entsprechend schreibt der Apostel im Philipperbrief: „Ihn, Christus, möchte ich erkennen und die Kraft seiner Auferstehung und die Gemeinschaft seiner Leiden und so seinem Tode gleich gestaltet werden, damit ich gelange zur Auferstehung von den Toten.“ Ja, zur Auferstehung der Toten gelangen wir gerade so, dass wir hier auf Erden die Gemeinschaft der Leiden Christi erfahren, ja seinem Tode gleich gestaltet werden.

Damit erscheint alles Leiden, was wir in unserem Leben erfahren, noch einmal in einem anderen Licht. Nein, natürlich sollen wir nicht von uns aus das Leiden suchen oder herbeiführen. Aber wo wir denn vom Leiden betroffen sind, ist es nicht einfach nur Pech oder Schicksal, ist erst recht nicht etwas falsch gelaufen in unserem christlichen Glauben. Sondern da werden wir gerade im Leiden, in all dem Schweren, was wir erfahren, immer tiefer in die Gemeinschaft mit unserem Herrn hineingezogen, hin auf den Weg, der zur Auferstehung führt. Und in diesem Leiden dürfen wir zugleich auch wissen: Unser Herr versteht uns, wie uns in diesem Leiden zumute ist; er hat es selber durchgemacht, ja, hat selber auch vor diesem Leiden Angst gehabt. Heldentum erwartet Christus nicht von uns; wohl aber will er uns trösten, dass wir in unserem Leiden in ganz besonderer Weise mit ihm verbunden sind.

Wenn wir uns darum gerade in diesen Wochen so viele Gedanken über das Corona-Virus machen, dann lasst uns dies immer klar vor Augen stehen haben: Wir sorgen uns als Christen nicht um uns selber, nicht darum, dass wir nicht von einer Krankheit betroffen werden. Wir sorgen uns allein um andere, für die wir Verantwortung haben, denen wir uns mit Liebe und Rücksichtnahme zuwenden sollen. Was uns selber angeht, ist der Weg klar, den wir gehen: Er führt uns gemeinsam mit Christus ins Leben der Auferstehung. Der Tod hat von daher alle Schrecken für uns verloren. Und auch das Leiden, das uns auf dem Weg ins Leben der Auferstehung bevorstehen mag, ist eben nicht sinnlos. Es ist Ausdruck der unlöslichen Gemeinschaft mit Christus, in die wir immer tiefer hineingezogen werden.

Schwestern und Brüder: Ich hoffe und bete nichtsdestoweniger, dass wir uns alle miteinander nach der Corona-Krise gesund wiedersehen. Doch wenn uns Christus den Weg des Leidens, ja vielleicht auch des Sterbens führt, dann dürfen wir gewiss sein: Gerade auf diesem Wege ist Christus uns besonders nahe, führt uns gerade so dorthin, wo es einmal nach der Verheißung der Offenbarung des Johannes endgültig kein Leid mehr geben wird, dorthin, wo wir ihn, den gekreuzigten Herrn, mit seinen Wunden einmal für immer sehen werden. Amen.

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