Epheser 1,15-23 | Christi Himmelfahrt | Pfr. Dr. Martens

In diesem vergangenen Jahr mussten sich die Kirchen in unserem Land mit einer ganz neuen Frage beschäftigen: Sind Kirchen eigentlich „systemrelevant“? Ja, diese Frage kam auf, als es darum ging, welche Angebote und Zusammenkünfte in der Corona-Zeit erlaubt bleiben und welche man ganz gut dichtmachen kann, weil sie eben für das Leben in unserer Gesellschaft zur Not auch ganz gut verzichtbar sind. Bei Supermärkten und Tankstellen war die Antwort klar – ohne die können wir in unserem Land ganz sicher nicht auskommen. Aber Kirchen – sind die nun eigentlich systemrelevant oder nicht?

Und da konnte man dann im letzten Jahr erleben, wie Kirchenvertreter mit allen möglichen Argumenten versuchten, deutlich zu machen, wie systemrelevant die Kirchen doch eigentlich sind: Sie engagieren sich doch in vielfältiger Weise für die Gesellschaft, sind in der Sozialarbeit sehr aktiv, vermitteln Trost und Geborgenheit. Doch je mehr die Kirchenvertreter sich Mühe gaben, die Allgemeinheit von ihrer Systemrelevanz zu überzeugen, desto schlimmer machten sie es am Ende. Wenn Kirchen deshalb systemrelevant sind, weil sie in irgendeiner Weise das gesellschaftliche Zusammenleben stabilisieren, dann stellt sich natürlich die Frage, ob diese Rolle nicht auch ganz gut von anderen gesellschaftlichen Gruppierungen übernommen werden kann – mal abgesehen davon, ob die Kirchen diese Rolle, mit der sie selbst ihre eigene Wichtigkeit zu beweisen versuchen, wirklich so gut ausfüllen, wie sie es immer wieder behaupten.

Nein, Kirchen sind in unserem Land offenkundig nicht mehr systemrelevant, so haben wir es in diesen vergangenen 15 Monaten der Corona-Krise sehr deutlich erfahren. Als es drauf ankam, wurden sie von den politisch Verantwortlichen erst einmal völlig übersehen – und auch wenn das Bundesverfassungsgericht manchen politischen Übergriffigkeiten gegenüber den Kirchen erst einmal einen Riegel vorgeschoben hat, sollten wir doch ganz ehrlich zugeben: Kirchen sind nicht die Triebkraft gesellschaftlichen Fortschritts, sie sind nicht das Rädchen, das diese Gesellschaft am Laufen hält. Sie haben in unserer Gesellschaft immer mehr an Bedeutung verloren – und wir sollten nicht versuchen, das in irgendeiner Weise schönzureden. Wir sind längst Minderheit geworden, und nicht selten bläst uns der Wind auch schon ganz kräftig ins Gesicht.

Doch das bedeutet gerade nicht, dass wir als Kirche nun versuchen sollten, noch das eine oder andere verzweifelte Rückzugsgefecht zu führen, um unser Ende vielleicht noch ein wenig hinauszuzögern. Dazu besteht nicht der geringste Grund, so macht es uns die Predigtlesung dieses Festes der Himmelfahrt Christi in beeindruckender Weise deutlich:

Überschwänglicher Siegesjubel schlägt uns hier in diesen Versen aus dem Epheserbrief entgegen – Siegesjubel, der doch nun scheinbar genau das Gegenteil von dem ist, was wir als Christen und Kirche hier in unserem Land erleben.

Siegesjubel – er liegt nicht darin begründet, dass hier ein Kirchenvertreter endgültig den Kontakt zur Wirklichkeit, die ihn umgibt, verloren hat, und immer noch davon träumt, dass es der Kirche gelungen ist, die ganze Gesellschaft mit ihren Gedanken und Wertvorstellungen zu durchdringen. Sondern dieser Siegesjubel hat einen ganz anderen Grund: Er ist gegründet in der Himmelfahrt Jesu Christi. Dass Jesus Christus gen Himmel gefahren ist, bedeutet ja gerade nicht, dass er sich von dieser Welt verabschiedet, dass er sich aus dieser Welt zurückgezogen hat. Im Gegenteil: Mit seiner Himmelfahrt hat Gott der Vater ihn als Herrscher über die gesamte Welt eingesetzt, über alle Reiche, Gewalt, Macht, Herrschaft und jeden Namen, der angerufen wird, so formuliert es Paulus hier.

Christus, der Herrscher über die ganze Welt. Keine Regierung gibt es, die sich seinem Herrschaftsanspruch entziehen könnte. Christus, der Herr der Welt: Er ist auch der Herr über die Islamische Republik Iran, auch der Herr über die Taliban. Vor ihm werden alle Mullahs einmal auf die Knie fallen, vor ihm werden auch alle verantworten müssen, die jetzt in diesen kommenden Monaten hier in Deutschland als Kandidaten für die Bundestagswahl antreten werden. Nein, nicht sie werden einmal Christus zur Rechenschaft ziehen, ob er in unserem Land noch eine Bedeutung hat, sondern sie werden einmal sich fragen lassen müssen, an wem sie eigentlich ihre Entscheidungen ausgerichtet haben.

Ja, wir feiern heute am Fest der Himmelfahrt Christi, wie lächerlich es geradezu wirkt, wenn die Kirche versucht, sich selbst in irgendeiner Weise Systemrelevanz in unserer Gesellschaft beizumessen. Nein, es ist nicht die Aufgabe der Kirche, dieses gesellschaftliche System zu stabilisieren. Es ist die Aufgabe der Kirche, den zu verkündigen, der diesem System, ja der allen Mächten und Herrschaften einmal endgültig ein Ende bereiten wird. Es ist die Aufgabe der Kirche, den zu verkündigen, der von den Toten auferweckt worden ist und damit selber die Macht des Todes gebrochen hat und uns damit von dem Zwang befreit, all unsere Entscheidungen letztlich aus Angst vor dem Tod treffen zu müssen. Ja, auch wenn uns im Augenblick staatliche Gesetze noch die Hand vor den Mund halten und uns das Singen verbieten, so können wir doch gar nicht anders, als auch an diesem Tag der Himmelfahrt Christi im Jahr 2021 ganz fröhlich zu feiern, weil wir unsere Existenz als Kirche und als Christen doch gar nicht zu rechtfertigen brauchen, weil unsere Existenz doch ganz in der Himmelfahrt unseres Herrn gründet.

Und er, Christus, ist eben nicht allein der Herr über alle Mächte und Gewalten – er ist zugleich auch das Haupt des Leibes Christi, das Haupt der Kirche. Was für eine großartige Nachricht an diesem Tag der Himmelfahrt Christi: Wir haben den als Haupt, der stärker ist als alle großen Namen, die so respekteinflößend klingen und sich am Ende doch selber nur als sterblich erweisen werden. Und dieses Haupt schwebt eben nicht irgendwo ganz oben in für uns unerreichbaren Sphären, sondern lässt uns seine Gegenwart erfahren auch hier und heute in diesem Gottesdienst. Da ist er selber gegenwärtig, der erhöhte Herr, spricht zu uns in seinem Wort, lässt seinen Leib und sein Blut austeilen und gibt uns damit Anteil an sich selber, an seinem Sieg über den Tod.

Ach, wie armselig wären wir, wenn wir tatsächlich als Kirche nur „systemrelevant“ wären, wenn wir unsere Bedeutung vielleicht auch noch gesellschaftlich rechtfertigen müssten! Nein, wir sind Leib Christi, die Fülle dessen, der alles in allem erfüllt. Hier in unserer Mitte wird hier und jetzt schon Wirklichkeit, was einmal für alle Augen sichtbar und erkennbar sein wird: Dass alles in dieser Welt allein auf Jesus Christus zugeordnet ist, dass er allein der Erste und der Letzte ist. Was sollten uns da noch Zukunftsängste plagen, wo doch er, Jesus Christus, selber einmal das letzte Wort über diese Welt sprechen wird? Was sollten wir uns da noch in dieser Welt rechtfertigen müssen, wo doch er, Christus, uns und alle Mächte dieser Welt einmal vor sich zur Rechenschaft ziehen wird?

Dass Christus der Herrscher der ganzen Welt ist, bedeutet nun allerdings gerade nicht, dass wir daraus als Kirche oder als Christen irgendwelche Machtansprüche in dieser Welt ableiten könnten. Diesen Fehler hat die Kirche im Laufe der Geschichte immer wieder begangen, dass sie die Herrschaft Jesu Christi über diese Welt gleichsam auf sich selbst übertragen hat. Schauen wir darum genau hin, wie Paulus hier die Herrschaft Jesu Christi beschreibt: Er spricht von Glauben und Liebe, die Gott selber in seiner Gemeinde wirkt. Das ist es, was wir als Christen zu feiern haben: nicht unseren gesellschaftlichen Einfluss, sondern das Wunder, dass der erhöhte Jesus Christus durch sein Wort immer wieder Menschen die Augen öffnet, dass sie ihn, Christus, als ihren Herrn erkennen, dass sie die Hoffnung erkennen können, die wir als Christen haben dürfen. Unsere Hoffnung als Christen besteht eben gerade nicht darin, dass in dieser Welt endlich mal alles besser wird. Unsere Hoffnung als Christen besteht auch nicht darin, dass die Kirchen wieder den gesellschaftlichen Einfluss zurückgewinnen, den sie einmal hatten. Sondern unsere Hoffnung besteht in dem Erbe, das für uns am Ziel unseres Weges bereitliegt, besteht darin, dass wir ihn, den Herrscher der ganzen Welt, einmal mit eigenen Augen schauen werden und dann auch all das verstehen werden, was uns jetzt noch in dieser Welt so völlig unbegreiflich bleibt.

Ja, Jesus Christus herrscht und regiert – man muss nur Augen haben, es zu erkennen. Um diese erleuchteten Augen des Herzens bittet Paulus hier in unserer Predigtlesung für seine Gemeinde in Ephesus – und eben darum sollen und dürfen auch wir beten: Dass Christus auch die Augen unseres Herzens erleuchten möge, damit wir die Realitäten dieser Welt wahrzunehmen vermögen, damit wir uns nicht blenden lassen von denen, die vorgeben, die Macht zu haben – und am Ende sich doch gerade nicht als allmächtig herausstellen werden.

Ja, wir sind eine reiche Kirche, so dürfen wir es heute an diesem Fest der Himmelfahrt Christi feiern, eine Kirche, die jetzt schon Anteil hat an den Schätzen der himmlischen Welt, wenn im Heiligen Sakrament immer wieder Himmel und Erde eins werden. Feiern wir genau in dieser Gewissheit auch weiter unsere Gottesdienste, auch unter diesen unwirklichen Bedingungen, feiern wir in jedem Gottesdienst neu, dass der Herr über alle Reiche, Gewalten, Mächte und Herrschaften in unsere Mitte tritt, feiern wir, dass hier bei uns viel Bedeutsameres geschieht als einfach nur die Stabilisierung einer vergehenden Welt! Ja, wir feiern den Sieg unseres Herrn, der nicht nur für vier Jahre oder einen begrenzten Zeitraum Herr der Welt ist, sondern in alle Ewigkeit. Möge Gott auch euch eben dafür die Augen eures Herzens erleuchten, dass ihr erkennt, was wirklich Sache ist: Dass sich im Namen Jesu aller derer Knie beugen sollen, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind, und alle Zungen bekennen sollen, dass Jesus Christus der Herr ist, zur Ehre Gottes des Vaters. Halleluja! Amen.

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