Epheser 2,17-22 | 2. Sonntag nach Trinitatis | Pfr. Dr. Martens

Wer draußen vor der Kirche steht, wird es unschwer erkennen können: Wir bauen an; der Bau des neuen Gemeindesaals kommt gut voran. Vor einigen Jahren hätten wir uns das noch nicht mal im Traum vorstellen können, dass wir eines Tages an dieser Kirche einen Anbau errichten müssten. Da hatten wir darüber nachgedacht, diese Kirche abzureißen und eine neue, kleine Kapelle irgendwo ans Ende des Grundstücks zu setzen. Doch dann kam alles völlig anders: Neue Menschen kamen zu uns, wunderbare Menschen, die all unsere Erwartungen völlig auf den Kopf gestellt haben. Wir konnten unseren Bedarf nicht länger an den alten Gemeindestamm anpassen, sondern mussten völlig neu planen und völlig neu zu denken beginnen. Ganz andere Baumaßnahmen waren nun dran als diejenigen, die wir zuvor als so naheliegend angesehen hatten.

Solch ähnliche Erfahrungen hatten auch die Empfänger des Epheserbriefes damals gemacht: Da kamen in der Gemeinde zu denen, die immer schon dabei waren, die immer schon nahe waren, mit einem Mal viele Leute dazu, mit denen auch die Christen dort in der Gemeinde überhaupt nicht gerechnet hatten, die scheinbar auch überhaupt nicht zu passen schienen zu denen, die immer schon in der Gemeinde gewesen waren. Nein, Kirchen konnten sie damals noch nicht errichten; aber Umbaumaßnahmen ganz anderer Art, Umbaumaßnahmen im Kopf, waren dann eben doch so dringend nötig auch damals in der Gemeinde von Ephesus und Umgebung. Und was der Apostel Paulus zu diesen Umbaumaßnahmen zu sagen hat, das ist auch für uns weiter ganz aktuell:

Zunächst einmal erinnert er uns daran, wer denn eigentlich die Kirche, wer denn eigentlich auch unsere Gemeinde baut: Wir sind es nicht selber, nein, nicht wir mit unseren Bemühungen und Planungen und guten Ideen. Sondern Christus allein baut seine Kirche, und Christus allein ist es auch, der Menschen mit so unterschiedlicher Herkunft in dieser Kirche zusammenführt und eine Einheit schenkt, die wir Menschen von uns aus niemals herstellen könnten. Frieden schenkt uns Christus gemeinsam hier in der Kirche, Frieden, der uns viel enger miteinander verbindet, als dies eine gemeinsame Herkunft, eine gemeinsame Staatsbürgerschaft jemals könnte. Frieden – das bedeutet zunächst einmal, dass wir gemeinsam Zugang haben zu Gott als zu unserem Vater. Es geht in der Kirche nicht bloß darum, dass wir einander nett finden und nett miteinander umgehen. Wir sind nicht bloß ein Club. Sondern was uns miteinander verbindet, ist eben dies, dass wir durch Christus den direkten Zugang zu Gott dem Vater haben. Vergessen wir das nie, wenn hier im Gottesdienst immer wieder vom Frieden Gottes die Rede ist, wenn euch dieser Friede Gottes zugesprochen wird. Da geht es nicht bloß um ein wenig Seelenbalsam, da geht es in der Tat darum, dass euch zugesagt wird, dass nichts zwischen euch und Gott steht, dass euer Weg zu Gott frei ist. Ja, da können gerade die Neuen in der Gemeinde denen, die immer schon mit dabei waren, ganz neu deutlich machen, was für ein Geschenk und Privileg das ist, solch einen freien, direkten Zugang zu Gott zu haben, ihn ganz selbstverständlich als Vater anreden zu dürfen. Und das ist zugleich etwas, was diejenigen, die zwar auch noch ziemlich neu, aber doch schon ein bisschen länger mit dabei sind, in Bezug auf die ganz Neuen lernen können: Worum geht es denn in der Kirche? Niemals bloß darum, dass wir uns selber persönlich wohlfühlen und bekommen, was wir brauchen. Immer geht es darum, dass noch mehr Menschen den Zugang zu Gott als ihrem Vater erhalten, dass dieser Bau tatsächlich immer weiterwächst. Wir können hier keine Türen schließen, wir können hier keine Obergrenzen einführen, wenn es doch darum geht, dass Menschen hier in unserer Mitte den freien Zugang zu Gott dem Vater erfahren. Und wenn ich die anderen hier in der Gemeinde nicht als Leute ansehe, die meine vertrauten Kreise hier in der Gemeinde stören, sondern als Leute, die mit mir gemeinsam den Weg zu Gott dem Vater gehen, der uns hier in der Kirche eröffnet wird, dann werde ich auch eher dazu bereit sein, auch meine eigene Gemeinde größer zu denken, über Anbauten nicht nur im materiellen, sondern auch im geistlichen Sinne nachzudenken: Hauptsache, Menschen finden diesen Zugang zu Gott dem Vater bei uns! Es gibt doch nichts Wichtigeres auf der Welt!

Und dann wendet sich der Apostel explizit an die Neuen in der Gemeinde, an diejenigen, die selber noch darüber staunen, dass sie überhaupt den Zugang zu Gott erfahren dürfen: Ihr seid nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen. Ja, das ist ein Satz, den man nur immer und immer wieder denen zurufen kann, die neu hier in unsere Gemeinde kommen, ja, auch denjenigen, die vielleicht schon länger mit dabei sind und doch in unserem Land immer wieder die Erfahrung gemacht haben und machen, dass sie eben doch irgendwo draußen vorgelassen werden, nicht ganz dazugehören sollen!

Wer getauft ist, der ist hier in der Kirche kein Gast, sondern fester Mitbewohner in Gottes großer WG hier in Steglitz. Ihr seid keine Gäste. Das ist auch einer der Gründe, weshalb ich hier zu Beginn des Gottesdienstes nicht etwa eine Begrüßung halte. Der Gottesdienst ist nicht eine Veranstaltung des Pastors, der nun die Gemeindeglieder als Gäste und Zuschauer begrüßt, wie dies ein Showmaster zu tun pflegt. Wer bin ich denn, dass ich euch hier begrüße? Es ist doch euer Haus, in dem ihr zu Hause seid, in dem ihr das volle Wohnrecht habt! Denkt daran jedes Mal, wenn ihr hierher kommt. Ihr kommt hierher nach Hause. 

So viele von euch können davon erzählen, wie belastend es ist, über viele Jahre in der Luft zu hängen und nicht zu wissen, wohin man eigentlich gehört, immer mit der Angst im Hintergrund, dass man doch eines Tages aus diesem Land wieder weggeschickt wird, immer mit der Angst im Hintergrund, hier in diesem Land letztlich doch abgelehnt zu werden, nicht als gleichberechtigter Bürger anerkannt zu werden. Wie dieser Schwebezustand Menschen kaputt macht, das erlebe ich Woche für Woche hier bei uns in der Gemeinde.

Doch hier in der Kirche ist alles anders. Da gibt es nicht Menschen, die einen festen Ausweis haben, die die feste Staatsbürgerschaft haben, und andere, die hier in unserer Mitte vielleicht höchstens geduldet sind, die eigentlich ganz woanders hingehören und das letztlich auch selber wissen. Nein, alle miteinander, die ihr getauft seid, seid Mitbürger der Heiligen. Ihr habt ihn, den entscheidend wichtigen Pass, der euch ein lebenslängliches, ja ein ewiges Aufenthaltsrecht in der Gegenwart eures Vaters im Himmel, in seinem Reich zusichert. Aus Gottes Haus, aus Gottes Reich könnt ihr nicht mehr abgeschoben werden; ihr habt hier ein genauso dauerhaftes Bleiberecht wie all diejenigen, die schon 90 Jahre und länger zur Kirche gehören. Ihr und sie, alle miteinander seid ihr Mitbürger, seid ihr gemeinsam Mitbürger auch mit all den Heiligen, die jetzt schon vor dem Thron Gottes stehen und Christus selber in seiner Herrlichkeit schauen dürfen. Mitbürger der Heiligen seid ihr – ach, ihr seid ja nun nicht die ersten Afghanen und Iraner, die den Weg zu Jesus Christus gefunden haben! Wie viele Christen gab es schon im Iran und Afghanistan, als hier in der Gegend von Berlin die Menschen noch nicht die geringste Ahnung von Jesus Christus hatten! Auch diese iranischen und afghanischen Christen, die vor so vielen Jahrhunderten gelebt haben, feiern diesen Gottesdienst mit uns mit, jetzt schon vor dem Thron Gottes – und wir, die Christen aus Deutschland, dürfen es erleben, dass auch wir Mitbürger dieser Heiligen werden, in ihrer Gemeinschaft leben und beten dürfen.

Ja, die Kirche Jesu Christi ist viel größer und weiter, als wir zunächst denken mögen. Sie lässt sich nicht auf Bonsai-Format reduzieren. Und in ihr gibt es keine Fremdlinge, keine Ausländer. Um zu ihr zu gehören, muss man auch keinen Sprachtest ablegen. Wer getauft ist, hat die volle Staatsbürgerschaft in Gottes Reich, die niemandem wieder aberkannt werden kann. Mögen wir genau das auch ganz praktisch in unserer Gemeinde immer wieder erfahren, dass es keine Gemeindeglieder erster und zweiter Klasse gibt, dass wir alle miteinander zu Gottes großer Wohngemeinschaft gehören, in der immer noch Platz für weitere Bewohner ist!

Ja, wer getauft ist, der ist angekommen, der hat einen Status, der nicht mehr überboten werden kann, der auch nicht mehr verlängert zu werden braucht. Und doch macht uns St. Paulus hier schließlich auch deutlich, dass dies gerade nicht bedeutet, dass auch der Bau der Kirche nun schon fertig ist, dass Gottes Baupläne in dieser Welt nun schon an ihr Ende gekommen sind.

Ganz selbstverständlich spricht der Apostel Paulus hier vom Wachstum der Gemeinde, vom Wachstum der Kirche. Die Kirche Jesu Christi ist ganz selbstverständlich auf Wachstum angelegt, ist gerade nicht darauf angelegt, dass alles in ihr so bleibt, wie es immer schon war. Wir sind kein religiöser Folkloreverein. Umbauten und Anbauten sind in der Kirche Jesu Christi das Normalste auf der Welt. Nicht immer wird an allen Ecken der Kirche in demselben Tempo weitergebaut. Heute gibt es viele Länder in der Welt, in denen das Wachstum der Kirche sehr viel schneller verläuft als hier in Deutschland, und nicht in allen Gemeinden in Deutschland wächst die Kirche so schnell wie bei uns. Das muss auch nicht sein. Wir sind und bleiben die eine Kirche Jesu Christi, dürfen uns darüber freuen, wenn an anderen Stellen der Kirche Baufortschritte zu beobachten sind, während es bei uns langsamer vorangeht. Aber niemals sollen wir so tun, als seien wir fertig, als wollten wir gar nicht mehr wachsen, weil es doch so schön gemütlich und vertraut bei uns zugeht.

Doch eines macht der Apostel auch sehr deutlich: Zahlenmäßiges Wachstum an sich ist noch kein Zeichen für ein Wirken des Heiligen Geistes. Nur da ist geistliches Wachstum möglich, wo die Kirche erbaut bleibt auf dem Grund der Apostel und Propheten, wo sie in der Einheit der einen, heiligen, allumfassenden und apostolischen Kirche bleibt. Wo aus der Kirche eine große Showveranstaltung gemacht wird, wo nicht mehr das apostolische Evangelium verkündigt wird, sondern eine allgemeine Wohlfühlbotschaft, wo nicht mehr Christus im Zentrum steht, sondern das Bedürfnis der Zuhörer oder der Prediger mit seiner Ausstrahlung, da steht diese Versammlung nicht mehr auf dem Grund der Apostel und Propheten, da ist nicht mehr Christus der Eckstein, an dem das ganze Gebäude ausgerichtet ist, sondern da hat man längst begonnen, ein eigenständiges Gebäude neben der Kirche Christi zu errichten. Doch wir erleben es ja gerade jetzt nebenan beim Anbau: Das Wichtigste ist und bleibt das Fundament. Wenn das nicht solide ist, stürzt nachher das ganze Gebäude ein. Wenn die Kirche nicht gegründet ist auf das Wort der Apostel in der Heiligen Schrift, dann mag sie scheinbar noch so wachsen, dann ist sie nicht die Kirche, von der der Apostel hier spricht, sondern Kapelle des Teufels. Hören wir darum in unserer Gemeinde immer wieder sorgfältig auf das Wort Gottes der Heiligen Schrift, bleiben wir auch in der Gestaltung unserer Gottesdienste in der Gemeinschaft der Kirche aller Zeiten und aller Orte! Dann hat auch alles Wachstum, das wir in unserer Mitte erleben, Verheißung, dann wird auch diese Kirche, Gott geb’s, auch weiter für viele Menschen zur Tür zum Himmel! Amen.

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